Kilian Fleischer aus Flieden entziffert Papyri Herculaneum
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Entschlüsselung antiker Geheimnisse: Forscher aus Flieden stößt auf Platons Grab

Antike Texte auf modernem Gerät: Kilian Fleischer entziffert die Papyri aus Herculaneum auch bei Aufenthalten in Neapel.
Antike Texte auf modernem Gerät: Kilian Fleischer entziffert die Papyri aus Herculaneum auch bei Aufenthalten in Neapel. © Kilian Fleischer

An den Papyri aus Herculaneum forscht Dr. Kilian Fleischer schon länger. Nun ist der 39-Jährige, der in Flieden aufgewachsen ist, in den antiken Schriftrollen auf Hinweise zu Platons Grab gestoßen.

Flieden/Neapel - Mit Blick auf den Zeitraum, in dem bereits versucht wird, die Papyri aus Herculaneum zu entziffern, ist Kilian Fleischer aus Flieden vergleichsweise kurz an den Forschungen beteiligt. 2016 bis 2018 und im vergangenen Jahr erneut widmete sich der 39-Jährige in Neapel – unweit der Überreste der einstigen römischen Stadt, die wie Pompeji 79 nach Christus bei einem Ausbruch des Vesuvs verschüttet worden war – den antiken Schriftrollen.

Kilian Fleischer aus Flieden entziffert Papyri Herculaneum

Diese gelten als einzig erhaltene Bibliothekssammlung des Altertums. Doch auch an seiner Heimat-Universität, der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg (Unterfranken), lassen den Philologen die Schriftrollen nicht los. Seine Habilitationsschrift „Philodem, Geschichte der Akademie. Einführung, Ausgabe, Kommentar“ beschäftigt sich ebenfalls mit ihnen.

Bereits in einer Vorlesung 2020, die dem Werk „Die Papyri Herkulaneums im Digitalen Zeitalter“ zugrunde liegt, bezeichnete er die Auffassung, die Papyri seien über 250 Jahre nach ihrer Entdeckung im Jahre 1752 mehr oder weniger erschöpfend erschlossen und die Texte könnten nur noch in unbedeutenden Details verbessert werden können, als Trugschluss.

„Mir war schon klar, dass noch ganz viel in den Texten steckt, was uns Aufschluss über die Antike geben kann“, sagt Fleischer im Gespräch mit unserer Zeitung. Allein es braucht die richtige Technik, um sich den Buchstaben und Zeilen zu nähern, denn diese sind alles andere als vollständig erhalten.

Historie der Papyri aus Herculaneum

Circa 110 bis 35 v. Chr. - Die Entstehung: Die Papyri aus Herculaneum gelten als einzige aus der Antike erhaltene zusammenhängende Sammlung literarischer und wissenschaftlicher Schriftrollen. Darin zu finden sind – nach bisheriger Erkenntnis – im Wesentlichen Schriften Epikurs beziehungsweise aus der „epikurischen Schule“ und des Philosophen Philodemos von Gadara, der sich nach Aufenthalten in Alexandria und Athen bei Neapel niederließ. Er lebt damals in der wohl luxuriösesten bis heute gefundenen Römervilla – samt Bibliothek und Schreibstube.

Das Entziffern historischer Schriften gleicht einem Rätsel oder Puzzle.
Das Entziffern historischer Schriften gleicht einem Rätsel oder Puzzle. © Vesuvius Callenge

79. n. Chr. - Die Konservierung: Der überraschende Ausbruch des Vesuv verschüttet im Golf von Neapel mehrere Städte. Am bekanntesten darunter ist zwar Pompeji. Besser konserviert ist indes der von Fischerei und Landwirtschaft geprägte Ort Herculaneum, der zum Zeitpunkt seiner Zerstörung rund 4000 Einwohner hat. Bei 300 bis 350 Grad Celsius schließen Asche und Staub die Stadt ein und schaffen die Bedingungen, um die pflanzlichen Fasern des Papyrus zu konservieren.

1750 bis 1765 - Die Entdeckung: Ausgräber um den Schweizer Ingenieur Karl Weber entdecken einen Prachtbau – heute bekannt als Villa dei Papiri –, dessen Grundrisse bis heute nicht komplett offengelegt sind. Die Ausgräber finden 1752 in einer circa drei mal drei Meter großen Kammer verkohlte Stummel. Weil sie diese für Wurzeln halten, werfen sie einige beiseite. Erst beim Zerbrechen bemerken sie die Rollenstruktur und schließen auf Schriftstücke.

Die Villa dei Papiri in Herculaneum am Golf von Neapel gilt als luxuriöseste bislang gefunden Römervilla. Große Teile von ihr sind noch nicht ausgegraben.
Die Villa dei Papiri in Herculaneum am Golf von Neapel gilt als luxuriöseste bislang gefunden Römervilla. Große Teile von ihr sind noch nicht ausgegraben. © Museo archeologico virtuale/Ercolano

2024 - Die Entzifferung: Schon 1753 werden erste Rollen durch Pater Antonio Piaggio mechanisch aufgerollt, um sie zu lesen. Von den mehr als 1000 Rollen ist bis heute nur ein Bruchteil entziffert. Mittels neuer KI-, Computertomografie-, Röntgen- sowie Hyperspektrallicht-Techniken sollen die Rollen nun besser lesbar gemacht beziehungsweise virtuell geöffnet und entziffert werden. Im März 2023 wurde die Vesuvius Challenge ausgerufen, die mit Preisgeldern dazu anspornen soll, die Papyri auf Basis von KI zu entziffern.

