Technologiesprünge sollten zur Entwicklung von Nachhaltigkeitstechniken genutzt werden. Einer dieser Technologiesprünge ist die digitale Vernetzung mit KI-basierten Systemen. Ein anderer neue Technologien und Prozesse im Lebenszyklus der Produkte. Sowohl die Nachhaltigkeitstechnologien als auch die Nutzung von KI und Virtualisierung sollten deshalb in einem Konzept zur Aus- und Weiterbildung von Ingenieuren verankert werden. Die Wirtschaft braucht gut ausgebildete Ingenieure, um den Strukturwandel durch Technologiesprünge zu realisieren und ausreichende Wertschöpfung zu erzielen.

2.1 Die Ausbildung zum Ingenieur in den vergangenen Epochen

Die Industrie durchlief mehrmals Phasen des technischen Umbruchs. Am Anfand stand die Mechanisierung mit zentralen Antrieben und mechanischen Produktionstechniken. Dann folgte die Elektrik mit vielen Innovationen elektrischer Produkte und dezentralen elektrischen Antrieben in Maschinen und später, nach der Erfindung der Halbleiter, völlig neue Industrien mit elektronischer Steuerung und wissensbasierter Software sowie technischer Intelligenz (siehe Abb. 2.1).

Abb. 2.1
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Technologiezyklen des Industriezeitalters

Die jeweils neuen Technologien vergangener Epochen förderten das Wirtschaftswachstum in den Industrieländern. Die Schwellenländer profitierten von der „Globalisierung“ genannten Migration von Produktion und Konsum vieler Produkte in die Regionen mit niedrigeren Kosten. Sie schlossen zum Teil an die Spitzentechnologien der Industriestaaten an und wurden zu unverzichbaren Lieferanten preiswerter Komponenten und Produkte.

Jede dieser Phasen hatte völlig neue Ansätze in der Ausbildung der Ingenieure an den Hochschulen zur Folge. Einige technische Hochschulen, wie z. B. Braunschweig, verdanken ihre Gründung der Industrialisierung mit mechanischen Technologien. In der Epoche der Mechanisierung entstand der Schwerpunkt der „Technischen Mechanik“ auf den Grundlagen der mechanischen Gesetze der Physik. Es galt, diese Erkenntnisse in die Anwendungen zu überführen, um Maschinen zu bauen, sie technisch überlegener und zuverlässiger bzw. besser zu machen und zu optimieren. Aus der Elektrik entstand an den Universitäten die Forschung zu elektrischen Phänomenen und zu Gesetzen der Elektrotechnik. In der Epoche nach der Erfindung der Halbleiter entwickelten sich neue Forschungsgebiete der Werkstofftechnik (Halbleiter, Beschichtung) und Elektronik, die auf Erkenntnissen der Teilchenphysik und Chemie beruhten. Die Elektronik wurde zu einem zentralen Feld der Ausbildung von Ingenieuren und konnte ihren Diffusionsprozess in alle technischen Gebiete mit hoher Ingenieurkompetenz starten. In neuerer Zeit reichen forschungsbasierte Ansätze von der Mikro- und Automatisierungstechnik, Kybernetik und Systemtechnik bis zur künstlichen Intelligenz (KI) und Quantentechnologie. Die Bandbreite an Technologien für moderne Produkte hat sich massiv vergrößert und damit auch die Vielfalt der Studiengänge an den Hochschulen.

Experten erwarten den Übergang zu einem Zeitalter der Technischen Intelligenz. Unter Technischer Intelligenz ist die Integration von digitalen Sensoren zur Beobachtung von Prozessen und Prozessumgebungen sowie von mechatronischen Aktoren (Robotics) und Wissen zur Steuerung der Prozesse sowie zur Interaktion mit dem Menschen in ein technisches System zu verstehen, das situationsbezogen richtig reagiert.

Das Ausbildungssystem der technischen Hochschulen in Deutschland folgte diesen Epochen. Um das Wissen in den Werkstätten und Fabriken zur Anwendung zu bringen, entwickelte sich in den industrialisierten Ländern ein Ausbildungssystem, das alle Mitarbeiter der Unternehmen erreichte. Getragen von Politik, Arbeitgebern und Gewerkschaften entstanden Bildungsträger für berufsbegleitende Weiterbildung. Dies System bildete die Basis der wirtschaftlichen Kompetenz von Industrieunternehmen und der Industrialisierung: Das Konzept der forschungsbasierten Ausbildung war eine vorbildliche Form der Ausbildung für erfolgreiche Ingenieur-Industrien in der Welt. Die Produktionstechnik beispielsweise konnte dank systematischer Ausbildung zu kontinuierlicher Innovation, Rationalisierung und Systematisierung, zur Qualität und Zuverlässigkeit und zur führenden Position im Weltmarkt der Fabrikausrüster beitragen.

Die Phasen der jeweiligen Technologien prägten das Ausbildungssystems (siehe Abb. 2.2). In der beruflichen Bildung wurden Facharbeiter zur industriellen Fertigung im dualen System ausgebildet. Ihre Fähigkeiten entwickelten sich mit den Anforderungen an Leistung, Qualität und Präzision durch Schulung und praktische Erfahrungen. Die Industrie förderte – bis in die heutige Zeit – die fachliche Qualifikation ihrer Mitarbeiter durch Weiterbildungsprogramme. Beispiele sind: die Fertigungstechnik und Betriebsorganisation zur Durchführung von methodischen Rationalisierungsmaßnahmen unter Beachtung der Ergonomie und leistungsfördernder – gerechter – Entlohnung (REFA-Methodenlehre). Ferner sicherten Normen wie die DIN und ein Value Management eine gleichbleibend hohe Qualität in der Herstellung. In jüngster Zeit stehen die Methoden des Qualitäts-Managements und der ganzheitlichen Produktionssysteme im Vordergrund. Technische Substitutionen und Innovationen begründeten strukturelle Veränderungen durch Investitionen und wurden durch Qualifizierungsmaßnahmen der Mitarbeiter begleitet.

Abb. 2.2
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Technologiezyklen verändern das Ausbildungssystem

An den Universitäten bildeten sich technische Schwerpunkte in der Mechanik, Elektrik oder Elektronik. Einige Universitäten legten sich auf technische Profile fest. So entstanden die technischen Hochschulen und die technisch orientierten Universitäten (TU 9 – Gruppe der neun führenden technischen Universitäten in Deutschland). Fakultäten ergänzten und reformierten immer wieder ihre Institute und die Lehre. Die Lehrpläne folgten mit der Zeit den technischen Entwicklungen. Sie trugen damit zu den jeweils geforderten Fähigkeiten der Ingenieure bei. Die angebotenen Studiengänge und Studienrichtungen diversifizierten und erlauben heute Studien nach individuellen Vorstellungen und Neigungen. Parallel zu diesen strukturellen Angeboten gab es mehrere grundlegende Reformen der Universitäten, die zu mehr Autonomie und zur paritätischen Besetzung der Gremien führte [1].

Die Ingenieurwissenschaften an den Technischen Hochschulen insbesondere im deutschsprachigen Raum übernahmen – wie andere Disziplinen auch – das Humboldt’sche Bildungsmodell in die universitäre Ausbildung. Wilhelm von Humboldt war ein Bildungsreformer und prägte das System der forschenden Universität. Die Universität war nach seinen Vorstellungen der Forschung und der Diskussion von Fragestellungen verpflichtet. Er setzte auf eine Selbstbildung, gefördert durch Diskussionen um Forschungsfragen und Erkenntnisgewinn. Für ihn war Bildung ein Prozess, in dem der Student durch eigene geistige Anstrengungen versucht, sich Wissen anzueignen. Mit naturwissenschaftlichen Grundlagen und wissenschaftlicher Arbeitsweise konnte so eine außerordentliche Rationalität der technischen Bildung und der (Problem-)Lösungen mit einer angemessenen Realitäts- und Praxisnähe erreicht werden.

Die Deutschen Universitäten arbeiten vielfach nach den Prinzipien von Wilhelm von Humboldt und einer forschungsorientierten Lehre. Das System setzt bis heute auf Eigenverantwortung bei der Beschaffung von Wissen und den Dialog mit den Professoren. Die Prüfungen waren nicht nur Abfragen von Fachwissen, sondern Beweis des Verständnisses von Zusammenhängen im engeren oder weiteren Fachgebiet (Rigorosum). Die Rolle der Professoren lag nicht nur in der Vermittlung und Erklärung von Wissen, sondern in der gemeinsamen Lösung von Forschungsfragen zusammen mit den Studierenden. Entscheidend für das Funktionieren dieses Systems war die wissenschaftliche Arbeitsweise und die Publikation neuer Erkenntnisse. Den Bibliotheken kam die große Aufgabe der Speicherung, Verbreitung und Bereitstellung von Wissen aus der Forschung zu.

2.1.1 Internationalisierung des Hochschulsystems

In Deutschland war das Diplomstudium im vergangenen Jahrhundert Standard der Ingenieurausbildung. Es hat zwar zu hervorragender Qualifikation beigetragen, die deutschen Diplom-Abschlüsse wurden jedoch von international operierenden Unternehmen teilweise nicht anerkannt. Trotz der hohen Qualifikation der Diplomabschlüsseverschlechterten sich die beruflichen Perspektiven und Chancen vieler Ingenieure in Europa und in den Industrien der Triade (USA, Europa, Japan). Die Bildungspolitiker bemängelten fehlende Sichtbarkeit in der internationalen Wissenschaft und bei Spitzenleistungen. Das gesamte System der Ausbildung wurde deshalb im sogenannten Bologna-Prozess (siehe Bologna Prozess) harmonisiert und auf Spitzenleistungen der Wissenschaft getrimmt. Wissenschaftler konnten leichter Zugang zu internationalen Journalen für ihre Publikationen finden und sich am Stand der Wissenschaften messen.

Die Umstellung im Ingenieurbereich auf das Bologna System war ein Einschnitt zur Verkürzung der Studienzeiten und zur stärkeren Verschulung. Dies wurde vielfach gelobt, da viele Studierende von den Präsenzveranstaltungen eine direkte Wissensvermittlung durch die Professoren und Ausbilder erwarteten – also eine stärkere Verschulung in der akademischen Ausbildung. Das Bologna System wurde damit international gleichgeschaltet und verlor aber Elemente der Selbstorganisation und Eigenverantwortung mit der Begründung der Reduzierung der Studienzeiten und Harmonisierung der Studien. Eine Gleichschaltung der Niveaus der Ausbildung erleichterte die Mobilität. Bedauerlicherweise folgten die Universitäten vielfach diesen anglo-amerikanischen Vorbildern und verloren an spezifischen Fähigkeiten wie z. B. der Eigenständigkeit im Ingenieurbereich.

Die Publikation wissenschaftlicher Erkenntnisse ist eine Pflicht der Hochschulen und der Wissenschaftler, um das generierte Wissen zu teilen und zur Diskussion zu stellen. In der Praxis der Hochschulen hat sich hier eine Form der Publikation durchgesetzt, deren Maßstäbe allein Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Journalen sind. Hier setzt eine Kritik des Autors an, da im technischen Bereich vor allem auch praktische Lösungen in Fachzeitschriften erwartet werden, die von vielen – auch ohne akademische Ausbildung- verstanden werden. Eine technische Hochschule sollte die Form der Publikation für die Anwender und Wissensnutzer in den Mittelpunkt stellen. Ein zweiter Kritikpunkt richtet sich auf die Form der Teilung von Wissen. In vielen Wissenschaftsgebieten ist allein der „Citation-Index“ wissenschaftlicher Publikationen eine Leistungsmessgröße und entscheidend für die Berufung von Professoren. Die persönlichen Erfolge in der Applikation und Anwendung oder die Beiträge zur Innovation und Wertschöpfung in der Wirtschaft zählen kaum zu den akademischen Leistungskriterien. Das hat einen fehlenden Bezug zur Praxis und zur wirtschaftlichen Relevanz auf vielen Gebieten zur Folge.

Im technischen Bereich, bei dem es auch um technische Effizienz und um Wertschöpfungspotenziale geht, ist die Verwendung von Wissen nicht mehr wettbewerbsneutral, weil es um die schnelle Transformation in die Wertschöpfungsprozesse geht. Es müssen deshalb Formen gefunden werden, die Forschungsergebnissen einen Zeitvorsprung in den Ländern geben, die neue Technologien generieren und die das Wissen zur Anwendung gewonnen haben.

Treibt man die Prozesse durch Forschung in ihre Grenzbereiche der Technik (Geschwindigkeit, Dimensionen, Toleranzen etc.), so werden sie immer störanfälliger und generell unzuverlässiger. Es bedarf also des grundlegenden Wissens, um Prozess-Technologien, physikalische Phänomene sowie Wirk-, und Einfluss- und Einstellgrößen, um sie zu beherrschen und praktisch nutzen zu können. Basis sind das Wissen um die Gesetze der Naturwissenschaften. Glaubwürdig werden diesbezügliche Ergebnisse aber erst durch Experimente und Bewährung in der Praxis. Da deutsche Produkte vielfach durch hohe Zuverlässigkeit gekennzeichnet waren, wurde das praktische Wissen um angewandte Technologien zum kritischen Erfolgsfaktor der Wirtschaft. Das theoretische Wissen differierte immer mehr vom praktischen Wissen. In den Ingenieurwissenschaften haben jedoch praktisches und theoretisches Wissen gleichermaßen an Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft gewonnen.

Die Form der Vermittlung – ob digital oder analog – ist nicht entscheidend, vielmehr das Verständnis und die Nutzbarkeit zur Lösung von technischen Fragestellungen im Dialog zwischen den Professoren und ihren Studierenden.

Diese Art der Vermittlung von Verständnis kann besser über Präsenzveranstaltungen erfolgen, wenn damit auch Information zur praktischen Realisierung oder zu Erfahrungen in der Praxis verbunden sind. Denn der persönliche Dialog bzw. das Fachgespräch zur Lösung von Fragen sollte im Zentrum der Wissensgenerierung und des Transfers an den Universitäten stehen. Das eigentliche Fachwissen kann auch durch Selbststudium analog oder digital auf rationellste Art und Weise beschafft werden, also z. B. über Instrumente der modernen Informationstechnik und aus dem internationalen Bibliotheksverbund bis hin zur Anwendung von Literatursystemen wie dem Citavi, Es muss allerdings gewährleistet sein, dass das verwendete Wissen richtig und glaubwürdig ist.

Entwicklungsingenieure konnten sich in der Vergangenheit auf die erworbenen Fähigkeiten der Facharbeiter in den Fabriken verlassen und damit eine hohe Praktikabilität und Perfektion erreichen. Im universitären Bereich war es ebenfalls vorteilhaft, neben der Theorie auch praktische, experimentelle Fertigkeiten zu beherrschen. Die Universitäten besetzten ihre technischen Labors mit hoch qualifizierten Facharbeitern und Meistern. Heute verlassen die Universitäten diesen erfolgreichen Weg und entfernen sich immer mehr von der Praxis. Stattdessen folgen sie zunehmend der wissenschaftlichen Theoretisierung und Akademisierung, die in den angelsächsischen Ländern vorherrscht. Das gilt auch für die Behandlung von Forschungsfragen.

2.1.2 Von der Massenproduktion zur Herstellung individueller und maßgeschneiderter Produkte hoher Qualität

Die Systematisierung der industriellen Produktion, die mit Beginn des Industriezeitalters begann, schaffte einerseits die Voraussetzungen zur Serienfertigung neuer technischer Produkte und zugleich Arbeitsplätze für viele Beschäftigungsgruppen. Dies trug nicht zuletzt zur Abwanderung von Menschen aus dem Agrarbereich in die Industrie und damit zum Wachstum der Einwohnerzahlen in den Industriezentren bei. Der in dieser Zeit entwickelte Taylorismus [2] und seine Arbeitsteilung war eine grundlegende Methode zur Leistungssteigerung, aber auch zum Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Industrialisierung brachte neue soziale und politische Probleme, aber auch eine Steigerung des Wohlstands durch Steigerung der Produktivität. Der Name Taylor steht für diese Veränderungen, da er die Grundlagen der Betriebsorganisation und der Formen der Arbeit für ein ganzes Jahrhundert legte.

2.1.3 Vom Taylor-System zum Lean Management

Das „Tayloristische Weltbild“ der Industrieproduktion stammt aus der Zeit der Fließfertigung und der Erkenntnis, dass Spezialisierung hohe Produktivität erlaubt. Taylor fand aus Beobachtungen manueller Arbeit heraus, dass die Leistung bei statistisch ausreichender Reproduktion mathematisch messbar war und damit auch im Voraus bestimmt bzw. geplant werden konnte [3]. Er forderte dafür ein „Scientific Management“ durch Planer, die die Arbeit analysieren und Leistung vorausberechnen konnten [2, 4]. Das Management sollte bereits am Tag vorher festlegen, welche Leistung die Mitarbeiter mit welchen Arbeitsmitteln unter Berücksichtigung ihrer physischen Belastung zu erbringen hatten. Hieraus entwickelte sich das Akkordsystem in der arbeitsteiligen Produktion. Taylor sah in der Berechenbarkeit („Science“) der Leistung eine Grundlage für die Entlohnung und forderte leistungsgerechte Entlohnung, damit die Mitarbeiter in die Lage versetzt wurden, Produkte aus serieller Produktion selbst kaufen zu können.

Taylor verwendete mathematische Methoden, um Arbeit und Leistung zu berechnen. Er schuf damit eine Methode zur Bewertung menschlicher Arbeit und Lohn bei gleichzeitiger Schaffung von Leistungsanreizen und rationeller Arbeitsweise. Er legte die Basis für die betriebswirtschaftliche Planung, und zur Kostenrechnung aber auch zur leistungsorientierten Bezahlung. Das Scientific Management findet heute seine Fortsetzung in der Anwendung von Managementmethoden und in den Informationssystemen der Unternehmen.

Der Taylorismus in seiner ursprünglichen Form basiert auf dem Prinzip einer Beobachtung von Tätigkeiten mit wissenschaftlichen Methoden (Mathematik, Statistik) und daraus ableitbaren Vorgaben für die bestmögliche Ausführung (Zeit- und Leistungsvorgaben). Die Werker sollten am Tag vor der Ausführung eines Prozesses schriftliche Anweisungen zur Ausführung ihrer Arbeiten bekommen (Arbeitspläne). Die Beobachtung der manuellen Prozesse und ihrer mathematischen Modellierung führte einerseits zu der heutigen Betriebswirtschaft und Planung in den Unternehmen, anderseits zur heutigen Ergonomie und Arbeitswirtschaft, in der eine wissenschaftlich fundierte Methodik zur Optimierung menschlicher Tätigkeiten erreicht werden konnte. Selbst die Ergonomie verwendet wissenschaftlich festgestellte Standards, zur Gestaltung von Arbeitsplätzen und Werkzeugen.

