Deutscher Bundestag - Tagesaktuelles Plenarprotokoll 20/170
17.05.2024 | Dokumente

Tagesaktuelles Plenarprotokoll 20/170

 

**** NACH § 117 GOBT AUTORISIERTE FASSUNG ****

*** bis 11.30 Uhr *** 

 

Deutscher Bundestag

 

170. Sitzung

Berlin, Freitag, den 17. Mai 2024

Beginn: 9.00 Uhr

 

Präsidentin Bärbel Bas: 

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche allen einen wunderschönen guten Morgen. Die Sitzung ist eröffnet.

Bevor ich den ersten Punkt aufrufe, gebe ich noch einen Hinweis für die heutige Tagesordnung: Die Fraktion der AfD hat eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „Mögliche Zahlungen an CDU und SPD aus dem Umfeld mutmaßlicher Schleuser aufklären“ verlangt. Diese wird heute als letzter Tagesordnungspunkt aufgerufen.

Ich rufe nun auf den Zusatzpunkt 12:

 

 

 

 

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft sowie der Verwaltung von Bürokratie (Viertes Bürokratieentlastungsgesetz)

Drucksache 20/11306 

 

 

 

Überweisungsvorschlag:

Rechtsausschuss (f)

Wirtschaftsausschuss

Ausschuss für Arbeit und Soziales

Verkehrsausschuss

Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

 

Für die Aussprache wurde eine Dauer von 68 Minuten vereinbart. 

Ich eröffne die Aussprache. Zuerst hat das Wort für die Bundesregierung der Bundesminister der Justiz, Dr. Marco Buschmann.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Marco Buschmann, Bundesminister der Justiz: 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen, liebe Zuschauer! Deutschland leidet unter einem Bürokratie-Burnout. Bürger, Betriebe, ja, selbst Behörden sind so erschöpft von immer mehr Gesetzen und Verordnungen, dass sie sich immer weniger um Innovation, Digitalisierung und andere Fragen kümmern können. In Zeiten knapper Fachkräfte müssen sie mehr und mehr personelle Ressourcen von produktiven Tätigkeiten abziehen und stattdessen für die Befriedigung bürokratischer Anforderungen einsetzen. Das schadet unserem Land. Diesen Trend müssen wir deshalb stoppen und umkehren, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Konstantin Kuhle: So ist es!)

Das Bundeskabinett hat daher bei seiner Klausurtagung in Meseberg im Sommer letzten Jahres ein Bürokratieabbauprogramm beschlossen. Es umfasst eine ganze Reihe von Maßnahmen. Dazu gehören das Wachstumschancengesetz, die Anhebung der Bilanzschwellenwerte und eben das Bürokratieentlastungsgesetz IV, das wir heute beraten. Dieses Paket führt zu einer jährlichen Entlastung unserer Unternehmen von einem Erfüllungsaufwand von mehr als 3 Milliarden Euro. Das ist fast dreimal so viel wie das bislang größte Programm zum Abbau von Bürokratie, das je von einer Bundesregierung umgesetzt wurde. Hierdurch sinkt der sogenannte Bürokratiekostenindex auf ein Allzeittief. Ich denke, hier werden auch kritische Stimmen zugestehen müssen, dass das ein Schritt in die richtige Richtung ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Bürokratieentlastungsgesetz IV widmet sich insbesondere dem Kampf gegen die Zettelwirtschaft. Das möchte ich an drei Beispielen belegen. Wir schaffen etwa die Hotelmeldepflicht weitgehend ab. Das bedeutet 90 Millionen Meldezettel im Jahr weniger, das ist eine Entlastung für Gäste und Hotelbetreiber gleichermaßen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Arbeitsverträge können künftig in den meisten Fällen digital geschlossen werden, und Buchungsbelege müssen weniger lang aufbewahrt werden. Weniger Zettel, mehr Wirtschaft: Das ist sicherlich genau die richtige Botschaft, gerade für die vielen kleineren und mittleren Unternehmen in unserem Land.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte mich an dieser Stelle bei den vielen Unternehmen und Verbänden bedanken, die an der Vorbereitung des BEG IV mitgewirkt haben. Dafür haben wir nämlich eine digitale Konsultation durchgeführt. Über 400 Vorschläge sind eingegangen. 386 waren auch so konkret, dass wir sie prüfen konnten. Nicht alle betrafen das Bundesrecht, aber wir haben etwa 120 dieser Vorschläge aufgegriffen, entweder im BEG IV oder an anderer Stelle. Hier zeigt sich: Wirtschaft und Politik dürfen nicht gegeneinander arbeiten, sie müssen miteinander arbeiten. Das ist hier gelungen. Genauso sollten wir auch weiterarbeiten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lutz Goebel, der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrates und sicherlich eine der prominentesten und auch kräftigsten Stimmen für den Bürokratieabbau hat das BEG IV - Zitat -: einen „starken Auftakt“ für den Bürokratieabbau genannt.

(Dr. Martin Plum (CDU/CSU): Er sagt aber auch, das sei zu wenig!)

Er hat aber auch angemahnt, dass es weitergehen muss, und damit hat er recht. Deshalb wird die Bundesregierung diesem Schritt auch weitere folgen lassen: Der Gesundheitsminister wird im Gesundheitswesen Bürokratie abbauen, der Wirtschaftsminister wird in Kürze Erleichterungen für das Vergaberecht vorschlagen. Denn Bürokratieabbau muss Querschnitts- und Daueraufgabe der gesamten Bundesregierung sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gemeinsam mit unseren Freunden in Frankreich und anderen EU-Staaten setzen wir uns für Bürokratieabbau auf europäischer Ebene ein. Denn zur Wahrheit gehört, dass 57 Prozent des bürokratischen Erfüllungsaufwandes in Deutschland intellektuell nicht hier in Berlin entstanden sind. 57 Prozent der bürokratischen Belastungen stammen aus der Umsetzung europäischer Richtlinien. Auch hier muss in Zukunft gelten: Weniger ist mehr.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abg. Dr. Lukas Köhler (FDP))

Bürokratieabbau ist wichtig. Bürokratieabbau ist ein Konjunkturprogramm zum Nulltarif. Bürokratieabbau ist deshalb auch ein Beitrag zu einer Wirtschaftswende für mehr Wachstum und mehr Wettbewerbsfähigkeit. Genau das braucht unser Land jetzt dringend. Bürokratieabbau hat eine wichtige ökonomische Bedeutung. Er hat aber auch eine gesellschaftspolitische Bedeutung, und auf diesen Aspekt möchte ich - gerade als Verfassungsminister - zum Schluss noch einmal hinweisen. Wir alle fragen uns, woher es kommt, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger dem Staat, der Politik und den Institutionen ein Stück weit das Vertrauen entziehen. Ich glaube, ein Teil der Antwort ist folgender: Wenn wir als Staat und Politik mit immer mehr kleinteiligem Mikromanagement des täglichen Lebens den Bürgerinnen und Bürgern die Botschaft senden, dass wir ihnen misstrauen, dann wird Misstrauen mit Misstrauen beantwortet.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sind Bürokratieabbau und die Tatsache, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr Vertrauen schenken, glaube ich, der richtige Weg; denn dann wird Vertrauen von Staat und Politik in die Bürgerinnen und Bürger auch mit Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Staat und Politik beantwortet werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Günter Krings.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Günter Krings (CDU/CSU): 

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem vor über 50 Jahren nicht die US-Amerikaner, sondern die Sowjets den ersten Satelliten ins Weltall geschossen hatten, wurde damals der Leiter der US-Raketenforschung gefragt, wie es denn möglich sei, dass die Sowjets hier vorne gelegen hätten. Seine Antwort:

„Bei der Eroberung des Weltraums sind zwei Probleme zu lösen: die Schwerkraft und der Papierkrieg. Mit der Schwerkraft wären wir fertiggeworden.“

Ähnlich, meine Damen und Herren, würden heute wohl viele Unternehmer antworten, wenn sie danach gefragt werden, warum sie ihre Ideen nicht schneller und besser umsetzen können. Die Lage ist in den letzten Jahren, Herr Minister, schlimmer geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Genau!)

Der Normenkontrollrat bescheinigt dieser Bundesregierung: Der laufende Erfüllungsaufwand durch die Bundesgesetzgebung ist noch nie so stark gestiegen wie zurzeit. 

(Enrico Komning (AfD): So ist es!)

Unter Ihrer Regierung gibt es mehr Regulierung, mehr Kosten, mehr Aufwand, um das Misstrauen und den Formularhunger der Ampel zu befriedigen. Überbordende Bürokratie und Regulierung sind inzwischen das größte Investitionshemmnis für den Wirtschaftsstandort Deutschland, so die Einschätzung des Normenkontrollrats.

Allerdings gibt es auch eine gute Nachricht: Unionsgeführte Bundesregierungen haben seit 2005 gezeigt, dass steigende Bürokratielasten eben kein Naturgesetz sind, sondern und dass die Politik gegensteuern kann. Wir haben damals die Bürokratiekosten aller Bundesgesetze erstmals seriös gemessen. Wir haben auf dieser Grundlage Einsparvorgaben in Höhe von 25 Prozent der Bürokratiekosten gemacht und diese bis 2011 verlässlich umgesetzt. Das war mit über 12 Milliarden Euro Einsparungen bisher das größte Programm zur Bürokratieentlastung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist übrigens das 12-Fache an Entlastungen im Vergleich zu denen des BEG IV, das wir hier heute beraten. 