Mittels moderner Lichttechnik werden auf Fragmenten antiker Schriftrollen Texte wieder sichtbar gemacht.
Mittels moderner Lichttechnik werden auf Fragmenten antiker Schriftrollen Texte wieder sichtbar gemacht. © Kilian Fleischer

Seit die Papyri vor mehr als 270 Jahren in den Aschetrümmern der wohl luxuriösesten Römervilla in Herculaneum am Golf von Neapel eher zufällig entdeckt wurden, gab es viele Versuche, sie zu öffnen und zu lesen. Diese reichen von einer Maschine, mit welcher der Mönch Antonio Piaggio das manuelle Aufrollen und Aufbringen von Textfragmenten auf Häute ermöglichte, bis hin zur Künstlichen Intelligenz. Inzwischen hat der amerikanische Computerexperte Brent Seales sich dem virtuellen Aufrollen noch geschlossener Rollen gewidmet, was kürzlich im Rahmen der „Vesuvius Challenge“ erstmals gelang.

Die große Herausforderung stellt der schwarze Text aus kohlehaltiger Tinte auf verkohltem Papyrus dar. „Die Buchstaben geschweige denn Worte sind für das menschliche Auge gar nicht sichtbar. Die machen wir mit Hilfe von hyperspektralen Bildern sichtbar, weil diese Technik uns einen sehr guten Kontrast liefert“, erklärt Fleischer.

Zur Person

Privatdozent Dr. Kilian Fleischer wurde im März 1985 in Fulda geboren und wuchs in Flieden auf. Nach dem Abitur an der Rabanus-Maurus-Schule in Fulda und dem Grundwehrdienst studierte er in Würzburg Latein und Griechisch sowie Betriebswirtschaftslehre mit dem Staatsexamen und schloss als Diplom-Kaufmann ab. 2012 bis 2015 promovierte Fleischer am Institut für Klassische Philologie in Würzburg im Fach Gräzistik über Dionysios von Alexandria.

Es folgten 2018 und 2022 die Italienische Habilitation und 2023 die Habilitation an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg zum Thema „Philodem. Geschichte der Akademie“. Neapel ist nicht der einzige Auslandsaufenthalt in Fleischers Vita. Dort finden sich auch ein Akademisches Jahr an der University of Oxford sowie ein Forschungsaufenthalt an der University of Notre Dame in den USA. Seit Anfang dieses Monats arbeitet Fleischer an dem auf zwei Jahre angesetzten Projekt „Die Geschichte der Stoa aus Herkulaneum“ an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen.

Wenn dann griechische Textfragmente wiederhergestellt sind, wollen diese aber immer noch entziffert und dokumentiert werden. „Das ist dann noch einmal eine Tüftelarbeit“, verrät der Philologe und nennt als Beispiele Kreuzworträtsel oder das Kinderspiel Galgenmännchen, in dem es darum geht, Wörter zu erraten. „Manchmal hilft nur ein Buchstabe mehr, ein ganzes Wort zu erkennen, und dieses dann wiederum einen ganzen Satz zu rekonstruieren. So ergibt sich nach und nach ein Textbild“, erläutert der 39-Jährige.

Rund 30 Prozent neue Wörter hat er so im Papyrus entschlüsselt. Passagen zur Akademie Platons verbargen sich ebenso in dem antiken Schriftstück – und die machten nun in Fachveröffentlichungen aber auch in der italienischen Presse und inzwischen darüber hinaus die Runde. Für Fleischer eine Überraschung. Die Universität Pisa, die an dem Projekt der Papyri aus Herculaneum ebenfalls beteiligt ist, hatte eine – laut Fleischer – routinemäßige Pressemitteilung herausgegeben. Darin wird aber ebenfalls vermeldet, dass sich in den von dem Fliedener entzifferten Passagen Hinweise auf das tatsächliche Grab Platons ergaben. Bislang war bekannt, dass der Philosoph in der Akademie von Athen begraben lag. Jetzt ist gewiss, dass er in einem dort für ihn reservierten Garten nahe des Heiligtums der Musen beigesetzt wurde.

Platon

Platon (lateinisch Plato) war ein antiker, griechischer Philosoph, der von 428 oder 427 bis 348 oder 347 vor Christus in Athen lebte. Der Schüler Sokrates wurde von seinen Anhängern in Anekdoten regelrecht vergöttert, von seinen Gegnern unterdessen verspottet. Die historische Wahrheit über ihn ist daher schwer greifbar. In den Papyri aus Herculaneum findet sich auch die einzige überlieferte antike Textstelle über Platons letzte Stunden. Aber jene Passage, die seinen Tod schildert, ist zerstört.

Fleischer vermutet nun: „Der Name Platon hat die Aufmerksamkeit der Medien angezogen.“ Für den Gesamtkontext des Verständnisses der Antike, für Historiker, Archäologen und auch Theologen schlummern nach Ausführung des Wissenschaftlers aber sicher noch weitere Erkenntnisse in den Papyri. Etliche davon wollen noch geöffnet werden – ebenfalls virtuell, also nicht physisch.

Interessante Entdeckungen aus der Vergangenheit gibt es auch in Fulda: etwa Skelette an der Michaelskirche

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