Die Produktivität wurde seinerzeit noch vorwiegend durch die Arbeitsprozesse und die Gestaltung der Arbeitsplätze mit Leistungslohn bestimmt. Das „Tayloristische“ Modell des Managements war auf Rationalisierung der manuellen Arbeit ausgerichtet. Diese Orientierung und wirtschaftliche Bewertung hat einen strukturellen Wandel in den Kompetenzen der Mitarbeiter zur Folge gehabt. Das Modell stieß später an seine Grenzen. Denn als die Märkte Sättigung zeigten, bot nur eine Individualisierung der Produkte einen Ausweg mit Vorteilen im Wettbewerb und neuen Wachstumspotenzialen. Die Geschäftsmodelle veränderten sich von einem Angebots- zu einem Nachfragesystem kundenorientierter Produkte. Die Folgen sind heute eine extreme Komplexität und globale Vernetzung der Produktion mit perfekten logistischen Netzwerken – von der Bestellung bis zur Auslieferung – mit Fähigkeiten zur Lieferung kleiner Mengen oder sogar Stückzahl 1. Die perfekte Logistik und Lieferung zum versprochenen Zeitpunkt (just in Time) hat in jüngster Zeit – unter dem Einfluss der Corona-Pandemie – seine Vulnerabilität für Störungen gezeigt [5].

Die Planbarkeit der Arbeit und einzelner Prozesse machte es möglich, zu mechanisieren und zu automatisieren. Damit erhielt die Produktionstechnik eine neue Bedeutung als strategisches Fachgebiet der Wissenschaft, und Deutschland wurde mit Japan zum führenden Hersteller von Werkzeugmaschinen und Fabrikausrüstung. Heutige Fabriken erreichen einen hohen Automatisierungsgrad und setzen in ihrer Serienproduktion verkette und vernetzte Techniken ein. Im Prinzip gilt hier noch immer die Arbeitsteilung, aber mit hohem Automatisierungsgrad. Die Automatisierungsgrade in der Serienfertigung sind mittlerweile insgesamt sehr hoch. Flexible Fertigungs- und Montagesysteme sind mit nur wenigen Mitarbeitern zu betreiben.

Die Arbeiten von Taylor waren der Beginn einer Epoche der Rationalisierung und Automatisierung. Sie waren aber auch der Start in eine Methodenlehre der Betriebsführung aufgrund wissenschaftlicher und praktischer Erkenntnisse. Neue Methoden der Arbeitsplanung wie (Industrial Engineering, REFA, MTM) nutzen zur Leistungsbewertung direkter Arbeit Verfahren vorbestimmter Zeiten und erreichten damit einen Arbeitsfrieden zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. In jüngerer Zeit kamen viele neue Methoden zur Förderung der Leistung in der Fabrik hinzu, so beispielsweise Methoden zum Management der Qualität mit Prinzipien der Selbstkontrolle oder der kontinuierlichen Verbesserung (KVP) und in der Logistik die Methoden des Lean Managements [6, 7].

Die Erzielung von Höchstleistung in den Fertigungssystemen mit hoher, gleichbleibender Qualität verlangt nach wissenschaftlichen Methoden (Scientific Management) in der Organisation. Während früher noch an den Fertigungsstandorten Unterschiede in der fachlichen Qualifikation der Mitarbeiten bestanden, werden diese heute durch intensive Schulung nivelliert. Heute gilt es, in der Planung der Produktion alle Prozesse bis ins Detail zu optimieren und „automatisch“ ausführen zu lassen. Planung und Optimierung sind klassische Aufgaben der Produktionsingenieure.

Kleinere Produktions-Stückzahlen und Varianten erhöhen grundsätzlich die Herstellkosten. So hat die Abkehr von der Massenfertigung zur Fertigung kundenspezifischer Aufträge die Kosten der Logistik und der Gemeinkosten explodieren lassen. Dem wurde mit Methoden der ganzheitlichen Produktion [4] und ihren speziellen Formen des „Lean Manufacturing“ begegnet. Lean Manufacturing stammt aus der japanischen Automobilindustrie [8, 9] und zielt auf eine radikale Vermeidung von Verlusten an Zeit und Ressourcen in den Produktionsprozessen. Maßstab sind allein die Anforderungen der Kunden an Funktion und Qualität der Produkte.

Die Methoden des Lean Managements wurden in umfassende Schulungs- und Ausbildungsprogrammen übernommen. Einige technische Universitäten systematisierten die Methoden und übertrugen sie auf die gesamten Prozessketten [6]. In einer methodisch definierten Vorgehensweise werden Prozesse und Prozessketten im Hinblick auf Verluste an Zeit und Ressourcen analysiert und durch robuste und einfache Lösungen ersetzt. Das Lean Manufacturing unterstützt die Gestalter von Produktionen bei ihrer Aufgabe, die Effizienz der Ressourcen in der Produktion zu maximieren. Es ist ein Beitrag zur Nachhaltigkeit und zur Kostenreduzierung. Deshalb haben viele Unternehmen die „Lean“ Methoden in ihre Regularien zum Management übernommen und dehnen diese mittlerweile auf die gesamten Prozessketten und auch auf die indirekten Bereiche des Unternehmens aus. Denkbar ist eine Adaption der Lean Methoden an das Leitbild einer CO2-armen und energieeffizienten Produktion, z. B. durch Bewertung des Energieverbrauchs oder des CO2-Ausstoßes anstelle der Kosten und Zeiten als alleinigem Bewertungs-Maßstab [7].

Die Anwendung der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen – nachgewiesen – und wirtschaftlichen Erfolgen beruhenden Methoden der Betriebsorganisation haben schon mehrfach ganze Industriebereiche verändert wie die Initiative zum Lean Management zeigt. Unternehmen verwendeten die Lean-Methoden zur Formulierung eigener Strategien und zur breiten Schulung von Arbeitsgruppen. Ausgebildete Ingenieure übernahmen die konkreten Maßnahmen zur Umgestaltung der Prozesse und zur Veränderung der Strukturen. Sie setzten die Strategien in den Prozessketten der Zulieferer durch. Auditoren prüften die Abläufe nach Hinweisen auf Schwachstellen und Verbesserungen. Das Besondere daran war, dass Mitarbeiter überzeugt wurden, an den Veränderungen selbst mitzuwirken oder sie sogar selbst mitzugestalten. Viele der Methoden basieren auf Prinzipien der Selbstorganisation und hoher Eigenverantwortung. Unternehmen haben vielfach persönliche Leistungen mit Prämien honoriert. Alles in allem haben diese Methoden die Transformation der Wirtschaft in einem Konsens von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorangetrieben und beiden Seiten finanzielle Vorteile verschafft. Heute müssen wir wiederum eine Transformation zur Digitalisierung und zur Nachhaltigkeit vollziehen. Aber leider sind die verfügbaren und bekannten Methoden noch nicht ausreichend.

Denkbar wäre zum Beispiel eine neue Methode zur flächendeckenden Einsparung von CO2, indem man Prozesse nach ihrem CO2-Verbrauch bewertet. Peter Horvath [10] entwickelte u. a. die Methode der Prozesskostenrechnung, um Gemeinkosten verursachungsgerecht zu verrechnen. Analog dazu könnten wir heute auch die CO2-Emissionen in direkten und indirekten Prozessen bestimmen und in der wissenschaftlichen Betriebsführung (Scientific Management) anwenden, um zu Einsparungen zu kommen. Unter dem Schlagwort CO2 freie Produktion würden sich Technologien und Methoden zur Reduzierung der CO2-Emissionen in den Prozessketten zu einer breiten Initiative zusammenführen lassen. Die Praxis erwartet ein solches Konzept von den Universitäten.

2.1.4 Vernetzte Produktion individualisierter Produkte

Taylorismus und Lean Manufacturing kamen aus der Massenfertigung und schafften den Übergang in die Fertigung kundenindividueller Produkte. Hohe Kosten der Produktion, insbesondere der Lohnkosten, förderten die Migration der Produktion aus den hoch industrialisierten Ländern der Triade (Nordamerika, Westeuropa, Japan) in die Schwellenländer: Osteuropa, Asien (China, Indien) und Südamerika (Brasilien Mexiko) und ließen diese Industrien zu globalen Wettbewerbern um Arbeit werden.

Aktuell bleibt den führenden Ländern in Nordamerika und Europa als strategisches Ziel lediglich der Vorsprung durch technische Innovationen mit hohem Forschungshintergrund, demnach die sogenannten High-Tech-Industrien [11, 12] mit Höchstleistung in den Systemen unter Ausschöpfung der Leistungspotenziale auch bei wechselnden Fertigungsaufgaben ist ein Kern der derzeitigen Aufgaben Produktionsingenieure.

Die heutige industrielle Produktion ist eine vernetzte Produktion mit vielen spezialisierten Unternehmen. Die Prozessketten in der Logistik (CRM, SCM) aber auch im Engineering und bei den Fabrikausrüstern sind in der Welt verteilt. Viele haben die Spezialisierung genutzt, um Alleinstellungsmerkmale und Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Die Abb. 2.3 zeigt die Netzwerke der industriellen Produktion. Customer Relations Management (CRM) und Supply Chain Management (SCM) unterstützen fast alle logistischen Prozesse vom Angebot über die Bestellung durch Kunden über die arbeitsteilige Produktion mit OEMS (Original Equipment Manufacturer) und Zulieferern bis zur Auslieferung beim Kunden zum zugesagten Termin. Informationssysteme mit integrierten Methoden unterstützen, perfektionieren und standardisieren diese Prozesse in der gesamten Kette. Für die Qualität der zugesagten Lieferungen ist der jeweilige Hersteller selbst verantwortlich, um Wareneingangsprüfungen zu vermeiden. Die IT-Ausrüster entwickelten Daten-Standards zur verlustfreien Transformation von Informationen im Verbund mit den Materialströmen. In der Perfektion der Logistik hat Deutschlands Wirtschaft eine führende Position. In diesem Umfeld entwickelten sich internationale Handelskonzerne wie DHL, und Amazon zu äußerst profitablen Unternehmen. Sie benötigen für ihre Geschäfte eine gut ausgebaute Infrastruktur (Flughäfen, Straße, Bahn, etc.) und ein schnelles, zuverlässiges Internet. Das Modell setzt eine fehlerfreie, kostengünstige und terminierte Produktion voraus. Es verändert den Einzelhandel in den Städten.

Abb. 2.3
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Vernetzte Produktion

Ein weiteres IT-gestütztes Netzwerk findet sich in der Produktentwicklung und in der Kooperation mit Entwicklungsdienstleistern, die spezielle Aufgaben in der Konstruktion und in der Planung übernehmen. Vielfach sind darin auch Lieferanten für Zulieferteile und normierte Komponenten wie z. B. Pumpen oder Ventile, Schalter oder für elektronische Bauelemente eingebunden. Basis dieses IT-Netzwerkes sind CAX-technologien mit ihren ergänzenden Modulen für Berechnungen oder Simulation. Die Schnittstellen der Systeme sind mittlerweile weitgehend standardisiert oder genormt. Die Vernetzung in der Produktentwicklung fördert die Kooperation von Unternehmen und braucht dazu Projektmanagementsysteme (Aufgaben, Zeiten, Termine, Kosten, Finanzierung) und ein umfassendes System des Qualitätsmanagements. Die Corona-Pandemie hat dazu beigetragen, dass der Austausch von Informationen über WEB-Kommunikationssysteme (Zoom, Webex, Teams etc.) und verteiltes Arbeiten mit Homeoffice stark ausgeweitet werden konnte.

Ein viertes Netzwerk ist das der Fabrikausrüster, die Aufgaben der Planung und Lieferung der zur Herstellung benötigten Maschinen und Produktionsanlagen übernehmen. Das Spektrum an Leistungen reicht vom Fabrikbau bis zu hochautomatisierten Fertigungs- und Montagesystemen und einschließlich der benötigen Werkzeuge und Betriebsmittel. Ohne eine perfekte Kooperation und ein straffes Projekt-Management sind diese nicht überlebensfähig. Die Netzwerke der Fabrikanlagen für Hochleistungsfabriken kennen mehr als 50 Lieferanten mit spezialisierten Portfolios. Projekte müssen oft unter Zeitdruck realisiert werden. Dazu nutzen sie Informations- und Kommunikationstechniken zur Koordination der Prozesse und zur Vernetzung aller technischen Funktionen. Einige Unternehmen bieten einen Onlineservice für Remote-Diagnosen und Dienstleistungen zur Instandhaltung sowie zur technischen Beratung.

Erst seit dem Beginn der Internet-Applikationen in der Wirtschaft wurden die „After-Sales“ – Prozesse für den Service integriert. Das Life-Cycle-Management wurde eine Grundlage zur Organisation der Prozessketten von der Entwicklung bis zum Lebensende der Produkte. Damit war es möglich, den Produkten in ihrem Lebenslauf zu folgen und den Nutzern zusätzliche Dienste anzubieten. Service Engineering wurde zum Schlagwort für die Dienstleistungen in den Prozessketten. Diese Basis kann genutzt werden, um eine höhere Nachhaltigkeit durch Maximierung der technischen Nutzungsgrade der Anlagen und Energiesystemen der Fabriken erzielt werden können. Di energetischen Systeme der Fabriken, (Licht, Wärme, Klima, Wasser, etc.) machen etwa ein Drittel der Investitionen aus. Wertschöpfung durch Adaption und „Upgrading“ ist ein wachsendender Sektor der Wirtschaft. Es hat sich gezeigt, dass kurze Wege zwischen den Nutzern und ihren Dienstleistern Wettbewerbsvorteile begründen. Die moderne Informationstechnik liefert die Möglichkeiten, Wege zu verkürzen und schneller auf Bedarfe zu reagieren. Fabriken haben regionale Wurzeln.

Innovative Produkte in Hochleistungsfabriken zu entwickeln, die den Kriterien der Nachhaltigkeit gerecht werden, erscheint eine der entscheidendsten Wettbewerbsstrategien für Produktionen in den kommenden Jahren. Es ist selbstverständlich, dass dies in der Vernetzung und in der Kooperation aller Akteure geschehen muss. Hierfür werden gut ausgebildete und zugleich praxisnahe Ingenieure gebraucht, die in der Lage sind, in vernetzten Systemen selbstständig zu arbeiten, Potenziale zu erkennen und mit technischer Kreativität Grenzen zu überwinden. Das Wissen um Standards, Schnittstellen, Normen und Richtlinien ist eine Voraussetzung für die praktische Arbeit.

2.1.5 Lenkung der technischen Entwicklungen durch staatliche Eingriffe, hoheitliche Normen, Gesetzte und Richtlinien

Die Politik engt den Freiraum der Gestaltung technischer Systeme durch ihre Gesetzte, Normen und Richtlinien ein und übt damit eine die Technik lenkende Funktion aus. Gesetzliche Vorschriften, Normen und Richtlinien bilden, soweit sie die Verantwortung der Ingenieure betreffen, auch den Raum für Innovationen. Sie sind ein Schutz der Mitarbeiter bei der Herstellung und der Nutzer bei der Verwendung von Produkten. Sie schützen Ingenieure im Hinblick auf Rechte an Erfindungen aus eigenen Ideen, sofern sie diese als Patente anmelden.

Jüngste politische Maßnahmen zur Beschleunigung der Transformation der Elektromobilität – mit dem „Aus“ für Verbrennungsmotoren – haben die Lenkung durch Richtlinien und Vorschriften gezeigt und damit einen Sprung in der Technik mit einem Wandel der gesamten Industrie in Kerngebieten der deutschen Wirtschaft eingeleitet. Die sogenannte Wende in der Elektromobilität führt zum strukturellen Umbau der Wirtschaft. Letztere wurde mit dem deutschen Ausstieg aus der Erzeugung von Energie aus Kernkraftwerken eingeleitet und mit den Vorschriften für Gebäude und Heizungen in jüngster Zeit fortgesetzt. Leider werden damit auch vorerst alternative noch nicht marktreife Technologien zum Beispiel in der Wasserstoffwirtschaft z. B. Brennstoffzellen vernachlässigt. Politische Eingriffe in die Technik sind immer auch am aktuellen Stand der Technik orientiert und schreiben diesen auf längere Zeit fest.

Diese genannten Beispiele sind typisch für staatliche Lenkung technologischer Veränderungen in der Herstellung und Nutzung etablierter Technologien, wie z. B. der gesamten Automobilindustrie. Gesetze einzelner Staaten oder größerer Wirtschaftsräume wie der EU haben räumliche Grenzen, folglich wirken gesetzliche Vorschriften nur auf die jeweils betroffene Wirtschaft der Region. Sie verursachen damit große Spannungen in der global vernetzten Produktion, wenn sie nicht im allgemeinen technologischen Trend liegen und von den Verbrauchern akzeptiert werden. Den nationalen politischen Instanzen sei deshalb eine gründliche und wissenschaftliche Analyse technischer Potenziale in globalen Szenarien empfohlen, bevor sie Technologiesprünge politisch beschließen. In jedem Falle brauchen sie den Sachverstand von Ingenieuren. Die Ingenieure müssen ihre Sprachlosigkeit überwinden und sich aktiv in gesellschaftliche Diskussionen um die Folgen technischer und technologischer Normative einbringen.

Politisch und gesellschaftlich motivierte strukturelle Veränderungen der Wirtschaft können durch Gesetze erzwungen und durch staatliche Förderung der Investitionen (Subvention) beschleunigt werden. Sie führen in der Regel zu strukturellen Umbrüchen in Unternehmen und oft auch zu Verlusten an Beschäftigung, da Subventionen technische und wirtschaftliche Schwächen verdecken. Sie können aber zugleich Motor für neue Technologien und neue Wertschöpfung sein. Wenn es das Ziel ist, die Veränderungen sozial abzusichern, so bleibt oft neue Wertschöpfung mit ausreichender Beschäftigung eine Hoffnung der Politik.

Andere Normative mit Wirkung auf die Technik zielen auf den Schutz der Gesellschaft, sie können strukturelle Auswirkungen haben, wie z. B. Richtlinien für den Umgang mit Schadstoffen oder die Verpflichtung zur Rücknahme von Altprodukten. Viele dieser detaillierten gesetzlichen Regeln greifen in das Layout der Produkte und in das Verhalten mit ihrem Umgang bzw. ihrer Nutzung ein. Im Grundsatz gilt hier, dass Ingenieure für ihre Produkte verantwortlich sind und ihre Lösungen dem Stand der Forschung und der Technik gerecht werden müssen. Sie sollen in jedem Fall aber langfristige ökonomische Vorteile bringen.