Wir haben dafür gesorgt, dass dauerhaft für jeden Euro neuer Bürokratiekosten mindestens 1 Euro an anderer Stelle eingespart wird. Das alles waren erfolgreiche, innovative, neue Ansätze. So geht Bürokratieabbau.

Die amtierende Bundesregierung hingegen zeigt sich der Größe dieses Problems nicht gewachsen. Eingefallen ist Ihnen ein hilfloser Serienbrief an die Wirtschaftsverbände. Dass Sie uns die pure Selbstverständlichkeit eines Dialogs mit den Betroffenen schon als methodische Innovation anpreisen, sagt viel über den Zustand dieser Regierung und ihre Wirklichkeitsferne, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Von den über 440 Verbändevorschlägen haben es in dieses Bürokratieentlastungsgesetz immerhin 11 geschafft; das ist eine Quote von 2,5 Prozent.

Die Ampel ist insgesamt eben nicht Teil der Lösung des Bürokratieproblems. Sie ist das Bürokratieproblem. So verkündete der Finanzminister bei einer Bauerndemonstration Anfang des Jahres hier in Berlin, steuerlich müsse er die Landwirte leider stärker schröpfen, aber dafür wolle er die Bürokratie im Agrarsektor zurückfahren. Was ist seitdem passiert in der Hinsicht? Nichts. Im Gegenteil: Nicht nur die Überregulierung bleibt, sondern auch hinsichtlich des europarechtswidrigen und die Bauern belastenden Glyphosatverbots bekamen sie bis heute keinerlei Unterstützung von dieser Ampel.

Aufschlussreich war kürzlich die Schilderung von Ihnen, Herr Minister Buschmann, auf einer Veranstaltung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, an der wir beide teilgenommen haben, wie Sie zu Ihrer Zuständigkeit für Bürokratieabbau im Normenkontrollrat gekommen sind: Der Bundeskanzler habe Ihnen schon bei den Koalitionsverhandlungen signalisiert, dass er kein Interesse am NKR im Kanzleramt mehr habe - hochinteressant -,

(Dr. Marco Buschmann, Bundesminister: Das habe ich aber so nicht gesagt!)

kurz danach habe auch der Wirtschaftsminister seine Federführung für Bürokratieentlastungsgesetze gerne an den Justizminister abgegeben. - In dieser Bundesregierung wirft man sich die Zuständigkeiten für den Bürokratieabbau offenbar wie eine heiße Kartoffel zu. 

Meine Damen und Herren, was dieser Regierung fehlt, ist eine echte Strategie beim Bürokratieabbau. Ja, die Elemente des BEG IV gehen in die richtige Richtung - das will ich ausdrücklich sagen -, aber mehr Positives kann ich dann auch schon nicht mehr finden. Mit ein paar Änderungen bei Hotelmeldescheinen und Aufbewahrungsfristen ist es eben nicht getan. Angesichts dieser Lage reicht es nicht, an den Bürokratielasten nur ein wenig herumzuschrauben.

Nehmen Sie sich also ein Beispiel an den Meilensteinen, die die Union in der Vergangenheit gesetzt hat, und auch an den methodischen Vorschlägen, die wir erst vor wenigen Monaten hier im Hause gemacht haben - ich nenne nur ein paar davon -: „one in, two out“, eine branchenscharfe Bürokratiebremse und eine Aufwertung des Normenkontrollrats.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor zehn Jahren war Deutschland noch Vorbild in Sachen Bürokratieabbau. Heute sind wir, dank der Ampel, nur noch abschreckendes Beispiel in Sachen Bürokratieaufbau. 

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die SPD-Fraktion Dirk Wiese.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dirk Wiese (SPD): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede ein bisschen anders beginnen. Ich möchte zunächst den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Stadtverwaltungen, in den Kreisverwaltungen, in den Landesverwaltungen und in den Bundesverwaltungen einmal 

(Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Mein Beileid!)

meinen Dank aussprechen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Denn dass wir ein demokratischer Rechtsstaat mit einer funktionierenden Verwaltung sind, das ist gerade in einer Zeit, in der wir 75 Jahre Grundgesetz feiern, wichtig. Die dortigen Mitarbeiter kriegen oftmals Schelte. Ja, an Stammtischen wird über den ein oder anderen Bürokratiewahn gesprochen. Aber an vielen Stellen ist das nicht gerechtfertigt; denn sie leisten täglich gute Arbeit für das Zusammenleben in diesem Land.

Ja, es ist richtig, dass wir die Frage stellen müssen, wie wir die Bürokratie, die zweifelsohne zugenommen hat, handhabbar machen. Ja, das ist so; wir alle wissen das aus den Wahlkreisen. Viele Bürgerinnen und Bürger, Unternehmerinnen und Unternehmer, das Handwerk, sie fühlen sich manchmal bei der ein oder anderen Erledigung, die sie machen müssen, wie Asterix und Obelix in dem berühmten Film, wenn sie den Passierschein A 38 beantragen wollen; viele kennen diesen Film. Dieses Beispiel steht symbolisch dafür, dass wir einiges an dieser Stelle zu tun haben.

Wir sehen ja, dass wir was zu tun haben. Wir sehen es durchaus bei Gesprächen mit Apothekern und im Pflegebereich. Wir sehen es bei Gesprächen mit Ärzten und mit Landwirten. Wir sehen es auch bei Gesprächen mit Handwerkern. Ich glaube, darum ist es richtig, dass die Bundesregierung genau hingeschaut hat, hingehört hat bei den Verbänden, bei denjenigen, die täglich damit zu tun haben, wie wir dagegen angehen können. Darum ist es gut, dass die Bundesregierung heute dieses Bürokratieentlastungsgesetz in den Deutschen Bundestag einbringt und wir hier mit den parlamentarischen Beratungen beginnen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, wenn wir es angehen, wenn wir es schaffen wollen, hier tatsächlich etwas hinzukriegen, dann sind nicht nur wir auf der Bundesebene gefordert. Denn es sind nicht nur Bundesregelungen, die manchmal dafür sorgen, dass der eine oder andere sich wie Asterix und Obelix fühlt. Auch die Landesregierungen sind teilweise gefordert. Auch Bezirksregierungen sind teilweise gefordert. Es sind auch nicht immer Gesetze, die letztendlich dazu führen, dass es komplizierter wird, sondern manchmal auch Ausführungsbestimmungen.

Ich glaube, wenn wir generell auf allen Ebenen zu Erleichterungen kommen wollen, zu Vereinfachungen kommen wollen, das Leben der Bürgerinnen und Bürger einfacher machen wollen, dann müssen wir uns auch mehr zutrauen, dann müssen wir mehr Vertrauen haben.

Aber seien wir doch ehrlich: Wenn in der Bundesrepublik Deutschland etwas mal nicht funktioniert, wenn etwas nicht richtig gelaufen ist, wenn man sich nicht zu 110 Prozent abgesichert hat, dann wird sehr schnell geklagt. Das ist auch ein Teil des Problems; denn man versucht, sich abzusichern, und auch dadurch hat die Bürokratie an vielen Stellen zugenommen.

Aber - der Bundesjustizminister hat es angesprochen - auch die europäische Ebene muss in den Blick genommen werden. Es ist richtig, dass Deutschland gemeinsam mit Frankreich auf Initiative von Staatspräsident Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz eine Entlastungsinitiative auf den Weg gebracht hat. Lieber Günter Krings, ein bisschen könnte man ja auch daran denken, dass Sie die Kommissionspräsidentin stellen; aber das haben Sie in Ihrer Rede heute Morgen sicherlich vergessen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP - Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Das ist Ihr einziges Argument!)

So viel ist an dem Punkt tatsächlich nicht passiert.

Ja, wenn wir gemeinsam etwas beim Bürokratieabbau hinbekommen wollen - ich nehme Sie da gerne mit in die Verantwortung -, dann müssen wir von der Zettelwirtschaft wegkommen, wie es der Bundesjustizminister gesagt hat. Wenn wir Verwaltungsleistungen digitalisieren wollen - Stichwort „Onlinezugangsgesetz“ - und wir als Ampelkoalition etwas vorlegen, verstehe ich nicht, warum Sie dies dann im Bundesrat blockieren und aufhalten, sodass hier wieder einmal Verzögerungen dank der Blockade der CDU/CSU-Fraktion eintreten. Das versteht nun beileibe kein Mensch; da könnten wir was machen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir als SPD-Fraktion sind jedenfalls gewillt, ein gutes Gesetz noch besser zu machen. Wir wollen das Struck’sche Gesetz zur Anwendung kommen lassen. Wir wollen noch mal schauen, wo wir an der einen oder anderen Stelle auch noch eine Schippe drauflegen. Darum freue ich mich auf die parlamentarischen Beratungen, damit wir eine Verbesserung für die Unternehmen, für die Bürgerinnen und Bürger im Land hinkriegen, sodass sie sich nicht fühlen wie bei der Beantragung des Passierscheins A 38.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion Stephan Brandner.

(Beifall bei der AfD)

Stephan Brandner (AfD): 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Guten Morgen! Das Bundesjustizministerium, geführt von der angeblich irgendwann einmal wirtschaftsliberal gewesenen FDP, legt das vierte Bürokratieentlastungsgesetz vor. Wir sind schon jetzt gespannt, Herr Buschmann, wann das fünfte, sechste, siebte usw. kommt. Die Frage, Herr Buschmann, drängt sich auf: Gibt es im Ministerium eigentlich schon einen oder mehrere Gutebürokratieentlastungsgesetzenummerierungsundnachverfolgungsbeauftragte? Wurde diese Stelle schon bei Ihnen geschaffen? - Viel Spaß an die Stenografen!

