Der digitale Marktplatz leert sich: Naht das Ende von Social Media?

Der digitale Marktplatz leert sich: Naht das Ende von Social Media?

Nutzer von Seiten wie Facebook werden älter und posten weniger. Diskussionen finden zunehmend in geschlossenen Systemen statt. Ist die Internet-Party vorbei?

Die sozialen Medien spalten sich immer mehr auf. Facebook verliert dabei an Bedeutung.
Die sozialen Medien spalten sich immer mehr auf. Facebook verliert dabei an Bedeutung.Pond5 Images/imago

Neulich auf Facebook, nachdem man eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr vorbeigeschaut hat: Auf der Startseite wird der Gelegenheitsnutzer an den Urlaub vor elf Jahren erinnert (fast schon vergessen!), im Newsfeed erscheint ein diffuser Strom an Informationen: Lustige Memes und Videoclips mischen sich zwischen ernste Nachrichten, die Urlaubsfotos des auf Kuba weilenden Cousins tauchen zwischen Comics und Oma-Rezepten auf, statt Wohnungsgesuchen sieht man Anzeigen von Immobilienmaklern.

Man hat den Eindruck, als würde man zu einer Party kommen, die schon seit Jahren beendet ist, für die aber immer noch Flyer gedruckt werden. Von den 500 Facebook-„Freunden“ ist gerade einmal eine Handvoll online. Der Schulkamerad, von dem man seit Jahren nichts mehr gehört hat? Längst abgemeldet! Der Stammtisch? Inaktiv. Der Kommilitone, der auf seinem Profil noch jung und dynamisch wirkt? Inzwischen Familienvater und ergraut. Beim Blick auf die Erasmus-Gruppe, der man vor 13 Jahren beigetreten war, merkt man selbst, dass man älter geworden ist: „Dein letzter Besuch liegt elf Jahre zurück“, steht da.

20 Jahre nachdem der Harvard-Student Mark Zuckerberg im Studentenwohnheim die Website „TheFacebook“ freischaltete, wirkt die Plattform aus der Zeit gefallen: Blutleer, wie eine Geisterstadt. Dazu passt auch eine Studie des Oxford Internet Institute: Demnach wird 2070 auf Facebook die Zahl der toten Nutzer die der lebenden übersteigen. Zuckerberg hatte immer die Vision, aus seiner Plattform einen digitalen Marktplatz zu machen. Nachdem sich dort aber Scharfmacher und Verschwörungstheoretiker tummelten, entschied sich das Management, an den Algorithmen zu drehen und Facebook zum Wohnzimmer zu machen.

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Facebook hat noch immer mehr Mitglieder als die katholische Kirche

„Friends and family come first“, lautete die Losung, die Facebooks damaliger Produktchef und heutiger Instagram-Boss Adam Mosseri mitten im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 ausgab. Freunde und Familie zuerst. Doch auch in den virtuellen Wohnstuben herrscht gähnende Leere. Und Langeweile. Die Musik spielt woanders: Die Generation Z tanzt auf TikTok, die Spät-Millennials sind zu Instagram, Snapchat oder Telegram abgewandert. Zurück bleiben die Boomer, die sich via Facebook aus dem Urlaub melden.

Facebooks wenig innovative Strategie bestand darin, Mitbewerber aufzukaufen (Instagram, WhatsApp) oder deren Features zu kopieren (Snapchat). Doch gegenüber dem agileren und dynamischeren Wettbewerber TikTok sieht der blaue Riese alt aus. „Die Lichter auf dem Marktplatz sind erloschen“, schrieb das Magazin Economist kürzlich in seiner Titelgeschichte „The end of the social network“.

Zwar ist Facebook weiterhin die größte Community der Welt und hat mit drei Milliarden Nutzern mehr Mitglieder als die katholische Kirche (1,3 Milliarden). Doch die Nutzer werden älter und passiver – und posten weniger. So zeigt eine Analyse der Marktforschungsgesellschaft Gartner, dass die Zahl der Amerikaner, die ihr Leben online teilen, seit 2020 von 40 auf 28 Prozent gesunken ist. Ein enormer Rückgang, der auch mit einem sich ändernden sozialen Klima zu tun hat: Die Nutzer sind zurückhaltender mit Postings, weil das Publikum sensibler geworden ist. Nicht jedem gefällt ein Macho-Video, und bevor man einen Shitstorm erntet, teilt man es lieber in der privaten WhatsApp-Fußballgruppe. Im kommenden Jahr, prognostizieren die Gartner-Analysten, wird die Hälfte der Social-Media-User ihre Accounts entweder aufgeben oder ihre Nutzung deutlich herunterfahren.