Das Wissen um die ethische, gesellschaftliche, gesetzliche oder vertragliche Verantwortung bei der Gestaltung der Produkte gehört mit zu den Grundlagen der Qualifikation und Ausbildung von Ingenieuren. Zumindest besteht die Pflicht zur Beschaffung relevanter Informationen aus Quellen der Legislative, der Wirtschaftsverbände und der Ingenieurgesellschaften sowie der Wissenschaft und Technik – verfügbar in den Bibliotheken und im Internet. Der Vollständigkeit halber sei hier auf die Breite der Normativen in Form von Richtlinien, Normen, Standards und Gesetzen verwiesen, die für jedermann auch digital verfügbar sind:

  • Richtlinien sind eher unverbindliche Empfehlungen, die von den Ingenieurgesellschaften und Fachleuten selbst gesetzt werden und damit die allgemeine fachliche Korrektheit in der Entwicklung und Anwendung zum Ziel haben. Sie tragen zum einheitlichen Verständnis, zur Kenntnis des technischen Standes, zur Vermeidung von Fehlern und Abweichungen bei und sollen den Ingenieuren Hilfe bei der Gestaltung geben. Sie erhalten in den Lieferverträgen eine Verbindlichkeit gegenüber dem Abnehmer der Leistung. Die Fachorganisationen des VDI oder VDE haben viele Richtlinien über ihre Fachgremien in Kraft gesetzt, wie zum Beispiel zur systematischen Vorgehensweise bei der Produktentwicklung oder zu einer Definition von Grenzwerten, wie z. B. beim Lärm- und Schallschutz.

  • Normen sind verbindliche Standards, die von Fachgremien diskutiert und für verbindlich erklärt werden. Normen müssen wissenschaftlich abgesichert sein. Die Einhaltung von Normen ist für Fachleute und Unternehmen verbindlich, sofern sie Gegenstand vertraglicher Leistungen oder in Gesetzen verankert sind.

  • In nationalen und europäischen Gesetzen und Vorschriften wird für alle Hersteller und Betreiber die Nutzung von Technologien eingeschränkt. Sie sollen dem Auswuchs der Nutzung Grenzen setzen und von den Gesellschaften akzeptierte, strukturelle Verhaltenswiesen bewirken.

  • Standards oder aus Festlegungen von Ingenieurgruppen dienen der Sicherung des Know-hows der Erfinder. Die Rechte an Know-how lassen sich formal durch Patente oder Gebrauchsmuster für eine Zeitlang sichern. Der Gesetzgeber greift mit Regularien ein. Standardisierung trägt zur Kostensenkung und Schutz vor Wettbewerbern bei. Sie kann aber auch die Kreativität einschränken.

Technologien haben einen Lebenslauf, der mit ihrer Generierung aus Forschung oder eigenen Erfindungen beginnt. Er endet mit der Substitution durch verbesserte oder leistungsfähigere Technologien (siehe Abschn. 1.3). An der Gestaltung und Optimierung der modernen technischen Produkte sind viele Fachdisziplinen beteiligt. Deshalb möchte ich die Interdisziplinarität im Engineering im Folgenden intensiver behandeln.

2.2 Neue Herausforderung: Gestaltung von Technik für Nachhaltigkeit und künftige Wertschöpfung

Die Klimaveränderung fordert Staaten und Wirtschaftsunternehmen heraus, ihre Strategien und Geschäftsmodelle zu verändern. Das klassische und allgemeine Modell der Gewinnoptimierung durch Produktion und Verkauf technischer Produkte muss sich zu einem Modell, dessen Ziele in der maximalen ökonomischen, ökologischen und sozialen Effizienz der Leistungen liegen, entwickeln. Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit in allen Prozessen werden von allen technischen Produkten gefordert und Innovationen an ihrem Beitrag zur Nachhaltig gemessen. Auf die Universitäten kommt die Aufgabe zu, ihre Strukturen auch auf Nachhaltigkeitsziele auszurichten. Den technisch orientierten Hochschulen fällt die Aufgabe zu, Forschung und Ausbildung auch darauf auszurichten und alle Wege zu einer erfolgreichen Entwicklung der Technik vorzubereiten. Gesellschaft und Politik fordern mit Recht die zügige Transformation der Wirtschaft zur Nachhaltigkeit, folglich zu einer Technik mit einer Balance von Ökonomie und Ökologie (siehe Abb. 2.4). Die Qualifizierung der Ingenieure durch Anpassung des Ausbildungssystems muss von den Universitäten kommen. Diese Transformation ist ein Prozess, der aktuell unter hohem Zeitdruck steht. Die Menschen wollen die Transformation der Technik möglichst schnell, aber keine Einbußen im Lebensstandard und in der Beschäftigung.

Abb. 2.4
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Herausforderung: Entwicklung einer nachhaltigen Wirtschaft

Im Mittelpunkt der Ziele einiger erfolgreicher Unternehmen stehen heute nicht mehr nur wirtschaftliche Erfolge, sondern zunehmend auch die Nachhaltigkeit der Produkte und der Produktion. Sie richten ihre Strukturen auf eine wachsende Wertschöpfung mit nachhaltigen Technologien aus. In einer Zeit der globalen Herausforderungen aus den Klimaproblemen und der weltweiten Digitalisierung liegt es nahe, auch die Potenziale der Elektronik und der Informationstechnologie auch für die Erreichung der Klimaziele zu nutzen. Innovationen müssen das theoretisch mögliche Potenzial an ökologischer Effizienz aktivieren: Eine Aufgabenstellung für kreative Köpfe von hoher Bedeutung. Es bedarf dazu der Ingenieure, um konkrete Fortschritte mit digitalen Lösungen und nachhaltigen Technologien zu machen.

Zukünftige Wirtschaftsmodelle sind nur dann überlebensfähig, wenn sie die Nachhaltigkeit in das Zentrum des Wirtschaftens stellen. Höheres Tempo bei Innovationen und zugleich Wachstum scheinen widersprüchliche Ziele zu sein, die nur mit intelligenten Lösungen zugleich erreichbar sind. Die Maximierung der energetischen Nutzung technischer Ressourcen ist ein Beitrag, der Nachhaltigkeit. Ein anderer ist die Vermeidung schädlicher Emissionen wie beispielsweise der CO2-Emissionen und anderer Schadstoffe. Unter den Begriffen „Zero Emission“ oder „low carbon“ finden sich Initiativen mit breiter Wirkung. Das reicht allerdings noch nicht aus, die Klimaziele der Welt zu erreichen. Vielmehr müssen Unternehmen mit allen verfügbaren Ressourcen so sparsam umgehen, dass auch zukünftige Gesellschaften nicht vor unlösbaren Probleme gestellt werden und ihre Lebensgrundlagen verlieren. Der „Lean“ Gedanke [6] – Verschwendung vermeiden – aus der Industrieproduktion lässt sich auch auf viele andere Prozesse und Produkte übertragen. Zu dieser Nachhaltigkeit gehören:

  • Ersatz fossiler Energieträger, minimaler Verbrauch und maximale Effizienz der natürlichen Ressourcen Rohstoffe, Energie und Wasser.

  • Längere Lebensdauer technischer Produkte. Das heißt, frühe Integration besserer Technologien und Verwendung langlebiger Materialien.

  • Vermeidung von Emissionen, welche die Natur (Flora und Fauna) stören oder sie gar zerstören, ohne dass sie regenerieren oder nachwachsen können.

  • Technische Innovationen in der Energie-Erzeugung, -Speicherung, -Wandlung und -Verteilung.

  • Wiederaufbereitung und Wiederverwendung von Materialien am Ende des Produktlebens.

  • Nachhaltige Methoden, Verfahren und Techniken in der Produktionswirtschaft zur Minimalisierung von Hilfs-, Kühl-, Schmier- und Betriebsstoffen.

  • Bionische Konstruktions- und Bauweisen

  • Techniken der Minimalversorgung in der Agrarwirtschaft (Automatisierung)

  • Vermeidung von Abfällen in Produktion und Haushalten.

  • Sicherung von Wohlstand durch industrielle Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit.

Die Menschen haben mit beispiellosen Innovationen in Technik und Medizin die Lebensqualität und Lebensstandards in vielen Regionen der Welt verbessert und wissenschaftliche Erkenntnisse geliefert, die zu steigender Weltbevölkerung und steigendem Lebensalter beigetragen haben. An fast allen Entwicklungen der technischen Transformation von Wissen in die Praxis waren Ingenieure mit ihren Erfindungen und ihren Fähigkeiten zur Problemlösung beteiligt. Sie schlugen die Brücke zwischen der Wissenschaft und Praxis. Jetzt sind sie gefordert, die nachhaltigsten Techniken zu liefern.

2.2.1 Weltbild der Zukunft: Kreislaufwirtschaft

Die Erkenntnis, dass die industrielle Produktion und Nutzung der Produkte natürliche Ressourcen der Erde verbrauchen, die insgesamt begrenzt sind, ist nicht neu. Bereits in den 1970er-Jahren zeigte der Cub of Rome [13] deutlich die Grenzen des Wachstums auf.

Die Studie des Club of Rome [13] war der Ausgangpunkt für eine weltweite kritische Bewertung der industriellen Produktion und der Lebensweisen bei ungehemmter Weiterführung der Wirtschafts- und Lebensmodelle des 19. und 20. Jahrhunderts. Zahlreiche Folgestudien und wissenschaftliche Forschung haben sich seitdem mit den Grenzen des Wachstums beschäftigt. Sie haben jedoch erst mit der Diskussion um den Klimawandel zu einer Veränderung der Politik und der Strategien der Wirtschaft geführt. Die zunehmenden weltweit sichtbaren Umweltkrisen zeigen, dass die damit einhergehenden globalen Probleme ein grundlegende Veränderungen des heutigen Wirtschaftsmodells notwendig machen. Die Politik reagiert mit neuen Gesetzten, einer Verschärfung von Richtlinien und Vorschriften, die oft zwar löbliche Absichten aber noch keine Lösungen sind.

Viele Jahre vergingen seitdem trotz aller Warnungen mit starkem Wachstum von Konsum und Produktion. Das Wachstum von Produktion und Konsum wurde stark durch die Migration in die Schwellenländer beschleunigt. Diese konnten damit zwar teilweise Anschluss an die Lebensstandards auf der Basis fossiler Energien gewinnen und ihre Wirtschaft vorantreiben, übernahmen aber auch die Probleme der Emission und vielfach auch den Abfall. In den letzten Jahrzehnten wurden die Dimensionen des Verbrauchs natürlicher Ressourcen mit ihren Folgen immer deutlicher: Verteuerung von Werkstoffen und Energie, Anstieg der Weltmarktpreise, CO2-Kosten, Umweltkosten, Kosten der Abfallbeseitigung. Die Auswirkungen von wachsender Produktion und ansteigendem Konsum – nicht nur technischer Produkte -verdeutlichen, dass das Wachstum nach traditionellen Geschäftsmodellen nicht fortgesetzt werden kann und einer grundlegenden Veränderung bedarf.

Die europäische Union hat die Nachhaltigkeit ins Zentrum der Politik und ihrer Ziele gestellt und versucht mit strengen Regularien, Vorschriften und Gesetzen die technische Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken. Beispiele sind die Vorschriften für Emissionen aus physikalischen und chemischen Prozessen (Verbrennungsprozessen) der Industrie oder zum Schutz ihrer Bürger (z. B. gefährliche Stoffe, Feinstaub etc.). Die Politik grenzt die technischen Handlungsspielräume immer weiter ein, fordert aber Technologie-Transformationen in eine Industrie der Zukunft. Sie kann leider immer nur bekannte Technologien in ihre Maßnahmenkataloge und Ziele aufnehmen. Beispiele:

  • Verwendung elektrischer Energie anstelle von fossil oder nuklear erzeugter Energie oder

  • Schließen von Wettbewerbslücken in der Halbleiterindustrie durch eine heute beherrschte Technologie (5–10 nm).

  • Transformation der Energie zu grüner Energie (Solar, Wasserstoff)

  • Mobilität der Zukunft mit fast ausschließlich (grüner) elektrischer Enrgie.

Die physikalisch erreichbare Halbleiter-Technologie liegt bei rund 1–2 nm und könnte den Energieverbrauch der Elektronik drastisch senken. Diese auf Atomstrahlen beruhende Technologie ist aber fertigungstechnisch noch nicht beherrscht. Ebenso ist die Quantentechnologie als Basis zukünftiger Computer zwar bekannt aber industriell noch nicht realisiert.

Eine grundlegende Aufgabenstellung zur Entwicklung neuer Technologien bleibt staatlichen Förderprogrammen vorbehalten. Erst darin finden sich Hilfen für (kooperative) Forschung zur Transformation. Der Speicher für innovative Ideen ist leider nicht voll genug, um eine Aufbruch-Stimmung zu erzeugen und eine schnelle Diffusion in die reale Welt zu erreichen. Es scheint nur großen Unternehmen mit ihren globalen Forschungsstrategien zu gelingen, einige Themenfelder zu besetzten wie beispielsweise in der Elektromobilität durch US – oder chinesische Unternehmen. Andere nutzen die Chance der Veränderungen, indem sie konsequent neue Technologien in ihren Produkten realisieren und dabei auf günstige Massenfertigung zu ihrem Vorteil setzen (siehe chinesische Elektrofahrzeuge). China hat schon seit längerer Zeit eine starke Position in der Herstellung elektrischer Maschinen, die sie nun konsequent im Wettbewerb nutzt.

Verglichen mit den Zeiten des Aufbruchs in neue Welten der Industrie am Anfang des letzten Jahrhunderts sind die erkennbaren Technologiefelder vieler Unternehmen eng gefasst und globale Fortschritte sind eher bescheiden. Mittlerweile ist die Gesellschaft aber sensibilisiert. Sie wird durch Marktstrategien global operierender Unternehmen und politische Unsicherheiten beeinflusst. Große Unternehmen drängen ihre Ingenieure zur wirtschaftlichen Fertigung neuer Produkte für lukrative Geschäftsfelder mit immer höherer Rationalität und Wirtschaftlichkeit – dorthin wo es größte Profite verspricht. Zwar kommen neueste Technologien in den Markt (z. B. KI), aber in der realen Praxis stellt sich dies als Folge amerikanischer und fernöstlicher Entwicklungen heraus. KI-Methoden sind bekannt aber jede Anwendung muss neu erschlossen werden. Es hapert vielfach an „Soldaten“, die zielorientiert, eigenverantwortlich und schnell handeln können. Dazu werden Ingenieure mit Sachkenntnis in den Technologien und Anwendungen gebraucht.

Vor 150 Jahren bewirkte der Ausbau der Eisenbahn eine hohe Innovations- und Gründerrate durch staatliche Aufträge an kleine Unternehmen in der Region mit guten Ideen. Baden-Württemberg verdankt dieser Technologie viele erfolgreiche Unternehmen im Maschinenbau. Eine ähnliche Wirkung hätte man mit dem zügigen Ausbau eines flächendeckenden Internets erreichen können, wenn man in den vergangenen Jahren nicht gezögert hätte, in die Infrastruktur zu investieren und so eine Verselbstständigung innovativer Kräfte massiv gefördert hätte.

Die Corona-Pandemie machte die Verletzlichkeit der klassischen Unternehmenskonzepte und der globalen Logistik deutlich [5]. Sie betrifft vor allem die Mobilität von Menschen und Waren in einem eng vernetzten globalen Wirtschaftssystem, in dem die Systemelemente hoch spezialisiert sind. Störungen in der Logistik haben naturgemäß oft kleine Ursachen, aber große Auswirkungen auf das gesamte System der globalen Industrie. Dieses System ist aufgrund seiner Komplexität sehr träge und braucht einen hohen Grad an Standards, um reibungsfrei zu arbeiten. Kleine Störungen in der weltweiten Logistik sind aufgrund der fehlenden Resilienz des Systems direkt in den Märkten spürbar. Die Wirtschaft braucht wieder kleine und flexible Einheiten mit finanziellen Spielräumen, um Unsicherheiten zu überstehen und um Freiräume für Innovationen zu nutzen.

Neue Technologien, die dringend benötigt werden, um Nachhaltigkeit zu erzeugen, werden – bei zu geringer Profiterwartung und hohen Risiken – nicht ausreichend vorangetrieben, denn ihre Implementierung in der global vernetzten Wirtschaft ist aufwendig oder wirtschaftlich riskant. Unsicherheit wirkt sich in vernetzten Systemen außerordentlich negativ auf die Systemdynamik aus. Es ist deshalb zu beobachten, dass große Veränderungen in der Technik nur dann vorangetrieben werden, wenn die Staaten mit ihren Subventionen die Risiken decken (vgl. EU, USA, China) und damit aber leider den Spielraum für neue Ideen einengen.

Technische Potenziale an nachhaltigen Technologien sind zwar erkennbar, aber bisher nicht ausreichend genutzt. Es bedarf des Mutes der Ingenieure und Manager, um technische Neuerungen einzuführen und erfolgreich zu produzieren. Dies gilt besonders, wenn sie in Felder vorstoßen, die noch unerforscht sind und in denen zwar Bedarfe in Märkten erkannt werden, aber eine Prognose wirtschaftlicher Erfolge langfristig unsicher ist. Wertschöpfung aus unternehmerischen Handlungsweisen istoft ökonomisch riskant und braucht den Mut der Unternehmer.

Um die Nutzung technischer Geräte zu optimieren zu können, muss das Verhalten der Produkte unter den vielfältigsten Einsatzbedingungen studiert werden. Erst daraus lassen sich brauchbare Innovationen mit einem Maximum an Nutzen – ökologisch und ökonomisch – gewinnen. Die Systemgrenzen technischer Produkte müssen folglich auf den gesamten Lebenslauf ausgerichtet werden, um die Nachhaltigkeit zu verfolgen und eine maximale Nutzung der eingesetzten Ressourcen zu erreichen.