(Beifall bei der AfD)

Wie auch immer. Meine Damen und Herren, FDP, fragt man sich, ist das nicht die Partei, deren Repräsentant sich gerade im Ellwanger/Aalener Raum in Baden-Württemberg Bahnhofstoiletten ableckend und mit Fäkalien einschmierend präsentiert hat? Das ist die FDP. Das ist die Qualität. Googeln Sie mal „Martin Neumaier“. Da braucht es um die Qualität dieser Partei gar keine Fragen mehr.

Ellwanger Raum, da fragt man sich, war das nicht da, wo noch vor kurzem der CDU-Verteidigungsexperte ganz unbürokratisch das Sicherheitspersonal bei einem Volksfest als - Zitat - „KZ-Wächter“ bezeichnet hat? Ganz unbürokratisch geht es zu bei der CDU.

CDU? Da fragt man sich: Ist das nicht die Partei im Hendrik-Wüst-Land, wo ehemalige Landräte der CDU mit SPDlern zusammen

(Zuruf des Abg. Dirk Wiese (SPD))

reichen Chinesen ganz unbürokratisch gegen Millionensummen Aufenthaltsrechte verschafft haben? Das ist ganz unbürokratische Arbeit bei der CDU.

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist denn mit Ihrem Bystron und mit Ihrem Krah, mit Ihren Parteispitzen? Mit Chinesen und mit Putin kennen Sie sich doch aus!)

Und ganz unbürokratisch geht es in NRW dann auch weiter. Von diesen kriminellen Geldern wurden an die Wüst-CDU und an den Innenminister Reul tatsächlich fünfstellige Beträge gespendet. Ganz unbürokratisch geht es zu in dem Altparteienstaat Deutschland. Die Altparteien sind unterwegs, ganz unbürokratisch.

Meine Damen und Herren, aber auch was die gigantische Bürokratie in der Wirtschaft angeht, ist in Deutschland einiges los. Eine Anfrage von Verbänden hat gezeigt: 442 Maßnahmen, die umgesetzt werden sollten, wurden angeregt. Davon wurde aber nur ein winzig kleiner Bruchteil umgesetzt.

Aus der Wirtschaft hört man für diesen kleinen Bruchteil, der umgesetzt wurde, trotzdem Lob. Da fragt man sich: Wie kann sich die Wirtschaft über diese Trippelschritte freuen? Das liegt daran, dass natürlich auch die Funktionäre alle auf Linie sind.

(Lachen des Abg. Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

So war es dann auch in der Anhörung. Wir haben den Funktionär der Handwerkskammer in der Anhörung gefragt, welche konkreten Gesetze denn abgeschafft werden sollen. Und dem Funktionär der Handwerkskammer, der von der CDU vorgeschlagen wurde, fiel kein einziges Gesetz ein. Das muss man sich mal vorstellen!

(Zuruf des Abg. Dr. Günter Krings (CDU/CSU))

Die Funktionäre der Kammern schimpfen immer über Bürokratisierung. Und wenn man sie fragt: „Was soll den weg?“, fällt ihnen nichts ein.

Wenn man allerdings mit den fleißigen Zwangsmitgliedern der Kammern spricht, dann sieht das schon ganz anders aus. Bürokratie und nicht etwa Arbeitskräftemangel oder Energiepreise sind mit Abstand das größte Investitions- und Wirtschaftshemmnis in Deutschland. Inzwischen gibt es 1 700 Gesetze, mehr als 50 000 Einzelnormen; hinzu kommen 2 800 Rechtsverordnungen.

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist denn jetzt eigentlich mit Ihrem Krah und Ihrem Bystron, Platz eins und zwei der Europaliste?)

In Deutschland regeln ungefähr 100 000 Normen das Leben. Das ist Bürokratie pur; das ist das Erbe des Altparteienstaats Deutschland.

(Beifall bei der AfD - Zuruf des Abg. Dirk Wiese (SPD))

2023 sind die Bürokratiekosten in Deutschland auf eine traurige Rekordzahl gestiegen: 65 Milliarden Euro - nur dafür!

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erzählen Sie uns doch mal was über Ihre Kumpanei mit Putin!)

- Frau Haßelmann, hören Sie auf, hier rumzuquäken!

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nee, Ihnen höre ich nicht zu!)

Sie können sich gerne zu einer Zwischenfrage melden. Haben Sie eine Frage an mich?

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nee, auf keinen Fall!)

Dann stehen Sie auf, wie sich das gehört, und fragen Sie mich! Okay?

(Zurufe von der SPD und der FDP)

65 Milliarden Euro Bürokratiekosten im Jahr. Eine richtige Bürokratieentlastung würde dazu führen, dass wir einen Wirtschaftsaufschwung sondergleichen bekommen würden. Und das Schöne daran ist, die Bürokratieentlastung - -

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gestern war doch ein echt schlechter Tag für Sie!)

- Frau Haßelmann, jetzt hören Sie doch auf, hier rumzuplärren!

(Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Meine Güte, das ist ja unerträglich. Kein Anstand. Kein Anstand!

(Katja Mast (SPD): Sie schreien bei jeder Rede dazwischen!)

Das ist also ein Konjunkturpaket, das nichts kostet und draußen richtig einen Investitionsschub auslösen würde.

Unsere Wirtschaft steht vor einem Scherbenhaufen.

(Bruno Hönel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Brandner, wird Ihr Büro gerade durchsucht? - Zuruf der Abg. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Ära Merkel hat ihre Schatten vorausgeworfen. Das, was Merkel angefangen hat, wird jetzt von der Ampelregierung beendet. Sie deindustrialisieren unser Land. Sie richten unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft zugrunde.

(Beifall bei der AfD)

Der Gesetzentwurf, den Sie jetzt vorgelegt haben, ist alles andere als ein großer Wurf. Aber wir sind schon froh, wenn Sie nicht mehr Schaden anrichten. Es ist ein winzig kleiner Trippelschritt in eine richtige Richtung, Herr Buschmann.

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kümmern Sie sich erst mal um Ihren Laden!)

Aber mehr Enthusiasmus, mehr Kraft dahinter, das wäre was, was wir uns wünschen. Vielleicht ergibt sich ja dann im Ausschuss noch die ein oder andere Verbesserung, die wir einbringen können und der Sie dann, entgegen Ihrem Gequäke, vielleicht auch zustimmen. Das könnte ja auch mal sein, oder?

(Bruno Hönel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wurde Ihr Büro auch schon durchsucht?)

Wir werden einige Vorschläge machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD - Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt mal wieder zur Sache!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Michael Kellner.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Michael Kellner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz: 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Krings! Liebe CDU! Lieber Herr Buschmann! Liebe FDP! Ich will mal ausdrücklich sagen: Zwischen demokratischen Parteien mag es Differenzen in der Sache geben, aber ich arbeite tausendmal lieber mit Ihnen zusammen an der Sache, als mir diese Verächtlichmachung hier im Deutschen Bundestag anzuhören. 

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner (AfD))

Deswegen: Lassen Sie uns als Demokraten bei allen Unterschieden gemeinsam arbeiten!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Martin Plum (CDU/CSU))

Franz Müntefering hat mal die berechtigte Frage gestellt: Wenn man länger als anderthalb Stunden über Bürokratieabbau spricht, ist es dann eigentlich Bürokratie? Über die Antwort ließe sich möglicherweise streiten. Statt das zu tun, hat die Bundesregierung sich auf den Weg gemacht und sich dem ernsthaften Abbau bürokratischer Hemmnisse und Barrieren gewidmet. Das hilft der Wirtschaft und macht das Leben einfacher.

Ein Teil dieser Antwort ist das Bürokratieentlastungsgesetz IV, das hier heute zur ersten Lesung vorliegt - über 100 Maßnahmen, insgesamt ein Entlastungsvolumen von über 1 Milliarde Euro. Eingeflossen sind in das Gesetz Vorschläge einer Vielzahl von Verbänden. Außerdem haben wir als Wirtschaftsministerium den Prozess genutzt, um uns alle Berichtspflichten im Haus anzuschauen und zu durchleuchten, und als Vertreter des Wirtschaftsministeriums sage ich sehr zufrieden: Unser Haus hat mit über 50 Maßnahmen die meisten Maßnahmen zum BEG IV beigesteuert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Philipp Hartewig (FDP))

Nun wissen wir aber auch: Es geht noch mehr. Deshalb freue ich mich auf die anstehenden parlamentarischen Beratungen, auf Ihre konkreten Ideen, damit das Paket noch größer wird.

Ich will an dieser Stelle aber auch schildern, wie mühsam und kleinteilig die Aufgabe Bürokratieabbau sein kann. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat 44 konkrete Maßnahmen zum Bürokratieabbau vorgelegt. Wir sind diese in einem eintägigen Workshop mit dem ZDH und allen betroffenen Ressorts einzeln durchgegangen. Danke an die beteiligten Ressorts! Wir setzen jetzt zwei Vorschläge im BEG IV um.

