Rezept gegen die AfD? CDU-Landrat in Thüringen lässt Flüchtlinge für 80 Cent arbeiten

Rosskur gegen die AfD? CDU-Landrat lässt Flüchtlinge für 80 Cent arbeiten

CDU-Politiker Herrgott ist seit Februar Landrat in Thüringen, weil er die Stichwahl gegen seinen AfD-Herausforderer gewann. Nun steht die Landtagswahl an. 

Christian Herrgott ist Landrat im Saale-Orla-Kreis. 
Christian Herrgott ist Landrat im Saale-Orla-Kreis. teutopress/imago

Christian Herrgott legt eine Jutetasche auf den Stuhl im Foyer des Estrel-Hotels in Neukölln, bevor er sich einen Espresso bestellt. Hier ist es ruhiger als im Saal und in der Vorhalle, wo zahlreiche Stände stehen, an denen es Gummibärchen und Beutel wie diesen gibt.

Der 39-Jährige, in Anzug und Krawatte, aus dem Saale-Orla-Kreis in Thüringen ist zum ersten Mal bei einem CDU-Parteitag als Landrat dabei. Doch inzwischen kennen ihn fast alle in der CDU. Er ist ein Hoffnungsträger: Im Februar gewann Herrgott die Stichwahl gegen seinen AfD-Herausforderer und hat verhindert, dass es nach Robert Sesselmann im thüringischen Kreis Sonneberg einen zweiten AfD-Landrat in Deutschland gibt.

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Er wird seitdem nicht müde, der AfD auch sonst das Wasser abzugraben. Sei es mit Themen wie weniger Bürgergeld für Ukrainer, Bezahlkarte oder 80-Cent-Jobs für Flüchtlinge. Es läuft gut für ihn.

Herrgott, der am 28. August 1984 in Schleiz in Thüringen geboren ist, nippt an seinem Espresso. Er hat ein prominentes Geburtsdatum: Am 28. August erblickte auch Goethe das Licht der Welt, der Dichterfürst lebte lange in Weimar, etwa eine Autostunde vom Saale-Orla-Kreis entfernt, in dem der Berufs-Offizier Herrgott nun regiert. Er ging im Jahr 2000 in die Politik, erzählt er, auch weil sein Vater schon in der CDU und Bürgermeister war. Auch er, der Sohn, habe etwas bewirken wollen. 

Inzwischen ist er Generalsekretär, sitzt im Kreistag und war außerdem lange die rechte Hand des bisherigen Landrats Thomas Fügmann (CDU).

Herrgott will mit CSU-Chef Söder „gut zusammenarbeiten“

Es ist kurz vor 11 Uhr, der Parteitag der CDU wird noch bis in die Nacht gehen. Herrgott ist hier, um das neue Grundsatzprogramm mit abzunicken, aber auch um Hände zu schütteln, zu netzwerken. Der Politiker hat am Morgen Bernhard Vogel getroffen, der jahrzehntelang Ministerpräsident von Thüringen war. Der heute 91-Jährige stellte sein Buch „Erst das Land“ vor.

Der Landrat sei richtig „beeindruckt“ gewesen, wie er sagt, er kaufte das Buch und ließ es signieren. Man hört den Stolz in seiner Stimme, wenn er sagt: „Bernhard Vogel ist ein ganz großer für unser Land.“ Just in dem Moment rauscht auch noch CSU-Chef Markus Söder mit einem Tross von Leuten in das Hotel. Herrgott reckt seinen Kopf in die Richtung des Hünen, der alle überragt und breit grinst, während er ins Festzelt einzieht. „Er, aber auch Friedrich Merz haben mir im Februar gleich zum Sieg gratuliert. Das hat mich sehr gefreut.“

Zittern vor der Wahl in Thüringen: Noch regiert dort Bodo Ramelow

Bayern grenzt an sein Bundesland, „da muss man gut zusammenarbeiten“, sagt Herrgott. Jede Hilfe ist willkommen, oder besser gegenseitige: Auch in Bayern holte die AfD fast 15 Prozent der Wählerstimmen und in Thüringen könnte es im September mehr als das doppelte sein. Noch regiert dort mit Bodo Ramelow der erste und einzige Ministerpräsident der Linken ein Bundesland, aber in Wahlumfragen liegt die AfD mit bis zu 36 Prozent weit vorn. Nur in Sachsen kommt die Partei sonst auf derart hohe Zustimmungswerte.