2.2.2 Änderung des Wirtschaftsmodells

Das klassische Wirtschaftsmodell der Gewinnmaximierung in der Herstellung, das heute noch die Handlungsweisen und Strategien vieler Unternehmen bestimmt, ist zwar hilfreich aber allein nicht geeignet, eine Transformation zur Nachhaltigkeit zu erreichen. Das klassische Modell richtet sich auf eine Maximierung des unternehmerischen Gewinns in der Prozesskette vom Rohmaterial bis zum Verkauf. Der Produktlebenslauf wurde auf die Nachfrage der Märkte und das Qualitätsempfinden der Verbraucher ausgerichtet. Durch Langlebigkeit der Produkte ließe sich der Verbrauch natürlicher Ressourcen im Prinzip reduzieren, da viele Produkte eine höhere Nutzung ohne Verlust an Funktionalität erreichen könnten. Automobile erreichen durchweg eine technische Nutzungszeit von 10 Jahren, werden aber oft schon viel früher ersetzt, wenn es komfortablere Lösungen gibt. Langlebigkeit erfordert ein Vorausdenken der Nutzung und die Verwendung verbrauchsarmer, verschleißfester und korrosionsbeständiger Technologien.

Wir erleben eine Zeit kurzlebiger individualisierter Produkte und glauben, dass mit moderneren Produkten der Lebensstandard gesichert werden kann. Der Konsum hat aber leider das „Wegwerfen“ und vorzeitige Beenden der Nutzung mit massiven Folgen für die Umelt gefördert. Die Individualisierung bis hin zu Luxusgütern und das heutige Verhalten der Käufer ist alles andere als nachhaltig und stark reformbedürftig. Langlebigkeit technischer Produkte könnte ein wesentlicher Beitrag aus den Ingenieursektoren der Wirtschaft sein.

Das klassische Geschäftsmodell zielt auf die Erwartungen der Verbraucher an die Produkte, für die sie bereit sind, einen Preis zu bezahlen. Wer mit neuen Produkten als erster auf dem Markt war und zu geringeren Kosten produziert, hatte Vorteile vor den Wettbewerbern, wobei die Qualitätskriterien häufig auch durch das Marketing beeinflusst werden. In der Produktion bestimmten die Kosten die Standorte: produziert wird dort, wo die Herstellkosten günstiger und die Absatzmärke schnell erreichbar sind oder höhere Gewinne erzielt werden können. Dies hatte die Entwicklung global vernetzter Systeme mit einer perfekten Logistik zur Folge (siehe Abschn. 2.1.4). Entfernungen waren kaum ein Kriterium, weil deren Kosten der Logistik nur geringe Anteile an den Herstellkosten ausmachen. Das logistische System erreicht mit einer hohen Perfektion (Just in Time) jeden einzelnen Kunden zu jedem Zeitpunkt. Die Perfektion fordert eine üppige Dimensionierung der öffentlichen Infrastruktur: zu Wasser, zu Land, in der Luft mit optimierten Schnittstellen und perfekt funktionierenden Informationssystemen vom Kunden (Angebot, Auftrag) bis zur Auslieferung beim Kunden incl. der Finanzierung, (z. B. Fakturierung und Bezahlung).

Das globale logistische System zeigte erstmals im vergangenen Jahrzehnt Schwächen aufgrund von globalen Störungen – verursacht durch die Corona Pandemie und politische Spannungen – bei der Beschaffung von Teilen und Komponenten sowie beim Transport über Grenzen [14]. Auch globale Finanzströme und Geldflüsse sind störanfällig wie die Finanz-Krise von 2008 gezeigt hat. Das Wachstum von Konsum und Produktion im klassischem Geschäftsmodell ist möglicherweise kein tragfähiges Modell für eine nachhaltige, global vernetzte Wirtschaft. Es steht aber noch immer im Mittelpunkt der Unternehmensstrategien.

Ende des vergangenen Jahrhunderts kamen ökologische Diskussionen um die sogenannte Kreislaufwirtschaft auf. Diese Ideen wurden bereits von der Erkenntnis der Vulnerabilität des traditionellen Wirtschaftsmodells durch die Endlichkeit der Ressourcen und die Beeinflussung der Umwelt durch unser Wirtschaftssystem getragen.

Die Kommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (World Commission on Environment and Development, WCED) definierte unter dem Vorsitz von Gro Harlem Brundtland das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung in ihrem Bericht [13] auf zwei Arten:

  1. 1.

    Dauerhafte Entwicklung ist eine Entwicklung, welche die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.

  2. 2.

    Im Wesentlichen ist dauerhafte Entwicklung ein Wandlungsprozess, in dem die Nutzung von Ressourcen, das Ziel von Investitionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und künftige Potenzial vergrößern, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen.

Dieses Konzept fand Eingang in zahlreiche politische Initiativen und Forschungsprogramme, so zum Beispiel in die Lissabon Erklärung der EU [15].

Zur Jahrtausendwende war die politische Diskussion zur Nachhaltigkeit auf der Tagesordnung vieler Konferenzen und Ereignisse. Anlässlich der EXPO 2000 in Hannover z. B. diskutierten namhafte Wissenschaftler aus aller Welt in einem „Global Dialogue“ Zukunfts-Modelle der Welt und insbesondere auch der zukünftigen Wirtschaft [16]. Es war keine Frage, das Modell der Kreislaufwirtschaft wurde als Zukunftsmodell von den Wissenschaftlern priorisiert.

Abb. 2.5 stellt den gesamten Kreislauf technischer Produkte von ihrer Entstehung in den Prozessketten der Produktion über den Gebrauch und die „Deproduktion“ bzw. das Recycling dar. Ein ökologisch und ökonomisch zufriedenstellender Kreislauf liegt dann vor, wenn die eingesetzten materiellen Ressourcen vollständig wiederverwendet werden können und insgesamt möglichst wenig Energie aus fossilen Quellen verwendet wird. Auch wenn wir schon Fortschritte in der ökologischen Effizienz gemacht haben, so sind wir noch weit weg von der technologisch erreichbaren Effizienz. Das ist die größte Herausforderung für Ingenieure der heutigen und nächsten Generationen. Dazu brauchen sie Wissen aus der Forschung und zugleich das Wissen um die realen Bedingungen der Nutzung.

Abb. 2.5
figure 5

Kreislauf des Materials technischer Produkte

Wirtschaft und Politik haben Transformationsprozesse eingeleitet, wie z. B. weg vom Verbrenner hin zu Elektromobilität oder die Umstellung auf regenerative Energie. Eine Substitution der fossilen Energieträger ist zurzeit die zentrale Herausforderung für alle Gestalter technischer Lösungen. Technologien wie die Wind- und Solartechnologie sind verheißungsvolle Ansätze, aber längst nicht befriedigend in der technischen Umsetzung: Wirkungsgrade, Speichertechniken zur Harmonisierung von Produktion und Verbrauch, verlustfreie Übertragung und Wandlung. Eine Nutzung von Wasserstoff verspricht einen ergänzenden Weg. Die technischen Produkte zur Versorgung der Haushalte weisen noch viele Innovationslücken auf. Die Gesellschaften fordern preiswerte und kostengünstige Lösungen. Sie erwarten aber auch, dass diese lokal hergestellt werden und Arbeitsplätze schaffen.

Neue Lösungen entstehen aus einem Problembewusstsein und der Aussicht auf wirtschaftliche Erfolge, nicht aus staatlichen Regularien, technischen Vorschriften und Bürokratie. Gesetze beeinflussen pauschal zwar das Handeln der Hersteller und Verbraucher. Sie sind Reaktionen auf Missstände und Ängste oder subventionieren den technischen Wandel, sind aber noch keine nachhaltige Lösung und keine ausreichende Perspektive für eine ganze Generation. Um beispielsweise die Problematik des Abfalls von Textilien zu lösen, bedarf es neuer recyclingfähiger Stoffe, die auch von den Kunden und Märkten akzeptiert werden. Stoffe aus Hanf oder anderen Naturstoffen beispielsweise wären ein denkbarer Weg, wenn es gelänge, die Eigenschaften auf das Niveau heutiger Modestoffe zu bringen und diese mindestens ebenso kostengünstig zu produzieren. Die Stoffe könnten durch biologische Prozesse ohne zusätzliche fossile Energie abgebaut und in Naturstoffe zurückgeführt werden. Kreativität braucht Freiheit im Denken und Handeln und ein kreatives Aufbruch-Klima zu neuen Zielen in der Gesellschaft.

2.2.3 Die Mega-Ziele: Nachhaltigkeit und Wertschöpfung

Die bisherigen Ziele der in der Wirtschaft beschäftigten Ingenieure richteten sich auf ökonomische Ergebnisse. In der Zukunft geht es um Entwicklungen in der Technik zu Nachhaltigkeit und Wertschöpfung. Ingenieure sind eine Stütze der Wirtschaft und trugen mit ihren Leistungen zur Generierung von Wertschöpfung in der Industrie bei. Das Modell, dem die Wirtschaft im vergangenen Jahrhundert folgte, hieß, Erzielung maximaler Gewinne (= Differenz aus Erlös./.Aufwendungen). Die industriellen Prozesse begannen beim Verkauf und endeten mit der Auslieferung. Diese Orientierung auf eine Gewinnmaximierung durch die Herstellung bestimmte die Geschäftsmodelle und die Handlungsweisen den Managements. Erst die Besinnung der Gesellschaft auf die Endlichkeit der Ressourcen rückte den Lebenszyklus wieder in das Zentrum der industriellen Strategien. Man erkannte, dass im Lebenslauf der Produkte neue Geschäftsmodelle mit Schwerpunkten im Service profitabel sein können. Einige Unternehmen versuchten Service für genutzte Produkte anzubieten und daraus zusätzliche Gewinne zu schöpfen. Zum Teil wurden sie auch durch den Gesetzgeber dazu gezwungen, Altprodukte zurückzunehmen und ein professionelles Recycling aufzubauen. Der Staat unterstützte diese Transformation, um die Mengen an Müll zu begrenzen und aus dem Müll wieder Restwerte zu gewinnen. Das Batterierecycling ist ein Beispiel für diese Bemühungen.

Das Ziel einer nachhaltigen Wirtschaft muss es sein, aus jedem Produkt ein Maximum an Nutzen zu ziehen (siehe Abb. 2.6). Der Gewinn aus dem Life-Cycle führt zu neuen Strategien und kann auch ein Ziel des zukünftigen unternehmerischen Handelns für Nachhaltigkeit sein.

Abb. 2.6
figure 6

Wertschöpfung im Produktlebenslauf technischer Produkte

In der Entstehungsphase können Aspekte der Nutzung und der erzielbaren Erträge durch Dienstleistungen im gesamten Lebenszyklus zur Maxime der Entwicklung gemacht werden. Wenn die Produkte über das Internet mit dem Anbieter von Dienstleistungen verbunden bleiben, so erhält der Service im Angebot eine neue Perspektive – vor allem durch schnelle Reaktion auf Bedarfe oder gar Remote-Leistungen. Es gilt ferner die Kosten der Herstellung und Nutzung durch Geschäftsprozesse so gering wie möglich zu halten und Verluste durch Verschwendungen zu minimieren. Ebenso lassen sich Technologien realisieren, die ein Maximum an Nutzung durch Wiederverwendung von ganzer Produkte oder von Komponenten oder von Grundstoffen gewährleisten. Die Instandsetzung erhält eine neue Bedeutung. Ingenieure sind gehalten, langfristige und ganzheitliche Perspektiven zu verfolgen und bereits bei der Gestaltung der Produkte auf eine Maximierung der Wertschöpfung im verlängerten Lebenslauf zu reflektieren. Ihnen steht dabei das volle Spektrum an technischen Möglichkeiten und vor allem der nachhaltigen Technologien einschließlich der Nutzung der Elektronik und intelligenten Software zur Verfügung.

Wie bereits erläutert, erwarten viele von der Informations- und Kommunikationstechnik, dass sie die Strukturen und Lebensweisen der Menschen in diesem und im nächsten Jahrhundert entscheidend verändert. Experten sprechen von der 4. industriellen Revolution [17]. Diese Technik reicht aber noch nicht aus, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, macht aber vieles in der Verbesserung der Nutzung möglich. Das Internet of Thinks (IoT) ist ein Hilfsmittel, das zur Innovation für Nachhaltigkeit genutzt werden kann.

2.3 Technologien für Nachhaltigkeit und Technische Intelligenz

Die Zukunft braucht weit mehr neue Ideen für technische Lösungen als die bisher bekannten. Dennoch, wir verfügen schon über enormes Wissen, um das Design und die Funktionalität in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen. Neben den Lösungen mit materiellen Komponenten kommt vor allem den immateriellen Techniken und der Integration von Elektronik zu intelligenten Systemen die größte Bedeutung für die Zukunft bei. IT-Technologien können eingesetzt werden, um technische Intelligenz zu erzeugen, um aus jedem Produkt ein Maximum an Nutzen zu gewinnen. Technische Intelligenz kann mechanische Lösungen durch Softwarefunktionen ersetzen und zur Reduzierung der Gewichte ohne Verlust an technischen Funktionen beitragen. Technische Intelligenz ist notwendig, um industrielle Herstellprozesse möglichst verlustfrei zu betreiben. Dieser Weg wird auch De-Materialisierung genannt und ist eine Substitution mechanischer Lösungen durch die Integration elektronischer Funktionen.

Die Innovationen von Industrie 4.0 richten sich häufig auf neue ertragreiche Geschäftsmodelle und auf IT-Dienstleistungen der Wirtschaft sowie auf das Management individueller Nachfragen der Kunden in Handel und Logistik [18]. Die konsequente Verfolgung dieser Ansätze führt bereits zu einer Diskussion der nächsten Generation Industrie 5.0, in der die künstliche Intelligenz Einzug in die IT-Anwendungen haben wird [19, 20]. KI macht Systeme lernfähig. Damit zeichnet sich ein Weg zur Applikation technischer Intelligenz in Produkten und in der Produktion ab, die den besten Stand des Wissens integrieren und darüber hinaus im Netzwerk teilen.

Eine Priorisierung innovativer Beiträge zur energetischen Effizienz wird in den Unternehmen erst dann erreicht, wenn die Möglichkeiten der Integration von sensorischer Beobachtung, präventiver Prozess-Steuerung und Automation für Systeme mit technischer Intelligenz wirtschaftlich genutzt werden können. Damit ist es dann möglich, die energetisch optimalen Betriebspunkte zu finden. Es liegt nahe, dass diese Vision – in Verbindung mit einer effizienten Transformation grüner Energie und mit der Nutzung des besten Wissens für den Betrieb aus dem Netz – erst die tatsächliche Revolution für Nachhaltigkeit schaffen kann. Dazu braucht es ideenreiche Ingenieure zur Gestaltung, Herstellung sowie Nutzung passender Produkte für Höchstleistung (High Performance) sowie einen hohen Sachverstand und ein Management, das die notwendigen Investitionen durch langfristiges Denken möglich macht.

Abb. 2.7 stellt Innovationsfelder zur Entwicklung einer nachhaltigen Technik dar. Zu dieser Vision einer neuen Generation von technischen Innovationen für Nachhaltigkeit möchte ich folgende Gedanken als Anregungen beitragen:

  • Virtualisierung der Interaktion von Mensch und Maschine

Abb. 2.7
figure 7

Technische Innovationen für Nachhaltigkeit

Wir verschwenden heute zahlreiche Ressourcen durch die Nutzung physischer Produkte und gewinnen Erfahrungen aus physischen Experimenten und Versuchen. Ferner unterliegen technische Produkte dem Verschleiß und die Lebensdauer vieler physischer Produkte ist begrenzt. Die Verlängerung der Lebensdauer und der zeitlichen Nutzung würde dagegen den Verbrauch von Werkstoffen und Material senken. Viele Funktionen könnten virtuell genutzt werden – ohne physische Realisierung. Simulation mit Virtuellen Modellen ersetzt physische Versuche und Experimente. Die Interaktion über Bedienelemente (Schalter, Hebel, Anzeigegeräte etc.) kann auch über Techniken mit haptischer Interaktion oder ganz durch Automation ersetzt werden.

In der Wirtschaft entstehen hohe Kosten für Material und Prozesse durch Erprobung und Test. Die Analyse von Produkten in einer realitätsnahen virtuellen Welt und ihre virtuelle Präsentation sowie die Simulation ihres Verhaltens könnte Kosten und Ressourcen sparen. Die physische Produktion der getesteten Produkte sollte nur erfolgen, wenn individueller, realer Bedarf gegeben ist. Das Ziel ist, die Verschwendung von Material und Energie zu vermeiden und trotzdem die notwendigen Gebrauchs-Funktionen mit hoher Zuverlässigkeit zu erfüllen. Die Virtualisierung ersetzt Erlebnisse in der Realität durch Erlebnisse in der 3D-Darstellung bzw. in 3D-Räumen [20,21,22,23] und senkt Kosten.

Die Virtualisierung von Maschinen wurde z. B. als Ersatz der physischen Präsentation von Maschinen und Werkzeugen bei Messen in der Zeit der Corona-Pandemie genutzt. Damals reduzierten sich die Dienstreisen vieler Mitarbeiter durch die Nutzung von WEB-Konferenzen (Teams, Zoom etc.). Home-Office wurde von vielen Unternehmen und ihren Mitarbeitern praktiziert. Der Verzicht auf Mobilität in der Arbeit hatte zwar Einsparungen an Energie und Ressourcen zur Folge, begrenzte aber bedauerlicherweise auch die persönliche Kommunikation.

Metavers [21] der Fa. Microsoft offeriert neue Möglichkeiten der Interaktion und Kommunikation [24] [22]. Die Virtualisierung ersetzt nicht das physische Erlebnis durch die Nutzung materieller Produkte, aber sie stellt einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Reduzierung von Material und Energie dar. Metaversum ist eine Möglichkeit der digitalen Kommunikation. Obwohl auch zur Virtualisierung zusätzliche Energie benötigt wird, bleibt die Öko-Bilanz trotzdem positiv. Es liegt also nahe, die Virtualisierung zum Ziel der Entwicklung einer nachhaltigen Nutzung von Technik zu machen.

  • Digitalisierung, Miniaturisierung und Sensorintegration

Digitalisierung ist die Abbildung von materiellen Gütern oder Prozessen in Rechnern und deren Vernetzung durch Kommunikationssysteme. Die Prozesse werden dabei unter Verwendung von Software standardisiert, automatisiert und über den Datentransfer zu Systemen integriert. Die Herstellung der dazu erforderlichen Hardware zeigt eine stetige Miniaturisierung, die noch nicht an ihre Grenzen gestoßen ist. Die Miniaturisierung der Halbleiter-Bauelemente führte nicht nur zu einer Ausweitung der Funktionen und Verdichtung der Transistorfunktionen, sondern auch zur relativen Einsparung von Energie. Die massenweise Nutzung ließ den Energiebedarf vor allem für Daten-Speicher und Rechenzentren stark ansteigen. Mittlerweile sind die großen Rechenzentren jedoch die größten lokalen Energieverbraucher. Eine weitere Miniaturisierung der Halbleiter-Bauelemente könnte den Energiebedarf großer Rechenzentren senken.