Jetzt können Sie fragen: Nur zwei? Was ist mit den anderen 42? Es zeigt sich: Viele Vorschläge lassen sich nicht mit der Änderung eines einzelnen Paragrafen umsetzen. Die Problemlagen sind vielschichtig: Vielleicht braucht es eine europäische Lösung, oder das Thema kann nur durch die Bundesländer adressiert werden. Wir setzten diese zwei Vorschläge jedenfalls um, und für die anderen 42 haben wir konkrete Prozesse vereinbart, wie die Arbeit weitergeht. Ich danke dem Zentralverband des Deutschen Handwerks ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe dieses Beispiel gewählt, um zu zeigen, wie kompliziert Bürokratieabbau ist. Wir müssen uns den modernen Sisyphos als jemanden vorstellen, der nicht Steine, sondern Paragrafen den Berg hochrollt. Deshalb: Wir würden einen großen Fehler machen, wenn wir den Bürokratieabbau auf die BEGs beschränken. Wir müssen vielmehr komplexe Prozesse im Ganzen anschauen.

Als Bundesregierung haben wir übrigens bereits Beschleunigungspakete für den Wasserstoffhochlauf, den Ausbau der erneuerbaren Energien, die Genehmigung von Industrieanlagen und die Beschleunigung bei Straßen- und Schieneninfrastruktur auf den Weg gebracht. Oftmals sind die Probleme gar nicht in den Gesetzestexten, sondern in der Ausführung oder im föderalen Zusammenspiel.

Deshalb haben wir im BMWK das Instrument des Praxischecks entwickelt. Damit untersuchen wir ganze Regelungsgebiete im direkten Austausch mit der Praxis und der Verwaltung und schauen, wo die Hemmnisse liegen. Wir identifizieren diese und können sie dann beseitigen.

Es freut mich sehr, dass diese Herangehensweise immer mehr Nachahmer in der Bundesregierung und auch in den Ländern findet. Erst vor wenigen Wochen hat unser Haus einen Workshop in der Stadt Hamburg zum Thema Schwerlasttransporte durchgeführt, davor zur Frage „Wind an Land“ mit dem Land Baden-Württemberg. Die Ergebnisse zum Praxischeck Solar sind in der Zwischenzeit größtenteils umgesetzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sebastian Roloff (SPD) und Philipp Hartewig (FDP))

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat einen Praxischeck zum Lebensmittelhandwerk angekündigt; weitere werden folgen. Das braucht Zeit und gute Nerven, aber es zeigt: Wir kommen mit der neuen Herangehensweise beim Bürokratieabbau voran. Es geht über die einzelnen Paragrafen hinaus. Es geht um das Zusammenspiel zwischen Praxis und Verwaltung, über alle Ebenen.

Wenn wir Dinge regeln, müssen sie nachvollziehbar, erfüllbar und auf der Höhe der Digitalisierung sein. Darum muss es gehen. Wir brauchen gute Regeln in diesem Land. Das BEG ist ein Baustein bei einer der zentralen Aufgaben unserer Zeit, unser Land schneller und eindeutiger zu machen, Regeln zu haben, die klar und verständlich sind.

Lassen Sie es uns gemeinsam im Parlament noch besser machen! Wir als Wirtschaftsministerium werden noch eine Reform zum Vergaberecht vorschlagen. Ich hatte gestern erst ein Gespräch mit dem Startup-Verband, der sich über 150 Notarpflichten für Unternehmen, gerade in der Gründungsphase, beschwert. Ich würde mich freuen, wenn wir auch da vorankommen könnten und zumindest einige von ihnen abschaffen könnten. Lassen Sie uns daran arbeiten!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb, um den Kreis zu schließen: Gut, dass diese Debatte nur eine Stunde und acht Minuten dauert. Franz Müntefering fände sie vermutlich immer noch zu lang. Lassen Sie uns die gesparte Zeit nutzen und im Konkreten herausfinden, welche Regeln wir verbessern oder abschaffen können! Das hilft der Wirtschaft und den Menschen im Land. Packen wir es an!

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Martin Plum.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Martin Plum (CDU/CSU): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den ersten Reden erscheint es mir angebracht, die Kennzahlen einzuordnen, die hier immer herumschwirren.

Bei der Bürokratiebelastung müssen wir zweierlei unterscheiden: den Erfüllungsaufwand und die Bürokratiekosten. Der Erfüllungsaufwand umfasst alle Kosten für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung durch bundesrechtliche Regelungen. Wie hoch er insgesamt ist, wissen wir nicht. Die Statistik sagt uns lediglich, dass er seit 2011 um 27 Milliarden Euro angestiegen ist. 16 Milliarden Euro, also 60 Prozent dieses Anstiegs, entfallen allein auf die letzten zwei Jahre.

Die Bürokratiekosten umfassen dagegen nur die Kosten, die Unternehmen durch Informationspflichten haben. Bei ihnen kennen wir den Gesamtwert: Er betrug zuletzt 65 Milliarden Euro im Jahr. Dieser für die Unternehmen entscheidende Betrag wird durch das Bürokratieentlastungsgesetz um gerade mal rund 300 Millionen Euro gesenkt und damit um weniger als ein halbes Prozent.

Auch wenn wir auf das schauen, was Sie, Herr Minister Buschmann, gerne vollmundig als „Meseberger Entlastungspaket“ verkaufen, kommt nicht wirklich viel heraus. Es senkt die Bürokratiekosten für Unternehmen um gerade mal rund 3,5 Prozent, weit weniger als erforderlich. Ich bezeichne es daher auch lieber als „Meseberger Entlastungspäckchen“; denn dann steht wenigstens drauf, was an Bürokratieabbau drinsteckt: viel zu wenig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Doch was bringt die ganze Rechnerei, wenn die Ampel dann Ende März heimlich, still und leise an einem frühen Freitagabend einen Referentenentwurf vorlegt, mit dem sie Unternehmen künftig zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet?

(Dr. Lukas Köhler (FDP): Neue Richtlinie!)

Dadurch werden die Unternehmen mit neuen Bürokratiekosten in Höhe von 1,4 Milliarden Euro pro Jahr belastet. Das übersteigt das Entlastungsvolumen des Bürokratieentlastungsgesetzes um rund das Fünffache.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! - Dr. Lukas Köhler (FDP): Woher kommt denn diese Richtlinie? Wer hat sich denn diese Richtlinie ausgedacht?)

Von Bürokratieabbau also keine Spur! Natürlich weiß ich, dass Sie damit eine europäische Richtlinie umsetzen.

(Zurufe von der FDP: Ah!)

Aber wer hat diesem Bürokratiemonster in Brüssel denn zugestimmt? Diese Bundesregierung und damit auch Sie, Herr Minister Buschmann, der sich doch sonst so gerne als Beschützer der deutschen Wirtschaft geriert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesen allgemeinen Befund reihen sich dann auch die konkreten Einzelmaßnahmen im Bürokratieentlastungsgesetz ein. So soll erstens die Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege im Handels- und Steuerrecht von zehn auf acht Jahre verkürzt werden. Das ist gut, aber wenig ambitioniert. Man muss sich daher auch fragen, Herr Minister Buschmann, in welcher Welt Sie eigentlich leben, wenn Sie dazu allen Ernstes sagen: „Berge von Papier könnten so aus den Lagern deutscher Unternehmen verschwinden und Platz für neue Ideen schaffen.“ Weite Teile der deutschen Unternehmer lagern ihre Belege schon heute nicht als Papier, sondern digital. Die wirkliche Bürokratie ist doch nicht das Lagern, sondern das Sammeln, Sortieren und Ablegen der Belege. Hier ändern Sie gar nichts. Hier schaffen Sie deshalb auch keinen Platz für neue Ideen. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens soll die Hotelmeldepflicht abgeschafft werden, allerdings nur für deutsche Staatsangehörige; sie müssen künftig keinen Hotelmeldeschein mehr ausfüllen. Dafür muss bei allen Gästen künftig geklärt werden, ob sie Deutsche oder Ausländer sind. Ausländische Gäste dürfen weiter Hotelmeldescheine ausfüllen.

(Dr. Lukas Köhler (FDP): Wer ist noch mal Kommissionspräsidentin?)

Auch für viele deutsche Gäste ändert sich rein gar nichts. Denn überall dort, wo Bettensteuern oder Kurtaxen erhoben werden, müssen auch sie weiter Daten angeben. Das alles ist mehr ein großes Kuddelmuddel als ein echter Befreiungsschlag.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Drittens - das haben wir heute wieder gehört - sollen Arbeitsverträge künftig vollständig digital abgeschlossen werden können. Das hätten Sie mit uns hier schon vor zwei Jahren haben können. Da haben wir das beantragt, und Sie haben es abgelehnt. Und wichtig ist der Zusatz „in den meisten Fällen“. Denn anders als wir sagen Sie nicht Ja zu digitalen Arbeitsverträgen für alle. Weite Teile der deutschen Wirtschaft, etwa das Hotel- und Gaststättengewerbe, das Speditions- und Transportgewerbe, die Forstwirtschaft oder der Messebau, sollen nach Ihren Vorstellungen auch künftig Arbeitsverträge auf Papier abschließen. In Summe verweigern Sie jedem fünften Beschäftigten in Deutschland digitale Arbeitsverträge. Herr Minister Buschmann, ich frage Sie: Warum dieses pauschale Misstrauen gegenüber Hoteliers, Gast- und Forstwirten, Messebauern, Spediteuren, Logistikern und vielen anderen redlichen Unternehmern? Warum weiter Papierarbeitsverträge für 8,5 Millionen Beschäftigte? Warum keine digitalen Arbeitsverträge für alle?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Fazit: Das Bürokratieentlastungsgesetz ist mehr Schein als Sein. So befreit man Bürger nicht von leidiger Bürokratie. So schafft man keine neuen Freiräume für Unternehmen. So bringt man Deutschland nicht voran. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die FDP-Fraktion Dr. Thorsten Lieb. 