Bei der Plattform X haben zahlreiche Unternehmen ihre Werbung eingestellt

In der Meta-Zentrale haben sie die Änderung des Kommunikationsverhaltens bereits registriert: So teilte Instagram-Chef Mosseri im vergangenen Juli mit, dass Nutzer Fotos und Videos vermehrt in Direktnachrichten und Storys teilen, die nicht für jedermann zugänglich sind. Diskussionen finden zunehmend in geschlossenen Öko-Systemen wie auf WhatsApp oder Telegram statt. Deren Gruppen bzw. Kanäle sind eine Art unregulierter Sender.

Facebook ist derweil zu einer Art Dauerwerbefernsehen verkommen, das zunehmend die Kontrolle über seine Inhalte verliert. So kursierten vor einigen Wochen KI-generierte Jesus-Figuren, wo der Gottessohn unter anderem in Gestalt von Garnelen dargestellt wurde. Die Nutzer nahmen die bizarren Jesus-Darstellungen mit Humor – und kommentierten diese frömmelnd mit „Amen“. Doch für Facebook war dies ein peinlicher Vorfall – nicht nur, weil das Management großen Wert darauf legt, die Gefühle religiöser Menschen nicht zu verletzen, sondern auch, weil es die Attraktivität als Werbeplattform schmälert. Anzeigen machen 97,5 Prozent des Konzernumsatzes aus, das Geschäftsmodell ist wenig diversifiziert. 2020 hatten namhafte Konzerne unter dem Motto #StopHateForProfit zu einem Werbeboykott aufgerufen, weil Facebook aus ihrer Sicht nicht entschlossen gegen Hassrede vorginge.

Das hat die Plattform X bereits zu spüren bekommen, wo zahlreiche Unternehmen ihre Werbekampagnen eingestellt haben, seitdem der Eigner Elon Musk wie wild an den Algorithmen herumdreht und damit die Verbreitung von Verschwörungstheorien befeuert. KI-Müll, Hassrede, Fake News: Ist die Party in sozialen Medien vorbei?

Die Landschaft könnte sich aufspalten in Social und Media

Das Ende von Social Media wurde schon oft herbeigeraunt. In gewisser Weise gehört die Untergangsstimmung auch zum guten Ton im Silicon Valley. Dort hat man schon viele Start-ups kommen und gehen sehen. Soziale Netzwerke wie Friendster, MySpace oder Google+ liegen heute ebenso auf dem Internet-Friedhof begraben wie studiVZ und schülerVZ, die 2022 endgültig abgeschaltet wurden. Doch ein Abgesang wäre verfrüht und leichtfertig, denn dafür vereinen die Konzerne zu viel soziales Kapital auf sich. Viel spricht für die These, dass sich die Social-Media-Landschaft in zwei Teile mit unterschiedlichen Funktionslogiken aufspaltet: Social und Media. Im öffentlichen Media-Teil bespielen Parteien, Unternehmen und Stars die Kanäle. Im privaten Social-Teil tauschen sich Nutzer untereinander aus.

Das hat Implikationen für die digitale Öffentlichkeit, weil Ideen nicht mehr frei flottieren können: Jeder bunkert sich in seiner ideologischen Wagenburg ein. Ein soziales Netzwerk, in dem drei Milliarden Menschen angemeldet sind, war aber schon seit jeher überdimensioniert und entgegen sozialen Interaktionen strukturiert: Kein Mensch hat 500 Freunde, sondern, wie Studien belegen, zwischen drei und sechs echte Freunde. Insofern differenziert sich hier etwas aus, was von Anfang an ein dysfunktionales soziales System war.

„Die Zukunft von Social Media ist deutlich weniger Social“, schrieb die New York Times im vergangenen Jahr. Damit ist nicht gemeint, dass Social-Media-Plattformen unsozialer oder gar asozial werden, sondern soziale Interaktionen sich in kleinere Räume verlagern. So erfreut sich die hyperlokale App Nextdoor, eine Art digitale Nachbarschaftshilfe, wo in den USA 42 Millionen Nutzer aktiv sind, wachsender Beliebtheit: Dort können sich Nachbarn vernetzen und gegenseitig helfen, zum Beispiel Babysitter organisieren, Möbel aufbauen oder mit dem Hund spazieren gehen. Ganz ähnlich funktioniert in Deutschland das Nachbarschaftsportal www.nebenan.de, wo man in seinem Kiez Kleidung erstehen oder sich zu Hoffesten verabreden kann. Das wahre Leben spielt draußen vor der Türe – und nicht im virtuellen Raum.