Auch in anderen Sektoren bestehen Potenziale zur Miniaturisierung, wie z. B. bei den technischen Komponenten vieler Produkte, die sich geometrisch verkleinern lassen, ohne dass ihre Funktionen oder ihre Lebensdauer eingeschränkt werden. Ein miniaturisiertes Design mit dem Ziel der Funktionsverdichtung spart Material und Energie. Es bedarf dazu der Verwendung hoch spezialisierter Materialien und neuer Bauweisen. Ferner lassen sich auch generative Verfahren (z. B. 3D-Druck) anwenden, die neue innere Bauformen sogar mit der Einbettung von Sensorik ermöglichen und damit den Weg zu Mikroprozessoren offen machen.

  • Materialsubstitution und Optimierung der Prozesse

Die Substitution von allgemein genutzten Werkstoffen durch sogenannte Ingenieurwerkstoffe hat eine hohe Bedeutung in der Technik. Das sind Werkstoffe, deren Zusammensetzung sich aus der ihnen zugedachten Verwendung ableiten lässt. Mit Ingenieurwerkstoffen lassen sich fast ideale Bauweisen mit minimalem Gewicht gestalten, die optimale Gebrauchseigenschaften erzielen. Zu den Ingenieurwerkstoffen zählen neben faserverstärkten Werkstoffen (Composites) vor allem keramische Werkstoffe mit einem breiten Eigenschaftsspektrum. Neuere Werkstoffe aus Leichtmetallen oder aus Siliziumverbindungen haben im Gegensatz zu den eben genannten ein hohes Potenzial für Nachhaltigkeit, da sie voll recycelbar sind und zu ihrer Herstellung regenerativer („grüner“) Wasserstoff und regenerative Energie verwendet werden kann. Verschleißfestigkeit, Warmhärte, Härte bzw. Duktilität und andere Eigenschaften können fertigungstechnisch so erzeugt werden, dass optimale Gebrauchsfunktionen bei minimalem Volumen und Gewicht zu erzielen sind. Andere Ingenieurwerkstoffe eignen sich für Beschichtungen und spezielle Funktionen z. B. als Elektrolyte wie z. B. Grafit (Graphit). Grafit kann prinzipiell auch aus dem Kohlenstoff (CO2) aus der Luft gewonnen werden. Dünne Schichten aus Graphen (atomare C-Schichten) ermöglichen in den Oberflächen selbst taktile Funktionen zum Ersatz von Schaltern o. ä. Zu diesem Feld von Werkstoffen mit großer Zukunft gehören zweifellos auch die Nano-Werkstoffe.

Die Eigenschaften von Werkstoffen werden durch die Fertigungsverfahren verändert. Dies ist bei Stahl und Eisen gut bekannt, bei denen man Härte oder Verschleißfestigkeit in Bauteilen erzeugen will. Schon die heutigen Prozessketten mit Beschichtungstechnologien ermöglichen Konstruktionen mit besonderen Funktionen in der Randzone und Oberfläche. Farbe, Glanz oder Isolation, selbst lokale, partielle Funktionen sind möglich. Technologien, wie die 3D-Drucktechnologie metallischer oder keramischer Werkstoffe, versprechen eine gute Energiebilanz und können nahezu vollständig recycelt werden. Bedarf besteht auch an einer Substitution von nicht recycelbaren Kunstoffen. Die Forschung zur Modellierung von Werkstoffen unterstützt die Nutzung ingenieurmäßiger Spezifikationen und die Minimierung der Werkstoffverluste und zugleich eine Verwendung nach individuellen Anforderungen. Es erscheint notwendig, viele Produkte aus Kunststoffen durch alternative wiederverwendbare Stoffe zu substituieren.

  • Transformation der Energietechnik

Bereits seit der Anwendung energetischer Maschinen (Dampf, Strom) in der industriellen Produktion ist bekannt, welchen Einfluss die energetischen Systeme auf die Produkte und auf ihre Herstellung haben. In der Zukunft geht es darum, fossile Energieträger (Gas, Öl) etc. in Produkten und in der Produktion durch regenerative Energien zu substituieren und die Fabriken CO-arm zu machen. Elektrische Energie ist die vielseitigste Energie für Prozesse und die Wärmesysteme der Infrastruktur, aber ihre Erzeugung muss auf regenerativen Quellen beruhen, und ihre Verwendung in der Produktion sollte nicht einen nochmaligen Wandel mit hohen Energieverlusten zur Folge haben. Produktionsbetriebe brauchen Wärme und mechanische bzw. elektrische Energie für diverse Prozesse zur Fertigung. Große Energieverbraucher sind die Lackieranlagen, Raumwärme, Reinräume, Druckluft und Licht. Ferner werden ganze Werkstattbereiche klimatisiert, anstatt optimale Klimabedingungen nur unmittelbar für Prozesse zu schaffen (Kleine Klimazonen) werden ganze Produktions-Bereiche und manchmal sogar Lagerhallen klimatisiert. Wir leisten uns noch immer einen großen Luxus im Transport und in der Logistik. Auch hier sind Einsparungen möglich. Automatisierung und die Verkleinerung der Prozessräume haben ein hohes Potenzial zur Erhöhung der energetischen Effizienz. Denkbar ist eine Initiative unter dem Motto „Low-Energy-Management“, welche methodisch zur Einsparung mit vielen kleinen und großen Maßnahmen führen kann.

Fabriken und Haushalte aber auch der öffentliche Raum benötigen Licht bzw. Beleuchtung und Betriebsstoffe. Würde man diese Produkte mit Sensoren zur Regelung der Nutzung bestücken, ließe sich der Energieverbrauch drastisch senken.

Die Wasserstofftechnologie hat ein großes Potenzial für die industrielle Produktion und deren industrielle Verwendung als tragende Energie für die Industriell benötigte Wärme, sofern sie mit grünem Strom erzeugt wird. Dafür müssen aber noch große Innovationsschritte in der gesamten Prozesskette (Erzeugung, Speicherung, Transformation etc.) folgen.

  • Anwendung technischer Intelligenz (Abb. 2.8)

Abb. 2.8
figure 8

Systeme mit Technischer Intelligenz

Technische Intelligenz wird zum Merkmal zukünftiger Produkte. Unter technischer Intelligenz versteht man eine Fähigkeit zur Selbstadaption und Selbstoptimierung eines technischen Systems aus den Elementen der Prozess-Ausführung, der Prozess-Beobachtung und der vorausschauenden (kognitiven) Steuerung durch eine Integration von Sensorik, Signal-Analytik, Modellierung und Simulation und Aktoren zu einem dezentralen, hierarchisch strukturierten System. Technische Intelligenz lässt sich in viele Produkte integrieren. Sie könnte genutzt werden um die Energieeffizienz zu verbessern, aber auch um Langlebigkeit zu erzeugen. Mit technischer Intelligenz ist es möglich adaptive Systeme zu bauen, die mit optimalen Wirkungsgraden arbeiten. Dezentrale Informationssysteme sind energetisch günstiger als zentrale Systeme, da sie die Wege für den Datenfluss verkürzen. Folglich sollten dezentrale Systeme Teil eines hierarchischen Netzwerkes der Informationsverarbeitung sein

Technische Intelligenz wird dann zu einem Beitrag für Nachhaltigkeit, wenn sie hilft, eine höhere Energie-Effizienz zu erreichen oder die energetische Ausnutzung technischer Produkte wesentlich zu steigern.

Ein System besitzt technische Intelligenz, wenn es auf Zustände und Umgebungsbedingungen flexibel reagiert, sodass stets die gesetzten Ziele erreicht werden. Ziele können Leistungsziele oder Effizienzziele sein, wie z. B. minimaler Energieverbrauch oder maximale Präzision ohne Verluste sein. In der Produktion werden meist Kosten- und Zeitenminimierung oder die Sicherung der Qualität in intelligenten Systemen verankert. Eine Null-Fehler-Produktion beispielsweise senkt die Aufwendungen für Ausschuss und Nacharbeit [17, 25]. In der Software zur Prozesssteuerung werden dazu moderne KI-Methoden oder das „Machine Learning“ integriert. Die eingesetzten Sensoren lassen sich zu Sensor-Netzwerken verknüpfen, welche kritische Prozessparameter überwachen und damit einen Betrieb in beherrschten Prozessräumen ermöglichen. Sensor – Daten werden in Cloud-Dateien gespeichert und ermöglichen eine Dokumentation der Historie und Korrelation mit Prozessergebnissen zum Lernen des Systemverhaltens.

Schlüsseltechnologien für technische Intelligenz sind die Daten- und Signalanalytik zur Erkennung von Mustern und lernfähige Simulationen auf der Basis von Prozessmodellen. Technische Intelligenz lässt sich skalieren und in allen Hierarchieebenen technischer Systeme realisieren. Mit einer Dezentralisierung kann die Reaktionsfähigkeit gesteigert werden. Von besonderem Interesse sind vernetzte system-Architekturen mit standardisierten Schnittstellen [18], welche modulare Strukturen mit vielen Sensoren möglich machen und störanfällige Verbindungen vermeiden helfen. Dezentrale Technische Intelligenz fördert die Fähigkeit zur Adaption und Selbstkonfiguration.

Die Militärtechnik kennt solche intelligenten, technischen Systeme schon seit den 1990er-Jahren in Marschflugkörpern oder anderen Waffen, die sich den Weg zu ihrem Ziel selbst suchen und dabei die lokalen Einflussfaktoren (Gelände, Wind, Wetter etc.) berücksichtigen. Technische Intelligenz wird für zukünftige autonome Fahrzeuge gebraucht. Sie kann eingesetzt werden, um Prozesse in Grenzbereichen stabil zu führen und schneller zu reagieren als Menschen. Sie kann dazu beitragen, Verluste an Material und Energie zu minimieren oder Emissionen auf ein Minimum zu reduzieren oder gar ganze Systeme an Umgebungssituationen anzupassen. Technische Intelligenz kann also auch dazu genutzt werden, um die Nachhaltigkeit der materiellen Güter zu fördern.

Die genannten Arbeitsgebiete für technische Innovationen sind ohne Elektronik und Software nicht realisierbar. Sie versprechen aber eine ausreichende wirtschaftliche Wertschöpfung für diejenigen, die sich auf die Lösung individueller Probleme konzentrieren und entsprechende Kompetenzen sammeln. Dies erfordert eine Systematisierung der IT-Architekturen in der gesamten Prozesskette und den Einsatz von Methoden und Wissen zur Gestaltung.

Abb. 2.7 zeigt die Handlungsfelder für Ingenieure, in denen sie Beiträge zur Nachhaltigkeit leisten können. Die Felder werden wirtschaftlich hochinteressant, wenn mit neuen Technologien Grenzen des Standes der Technik überschritten werden, und sie in instabilen Prozessräumen Stabilität und Zuverlässigkeit erzeugen. Grenzen überwinden heißt, weniger Ressourcen einzusetzen, um gleiche oder bessere Gebrauchseigenschaften zu ermöglichen – also weniger Energie, weniger Material, weniger Betriebsstoffe zu verwenden. Ferner, wenn sie Geschwindigkeiten oder eine Präzision realisieren können, die bisher nicht erreicht wurde. In Bezug auf die Zeit geht es auch um die Geschwindigkeit und die effektive Nutzungszeit im Lebenslauf der Produkte (Langlebigkeit). Miniaturisierung bezieht sich auf die physischen Dimensionen vor allem der technischen Komponenten und Bauelemente. Die Nano-Technologie bietet zum Beispiel hervorragende Potenziale zur Einsparung von Material und zur Nutzung neuer miniaturisierter lokaler Funktionen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Orientierung auf Nachhaltigkeit ganzer Systeme, in allen Systemelementen durch Integration technischen Intelligenz verfolgt werden kann. Damit wir es möglich werden, in jeder Hinsicht bis an die Grenzen der Technologien zu gehen und Systemsynergien zu erreichen. Am Beispiel einer Fabrik ist dieses Konzept erkennbar (siehe Abb. 2.9).

Abb. 2.9
figure 9

Optimierung des Systems durch technische Intelligenz in allen Systemelementen

Die Fabrik wir als ein komplexes soziotechnisches System verstanden, das eine Historie und einen gegenwärtigen realen Zustand (As Is) hat. Technische und Organisationale Historiendaten können in der digitalen Welt zur Analyse und Bewertung von Erfahrungswissen herangezogen werden. Durch die Online-Kopplung mit vernetzten Sensoren gelingt die Abbildung der Realität in virtuellen Räumen und die Parametrierung der Modelle. Die in virtuellen Speichern verfügbaren Informationen eignen sich zur systematischen Analyse und Aufdeckung von Schwachstellen und Potenzialen durch Planer und Management. Sie erhalten mit dem Einsatz von KI-Werkzeugen zur Analyse ein realistisches Bild des Zustandes und Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten und Reserven des Systems. Zusammen mit der Planung zukünftiger Aufgaben können sie die Schritte zur Optimierung tun, wobei die Nachhaltigkeit des Systems im Mittelpunkt der Ziele steht. Technische und organisationale Maßnahmen bestimmen den Weg zur Realisierung des optimalen Systems der Zukunft (To Be). Diese Vision weist den Weg in eine Zukunft der Technik, die durch Instrumente der Planung und Gestaltung sowie durch eine umfassende Digitalisierung und Virtualisierung und durch Anwendung der technischen Intelligenz gegangen werden kann. Sie verspricht eine Revolution industrieller Entwicklungen und eine flächendeckende Ausschöpfung von Reserven der Nachhaltigkeit. Er berücksichtigt zugleich die Möglichkeiten zur Erhöhung der Wertschöpfung und Verbesserung der globalen Wettbewerbsposition, da für diesen Weg Ingenieure mit tiefgreifenden Systemkenntnissen und interdisziplinären Arbeitsweisen, einem Blick für Schwachstellen der Praxis sowie ökonomische und ökologische Potenziale benötigt werden. Am Ende dieser Entwicklung stehen neue Generationen technischer Produkte mit höchster Effizienz. Um solche Visionen Realität werden zu lassen braucht es Ingenieure mit Weitblick, Systemfähigkeiten und einer Liebe zum technischen Detail.

2.4 Systemfähigkeit durch Interdisziplinarität und Kooperation

Ingenieure streben nach perfekten Lösungen, die auch in technischen Grenzbereichen (Leistung und Präzision) noch zuverlässig sind. Oft ist das Wissen Vieler erforderlich, um in die Grenzbereiche vorzustoßen und die von den Nutzern erwartete Zuverlässigkeit zu erreichen. Die Lösungen und Anwendungsbedingungen moderner Produkte werden komplexer und lassen sich nur durch arbeitsteilige Prinzipien sowie Interdisziplinarität aller Beteiligen in kooperativen Formen der Organisation beherrschen. Wichtig ist dabei, dass das erforderliche Wissen verfügbar ist, geteilt und verstanden wird.

2.4.1 Technologien in Grenzbereichen beherrschen bedeutet Arbeitsteilung und Interdisziplinarität

Die interessantesten technischen Innovationen entstehen in den Grenzbereichen verschiedener Fachgebiete und in der Kooperation der Disziplinen der Grundlagenwissenschaften: Physik, Chemie und Biologie mit den methodischen Wissenschaften: Mathematik, Informatik und Betriebs- und Sozialwissenschaften sowie den angewandten Wissenschaften wie den Ingenieurwissenschaften oder der Medizin. Bereits in den Anfängen des Scientific Managements nach den Vorstellungen von Taylor (siehe Abschn. 2.1.3) war es notwendig, in einzelnen Prozessen in die Tiefe zu gehen und aus der Kenntnis der beobachten und gemessenen Zusammenhänge neue Leistungspotenziale zu aktivieren. Beim Tiefgang in den Prozessen stoßen die Ingenieure schnell auf Fachgebiete mit naturwissenschaftlichen Phänomenen wie z. B. der Teilchenphysik. Um das Umformen physikalisch zu erklären oder thermisch bedingtes Verhalten zu verstehen, um Wärmebehandlungsprozesse zu optimieren, braucht es die Teilchenphysik oder die Thermodynamik. Aerodynamische Optimierungen verlangen die Kenntnis der Strömungsmechanik. Und um Prozesse der Kunststoffverarbeitung zu verstehen und zu simulieren, bedarf es der Molekulardynamik und der Chemie.

Interdisziplinarität ist erforderlich, um Erklärungen für das Verhalten von Prozessen zu finden oder diese zu optimieren. Beispielsweise war eine enge Zusammenarbeit von Flugzeugbauern mit Physikern und Mathematikern notwendig, um die besten aerodynamischen Lösungen für die Gestaltung der Flügelgeometrie zu erreichen. Die gefundenen Lösungen mussten im Luftkanal experimentell analysiert und durch „Spezialisten“ optimiert werden, da die mathematischen Berechnungsverfahren noch Unsicherheiten und Lücken aufwiesen, die erst durch praktische Versuche schließbar waren. In ähnlicher Weise entwickelte sich das Grenzgebiet zwischen Informatik und Automatisierungstechnik zum Träger von Fertigungslösungen, mit denen es möglich wurde, ultrapräzise Bauteile automatisch und fehlerfrei herzustellen. Wissenschaftliche Experimente zum Verhalten der Werkzeuge und deren Verschleiß waren notwendig, um verlässliche Parameter für die Steuerung der Prozesse zu finden. Für die Magnetresonanztomografie (MRT), die in Kliniken eingesetzt werden, um Abweichungen und Defekte menschlicher Organe sichtbar werden zu lassen, werden die Grundlagen der Strahlungsphysik und der Medizin benötigt. Die Entwicklungsteams brauchten dazu medizinisches, technisches, physikalisches, biologisches und chemisches Wissen zugleich. Die Forschung zeigte die Wirkzusammenhänge mit immer höherer Detailierung, aber in der Technik müssen partielle Lösungen wieder zu einem funktionierenden Gerät zusammengefügt werden, und zwar so verlässlich, dass die Nutzung zuverlässig ist, lange hält und keine Schäden verursacht.