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Thorsten Lieb (FDP): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Buschmann! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle in diesem Raum kennen bestimmt das Gefühl, völlig erschlagen zu sein. Manche im Haus haben vielleicht den Frühjahrsputz schon hinter sich. Man hat sich vorgenommen, auszumisten, endlich Ordnung zu schaffen, unnötigen Kram, von dem man seit Jahren nicht mehr weiß, warum man ihn überhaupt mal angeschafft hat, endlich zu entsorgen. Aller Anfang ist schwer. Manches bleibt auf der Strecke liegen. Aber wenn man es umsetzt und konsequent zu Ende führt, ist das Ergebnis beachtlich: Dinge sind schneller und einfacher aufzufinden. Es spart Zeit, Geld und vor allem Energie.

Die Analogien zum Bürokratieabbau liegen auf der Hand. Alle reden darüber, insbesondere sonntags. Manches ist angefangen, vieles ist versucht worden, aber viel zu wenig ist am Ende wirklich dabei herausgekommen. Es ist höchste Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sich das ändert. Deswegen legen wir heute diesen Entwurf vor. 

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Entscheidend ist der neue Ansatz, der hier gewählt worden ist. Wir haben die Verbände abgefragt, diejenigen also, die unmittelbar von Bürokratie betroffen sind. Aber damit sind wir natürlich noch nicht am Ende. Denn die Bekämpfung der Bürokratiehydra - und das ist es ja im wahrsten Sinne des Wortes: man baut ab, und gleich ist sie wieder da - ist und bleibt eine Daueraufgabe der Politik.

Wo stehen wir heute? Die Zahl ist schon mal genannt worden: 65 Milliarden Euro Bürokratiekosten gibt es derzeit. Jetzt muss ich die Kollegen von der Union mal ein bisschen informieren, weil der Hintergrund dieser Zahl anscheinend nicht richtig verstanden worden ist. Es ist ja die Rede davon, man habe bis 2011 unglaublich viel an Bürokratie abgebaut. Danke für das Lob! 2011 war die FDP mit an der Bundesregierung beteiligt. Dieser Beitrag war wichtig und erforderlich.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie sich jetzt aber die drei Bürokratieentlastungsgesetze - 2015, 2017, 2020 - auf die Fahne schreiben wollen, sich hierhinstellen und sagen, Sie hätten damit maßgeblich zum Bürokratieabbau beigetragen, dann gucken wir doch mal genau hin, was der Normenkontrollrat in seinem Jahresbericht schreibt: Die 65 Milliarden Euro Bürokratiekosten - das ist nämlich die Wahrheit - standen da schon vor zehn Jahren drin. Lesen Sie den Jahresbericht 2021 durch! 

(Dr. Martin Plum (CDU/CSU): Richtig lesen, bitte!)

Sie erzählen hier was von Bürokratieabbau, aber Ihre eigene Regierungsbilanz zwischen 2011 und 2021 zeigt doch: Bürokratieabbau genau null Euro; es ist bei 65 Milliarden Euro geblieben. Das müssen wir mit diesem Gesetz ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen. 

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Thema ist bekanntlich nicht neu. Man kann weit in die Geschichte zurückschauen. Aber ein Zitat fand ich besonders spannend. Der österreichische Kabarettist Karl Farkas hat mal formuliert: „Zum Abbau der Bürokratie fehlen uns einfach die nötigen Beamten.“ Ich glaube, das macht sehr deutlich, welche Notwendigkeiten wir hier haben. Wir müssen das Thema Bürokratie grundlegend neu denken.

Wenn wir auf die Steuerschätzung von gestern gucken, wird ja noch mal deutlich, wie wichtig es ist, dieses Thema anzugehen. Wir müssen die Bürokratie in diesem Land endlich abbauen. Bürokratieabbau ist ein Konjunkturprogramm zum Nulltarif, und das ist gestern noch mal klar geworden. Deswegen packen wir das jetzt an, liebe Kolleginnen und Kollegen. Machen wir die Bürokratiewende zum Teil der Wirtschaftswende, und vertrauen wir endlich mehr den Menschen und Unternehmen in diesem Land!

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen. Es ist Zeit, mit dem Reden aufzuhören und mit echtem Bürokratieabbau anzufangen. Ich freue mich auch auf Ihre konkreten Vorschläge. 

Vielen Dank. 

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion Enrico Komning. 

(Beifall bei der AfD - Stephan Brandner (AfD): Guter Mann! Einer der besten!)

Enrico Komning (AfD): 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Staatssekretär Kellner zitiert Franz Müntefering. Die FDP zitiert einen österreichischen Kabarettisten. Mir sei es mit Erlaubnis des Präsidiums gestattet, den von mir viel geschätzten Otto von Bismarck aus dem Jahre 1891 zu zitieren. Er sagte: „Die Bürokratie ist es, an der wir alle kranken.“ 

(Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Damals gab es die AfD noch nicht!)

Deutschland, meine Damen und Herren, liegt im Jahr 2024 im bürokratischen Koma, und diese Bundesregierung ist dafür verantwortlich.

(Beifall bei der AfD)

Kern heutigen Regierungshandelns ist: kontrollieren, auskundschaften, vorschreiben, verbieten und bei Ungehorsam gängeln. Und genau deshalb kranken Handwerk und Wirtschaft, genau deshalb wandern immer mehr Unternehmen ins Ausland ab, wandern immer mehr Fachkräfte ins Ausland ab, oder sie geben eben ganz auf. Liebe Kollegen, wir brauchen weniger Staat und mehr Freiheit.

(Beifall bei der AfD)

Steuerdschungel, Berichts- und Dokumentationspflichten, Statistikpflichten, gar nicht zu reden von den unsäglichen Gesetzen wie dem Heizungsgesetz oder dem Lieferkettengesetz, Ihrem ganzen religiös-ökologischen Firlefanz - und alles, was der Bundesregierung einfällt, ist die Verkürzung von Aufbewahrungspflichten für Belege von zehn auf acht Jahre. Dieses Bürokratieentlastungsgesetz verhöhnt Unternehmer und Arbeitnehmer. Es ist ein 190 Seiten langer Witz, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Mehr als ein Drittel der wöchentlichen Arbeitszeit eines Gastwirts geht heute für Bürokratie drauf. Ich frage mich: Wie sollen die denn den ganzen Wust an Datenschutzregeln, Kassenbonpflichten etc., etc. stemmen? Fast ein Jahr wabert dieser Gesetzentwurf nun durch die Hallen der Bundesregierung. Fast alle Vorschläge von den Unternehmensverbänden - mein Kollege Brandner hat darauf hingewiesen - wurden pfleglich ignoriert. Was kommt nun raus? Laut Gesetzentwurf werden die Bürger an Erfüllungsaufwand um insgesamt gerade einmal 3,7 Millionen Euro pro Jahr entlastet, die Wirtschaft lediglich um 944 Millionen Euro. Das ist eine Ohrfeige für Bürger und Unternehmen.

(Beifall bei der AfD)

Ich sage Ihnen auch, warum. Dr. Plum hat bereits auf den Erfüllungsaufwand hingewiesen. Wenn ich mir das anschaue: Allein das Gebäudeenergiegesetz bedeutet einen einmaligen Erfüllungsaufwand von 127 Millionen Euro für die Bürger und 12,5 Milliarden Euro für die Unternehmen, gar nicht zu reden von den zusätzlichen Aufwendungen in Höhe von etlichen Milliarden. 

Nein, links-grüne Politik und Entbürokratisierung passen nicht zusammen; denn das würde mehr Freiheit bedeuten, und Freiheit scheuen Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wie der Teufel das Weihwasser. 

(Beifall bei der AfD)

Ich mache Ihnen einen Vorschlag - das ist ein Vorschlag an alle vernunftbegabten Kräfte in diesem Haus -: 

(Stephan Brandner (AfD): Vorschläge sind immer gut!)

Machen wir einfach die Ampelpolitik der letzten zweieinhalb Jahre rückgängig! Das wäre rechtsstaatlich, wirtschaftlich und gesellschaftlich ein Riesenfortschritt für Deutschland. 

(Stephan Brandner (AfD): Klasse Vorschlag!)

Vielen Dank. 

(Beifall bei der AfD - Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schmeißen wir die AfD aus dem Parlament! Das ist ein großer Fortschritt!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächste hat das Wort für die SPD-Fraktion Sonja Eichwede. 

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sonja Eichwede (SPD): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Sehr geehrter Herr Minister Buschmann! Das Leben der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land leichter zu machen, das ist unsere Aufgabe. Das nehmen wir uns vor, und das tun wir mit vielen Gesetzen und vielen Initiativen hier im Haus. 

Was haben nun Bürokratieabbau und Bürokratie hiermit zu tun? Was ist eigentlich Bürokratie? Schauen wir in die Rechtstheorie, redet man von Schreibstubenherrschaft. Schauen wir in die Praxis, sprechen wir mit den vielen Unternehmerinnen und Unternehmern, mit den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Wahlkreis, ist die Rede von Burnout, von Ballast, von Belastungen. Das sind ganz viele Begriffe, die zeigen, dass Bürokratie häufig mit dem Gedanken einhergeht, dass man einander nicht genug vertraut, dass es mehr ist als Paragrafen, als Anträge, als Verwaltung, sondern tatsächlich ein Gefühl aus sehr vielen einzelnen Erfahrungen. Unsere Aufgabe in unserem Land, in unserem Rechtsstaat ist es auch, einander zu vertrauen. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir mit diesem Gesetz die Bürokratieentlastung angehen. 