Thüringen ist so zu einem politischen Seismografen geworden. Die Aussicht, dass mit dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke zum ersten Mal in der Geschichte der Republik ein Rechtsextremist in die Nähe einer Staatskanzlei kommen könnte, lässt viele in Berlin zittern. Manche führen deshalb panische Debatten über ein Parteiverbot, andere laden die AfD unter anderem beim Bundespresseball aus.

Doch laut Herrgott helfe diese „Rechtsradikalismus-Keule“ nicht mehr: „Es ist falsch, die AfD überall auszugrenzen“, sagt er. Dadurch stilisiere sie sich als Märtyrer und habe noch mehr Zulauf. Man müsse ran an die Ursachen: „Die Leute erleben aus Berlin eine Politik, die weit entfernt von ihrer Lebenswirklichkeit ist. Das schafft Frust und verschafft der AfD Zulauf.“ Er weiß, was auf ihn und die CDU in Thüringen zukommt: „Es wird ein hartes Rennen – zwischen der AfD und der CDU.“ Die anderen, Linke, SPD und Grüne, sind aus seiner Sicht in Thüringen längst raus.

Siegessicher: CSU-Chef Markus Söder (r.) und Friedrich Merz beim CDU-Bundesparteitag.  
Siegessicher: CSU-Chef Markus Söder (r.) und Friedrich Merz beim CDU-Bundesparteitag. www.imago-images.de

Sein Credo ist daher, sich der Partei zu stellen, sie herauszufordern und Streitgespräche zu führen, die in die Tiefe gehen, die populistischen Parolen hinterfragen, Tacheles reden – mit dem Ziel, den Gegner zu entlarven. Für Herrgott war es beispielsweise eine Sternstunde, als sich der CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt jüngst bei Welt-TV mit AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke duellierte. Er sagt: „Wir müssen mit ihnen hart diskutieren und sie bei jeder Gelegenheit überführen.“

Herrgott und die AfD: „Man muss sie herausfordern“

Diese Herausforderer-Taktik fuhr er auch in seinem Wahlkampf, sagt er. Christian Herrgott, der seit dem 9. Februar dieses Jahres Landrat des Saale-Orla-Kreises ist, hatte sich in der Stichwahl am 28. Januar mit 52,4 Prozent gegen Uwe Thrum von der AfD (47,6 Prozent) durchgesetzt. Die Wahlbeteiligung, die für eine Landratswahl bereits im ersten Wahlgang vergleichsweise hoch war (65,5 Prozent), konnte mit 68,6 Prozent nochmals gesteigert werden.

Und seitdem setzt der CDU-Politiker immer wieder einen drauf und sorgt für Gesprächsstoff und bundesweites Interesse. Sei es wegen der Bezahlkarte, die es in seinem Landkreis seit 1. März gibt, oder weil er Flüchtlinge zur Arbeit verpflichtet. Seit Februar 2024 werden im Saale-Orla-Kreis – im Südosten Thüringens, in dem die Kleinstadt Schleiz liegt – Bescheide zugestellt, die Migranten zu gemeinnütziger Arbeit in 80-Cent-Jobs verpflichten. Das sind Jobs wie Reinigen der Gemeinschaftsunterkunft, Trikots waschen beim Sportverein oder Rasenmähen im Park.

Mit Erfolg: In den ersten drei Monaten konnte jeder zweite Asylbewerber in gemeinnützige Jobs vermittelt werden. Rund 150 von 300 erwerbsfähigen Flüchtlingen im Landkreis leben in Gemeinschaftsunterkünften und können für diese Tätigkeiten verpflichtet werden. 70 von ihnen haben bereits sogenannte Zuweisungs-Bescheide erhalten. Bei zwei Kandidaten wurden die Sozialleistungen gekürzt, weil sie ihre Aufträge mehrfach verweigerten. Der Rest packt jetzt mit an.