Die wissenschaftliche Vertiefung in der Forschung bringt das Wissen um die Wirkzusammenhänge der Prozesse und das Verständnis der Technik bzw. der Eigenschaften der technischen Lösungen. Die Kooperation mit Fachleuten verschiedener Disziplinen macht Innovationen und Leistungssteigerungen bis in Grenzbereiche der Technik möglich. Eine Steigerung der Effizienz der Fertigung beispielsweise ist durch Verbesserungen einzelner Prozesse möglich. Aber erst durch das Zusammenwirken in den Prozessketten gelang es, höchste Leistung und Genauigkeit – High Performance – mit minimalem Einsatz von Betriebsstoffen wie z. B. Kühlmittel industriell nutzbar zu machen. Im heutigen Systemverständnis geht es dabei um alle Prozesse von der Gesamtfunktion bis zu elementaren Vorgängen von der Herstellung bis zur Nutzung und dem Recycling. Also um den gesamten Lebenslauf mit horizontaler und vertikaler Vertiefung.

2.4.2 Technisches Wissen für Innovationen aus der Kooperation

Neugier ist eine treibende menschliche Eigenschaft, die zu neuem Wissen führt. Im System forschender Hochschulen liegt eine wichtige Quelle darin, Forschungsfragen interdisziplinär zu beantworten. Die Forschungsfragen betreffen nicht nur hoch spezialisierte Bereiche neuer Technologien, sondern auch die Anwendungen unter realen Bedingungen. Erst dadurch lassen sich Grenzen überwinden und neue Felder für spätere Wertschöpfung mit Innovationen generieren.

An interdisziplinären Forschungsprojekten beteiligte Mitarbeiter brauchen oft lange, um sich untereinander zu verstehen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Das gemeinsame Verständnis beginnt schon bei der Formulierung der Forschungsfragen. Hier gibt es oft ein individuelles Wissensdefizit, dass nur durch Weiterbildung beseitigt werden kann (Abb. 2.10).

Abb. 2.10
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Innovationen aus der Interdisziplinarität und Grenzgebieten der Wissenschaften

Bei vielen neuen Technologien steht nicht mehr der einzelne Prozess im Mittelpunkt der Innovationen, sondern das ganze technische System. Systemtechnik und Wissen um Wirkzusammenhänge schöpfen sozusagen aus der Kooperation verschiedener Fachdisziplinen. Heute öffnen sich neue Fachgebiete mit zwingender Kooperation und zugleich wissenschaftlicher Arbeitsweise. Beispiele finden sich in der Medizintechnik oder Bio-Verfahrenstechnik oder in der Quantenphysik und vielen anderen. Kooperatives Arbeiten führt zu neuen Erkenntnissen und Lösungen oberhalb der beherrschten technischen Grenzen. Beispiele dazu finden sich auch in der Halbleiterindustrie mit ihren komplexen Prozessketten – Erzeugung der Silizium-Wafer (Gießen, Schleifen, Polieren), über mehrstufige Beschichtungen bis hin zur Konfektionierung einzelner Bauelemente und Integration von Software. Unternehmen müssen alle Stufen beherrschen, um wettbewerbsfähig zu bleiben zumindest aber, um die Probleme von Kunden zu einer Lösung führen zu können.

Die technischen Studiengänge führen die Studierenden in ein breites Feld verschiedener Disziplinen sowohl in Grundlagenfächern als auch in einer Vertiefung in den Anwendungsgebieten der Technik. Sie erhalten damit Systemwissen und lernen selbstständig Aufgaben zu lösen. Diese Ausbildung, die vor allem den früheren Diplom-Studienordnungen zugrunde lag, qualifizierte sie, sich systematisch in fremde oder neue Gebiete einzuarbeiten und das dazu benötigte Wissen selbst zu beschaffen. Hochschullehrer waren gehalten, die Eigenständigkeit und Eigenverantwortung zu fördern. Studierende und ihre Professoren waren auf gleicher Augenhöhe, in der nicht nur Wissen vermittelt wurde, sondern die Einsicht in tiefe Sachverhalte und in das Verhalten der Systeme. Fehlendes Wissen zur Lösung von Problemen musste eigenständig erworben werden. Das förderte die Fähigkeiten zur Selbstständigkeit und Selbstorganisation der Studierenden. Der Übergang zum Master/Bachelor-System hat diese Art der Qualifizierung zugunsten einer Verschulung und akademischen Orientierung auf Publikationen verändert. Es stellt sich heute die Frage, ob diese Art der Qualifizierung ausreicht, um die Ziele der Transformation zu Nachhaltigkeit und Wertschöpfung und den Forderungen nach Systemfähigkeit in den nächsten Jahren zu erreichen.

Die Aufgaben und Arbeitsgebiete der Ingenieure und Gestalter der technischen Systeme liegen im Kern in der Entwicklung und Herstellung von Produkten, die den Bedürfnissen der Gesellschaften entsprechen. Sie sollten nachhaltig sein, indem sie ein Minimum an Ressourcen (Material, Energie, Betriebsstoffe) verbrauchen. Dazu ist das Wissen um die Grundlagen der Prozesse, ihre Berechenbarkeit und die Vermeidung von Verschwendung jeglicher Art erforderlich. Die Gestalter der technischen Lösungen müssen sowohl Prozesse horizontal in der Prozesskette und in der Tiefe als auch das Verhalten ganzer Systeme (im Makro- und Mikro-Bereich) verstehen. Das Studium des Ingenieurwesens war im Grundsatz interdisziplinär und muss es zur Lösung der Zukunftsfragen der Gesellschaften unbedingt bleiben.

Technisches Wissen wird durch Forschung sowie Erfahrungen in der Praxis gewonnen. Die Hochschulen – per Gesetz verpflichtet zu Forschung und Lehre – wenden in ihrer Forschung wissenschaftliche Methoden und Arbeitsweisen an, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, und transferieren eigenes oder in der Wissenschaft generiertes Wissen (Grundlagenwissen) in die Köpfe der Studierenden.

Versuche und Labor-Experimente sind in der Technik notwendig, um Beweise für Forschungsergebnisse abzusichern. Eine allein theoretische Beantwortung von Forschungsfragen würde zwar neue Lösungswege eröffnen, aber die Glaubwürdigkeit solange in Frage stellen, bis ein Beweis für die Richtigkeit unter realen Bedingungen und unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren erbracht ist. Da in den technischen Lösungen viele Sichtweisen möglich sind, bedarf es der Zusammenarbeit in interdisziplinären Gruppen. Technische Studiengänge der Universitäten sind auf die Interdisziplinarität ausgerichtet und erlauben eine Berücksichtigung persönlicher Neigungen, Fähigkeiten und Spezialisierung.

Unsere gängigen Produkte haben vielfach eine Komplexität erreicht, die eine interdisziplinäre Kooperation und Systemwissen bei ihrer Gestaltung erfordern. Die Fahrzeugentwicklung z. B. braucht heute das Wissen vieler Fachgebiete, um erfolgreiche Produkte zu generieren: Werkstofftechnik, Maschinenelemente, Aerodynamik, Verbrennungstechnik, Ergonomie, Fertigungstechnik, Betriebswirtschaft, Informatik etc. Am Ende entsteht ein Produkt, das Wissen aus verschiedenen Fachgebieten zu einem funktionierenden und zuverlässigen System zusammenfügt. Um Spitzentechnologie zu verwenden, und diese in einem optimalen System zu integrieren, reicht das Wissen einer Arbeitsgruppe oder eines Teams oft nicht aus, sondern muss durch externes Wissen ergänzt werden: Deshalb sollten Experimente an Universitäten auch immer interdisziplinär praktiziert werden und neben der persönlichen Kompetenz auch die Teamkompetenz fördern.

Abb. 2.10 zeigt die Kernfächer, die für eine grundlegende Kompetenz in der Technik notwendig sind oder als grundlegende Voraussetzungen zur späteren Befähigung für eine technische Vertiefung in anwendungsnahen Arbeitsgebieten gelten. Für Entwicklungen technischer Lösungen, die heutige Grenzen in der Effizienz und Leistung überwinden, sind fundamentale Kenntnisse des Standes der Wissenschaft in diesen Grenzgebieten erforderlich. Ferner sollen sie die Neugier an neuen Lösungen wecken.

2.4.3 Wissen suchen mit KI

Nie zuvor wurde in den Hochschulen so viel Wissen wie heute produziert. Man spricht von einer Wissensexplosion, wobei das Wissen in Form von Büchern, Publikationen oder in Dokumenten fast durchweg in digitaler Form gespeichert wird.

In den traditionellen Computerwerkzeugen der Ingenieure wie den CAx-Systemen, die zum Entwurf, zur Konzeption, zur Analyse und Berechnung sowie zur Planung eingesetzt werden, stecken wissenschaftlich evaluierte und vielfach praktisch ergänzte Methoden. Sie sind das Handwerkszeug für die täglichen Aufgaben und mit den Informationssystemen der Unternehmen verbunden. Die Diffusion der IT-Systeme und Tools in die Praxis ist sehr weit fortgeschritten, sodass man von einer vollständig digitalisierten Welt der Technik ausgehen kann [26].

Neuere Engineering-Tools heben auf die Unterstützung der Ingenieure bei ihren Aufgaben in der Praxis ab. Zu den neueren Entwicklungen zählen Apps zur Berechnung und Optimierung. Zur Visualisierung in einer 3D-Animation und Abbildung als „digitaler Schatten“ dienen grafische Systeme, die den aktuellen Zustand eines Produktes vollständig wiedergeben [18, 26]. Andere Werkzeuge unterstützen die Präsentation digitaler Abbildungen in realen technischen Systeme im sogenannten „Augmented Reality“ und die Nutzung von digitaler Video- und Bildgenerierung durch optische Messtechnik (Laser-Messtechnik). Den Ingenieuren stehen immer leistungsfähigere digital-vernetzte Werkzeuge zur Verfügung, die es ihnen gestatten, Teamarbeit an verteilten Orten zu praktizieren und sich in Echtzeit auszutauschen oder gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Diese Werkzeuge unterstützen eine Individualisierung der Produkte nach Wünschen bzw. Konfigurationen eines einzelnen Kunden.

Die Integration in die betrieblichen IT-Systeme führt zu einer digital vernetzen Produktion, in der die Konstruktionen direkt auf die Fertigungs- und Montagesysteme übertragen oder Programme und Anweisungen für Maschinen und Anlagen erzeugt werden.

Wissen aus der Vernetzung von IT-Systemen über das Internet unter Einbeziehung von KI (Künstlicher Intelligenz) bzw. AI (Artifizieller Intelligenz) ist eine Option der Zukunft, die für die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit genutzt werden kann.

Das schafft die Möglichkeit, schnell auf gespeichertes Wissen über Datenbanksysteme und digitale Bibliotheken zuzugreifen und dieses an jedem Ort und zu jeder Zeit verfügbar zu machen. Suchmaschinen mit KI Funktionen erleichtern den Zugriff und die thematische Verknüpfung von Fachpublikationen. Ferner erlauben sie die Einbeziehung der Historie des Wissens und die Repräsentation in verschiedenen Sprachen.

KI bzw. AI unterstützen die Wissensgenerierung und die Suche nach relevantem Wissen mit Methoden. Sie erleichtern die Formulierung der offenen Fragen auf der Suche nach neuen Lösungswegen oder die Generierung evolutionärer Lösungen. Ferner ermöglichen sie die sensorische Erfassung und Auswertung von Massendaten (Big Data) sowie eine Beobachtung von Vorgängen und realen Prozessen. Sie gewinnen aus sensorischen Daten Parameter und Bilder zur Eingrenzung der Suchfelder und Bewertung der Relevanz von Lösungen.

Technisches Wissen kann in der digitalen Welt präzise vermittelt und übertragen werden. Animationen unterstützen das Verständnis dieses Wissens. Dieses technische Wissen steckt in Software oder Apps für Methoden zum Berechnen und Analysieren oder in virtuellen Werkzeugen zur Darstellung und Animation komplexer zeitlicher Veränderungen. Technisches Wissen kann folglich gut übertragen werden, wenn es reproduzierbar ist oder in einer Form zur Verfügung steht, die von Sendern und Empfängern geleichermaßen verstanden und interpretiert wird.

Das Wissen, das zur Herstellung moderner industriell erzeugter Produkte benötigt wird, hat zahlreiche Quellen (Abb. 2.11). Die wichtigsten sind zweifellos Forschung und technische Experimente sowie Versuche mit entworfenen, neuen Lösungen, aber auch Berechnungen und Analysen zum dynamischen Verhalten mithilfe von Simulationen (virtuell) sowie auch Erfahrungen aus der Anwendung und Praxis (Felderfahrungen) zu Ausfällen und Störungen. Vielfach steckt das Wissen bereits in den Werkzeugen und Methoden, die von Ingenieuren bei der Gestaltung der Technik genutzt werden. Dazu kommt das implizite Wissen der Mitarbeiter aus Ausbildung und Erfahrungen. Unternehmen stellen ihren Mitarbeitern immer mehr Wissensmanagement- und digitale Informationssysteme zur Verfügung, die auch eine Vernetzung von Quellen ermöglichen. Internet-basierte Suchmaschinen helfen bei der Suche nach Wissen genauso wie bei der Suche nach bereits vorhanden Lösungen.

Abb. 2.11
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Quellen des Wissens für industriell erzeugte Produkte

Wissen steht in einer digitalen Umgebung in einem derartigen Umfang zur Verfügung, dass es schwer wird, das relevante und tragfähige Wissen im Bedarfsfall ohne KI-Werkzeuge zu finden. Universitäten können dazu beitragen, die Tragfähigkeit durch sachdienliche Experimente zu bewerten. Den Bedarf an Wissen zu benennen, ist oft eine Frage des Suchenden in seiner aktuellen Situation und Aufgabe. Deshalb bieten Maschinenbauunternehmen auf ihren WEB-Seiten Berechnungsverfahren zur Spezifikation und zur Auswahl geeigneter Lösungen an (beispielsweise für Pumpen, elektrische, elektronische Komponenten etc.) zugleich mit ausführlichen Dokumentationen und Hinweisen auf spezifische Leistungsmerkmale an.

Ferner liefern Unternehmen bereits mit ihren eigenen Tools spezifizierte Einzelteile in kürzester Zeit. Sie stellen notwendige Dokumente digital dazu, um sie unmittelbar in den Konstruktionen weiterverwenden zu können. Ingenieure finden im Internet immer mehr Wissen und Erfahrungsberichte aus Anwendungen zur Bewertung und Auswahl.

2.4.4 Virtuelle Produkte und spezifisches Wissen aus dem Internet mit WatsonX

Das Internet eröffnet den Akteuren der Wissensgenerierung und Wissensanwendung eine Möglichkeit der schnelleren und effektiveren Beschaffung des spezifischen Wissens aus dem Netz und gemeinsam mit anderen neues Wissen zu generieren [24, 27]. Die wichtigste Quelle für gesichertes und verlässliches Wissen ist die Forschung an Universitäten oder In Forschungsorganisationen. Sie verwenden wissenschaftliche Arbeitsweisen zur Gewinnung neuen Wissens und praktizieren einen Dialog in ihrem Fachgebiet zur Evaluation. In der Forschung besteht die Pflicht zur Publikation und zur Teilung von Wissen in Netzwerken. Forschungsnetze verbundener Institute kooperieren online in Forschungsprojekten und entwickeln gemeinsam mit Unternehmen virtuelle Produkte. Die Evaluierung und Erprobung erfolgt mit virtuellen Prototypen und Computersimulationen. Großrechner und vernetzte Computersysteme suchen und bewerten verfügbares Wissen aus dem Netz und geben den Ingenieuren Hinweise auf das reale Verhalten geplanter Produkte. So haben zum Beispiel Versuchslabors, deren Spezialität in der Untersuchung des Langzeitverhaltens lag, durchweg auf Simulationsstudien umgestellt. Über vernetzte Computersysteme z. B. den Verbund von Großrechnern ist es möglich, ganze Fachgebiete zu scannen und die besten Lösungen zu finden. In der WatsonX [28]Plattform bietet die IBM eine weltweite Suche nach optimalen Lösungen an und zeigt den Weg einer Vorausschau auf die Wirkungen und die Vorteilhaftigkeit.

In einer derartig virtuellen Welt werden die Verlässlichkeit und die Wahrheit der Informationen zu entscheidenden Voraussetzungen. Einflussfaktoren und Wirkzusammenhänge müssen richtig sein und die Parameter sollten der Realität entsprechen. Die Universitäten haben die Aufgabe, dies in ihrem Umfeld durch Absicherung und Konzentration auf Modelle sicherzustellen. Diese Modelle sollten von Studierenden gekannt werden. Sie sollten in der Lage sein, mögliche reale Szenarien zu spezifizieren und die Verlässlichkeit von Informationen zu erkennen. Ferner sollten sie einen Blick für Verbesserungspotenziale und neuartige Anwendungen haben.

Die Universitäten werden so zu Einrichtungen, die verlässliches Wissen produzieren und teilen und darüber hinaus die Qualität von Informationen aus dem Netz in einem speziellen Fachgebiet beurteilen. Sie sind die Instanz, die wissenschaftlich-fundiert Wissen evaluiert. Ferner werden die Universitäten dazu beitragen müssen, Modelle zur virtuellen Analyse, zur Berechnung und Darstellung komplexer Prozesse und zur Anwendung in technischen Lösungen zu liefern.

Die Bewertung des Wissens aus der universitären Forschung geschieht bei der Publikation durch Evaluation in Gutachtergremien der Verlage oder über Gremien von Fachkonferenzen. Nur bei Zustimmung der unabhängigen Gutachter erfolgt die Veröffentlichung. In einigen Fachgebieten gilt eine Erkenntnis nur dann als gesichert, wenn unabhängige Arbeitsgruppen anderer Universitäten bei gleicher Fragestellung zum gleichen Ergebnis kommen. Dabei entscheiden Fachgremien in einigen Wissenschaftsbereichen über die Anerkennung und Zulassung einer gefundenen Lösung (Medizin, Pharmazie). Es werden also systematische Verfahren bei der Evaluation von Wissen durchgeführt, die dazu dienen, die Qualität von Wissen aus der Forschung zu sichern.

