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Nach dem Löwen in Venedig für "Poor Things" greift Yorgos Lanthimos mit "Kinds of Kindness" nun nach einer Palme in Cannes.
Cannes / Searchlight Pictures / Atsushi Nishijima

Mit 35.000 professionellen Filmgästen rechnet das Festival von Cannes heuer, das zwischen 14. und 25. Mai stattfindet. Es wird wieder viel Rummel geben auf dem roten Teppich, denn die Reihe an Filmstars, die darüber schreiten werden, ist lang. Ehrengäste sind Meryl Streep und George Lucas, die beide mit einer Ehrenpalme für ihr Lebenswerk ausgezeichnet werden. Außer Konkurrenz laufen außerdem die Hollywood-Epen Horizon, An American Saga von und mit Kevin Costner und George Millers Furiosa: A Mad Max Saga mit großem Staraufgebot, der schon nächste Woche in unsere Kinos kommt.

Judith Godrèche und MeToo

Gar so apolitisch, wie sich Thierry Frémaux, der alteingesessene künstlerische Leiter des Festivals, die diesjährige 77. Ausgabe während der Pressekonferenz im April gewünscht hat, wird sie indes nicht werden. Festivalbeschäftigte haben zum Streik aufgerufen, und die MeToo-Welle, die Frankreich aktuell fest im Griff hat, wird auch an den Mittelmeerstrand branden, denn die Schauspielerin Judith Godrèche zeigt einen kämpferischen Kurzfilm mit dem Titel Moi aussi (Me too). Im Februar hatte sie für Schlagzeilen gesorgt, weil sie den Regisseuren Benoît Jacquot und Jacques Doillon vorgeworfen hatte, sie als Teenager missbraucht zu haben.

Es grenzt nahezu an ein Wunder, dass Cannes – ein Festival, das traditionell auf l'art pour l'art und mitunter auch auf umstrittene Persönlichkeiten setzt – der MeToo-Debatte Platz einräumt. Doch vielleicht dreht sich der Mistral an der Côte d'Azur ja, seitdem mit Iris Knobloch 2022 die erste Frau an der geschäftsführenden Spitze des Festivals steht. Mit Greta Gerwig als Jurypräsidentin wurde zudem ein feministisches Statement gesetzt, auch wenn der Wettbewerb mit nur vier Regisseurinnen eine andere Sprache spricht.

Regie-Royals im Wettbewerb

Gerwig und ihre achtköpfige Jury dürfen sich 22 Wettbewerbsfilme ansehen und darüber urteilen, an wen die Palmen zu vergeben sind. Wieder sind bekannte Regie-Ikonen im Rennen. Etwa Paul Schrader mit Oh Canada, in dem Richard Gere an der Seite von Uma Thurman sein Leinwand-Comeback als kanadischer Dokumentarfilmemacher feiert, der einem seiner Schüler (Jacob Elordi!) ein allerletztes Interview gibt.

Mit David Cronenberg kommt tatsächlich ein kanadischer Regisseur nach Cannes. Sein Film The Shrouds handelt von einem Paar (Vincent Cassel und Diane Kruger), von Grabschändung, Technologie und Rache. Neben Schrader ist Francis Ford Coppola der zweite New-Hollywood-Titan im Bunde, dessen eigenfinanziertes Mammutprojekt Megalopolis heiß erwartet wird. Ging doch im Vorfeld das Gerücht um, dass sich Coppola schwertat, einen Verleih zu finden. An Hauptdarsteller Adam Driver kann es hoffentlich nicht gelegen haben.

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Die Latte liegt hoch

Der soeben im Iran wegen "Verschwörung gegen die nationale Sicherheit" zu acht Jahren Haft verurteilte Regisseur Mohammad Rasoulof ist mit seinem Justiz-Misstrauensdrama The Seed of the Sacred Fig zum ersten Mal im Hauptwettbewerb vertreten. In diesen luftigen Höhen sind Filmdebüts selten, geschafft hat es die Französin Agathe Riedinger mit Wild Diamond über eine junge Frau, die Reality-TV-Star werden möchte. Ebenfalls ein Coming-of-Age-Film stammt von der Britin Andrea Arnold: Bird porträtiert eine Zwölfjährige, die in ärmlichen Verhältnissen mit ihrem Bruder und ihrem Vater lebt – verkörpert werden diese von Barry Keoghan und Franz Rogowski.

Nach dem enorm erfolgreichen Jahrgang 2023 liegt die Latte auch diesmal hoch. Biopics über Donald Trump (The Apprentice) und den russischen Dichter Eduard Limonov (Limonov. The Ballad) rücken politische Persönlichkeiten ins Licht, und die zuletzt in Venedig erfolgreichen Yorgos Lanthimos und Emma Stone sind nun in Cannes dabei: mit der schwarzen Komödie Kinds of Kindness. Mal sehen, ob das Dreamteam wieder einen Platz auf dem Podest erringt. (Valerie Dirk, 14.5.2024)