Die Mehrzahl übernimmt Tätigkeiten innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte. Doch im Gegensatz zu anderen Landkreisen müssen Flüchtlinge bei Herrgott jetzt auch zu externen Aufträgen anrücken. So kümmern sich zwei Syrer bereits bei einem Fußballverein um die Platzpflege. Zwei weitere Flüchtlinge helfen bei der Tafel in Schleiz, sortieren Lebensmittel und bepacken Tüten. Und das vier Stunden pro Tag. Der Stundenlohn beträgt laut Gesetz 80 Cent. Das entspricht 64 Euro/Monat, die zusätzlich zu den Asylbewerberleistungen von 460 Euro im Monat auf die Bezahlkarte überwiesen werden.

Herrgott muss seitdem ständig Fragen dazu beantworten, wie es so läuft mit der Arbeitspflicht, wie seine Verwaltung das umsetzt. Kommunalpolitiker aus verschiedenen Bundesländern hätten sich dazu bereits an ihn gewandt, sagt der Christdemokrat und zuckt mit den Achseln: „Dabei ist es im Grunde ganz einfach“, erzählt er im Estrel-Hotel und tunkt einen Keks in seinen Espresso.

Herrgott und die Flüchtlinge: Arbeitspflicht ist gesetzlich geregelt

Eine solche Arbeitspflicht sei im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Demnach dürfen Flüchtlinge in den ersten drei Monaten nach ihrer Ankunft zwar keine reguläre Arbeit aufnehmen, wohl aber zu gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten (Paragraf 5) verpflichtet und bei Verweigerung sanktioniert werden. Nur die wenigsten Kommunen würden das wegen des Verwaltungsaufwandes bisher umsetzen. Herrgott aber sagt: „Dabei ist das ein Aufwand, der zu leisten ist.“

Allerdings, schränkt er ein, seien die Voraussetzungen für die Umsetzung von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich. „Es muss jeder für sich selbst bewerten, ob eine Arbeitspflicht bei ihm umsetzbar ist oder nicht“, meint Herrgott, der inzwischen mehr und mehr Anfragen von Vereinen und Verbänden aus der Region bekommt, die Arbeitskräfte suchen.

Der Landrat betont: „Wir geben denen die Möglichkeit, die arbeiten können, entsprechend gemeinnützige Tätigkeiten zu leisten, weil ich der Auffassung bin, dass jeder, der arbeiten kann, auch arbeiten muss.“ Etwa 70 Prozent der Geflüchteten seien „willig“, sagt Herrgott. „20 Prozent muss man motivieren.“ Zehn Prozent seien „schwierig bis zum Totalverweigerer“, bei denen der Staat dann auch in letzter Konsequenz mit Leistungskürzungen reagiere.

Der Saale-Orla-Kreis ist nicht der erste Landkreis, in dem Flüchtlinge zur Arbeit verpflichtet werden. Auch andere Kommunen hätten das in der Vergangenheit immer wieder mal getan, betont Herrgott: „Die haben nur nicht offen darüber geredet.“ Richtig sei aber, fügt er hinzu, „dass wir die ersten in Deutschland sind, die das flächendeckend machen“.

Neben der Arbeitspflicht hat der CDU-Landrat auch die Bezahlkarte am 1. März eingeführt. „Bislang haben wir sehr positive Erfahrungen damit gemacht. Wir denken, das wird ein Erfolgsmodell.“ Pro Person und Monat gibt es seither „etwa 460 Euro Asylbewerbergrundleistung“, davon 50 Euro bares „Taschengeld“ für Asylbewerber, die in Gemeinschaftsunterkünften leben. Dass Geld in die Herkunftsländer überwiesen oder missbräuchlich verwendet werde, „schränken wir mit dieser Karte deutlich ein“, so der Landrat. Geld, das Asylbewerbern „vom deutschen Steuerzahler“ für ihren täglichen Bedarf zur Verfügung gestellt werde, solle „hier in Deutschland“ verwendet werden.