In manchen Grenzgebieten der Technik ist es oft nicht möglich oder zu aufwendig, wissenschaftliche Methoden bei der Evaluierung von Wissen anzuwenden. Ferner ist der Besitz der Rechte an Wissen ein wichtiges Merkmal der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen oder Instituten und durch Patente geschützt. Im wissenschaftlichen Sinn gibt es hier einen Bereich des sogenannten grauen Wissens, dass nur ungenau formuliert, nicht evaluiert oder nicht durch fachliche Begutachtung geschützt ist. Oft ist dieses Wissen nur begrenzt zugänglich und unterliegt den Wirtschaftsinteressen von Marktführern. Hier haben die anwendungsorientierten Institute eine Rolle zur Aufklärung von technischen Sachverhalten und zur Rückführung auf gesicherte Erkenntnisse. Ferner obliegt es ihnen, Potenziale der Nutzbarkeit herauszuarbeiten. Eine Rolle, die im Ingenieurbereich von vielen Forschungsinstituten in spezifischen Feldern gepflegt wird und einigen zu weltweitem Ruf verholfen hat. So wurden in der Produktionstechnik wissenschaftlich begründete Verfahren zur Bewertung von Werkzeugen entwickelt und praktiziert. Sie haben zur Sicherung der Qualität und zu verlässlichen Daten für die Nutzung (z. B. Schnittwerte) beigetragen.

Die anwendungsorientierten technischen Institute haben zwischen der Grundlagenforschung und Nutzung der Erkenntnisse eine wichtige Rolle für die Sicherung des praktischen Wissens übernommen. Das gilt umso mehr, als Wissen digitalisiert und über Internet verbreitet wird. Sie könnten zum Motor einer virtuellen technischen Universität werden, und die den früheren Ordinarien zugedachte Rolle der Systemführung – also der kompetenten fachlichen Autorität – in der Anwendung virtueller Techniken durch Forschung übernehmen. Die Bewertung der Qualität des sogenannten grauen Wissens wäre ihre zentrale Aufgabe.

2.5 Wissen aus Erfahrung und Praxis

Eine der wichtigsten Aufgaben der Wissenschaft liegt darin, Wissen durch eigene Forschung und aus dem Feld zu generieren und nachweisbar bzw. nachvollziehbar zu erklären. Die Praxis ist ein weites Versuchslabor (Feld), aus dem Erfahrungen bezogen werden können, wenn die technischen Produkte über ihr Leben mit den Herstellern verbunden bleiben. Dieses Erfahrungswissen ist nicht wettbewerbsfrei teilbar und steht den Universitäten nur begrenzt zur Verfügung. Die Wissenschaft braucht aber Fragestellungen mit Bezug auf die Reale Praxis, Deshalb ist eine enge auf Vertrauen beruhende Partnerschaft eine unabdingbare Voraussetzung einer nachhaltigen Technologieentwicklung. Die Wissenschaftler schöpfen ihre Fragestellungen aus einer Neugier zur Klärung noch unverstandener Phänomene, aus dem Disput mit Fachkollegen (auch in Journalen) und eigenen oder fremden Beobachtungen bzw. Messungen und verfolgen Lösungswege mit wissenschaftlicher Arbeitsweise. Sie neigen zur Generalisierung – manchmal auch zur starken Vereinfachung – und Systematisierung sowie Formalisierung des Wissens. Wissenschaftlich begründete Prozessmodelle lassen sich gut vermitteln und bilden die Grundlage für Analyse und Berechnung mit Methoden in der Praxis. Diese Art der Wissensgenerierung und unmittelbare Verwendung eignet sich außerordentlich zur Ausbildung von Studierenden, da sie stark abstrahiert. Die Wissensvermittlung der Hochschulen geschieht überwiegend durch theoriebehaftetes, kognitives Lernen.

Demgegenüber gibt es das Lernen aus praktischen Erfahrungen der an der Produktion und Nutzung technischer Produkte beteiligten Menschen. Diese sammeln Erfahrungen aus ihren Handlungen und den Folgen ihres Handelns. Sie lernen aus der praktischen Erfahrung. In der Praxis und im Berufsleben der Menschen sind ökonomische, ökologische oder soziale Bewertungen vorherrschende Kriterien des Handelns. In die Handlungsweisen werden innovative Erkenntnisse aus der Forschung übernommen, sofern sie Potenziale für den persönlichen und wirtschaftlichen Erfolg erkennen lassen.

Hierin liegt sicher eine Motivation zur Gründung marktwirtschaftlicher Unternehmen aus Erfindungen und zur Entwicklung von Strategien für Wachstum und Erfolg. Würde man den persönlichen Handlungsspielraum des Einzelnen durch Regularien und staatliche Vorschriften begrenzen, so würde man auch den Spielraum für Innovationen sowie die Eigenverantwortung einschränken. Dies geschieht leider zurzeit auf vielen Gebieten durch den Bürokratismus und die Detaillierung normativer Regularien.

Das Lernen aus Erfahrungen und die Generierung von Kompetenzen aus dem praktischen Tun ist für die Zukunft junger Leute mindestens genauso wichtig wie das kognitive Lernen aus Modellen und Theorie. Zum Vermitteln von Erfahrungen können heute definitiv genauso virtuelle und digitale Methoden angewandt werden wie für die Generierung kognitiven Wissen. Als Beispiel möchte ich hier digitale Computerspiele anführen, welche die virtuelle Animation und Interaktion nutzen, um Spannung und virtuelle Erlebnisse zu erzeugen. Interfacegeräte und -systeme unterstützen die Kommunikation (Hören, Sehen, Fühlen, etc.) von Menschen und Computern (Maschinen). Sie verschaffen den Eindruck eines realen Geschehens durch ein virtuelles Erleben. Sie ziehen aus den virtuellen Darstellungen Erfahrungen und Kennnisse. Beispielsweise gibt es Spiele mit landwirtschaftlichen Geräten und Räumen, denen begründete Modelle zugrunde liegen. Junge Leute gewinnen durch solche Spiele sehr früh Wissen um Technik und Systemverhalten.

2.5.1 VR- und AR-Techniken in der Wirtschaft

Die Techniken der virtuellen Animation und Interaktion (VR) lassen sich in virtuelle Lernmethoden für Technik überführen. So nutzen heute schon viele Unternehmen VR-Technik zur Präsentation ihrer Produkte oder zur Unterstützung des Service. Reale Produkte werden in eine 3D-Darstellung übernommen, in der sie in beliebigen Sichten präsentiert werden können. Ihre Bedienung kann virtuell erlernt werden. Details der Konstruktion lassen sich skalieren und Defekte anschaulich studieren. Kinematische oder physikalische Vorgänge können so modelliert werden, um reale Prozesse zu analysieren. Um das allerdings zu verstehen und sinnvoll anzuwenden, braucht es die physischen, persönlichen Erfahrungen in der Praxis (s. o.). Erst aus der Kombination beider Ansätze ergibt sich ein neues Potenzial zur Ausbildung für komplexe Systeme, zum Teamwork oder zum Übertragen bei interdisziplinären Themenstellungen.

Die Virtualisierung mit modernen Techniken der Informationsverarbeitung kann folglich auch im dualen Ausbildungssystem genutzt werden, um Kompetenzen im Ingenieurbereich zu fördern und um Erfahrungswissen aus der Praxis mit dem Wissen aus der Forschung zu kombinieren. Die Virtualisierung könnte dabei die Transformation übernehmen.

2.5.2 Teaching Factory

In einem neueren EU-Projekt wird das Konzept der Teaching Factories verfolgt [29,30,31]. Reale Produktionswerkstätten werden online mit digitalen Mitteln beobachtet und in einen Hörsaal übertragen. Genauso kann umgekehrt auch eine reale Fabrik vollständig und in Realzeit in einer Art virtueller Fabrik abgebildet werden, um Technologien, Ressourcen und Abläufe realitätsnah zeitversetzt oder – verkürzt im Zeitraffer – zu präsentieren. Studierende lernen so am praktischen Beispiel die Einflussfaktoren, Eigenschaften und Probleme der Praxis kennen und können auf diese Weise ihr theoretisches Grundwissen durch Erfahrungswissen ergänzen.

Die Teaching Factory bringt die reale Produktion in ein digitales Fabrikmodell. Sie erweitert die Möglichkeiten der forschenden Universität durch eine Brücke zwischen Maschinen und Anlagen zur Herstellung von Produkten und dem Hörsaal. Ihre Aufgabe ist das Lernen in der Praxis und bei der Generierung von innovativem Wissen für spezifische Anwendungen. Sie soll Studierenden Einblick in technische Prozesse geben und ihr Verständnis fördern. Ihre virtuelle Darstellung bietet einen „Spielraum“ für das Prozess-Management und für die Planung der Operationen und ist zugleich eine Quelle für Forschungsfragen, die von Professoren und Studierenden gemeinsam angegangen werden können. Diese „Fabrik im Hörsaal“ gibt den Unternehmen eine Möglichkeit, Ideen zur Verbesserung ihrer Prozesse virtuell – auch spielerisch – zu erproben und dann in die Praxis zu transferieren. Ferner unterstützt sie das interdisziplinäre Arbeiten, da die Teaching Factory Vielen im Netzwerk zugänglich und damit auch individuell als Plattform zum Lernen genutzt werden kann.

Die Teaching Factory ist ein Beitrag zur Verkürzung der räumlichen und fachlichen Distanz zwischen Universität und Praxis.

2.6 Lebenslanges Lernen

In diesem Kapitel werden klassische Formen des Lernens [32] in der Wirtschaft und Möglichkeiten der Digitalisierung in der Ausbildung zur Qualifizierung für Tätigkeiten in der Wirtschaft behandelt.

Der Bildungstand von Ingenieuren ist insgesamt als sehr hoch einzustufen. Es ist das Ziel des Bildungssystems, bei jungen Menschen Talente zu entwickeln und ihnen das Rüstzeug für ihr ganzes Leben zu vermitteln. Allgemeine Ausbildung und Fachausbildung stehen im Zentrum der heranwachsenden jungen Menschen. Nach dem Erreichen der Hochschulreife geht es dann in das Studium. Viele Hochschulen verwenden bei den Auswahlkriterien ihrer Studierenden meist die Noten aus den Fächern Mathematik sowie Sprachen und Naturwissenschaften, ferner besondere Leistungen in kreativen oder sportlichen Fächern. Sie versuchen in den Zulassungs- und Auswahlverfahren Talente für Ingenieurwissenschaften zu finden. Dennoch, der heute vermittelte Stand der Technik kann schon morgen veraltet sein.

Die fachliche Qualifikation für Tätigkeiten in der Wirtschaft ist natürlich von den geforderten Aufgaben und Tätigkeitsprofilen der Wirtschaftssektoren abhängig. Mit der Vielfalt der Aufgaben und beruflichen Opportunitäten variieren auch die Anforderungen in der Praxis. Die beruflichen Karrieren werden durch technischen Wandel und eine hohe Dynamik in der Wirtschaft gekennzeichnet, sodass jeder Beteiligte eine stete Bereitschaft zum Lernen und zur Anpassung an die Arbeitsaufgaben mitbringen muss. Es geht im Ingenieurbereich nicht nur um eine Anwendung gelernter Kenntnisse, sondern mit dem zeitabhängigen Stand der Wissenschaft und Technik auch um sich verändernde Anforderungen aus der technischen Entwicklung. Es wird von den Ingenieuren erwartet, dass sie den Stand der Technik kreativ vorantreiben und dabei neuestes Wissen verwenden. Die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen ist deshalb eine entscheidende Voraussetzung für individuelle Karrieren und zugleich für die Anpassungsfähigkeit an die Aufgaben in Unternehmen [33].

Unternehmen brauchen Kompetenzen in ihrer Belegschaft, um Strategien der Wandlung und Flexibilität zu realisieren und um im Wettbewerb erfolgreich zu sein. Sie setzen dazu auf die in den Schulen und Hochschulen vermittelten Kenntnisse, aber auch auf eigene Formen der Aus- und Weiterbildung. Die Kompetenzen der Mitarbeiter müssen in jedem Fall individuell erworben werden. Bei strukturellen Veränderungen in den Unternehmen, bei Arbeitsplatzwechsel z. B. durch Turbulenzen in den Märkten oder bei „disruptiven“ Technologien ist die schnelle Anpassung der Kompetenzen ein kritischer Erfolgsfaktor. Die Herausforderungen aus den gegenwärtigen Veränderungen (z. B. Digitalisierung, Energie- und Prozesstechnologien) sind auch die treibenden Kräfte für neue Formen des Lernens in der Wirtschaft.

2.6.1 Formen des Lernens in der Wirtschaft

Grundlagenwissen und das methodische Wissen, die beide auf Erkenntnissen der Forschung beruhen, besitzen eine gewisse Langlebigkeit mit bekannten Gesetzmäßigkeiten. Dieses Wissen kann systematisch an den Hochschulen durch Lernen erworben werden. Es ist vielfach dokumentiert, sodass sich traditionelle Wissensquellen zum Lernen ebenso nutzen lassen wie das Lernen aus der Literatur und insbesondere der Fachliteratur.

Ohne Lernen würde die Wirtschaft stagnieren. Selbst dann, wenn neue Erfindungen einen erfolgversprechenden Weg in eine Zukunft zeigen, bedarf es des Lernens. Die Geschwindigkeit des Lernfortschritts in der Wirtschaft ist von vielen Faktoren abhängig, so z. B. vom Grad der Ausbildung und der Qualifikation der Mitarbeiter. Lernen drückt sich in der Leistung pro Zeit aus. In der Wirtschaft werden Lerneffekte in Kosten oder dem Aufwand pro Stück gemessen. Erstmals begann die Wirtschaft in Kriegszeiten mit Lerneffekten auf Grund von statistischen Daten zu kalkulieren (Lern- und Erfahrungskurve). Die Kalkulation mit der Lernkurve besagt, dass mit jeder Verdoppelung der Stückzahl eine prozentuale Kostensenkung eintreten wird. Man konnte damit auch noch nicht bekannte oder nachgewiesene Verbesserungen und Kosten in der Zukunft kalkulieren. Verbesserungen sind Folgen aller Maßnahmen, die zu einer Reduzierung des Aufwandes führen, also auch der Maßnahmen, die vielleicht mal in der Zukunft durchführbar werden aber heute noch nicht bekannt sind. Beispiele für hohe Lernraten sind:

  • Kostenentwicklungen in der Produktion von Militärflugzeugen im zweiten Weltkrieg durch konstruktive Verbesserungen und Maßnahmen zur Optimierung der Produktion, oder

  • die Fertigung von Halbleiterbauelementen (Moore’sches Gesetz) oder

  • die Fertigung von Solarzellen oder Batterien mit Wirkung auf die Herstellkosten.

Die Kostenkurven verlaufen degressiv und können mit Lernkurven langfristig nur mit großer Unsicherheit prognostiziert werden. Der degressive Verlauf berücksichtigt auch die sogenannten Skaleneffekte und wird zur Preisfindung verwendet.

Die Theorie der Lern- bzw. Erfahrungskurve (Abb. 2.12) beruht auf Erfahrungen mit neuen Technologien und Reifegraden. Sie kann mit Vertrauen in die künftig möglichen Zugewinne an industriellem Know-how begründet werden. Man könnte diese Theorie auch auf die Herstellung von Produkten für Nachhaltigkeit anwenden, wenn Marktpotenziale erkennbar sind und Ingenieure eine Chance haben, das noch verfügbare Potenzial an Effizienz zu schätzen. Sie brauchen dazu grundlegende Kenntnisse über die Grenzen der benötigten Technologien, Risikobereitschaft für neue Lösungen und erste praktische Erfahrungen z. B. mit Prototypen. Es wäre wünschenswert, digitale Rechen-Modelle zur Prognose zukünftiger Entwicklungen von Märkten und Kosten der Ressourcen könnten zur Reduzierung der Unsicherheiten der Zukunft genutzt werden.

Abb. 2.12
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Lernen und Vergessen im Leben [32]

Das Wissen aus der Forschung gilt im Grundsatz als beständig. Aber auch dieses kann überholt werden, veralten oder unbrauchbar werden, wenn nicht nachgefragt. Man kann die Wirkung der Veraltung und Überholung auch als „Vergessen“ bezeichnen (Abb. 2.12). Vergessen von Wissen ist eine typisch menschliche Eigenschaft. Sie ist in der Wirtschaft gut bekannt und tritt immer auf, wenn Prozesse zeitweise unterbrochen werden. Die Vergessens-Kurve in einer diskontinuierlichen manuellen Produktion ist ebenfalls degressiv. Mit zunehmendem Abstand verlieren die Menschen Fähigkeiten handwerklicher und kognitiver Art, Auch hier könnte die Elektronik Verbesserungen durch Kontinuität schaffen solange die Speicher verfügbar sind.

Anwendungswissen und Erfahrungswissen sind unbeständig und zeitabhängig. Menschen besitzen die Fähigkeit zum Lernen, aber auch zum Vergessen. Die Verfügbarkeit digitaler Wissensquellen macht es möglich, Wissen schnell zu regenerieren, das Vergessen und die begrenzte Aufnahmefähigkeit des Menschen zumindest partiell zu überwinden und sogar für neue Formen der Generierung neuen Anwendungswissens zu nutzen.

Die wichtigsten Wege der Aus- und Weiterbildung zum Erlernen von Fähigkeiten und Kompetenzen und zur fachlichen Qualifizierung werden in Abb. 2.13 dargestellt. Sie sind meist durch (kurzzeitige) intensive Kurse oder schulische Programme für Gruppen gekennzeichnet.

Abb. 2.13
figure 13

klassische Formen des industriellen Lernens

Berufsbildende Schulen vermitteln überwiegend kognitives Wissen als Grund- und Erfahrungswissen, welches als Lernen aus der Vergangenheit bezeichnet werden kann, da es zumindest im technischen Bereich um die Ausbildung grundlegender Fähigkeiten mit Bezug zur Praxis geht. Erweiterungen des Grundwissens werden aus öffentlich zugänglichen Quellen wie Fachbüchern und Fachliteratur gewonnen. Die üblichen Formen werden durch Präsenzveranstaltungen mit erfahrenen Lehrern in Schulen, Lehrgängen, Seminaren, Fachtagungen, Gremienarbeit u. a. ergänzt.

Die Wirtschaft kennt neue Formen des Lernens, welche durch Methoden vermittelt werden. Beispielsweise ist die Methode der kontinuierlichen Verbesserung (KVP), der Prozessgestaltung mit Industrial Engineering oder das methodische Benchmarking sehr verbreitet [34]. Diese Methoden werden systematisch von erfahrenen Lehrern und Bildungsträgern vermittelt. Mit Rationalisierungsmethoden (REFA, MTM) wurden in der Wirtschaft drastische Produktivitätssteigerungen erreicht. Neue Organisationsmethoden werden mit Erfolg praktiziert (z. B. Qualitätsmanagement, Controlling, Lean Management etc.). Erfolge in der Produktivität und Kostensenkung waren durch standardisierte Planungsmethoden (Arbeitsplanung) und erfolgreiche Anwendungen der ganzheitlichen Produktionssysteme mit Sicht auf die Produktion gekennzeichnet [6]. Die Wirtschaft hat zahlreiche Mitarbeiter in diesbezüglichen Methoden ausgebildet und damit vielfach einen Wandel eingeleitet. Allein das Buch der REFA- Methodenlehre wurde millionenfach verkauft [35, 36].