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau deshalb haben wir viele Abfragen gemacht mit der Wirtschaft, mit der Verwaltung. Das Ganze wurde strukturiert angegangen, viele wurden angesprochen. Die Vorschläge, die sich jetzt im Gesetzentwurf finden, kamen aus der Fläche, von den Verbänden und aus der Wirtschaft. Das ist eine Win-win-Situation; denn auf der einen Seite haben wir die Einbindung von Zivilgesellschaft und Unternehmen, und auf der anderen Seite haben wir einen großen Monitoringbericht der Bundesregierung, wo detailliert eingesehen und transparent nachvollzogen werden kann, wie die einzelnen Vorschläge bewertet wurden. 

Was mir sehr wichtig ist, ist, dass wir beim Bürokratieabbau darauf achten, dass Doppelungen und unnötige Belastungen vermieden werden, dass es keine Überschneidungen gibt und dass Regelungen abstrakt-generell sind. Was aber nicht gemacht werden darf, ist, die Anzahl der Gesetze mit Bürokratie gleichzusetzen; schließlich brauchen wir auch ein Gesetz zum Bürokratieabbau. Deshalb halte ich es auch nicht für richtig, Forderungen wie „One in, one out“ zu erheben oder, sehr verehrter Herr Krings, wie Sie gesagt haben: „One in, two out“. Wir sind doch dazu aufgerufen, seriöse Politik zu machen. Wir müssen stetig Regelungen überprüfen. Wir können auch vier Regelungen streichen und eine schaffen, wenn es geht, diese Regelungen zu streichen, weil sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen. Aber wir müssen vom Menschen her denken und dürfen hier keine mathematischen Gleichungen aufstellen; denn, wie ich eingangs sagte: Wir müssen das Leben der Menschen in unserem Land leichter machen. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Dabei steckt der Teufel sehr oft im Detail. Aufgabe von Rechtsetzung ist es, dass sie einfach ist, dass sie verständlich ist, dass sie abstrakt-generell ist. Wenn sie zu speziell wird, wenn man den Anspruch hat, jeden Einzelfall zu regeln, dann führt das oft zu Widersprüchen und dazu, dass man Einzelfälle nicht mehr regeln kann. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung diesen Prozess im parlamentarischen Verfahren angestoßen hat im Einvernehmen mit der Wirtschaft und nach Diskussionen mit der Wirtschaft, um hier besser zu werden. Ein gutes Beispiel - es wurde in der Debatte schon angesprochen - ist der Wegfall des Hotelmeldescheins. Da möchte ich unseren Tourismuspolitikern danken, die sich schon sehr lange dafür eingesetzt haben, wodurch Wirtschaft, Hotelbetriebe und eben auch die Gäste entlastet werden. 

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sehr wichtig ist ein weiterer Aspekt. Wenn immer wieder von Regelungen, von Regulierungen, von Bürokratie, von Belastungen gesprochen wird, dürfen wir nicht vergessen, dass das häufig auch ausgenutzt wird, um notwendige Schutzregelungen auszuhöhlen. Das wird mit uns nicht möglich sein. Gerade wir als SPD-Fraktion schauen sehr genau darauf, dass Regelungen, die wichtig sind, gerade für den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aufrechterhalten bleiben; denn diese dienen ja dazu, das Leben der Menschen in unserem Land leichter zu machen und sie zu schützen. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch das bedeutet Regeln und Rechtsstaat. 

Einen Satz möchte ich noch zur Verwaltung sagen. Es wurde oft gesagt: Die Bürger kommen in der Verwaltung mit dem Staat in Berührung. Die Verwaltung ächzt unter zu vielen Regeln. Die Bürger sehen das auch. Hier müssen wir schauen, welche Regelungen überflüssig sind. Hier müssen wir auch besser werden im Bereich EDV - Stichwort „Systembrüche“ -, gerade auch hinsichtlich der Digitalisierung. Dieses Thema zeigt doch, dass Bürokratieentlastung mehr ist als nur dieses eine Gesetz. Deswegen machen wir auch im Bereich „Digitalisierung und Entlastung“ sehr viel für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Wir freuen uns auf die parlamentarischen Beratungen. Packen wir es an! 

Vielen Dank. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächste hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Ingrid Nestle. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns alle einig: Wir brauchen Bürokratieentlastung. Denn so gut die Gründe waren, die bei der Einführung jeder einzelnen Regel angeführt worden sind - über die Jahre ist zu viel zusammengekommen, und in der Summe sind die Regeln in der Praxis oft nicht mehr umsetzbar. Wir sind uns alle einig; deswegen ist die große Frage: Wie kann Bürokratieentlastung funktionieren? Ich muss sagen: Die Ansätze in den letzten Legislaturperioden haben schlichtweg gar nicht funktioniert. Da ist dieser markige „One in, one out“-Ansatz oder - Herr Krings, Sie haben es gerade erwähnt - das Bürokratiekostenmessprogramm. Oder war es doch eher ein Bürokratieerzeugungsprogramm? 

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Das Standardkosten-modell! Weltweit gelobt!)

Das hat nicht zu Bürokratieentlastung geführt. Sonst würden auch Sie heute nicht hier stehen und den Stapel an Bürokratie beklagen. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Sonja Eichwede (SPD) - Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Schauen Sie sich doch mal an, was da gemacht worden ist!)

Die Erfahrung hat gezeigt: Mit dem Holzhammer geht Bürokratieabbau nicht. Wer sich nicht die Mühe macht, zu unterscheiden zwischen wirklich wichtigen Regeln und verzichtbaren Regeln, der wird sich nicht nur gegen die wirklich wichtigen Regeln stellen, nein, er wird auch beim Bürokratieabbau scheitern, weil er natürlich völlig zu Recht einen Sturm des Widerstandes entfesselt, wenn er versucht, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Er wird starten wie der brüllende Tiger und landen wie der Bettvorleger. Der Holzhammer ist kein Erfolgsmodell für Bürokratieabbau. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Dabei geht Bürokratieabbau. Das haben wir im Energiebereich von Anfang an gezeigt. Wir haben weniger mit großen, markigen Forderungen agiert, aber wir haben Bürokratieabbau gemacht. Wir haben den Ausbau der Erneuerbaren schon ganz entscheidend beschleunigt, den Ausbau der Netze sogar noch mehr - durch Bürokratieabbau. 

Das reicht uns noch nicht. Deswegen freue ich mich so sehr, dass das BMWK mit Minister Habeck den Praxischeck entwickelt hat, 

(Zuruf des Abg. Dr. Martin Plum (CDU/CSU))

der von den Unternehmen und den Menschen ausgeht. Ich möchte Ihnen das am Beispiel „Solar“ darstellen. Am Anfang standen Gespräche mit Energieberatern, Handel, Mittelstand, Verbänden, Kirchen, Bürgern, und entwickelt wurden 57 konkrete Vorschläge aus der Praxis. Man hat festgestellt: 41 können in Gesetzen und Verordnungen umgesetzt werden. 35 befinden sich bereits in Umsetzung oder sind schon umgesetzt, ein ganz großer Teil davon im Solarpaket, das letzte Sitzungswoche den Bundestag passiert hat. Wir haben einmal mehr gezeigt: Bürokratieabbau ist möglich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Aber auch das reicht uns nicht. Deshalb diskutieren wir heute über das Bürokratieentlastungsgesetz, das ganz viele Politikfelder anspricht, auch den Energiebereich. Hier ist zum Beispiel die oberflächennahe Geothermie zu nennen, deren Einsatz entscheidend dadurch entlastet wird, dass sie künftig nicht mehr unter das Bergrecht fällt. Die Berichtspflichten - sie wurden schon erwähnt - sind durchforstet worden. Ich kann Ihnen versichern, dass wir aus der Ampel auch schon vor der heutigen ersten Lesung begonnen haben, weitere Punkte zu identifizieren, und dass wir in den kommenden Wochen mit voller Kraft daran arbeiten werden, noch mehr gute Entlastungsmaßnahmen in dieses Gesetz einzubringen. 

Lassen Sie mich zusammenfassen. Mit einem feinen Instrumentarium die Punkte identifizieren, an denen man wirklich entlasten kann, mit langem Atem, aber vor allem im engen Dialog mit Unternehmen und Bürgern - das ist unser Erfolgsrezept, und damit werden wir als Ampel in den nächsten Wochen gemeinsam an diesem sehr wichtigen Gesetzentwurf arbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Volker Ullrich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): 

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tageszeitung „Die Welt“ hat gestern getitelt: „Europa wächst wieder - nur Deutschland fällt immer weiter zurück“. Das ist die Einschätzung unseres Wirtschaftswachstums: Schlusslicht unter allen G-7-Staaten, innerhalb der Europäischen Union auf einem der letzten Plätze. Wirtschaftswachstum schafft aber Arbeit und sorgt dafür, dass wir unseren Sozialstaat finanzieren können, ja, mehr noch, dass das Wohlstands- und Aufstiegsversprechen in unserem Land eingelöst werden kann. Wenn wir ein immer geringeres Wirtschaftswachstum haben, dann wird all das nicht mehr in diesem Umfang gewährleistet. Und ich kann Ihnen für unsere Fraktion sagen: Wir sind nicht bereit, das zu akzeptieren. Wir brauchen wieder Impulse für wirtschaftliche Stärke in unserem Land. 