„Es gab schon einige, die aus diesem Grund wieder abgereist sind.“ Wohin? „Das kann ich leider nicht beantworten, in anderen Teilen Deutschland bekommen sie kein Geld, weil sie registriert und uns zugeteilt worden sind.“ Davon berichtet auch sein CDU-Kollege aus dem Eichsfeld, Werner Henning (CDU). Auch bei ihm seien einige Migranten, vor allem aus dem Westbalkan, mit Start der Karte abgereist.

„Wir haben Menschen zügig ins Sozialsystem geführt“

Doch bei den europäischen Nachbarn gibt es oft noch strengere Regeln. In Dänemark und Polen beispielsweise würden ukrainische Flüchtlinge viel schneller in den Arbeitsmarkt integriert und ansonsten Leistungen gekürzt. „Das hat Deutschland versäumt“, sagt Herrgott. „Wir haben die Ukrainer, nicht wie andere Staaten, zügig auf den Arbeitsmarkt geführt, sondern wir haben sie zügig mit dem Bürgergeld ins Sozialsystem geführt, und das war ein Fehler.“

Im Saale-Orla-Kreis leben zurzeit etwa 1200 Ukrainer. Davon arbeiten 22 Prozent. „Der Rest noch nicht“, sagt Herrgott. In Dänemark oder in Polen hätten 70 bis 80 Prozent einen Job. „Und da fragen natürlich die Menschen, warum es dort und nicht bei uns geht.“ Herrgott liefert die Antwort gleich mit: „Weil dort eben geregelt ist, dass Flüchtlinge aus der Ukraine lediglich ein halbes Jahr lang soziale Unterstützung bekommen, damit sie ankommen können. Doch bis dahin müssen sie sich dann um einen Job gekümmert haben, ansonsten wird die Leistung reduziert oder eingestellt.“

Bürgergeld ist in der Politik ein Dauerbrenner. Aktuell gibt es deutschlandweit knapp vier Millionen Erwerbsfähige, die es beziehen. Dazu zählen auch etwa 200.000 erwerbsfähige Ukrainer, die wegen des Krieges nach Deutschland geflohen sind. Die Regierung hat gerade einen Job-Turbo gestartet, um erwerbsfähige Flüchtlinge schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Landrat über den Ampel-Frust: „Die Leute wissen einfach nicht mehr, was gilt“

Für Herrgott ist in Sachen Migrationskrise zu viel Zeit verstrichen, hinzu komme der ewige Schlingerkurs der Ampel wie das versemmelte Heizungsgesetz – und das habe zusätzlich die Wähler abgeschreckt. „Die Leute wissen einfach nicht mehr, was gilt und wie sie sinnvoll planen sollen. Heute hören sie das und morgen das.“ Die Wärmepumpe beispielsweise. Kaum einer könne eine solche mit allen notwendigen Umbauten und energetischen Sanierungen in seinem Landkreis bezahlen, sagt er.

„Der ländliche Thüringer hat im Schnitt gerade einmal 15.000 Euro Rücklagen“, sagt er. Und dann solle man mal einem Mitte-50-Jährigen sagen, er müsse jetzt zusätzlich noch 60.000 Euro Kredit aufnehmen, um sein Haus zu dämmen und eine Fußbodenheizung einzubauen. „Welche Bank soll ihm diesen Kredit denn geben?“

In wenigen Minuten spricht Söder auf dem Parteitag. Den möchte Herrgott hören, er schnappt sich seine Jutetasche. Der CSU-Chef wird die Schwester-Partei kämpferisch auf die drei anstehenden Landtagswahlen einschwören und einen härteren Migrationskurs fordern. Am Abend, als es am Büfett unter anderem Spanferkel, Lamm oder Hühnchen mit Kartoffelgratin und Rotkraut gibt, steht Herrgott oft in Söders Nähe. Und auch der thüringische CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt weicht dem Ministerpräsidenten nicht von der Seite. Man muss sich beistehen, so wirkt es. Denn die Zeit drängt: Am 1. September wird gewählt.