Ein anderer Weg ist zweifellos das „Lernen aus der Zukunft“. Dabei werden Prozesse oder technische Lösungen in Form von Computermodellen abgebildet und in ihrem Verhalten unter den angenommenen Bedingungen (Szenarien) simuliert. Durch Variation der Modelle und der Prozessparameter lassen sich geplante Lösungen als virtuelle Realität durchspielen und beste Lösungen finden. Selbst ein Modell des Menschen („Avatar“) ermöglicht es, die Wirkung menschlichen Handelns auf ein System zu studieren, Produkte ergonomisch zu gestalten und daraus Schlüsse aus der geplanten Lösung zwecks Optimierung zu ziehen.

Ein anderer Weg ist die Anwendung der Computer zur Findung bester Lösungen im Netzwerk. Die Informationstechnik wird genutzt, um weltweit nach vergleichbaren Problemstellungen und Lösungswegen bzw. Best Practices zu suchen. Moderne Methoden der KI wie das „Machine Learning“ oder skalierbare Methoden der Datenanalyse erweitern die Problemlösungsfähigkeiten der Nutzer. Eine der Voraussetzungen für die Anwendung dieser Techniken ist aber, dass der Nutzer die Zusammenhänge versteht und Resultate bewerten kann. Er benötigt dazu ein breites Grundwissen und eine Lernfähigkeit.

Heute und noch mehr in der Zukunft kann der Mensch in allen seinen Rollen im Unternehmen die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik zum Lernen nutzen. Er ist Bestandteil des gesamten industriellen Systems als gestaltendes, führendes oder ausführendes Organ. Dem Menschen – in einer zukünftigen nachhaltigen technischen Welt – kommt also eine entscheidende Rolle zu, in der auch die Lernfähigkeit und Lerngeschwindigkeit eine größere Rolle spielen als jemals zuvor.

2.6.2 Wissen durch Weiterbildung

Anwendungsorientierte Forschungsvereinigungen (z. B. Fraunhofer, Helmholtz, Leipnitz) und Bildungsträger, wie die Ingenieurgesellschaften VDI oder VDE und Arbeitgeberorganisationen (VDMA, VDW) und Gewerkschaften bieten ein breites Spektrum an grundlegenden und aktuellen Weiterbildungsveranstaltungen in Form von Seminaren, und Kolloquien und Fachkonferenzen. Diese sind eine wichtige Quelle für aktuelles Wissen und zur Transformation von Wissen aus der Forschung in die Praxis. Der überwiegende Teil des Angebotes erfolgt über Präsenzveranstaltungen, die auch eine Basis zur Diskussion von Anwendungsfragen und zu Erfahrungen mit neuen Technologien bieten. Ferner werden durch Veranstaltungen der Bildungsträger soziale Kompetenzen gefördert. Heute finden sich viele Angebote an Weiterbildungsveranstaltungen im Internet über WEB-Konferenzen oder in aufgezeichneten Videos im Internet. Die Szene ist für die Weiterentwicklung zur Nachhaltigkeit ebenfalls sehr relevant. Die Themenfelder liegen aber eher unterhalb der universitären Transformation und sollen hier nicht weiter vertieft werden.

2.7 Lernen mit Wissen aus der Virtuellen Universität

Menschen haben die Fähigkeit zum Lernen, aber auch zum Vergessen (s. Abb. 2.14). Sie lernen aus der Erfahrung und aus der Kommunikation mit anderen Quellen. Bei jeder Reproduktion des Gelernten und durch die Fähigkeit des Gehirns, Situationen zu erfassen und sich etwas zu merken oder eine Situation zu analysieren, verdichtet sich das Lernen und die Verfügbarkeit von gelerntem Wissen. Daraus entwickelt sich die Fähigkeit zur Verbesserung von Handlungsweisen und zur Vermeidung von Fehlern. Das in Computern gespeicherte Wissen bleibt solange erhalten, wie es technisch lesbar ist. Theoretisch demnach für lange Zeit. Der Mensch hingegen hat auch die Eigenschaft, Wissen mit der Zeit zu vergessen. Je seltener der Mensch allein oder in einer Gruppe Vorgänge reproduziert oder je grösser der Abstand zwischen den Ereignissen, umso stärker ist das Vergessen. Wir erleben dies immer wieder, wenn wir Menschen Funktionen einer Software zwar gelernt, aber nach längerer Pause wiederholen müssen und erst Bedienungsanleitungen studieren müssen, um sie wieder nutzen zu können. Hier setzt die wichtigste Funktion der Computer und ihrer Speicherfunktion an, um Wissen und Vorgänge ohne Verluste zu reproduzieren. Die Merkfähigkeit der heutigen Computer ist die eines Automaten: einmal programmiert – beliebig oft reproduzierbar. Die Leistung ist konstant. Zur Veränderung brauch der Computer jedes Mal neue Inputs Hier setzen neue Denkweisen um das „Organic Computing“ ein, die sich an Lern-Funktionen von Lebewesen orientieren. Durch sensorische Beobachtung und Bewertung Ausführung von Prozessen finden sie irgendwann die beste Lösung heraus und nutzen sie weiterhin.

Abb. 2.14
figure 14

Lernen und Vergessen in diskontinuierlichen Prozessen

Digital verfügbares Wissen steht dem Menschen jederzeit und an jedem Ort zur Verfügung und kann zum Lernen genutzt werden. Es liegt also nahe, das Lernen nicht nur auf die Ausbildungszeit zu begrenzen, sondern die Fähigkeit zum Lernen mit Hilfe digitaler Medien auf den gesamten beruflichen Lebensweg auszudehnen – dies kann geschehen, indem dem Menschen jederzeit ein virtueller Lehrer oder eine „virtuelle Universität“ zur Seite steht.

Wären wir in der Lage, Ereignisse mit allen Ergebnissen und Umständen (Einflussgrößen) zu speichern und zu analysieren und bei Wiederholung zu verbessern, so könnten wir theoretisch eine kontinuierliche Verbesserung der Wirkungsgrade der Technik und der Arbeit mit Technik erzielen. Es scheint heute KI möglich, das Lernen in die technischen Systeme der Steuerung zu integrieren (Machine Learning) und dadurch Fehler und Abweichungen zu vermeiden und Prozesse immer in einem Parameter-Raum sichere zu führen. Die besten Einstellungen kann sich ein intelligentes System merken und leicht mit anderen Nutzern teilen (Abb. 2.8). Damit kann das „Vergessen“ technisch eliminiert werden. Theoretisch erscheint es möglich, alle Prozessvariablen mittels Monte-Carlo Verfahren vor dem Beginn eines Prozesses durchzuspielen und daraus ein optimalen n-dimensionalen Raum festzulegen, in dem eine höchste Effizienz möglich ist. Die Computer werden damit zu einer lernfähigen intelligenten Maschine, der lediglich die Bewertungskriterien für die Güte der Lösung vorgegeben werden müssen.

Bei der Gestaltung des zukünftigen Systems der Aus- und Weiterbildung geht es folglich nicht mehr nur um die Vermittlung von Wissen im Studium, sondern um die Kompetenzen zum Suchen und Finden von bestem Technologie-Wissen zur Lösung konkreter Aufgaben. Ferner um die Interpretation der aus dem Internet bezogenen Anregungen, Erkenntnisse und Potenziale. Dies kann man als eine Kompetenz der „Lernfähigkeit des gesamten Systems der Wertschöpfung“ – also nicht nur der einzelnen Elemente (Menschen, Maschinen), sondern auch der technischen Subsysteme oder ganzer Segmente – verstehen. Ein System zum lebenslangen Lernen in der industriellen Wertschöpfung mit nachhaltiger Technik ist eine Herausforderung unserer Zeit. Wir müssen die Möglichkeiten der digitalen Welt nutzen, um die richtigen Maßnahmen und besten Lösungen für Nachhaltigkeit zu finden und schnellstmöglich anzuwenden.

Ein Modell mit dem weitreichenden Anspruch eines permanenten Wissenstransfers kann man sich in einer Internet-Plattform vorstellen. Die Plattform liefert – bedarfsgesteuert – die Ideen und das Wissen, das Ingenieure bei konkreten Aufgabenstellungen brauchen, um innovative Lösungen mit Hilfe vernetzter Informationsquellen zu entwickeln und zu bewerten. Vernetzte und parallele Computersysteme bilden eine fast unbegrenzte Ressource für diese komplexe Aufgabe. Sie bieten Hilfe mit wissensbasierten Berechnungen und Analysen modellhaften Szenarien der Zukunft und den dadurch erreichten strukturellen Veränderungen des Lebens. Das Computernetzwerk stärkt – bedarfsgerecht und individualisiert – die Kompetenzen und Kenntnisse einzelner Personen und großer Teams und kann auch von interdisziplinär genutzt werden. Ferner unterstützen sie die Gestalter der Technik mit Werkzeugen bei ihrer Arbeit im technischen Detail wie auch in großen komplexen Systemen.

Industrielles Lernen [11] ist ein entscheidender Weg der Wirtshaft, um permanent besser zu werden, Fehler und Abweichungen zu korrigieren oder Vorteile gegenüber Wettbewerbern zu gewinnen. Industrieunternehmen können als vielschichtige, komplexe, soziotechnische Systeme verstanden, die sich permanent gewollt oder ungewollt verändern. Adaptieren sie ihre Strukturen nicht, so gehen sie unter. Jedes lebende System muss sich an seine Umgebung adaptieren (d. h. lernen) können, um in turbulenter Umgebung zu überleben. Das gleiche gilt für das Lernen in digital vernetzten Systemen wie der Industrie. Die Psychologie definiert das Lernen …

„… als eine Verhaltensänderung bzw. als Erwerb neuer Verhaltensweisen in einer wohldefinierten Situation definiert. Lernen ist allgemein ein Vorgang, durch den eine Aktivität im Gefolge von Reaktionen eines Organismus auf eine Umweltsituation entsteht oder verändert wird“ [37, 38].

„Im „System Produktion“ sind solche .Verhaltensänderungen als Reaktionen auf externe dynamische Einflussfaktoren und (Turbulenzen) und interne Veränderungen in der Aufgabenstellung, der Technik und der Logistik erforderlich“ [39].

„Lernen trägt zur Gewinnung von Erfahrungen und zur Optimierung bei jeder Wiederholung eines Prozesses bei. Die Resultate sind in den Stückzeiten und Stückkosten sowie in der Qualität und anderen Performance-Kennwerten messbar“ [11].

Das computerunterstütze Lernen wird zum permanenten Bestandteil der Kompetenzen von Ingenieuren, die Technologien der Zukunft gestalten und in die Anwendung überführen wollen. Das betrifft im engeren Sinn die Ingenieure, gilt aber grundsätzlich auch für andere Mitarbeitergruppen im gesamten Unternehmen. Das Fertigen und Montieren sind häufig eine Reproduktion geplanter Vorgänge. Je präziser die Planung, umso zuverlässiger können Operationen mit gleicher Leistung auch wiederholt werden. Sie lassen sich durch eine Optimierung der Prozesse und Prozessfolgen sowie der eingesetzten Mittel, Maschinen, Werkzeuge, Vorrichtungen, Betriebsstoffe etc. verbessern. Das handwerkliche Lernen zeigt Wirkungen bereits nach wenigen Wiederholungen, das Lernen eines Systems wie beispielsweise eines Fertigungsbereiches hängt von der Komplexität und der Vielfalt der Einstellgrößen ab. Präventiv wirkende Methoden wie beispielsweise das präventive Qualitätsmanagement nehmen Lerneffekte vorweg. Würde es also gelingen, ein Produktionssystem vollständig im Rechner abzubilden, so ließen sich Fehlermöglichkeiten oder auch Verbesserungsmöglichkeiten vor der Ausführung studieren und Lerneffekte aus dem realen Geschehen vorwegnehmen. Die ist vergleichbar mit dem Prinzip des Scientific Managements nach Taylor [3]. Allerdings müssten die Abbildungen der Systeme auch lernfähig gemacht werden.

Wissen veraltet wie die Technik. Es wird überholt durch bessere und interessantere Lösungen. Das wissen muss also gepflegt, ersetzt und erneuert werden. Von dem in der Ausbildung und im Studium gelernten Wissen sind nur fundamentalen Erkenntnisse von Dauer. Deshalb muss ein Ausbildungssystem für Ingenieure auf einem fundamentalen Kern mit Grundkenntnissen und einem Teil mit variablen entwicklungsabhängigen, sich regenerierendem und dynamische Wissen aufgebaut werden. Im heutigen System der Ausbildung lernen die Ingenieure den fundamentalen Kern und einige Bereiche mit variablem Wissen im Studium. Danach ergänzen sie immer wieder ihre Fähigkeiten im Berufsleben durch eigene Erfahrungen, durch Weiterbildung oder durch temporären Beiträge rund um ihr Arbeitsgebiet. Ingenieure lernen in der Universität das „Lernen“. Die Dynamik der schnelllebigen Technik mit kurzen Innovationszyklen explosionsartiger Zunahme des Wissens, und einem Druck auf die Erzeugung neuer besserer Problemlösungen macht eine Ausbildung und Weiterbildung über das ganze Berufsleben sinnvoll. Dies könnte in der Zukunft auch eine virtuelle technische Universität unterstützen, indem sie den Ingenieuren jederzeit und an allen Orten zeitlebens zur Verfügung steht.

2.7.1 Plattform zur Individualisierung der Aus- und Weiterbildung

Vor dem Hintergrund der Veränderung der Arbeitsweisen und Anwendungen neuer Technologien in der Wirtschaft wird ein IT-System benötigt, welches gerade die Ingenieur- Kompetenzen zur Veränderung des Systems fördert. So wenig wie voraussehbar ist, vor welchen Herausforderungen einzelne Menschen in ihrer beruflichen Karriere stehen werden, so wenig lässt sich vorherbestimmen, welchen Wissensbedarf der Einzelne haben wird. Das Angebot eines digitalen Systems der Aus- und Weiterbildung muss also thematisch weitgefächert und vielfältig sein. Ferner muss es individualisierbar oder sogar personalisierbar sein. Um auch im konkreten Bedarfsfall schnell Unterstützung zu geben, bedarf es eines Systems zum Finden von Wissen und zur Sicherung der Qualität des Wissens. wie es nur eine Universität bieten kann.

Denkbar wäre ein soziales Netzwerk, das die Nachfrager mit den Anbietern von spezifischem Wissen zusammenbringt und in welchem Ingenieure und Wissenschaftler vertraulich miteinander kommunizieren. Abb. 2.15 stellt ein derartiges Netzwerk dar. Im Mittelpunkt stehen die Nachfrager, die ihren Bedarf spezifizieren und auf den Servern Antworten und Wissensbausteine und Vorschläge für eine kreative Lösung bei konkreten Aufgabenstellungen finden. Die Server vernetzen die Wissensquellen, aus denen Antworten generiert werden. Sie kennen Instrumente, um Wissen zu bewerten und unwichtiges von Wichtigem oder Falsches von Richtigem zu unterscheiden. Das Netzwerk wird damit zu einem Aus- und Weiterbildungssystem, das individuelle Bedarfe zuverlässig abdecken kann.

Abb. 2.15
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Vernetzung in einer Internet – Plattform für Aus- und Weiterbildung

Die Bedarfe an Wissen sind abhängig von den beruflichen Erfahrungen der Beteiligten. Nach Abschluss einer universitären Ausbildung fehlen vielen Berufseinsteigern Fachkenntnisse in Themengebieten, die nicht Gegenstand der Studiengänge waren oder in denen der Tiefgang und das Detailwissen fehlen. Ferner fehlt vielen die Kenntnis des realen Standes der Technik und praktikabler Lösungswege für ihre Aufgaben. Gerade für Absolventen mit neuen Aufgaben in der Industrie ist es sehr hilfreich, ihr fachliches, individuelles Wissen aus dem Netz zu ergänzen oder den Umgang mit Ingenieurwerkzeugen der Zukunft zu lernen.

Lieferant des Wissens ist in Abb. 2.15 eine Virtuelle technische Universität mit ihren verteilten und vernetzten Wissensquellen. Also ein Netzwerk aus Kompetenzen. Dort werden Erfahrungsträger zu einem virtuellen Kompetenzzentrum verbunden, das sowohl technische Breite als auch Tiefe hat und auf den Transfer von Wissen aus der Forschung in Anwendungen spezialisiert ist. Eine Plattform sichert den Ingenieuren den permanenten Zugang zu aktuellem Wissen und zu typischen Dienstleistungen (siehe Kap. 5). Die Plattform bietet darüber hinaus Zugang zu Rechenzentren für spezialisierte Dienstleistungsaufgaben zur Berechnung und Optimierung sowie zu Simulationsmodellen für dynamische Prozesse und Vorausschau (look ahead) von Handlungsweisen in definierter Umgebung.

Die Plattform stellt das Kommunikationssystem der forschenden Universitäten für den Dialog zwischen Studierenden und Professoren bzw. Forschungsinstituten dar und der Praxis. Über die Plattform können Bausteine der Teaching Factory (siehe Kap. 4) laufen oder virtuelle Forschungs-Szenarien aufgebaut werden. Sie bietet virtuelle Labors (oder virtuelle Fabriken), in denen Experimente gemacht und realistische Zukunftsszenarien mit hohem Technischen Stand entwickelt werden können.

Die Plattform nutzt Methoden der Qualifizierung und Sicherung von Wissen mit KI-insbesondere von „grauem Wissen“ – und stellt den Schutz des persönlichen Wissens und der ergänzenden Kompetenzen sicher.

Die Techniken, die erforderlich sind, um eine derartige Plattform zu realisieren, sind bekannt (z. B. Metaversum). Es fehlt am Management der strukturellen Veränderungen im Ausbildungssystem insbesondere der Universitäten und an den Geschäftsmodellen für potenzielle Betreiber. Bevor aber darauf eingegangen wird, muss noch ein Blick auf die fachlichen und persönlichen Anforderungen an Ingenieure geworfen werden, um die Zielsetzung einer virtuellen Universität und ein zeitgemäßes Konzept der Aus- und Weiterbildung von Ingenieuren in einer digitalen Welt zu entwickeln. Dieses Konzept soll vor allem die nächste Generation begeistern.