Wenn Sie die Menschen fragen, um was es geht, nennen sie drei Punkte: Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials, Kostenstruktur und Energiepreise, aber vor allen Dingen auch das Thema Bürokratie. Wenn Sie sich mit Handwerksbetrieben, Unternehmen und Mittelständlern in den Wahlkreisen unterhalten, dann sagen die: Schafft uns die Belastungen durch Bürokratie vom Hals! Lasst uns arbeiten, lasst uns wirtschaften! - Wenn man sich dieses Gesetz ansieht, muss man feststellen, dass es leider hinter dem zurückbleibt, was die Menschen in unserem Land vom Bürokratieabbau erwarten, meine Damen und Herren. 

Mit dem Artikelgesetz, das Sie vorgelegt haben, wird einiges angeschoben, was im Kleinen sicherlich einzelne Verbesserungen bringen kann. Aber das entspricht doch nicht den Erwartungen. Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel: Sie werden im Umsatzsteuergesetz den Schwellenwert für die monatliche Pflicht zur Umsatzsteuervoranmeldung von 7 500 Euro auf 9 000 Euro an jährlichem Umsatz erhöhen. Das ist gut, weil weniger monatliche Umsatzsteueranmeldungen weniger Bürokratieaufwand bedeuten. Wissen Sie aber, aus welchem Jahr die Zahl 7 500 Euro stammt? Aus dem Jahr 2009. Warum nehmen Sie eine Erhöhung des Schwellenwerts für die Umsatzsteuervoranmeldung vor, die hinter der Inflationsrate zurückbleibt? Warum sind Sie nicht bereit, hier einen wesentlich größeren Schritt zu tun und die Unternehmen an dieser Stelle stärker zu entlasten? Warum nicht 10 000 Euro oder 12 000 Euro? Das wäre ein echter Schritt, gerade für kleine Mittelständler. Aber dazu fehlt Ihnen die Kraft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen in unserem Land auch darüber reden, wie wir mit diesem Thema insgesamt umgehen. Aus vielen guten Gründen sind Dokumentationspflichten und Vorschriften entstanden; sie sind entstanden, um Risiken zu minimieren. Aber vielleicht brauchen wir in unserem Land auch die Überzeugung, dass es nicht allein darum gehen kann, Risiken um jeden Preis zu minimieren, sondern dass wir den Menschen auch wieder mehr Verantwortung und mehr Eigenständigkeit zutrauen sollten, dass sich Behörden und Unternehmen zutrauen, selbst zu entscheiden, und dass wir aus diesem Grund Dokumentationspflichten, Aufzeichnungspflichten und Bürokratiekosten insgesamt reduzieren könnten. Das wäre der wesentlich bessere Ansatz, als kleinteilig in einem Artikelgesetz um nur 900 Millionen Euro zu entlasten. Die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft in unserem Land erwarten mehr von Ihnen - wir auch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die SPD-Fraktion Esra Limbacher.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Esra Limbacher (SPD): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorhin hat die AfD über die Entlastung der Justiz gesprochen. Und in der Tat: Die Justiz in Deutschland ist momentan sehr belastet. Aber die Wahrheit ist auch: Einen erheblichen Anteil zu dieser Belastung - das haben wir in den letzten Tagen gesehen - tragen Sie von der AfD bei. Sie belasten die Justiz mit Ihren kriminellen Machenschaften. Das erleben wir in diesen Tagen leider viel zu oft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP - Stephan Brandner (AfD): Sagen Sie mal was zu Nordrhein-Westfalen und dem Korruptionsskandal, in dem die SPD steckt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unnötige Bürokratie in unserem Land kostet Zeit und Geld. Sie stellt jeden Tag normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor hohe Hürden im Alltag und bremst unsere Wirtschaft. Jeder weiß das, jeder beklagt das, und jeder mit oder ohne politische Verantwortung sagt: Da muss sich endlich was ändern. - Man müsste mal, man könnte mal, man sollte mal. Mit dem Bürokratieentlastungsgesetz machen wir aus „man könnte mal“ ein „Wir machen es“. 

(Kay Gottschalk (AfD): Wir schaffen das!)

Das geht nicht mehr so weiter. Wir schaffen es, das Ruder rumzureißen. 

(Enrico Komning (AfD): Sie schaffen es! Genau!)

Darum geht es bei diesem Gesetz. 

Überbordende Bürokratie entspricht oft der Geisteshaltung, alles in jeder Möglichkeit und jeder Situation absichern und regulieren zu wollen. Bei uns ist Bürokratie bereits so stark vertreten, dass Deutschland wahrscheinlich das einzige Land ist, in dem selbst in Gefängnissen Fluchtpläne aufgehangen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Heiterkeit und Beifall des Abg. Dr. Thorsten Lieb (FDP))

Man weiß ja nie, sicher ist sicher. - Bei „Gefängnis“ sollten Sie aufpassen, Herr Kollege. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Enrico Komning (AfD): Wen meinen Sie? Mich? Immer schön vorsichtig, Herr Kollege!)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Geisteshaltung, immer alles absichern und regulieren zu wollen, ist ja genau das Problem. Es gibt keine absolute Sicherheit. Wenn der Staat und die Unternehmen nur noch Risikominimierung betreiben, übersehen wir Chancen. Was wir brauchen, ist mehr Vertrauen in die menschliche Vernunft. Das Bürokratieentlastungsgesetz IV ist ein erster großer Schritt in die richtige Richtung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir als Koalition haben den Anspruch, es nicht dabei zu belassen. Wir wollen dieses Gesetz im parlamentarischen Verfahren besser machen, 

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Schlechter geht ja nicht mehr!)

wir wollen es stärker machen, wir wollen in dieser Legislatur weitergehende Regelungen treffen und bei der Bürokratieentlastung nach vielen Jahren stärkerer Belastung den großen Wurf wagen. Dafür braucht es viel mehr; einiges ist schon auf dem Weg. Deswegen ist es auch richtig, dass wir jetzt für ein gesellschaftliches Bündnis aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und Politik zum Bürokratieabbau werben und dieses ermöglichen. Es sind eben nicht nur die theoretischen Erwägungen beim Bürokratieabbau entscheidend, sondern die ganz konkreten Erfahrungen der Menschen vor Ort. Deswegen ist der Vorschlag von Lars Klingbeil richtig - ich unterstütze ihn ausdrücklich -, einen der nächsten Bürgerräte zur Reduzierung des Bürokratieballasts einzusetzen.

(Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Bürgerräte braucht man nicht! Das ist Quatsch! - Dr. Martin Plum (CDU/CSU): Wer nicht mehr weiterweiß, gründet einen Arbeitskreis!)

Wir sollten die Erfahrungen der Menschen in unserem Land einbeziehen und nicht über sie reden, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern immer versuchen, mit ihnen mehr zu erreichen. 

Gerade hier und heute ist es, glaube ich, wichtig zu sagen, warum die SPD das Thema Bürokratieabbau so vorantreibt, warum uns das so wichtig ist. Es geht eben nicht um die Profitmaximierung großer Konzerne, es geht eben nicht um die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten, es geht erst recht nicht um Sozialabbau. Es geht darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Leben der Menschen in unserem Land einfacher zu machen, aber auch den unternehmerischen Alltag, insbesondere für mittelständische Betriebe, unkomplizierter werden zu lassen. Darum geht es, und dieses Ziel verfolgt die SPD beim Bürokratieabbau.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Thorsten Lieb (FDP))

Das wird auch bei den jetzt beginnenden parlamentarischen Beratungen des Bürokratieentlastungsgesetzes IV die entscheidende Rolle spielen. Nehmen wir das Beispiel der - nennen wir sie - „Familie Musterfrau“. Ein Elternteil arbeitet in einem Unternehmen, angestellt, das andere Elternteil gründet eine Firma und ist selbstständig - mehrere Kinder, ein Eigenheim, mehrere Autos. Unser Ziel als SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag ist, am Ende der Beratungen dieses Bürokratieentlastungsgesetzes einer solchen Familie sagen zu können: Wir haben etwas für euch rausgeholt; wir entlasten euch an vielen Punkten in eurem Alltag ganz konkret von Bürokratie - nicht auf dem Papier, nicht in der Theorie, sondern im echten Leben. 

Darum geht es uns als SPD-Fraktion, und dafür werden wir in den nächsten Wochen beraten. Ich freue mich jedenfalls auf die beginnenden Beratungen mit meinen geschätzten Kollegen in der Koalition. 

Herzlichen Dank und Glück auf!

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die Gruppe Die Linke Sören Pellmann. 

(Beifall bei der Linken)

Sören Pellmann (Die Linke): 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bürokratieabbau ist seit Jahren in aller Munde und ein Dauerversprechen aller Bundesregierungen; aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Seit 2011 haben sich die Bürokratiekosten kaum verändert und liegen jährlich bei 65 Milliarden Euro. Die Bürgerinnen und Bürger sind zu Recht genervt. Von 580 Behördendienstleistungen können Bürgerinnen und Bürger bundesweit nur 81 komplett online in Anspruch nehmen. 

(Zuruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke))

Im internationalen Vergleich befindet sich Deutschland auf Rang 21, also auf einem der hintersten Plätze. 

Nun liegt das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz vor, vollmundig als „Konjunkturpaket zum Nulltarif“ angepriesen. Doch dieses Gesetz ist ein Wohlfühlgesetz, welches niemandem wehtut. 

(Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gesetze sollen nicht wehtun, sondern guttun!)

Es senkt keine Kosten und ändert keine Strukturen. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bürokratie ist nicht per se schlecht. Sie ermöglicht Leistung und Effizienz; sie ist notwendig und funktional, um einen Rechtsstaat zu gewährleisten, Gleichbehandlung zu ermöglichen und vor politischer Willkür zu schützen. 

(Beifall bei der Linken)

Doch es gibt leider viel zu oft den realen Bürokratieirrsinn. Wenn Sie zum Beispiel ein Wohnhaus mit Kita und Büro bauen möchten, dann sollten Sie besser auf Treppen verzichten und es ebenerdig bauen; denn leider widersprechen sich hier die Vorgaben von Treppenhandlaufhöhen und Geländerstäbeabständen in unlösbarer Weise. 

Es gibt unglaubliche 3 500 Baunormen und knapp 20 000 Bauvorschriften. Von der Planung bis zur Inbetriebnahme eines einzigen Windrades dauert es circa fünf bis sieben Jahre, zehn Jahre vom Bauantrag bis zum Baubeginn bei Mietshäusern. Sie werden mir beipflichten: So kann man weder die furchtbare Wohnungsnot beseitigen noch die Klimakatastrophe abwenden. 

(Beifall bei der Linken)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus gibt es Bereiche, in denen Bürokratie nur als Gängelung empfunden werden kann. Das betrifft den kompletten Bereich des Sozialrechts. Wer in diesem Land auf Sozialleistungen angewiesen ist, der ist in Vollzeit damit beschäftigt. Und damit meine ich nicht alleine die Anträge auf Sozialleistungen. Ein Beispiel: Eltern schwerbehinderter Kinder müssen jedes Jahr aufs Neue nachweisen, dass sie auf ein Auto und damit auf einen Sonderparkausweis angewiesen sind. Das ist echter Bürokratiewahnsinn, dem Einhalt geboten werden muss. 

(Beifall bei der Linken sowie der Abg. Katja Mast (SPD))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zumindest Teilen dieser Koalition geht es aber überhaupt nicht um solche Dinge; für die ist Bürokratieabbau ein Vorwand dafür, ihre eigene Klientelpolitik zu betreiben. 

Die FDP beispielsweise hat sich auf die Lieferkettenrichtlinie der Europäischen Union eingeschossen. 

(Dr. Thorsten Lieb (FDP): Zu Recht!)

Diese Richtlinie soll sicherstellen, dass bei der Produktion von Importwaren menschen- und umweltrechtliche Standards eingehalten werden. Das muss durchgesetzt werden. 

(Christoph Meyer (FDP): Nee! Das muss verhindert werden!)

Das muss nachgewiesen werden, und dafür brauchen wir eine gut funktionierende Bürokratie. 

Die Frage ist am Ende wie immer: Wem nutzt es?

(Christoph Meyer (FDP): Ja! - Zuruf des Abg. Dr. Thorsten Lieb (FDP))

Das wird für uns auch ganz klar der Maßstab für die weiteren Beratungen sein - letzter Satz, Frau Präsidentin. Auf dass es in unserem Land eines Tages auch mehrstöckige Wohnhäuser mit Kitas und Büros geben kann. 

Vielen Dank. 

(Beifall bei der Linken)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Stefan Schmidt. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bürokratie zu schaffen, ist immer leichter, als Bürokratie abzubauen - eine wahre, wenn auch eine bittere Binsenweisheit. Trotzdem ist es uns in der Koalition gelungen, den Bürokratieabbau weiter voranzubringen. 

Über viele Punkte freue ich mich, aber über einen als Tourismuspolitiker ganz besonders: Endlich schaffen wir den Hotelmeldeschein für deutsche Gäste und damit für 80 Prozent aller Hotelgäste in Deutschland ab. Damit entlasten wir unsere Hotels massiv. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Der Hotelmeldeschein ist ein Paradebeispiel für verstaubte und überflüssige Bürokratie. Verstaubt als Relikt aus der NS-Zeit nicht nur im übertragenen Sinn, sondern auch wortwörtlich: Allein 2023 haben unsere Hotels mehr als 148 Millionen Gästeankünfte von deutschen Gästen verzeichnet. Diese vielen Millionen Meldescheine - alle händisch unterschrieben und aus Papier - verstauben für ein ganzes Jahr in irgendwelchen Aktenordnern und Schubladen. In Zukunft fallen sie weg. Das bedeutet eine massive Bürokratieentlastung für unsere klein- und mittelständisch geprägte Hotelwirtschaft; das bedeutet für die Gäste Entspannung und Erholung schon beim Einchecken. 

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Überflüssig ist der Meldeschein, weil er seinen eigentlichen Zweck nicht erfüllt; der liegt nämlich in der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung. Aber wie groß ist der tatsächliche Nutzen? Allenfalls marginal. 

(Beifall der Abg. Susanne Menge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Fälle, bei denen der Hotelmeldeschein dabei geholfen hat, Straftaten aufzudecken, kann ich an einer Hand abzählen. Wir brauchen den Hotelmeldeschein nicht, und das will ich auch klar in Richtung des Bundesrates betonen, auch wenn er heute hier nicht sehr präsent ist.

(Beifall des Abg. Philipp Hartewig (FDP))

Jetzt kann man einwenden, manche Kommunen nutzen die Gästedaten der Meldescheine auch für Tourismusabgaben, für Kurbeiträge, für Gästekarten. Das stimmt. Deswegen werde ich mich im parlamentarischen Verfahren dafür einsetzen, dass wir diesen Kommunen ausreichend Zeit geben, damit sie sich neu aufstellen können. Aber auch für weitere Vorschläge sind wir natürlich aufgeschlossen. 

Und klar, wir hätten uns gewünscht, den Hotelmeldeschein auch für ausländische Gäste abzuschaffen. Das EU-Recht erlaubt das bisher leider nicht. Deshalb ist es gut, dass wir die Experimentierklausel für die weitere Digitalisierung entfristen. Ich bin überzeugt: Die vollständige Digitalisierung ist nur eine Frage der Zeit. 

Wenn ich jetzt höre, wie die CDU/CSU gegen die Abschaffung des Meldescheins wettert, kann ich nur sagen: Bürokratieabbau mit scheinheiligen Argumenten wie der vermeintlichen Diskriminierung verhindern zu wollen, wollen Sie doch nicht wirklich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Daniel Rinkert (SPD))

Herr Dr. Ullrich, Herr Dr. Krings, Herr Dr. Plum, Frau Karliczek, ich verstehe, dass es wehtut, dass wir schaffen, was Sie Jahre und Jahrzehnte nicht auf die Reihe gekriegt haben. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber lassen Sie uns, statt den Erfolg kleinzureden, ihn lieber gemeinsam vergrößern!

Vielen Dank. 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Klaus-Peter Willsch. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): 

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen! Liebe Zuschauer hier im Saal und an den Bildschirmen! Lieber Herr Minister Buschmann, es war ja schön, mit anzuhören, wie Sie gesagt haben, dass Bürokratieabbau Querschnittsaufgabe ist. Ich habe dazwischengerufen - Sie sind nicht darauf eingegangen; darum gebe ich Ihnen noch mal die Gelegenheit dazu. - : Deshalb war er ja früher beim Kanzleramt angesiedelt. Und da war er richtig aufgehoben, weil er eine Querschnittsaufgabe ist und von der Zentrale der Regierung aus gesteuert werden muss.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun sehe ich Ihnen das nach. Sie haben halt genommen, was noch auf dem Grabbeltisch lag, und so den Bürokratieabbau gekriegt, nachdem die Aufgaben verteilt waren und das Kanzleramt so aufgeblasen wurde, dass dort für die Normenkontrollratsleute kein Platz mehr war. Sie hätten aber mal ein bisschen schneller anfangen können zu laufen. Zweieinhalb Jahre mit dem Gesetzentwurf zu warten, 

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

finde ich schon ein bisschen unehrgeizig, um das mal so zu formulieren, angesichts all dessen, was hier an Dringlichkeit usw. in den Vordergrund gestellt wurde. 

Jetzt hat sich bei den Redebeiträgen erstaunlicherweise - weil zwei bei der SPD gesprochen haben, die das letzte Mal noch nicht dabei waren - gezeigt, dass sich bei der SPD keine grundlegende Veränderung ergeben hat. Wir haben ja gemeinsam mit der SPD versucht, Bürokratie abzubauen. Es waren mühsame Gespräche, kann ich Ihnen sagen, 

(Christoph Meyer (FDP): Nicht genug Schwerpunkte offensichtlich!)

wegen des verqueren Unternehmerbilds, das die Sozis haben. Sie denken, Menschen würden nur Unternehmen gründen, um Steuern zu hinterziehen und Mitarbeiter auszubeuten oder zu entrechten. 

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Leif-Erik Holm (AfD) - Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Solche Leute kenne ich gar nicht bei mir im Wahlkreis. Aber das ist sowohl bei Ihnen, Frau Eichwede, als auch bei dir, Esra Limbacher, durchgeschienen.

Wer sich die Wirklichkeit am Arbeitsmarkt - Stichwort „Fachkräftemangel“ - mal anschaut, der weiß, dass diese Zeiten lange vorbei sind, wenn es sie denn überhaupt mal gab.

(Zuruf der Abg. Sonja Eichwede (SPD))

Wir haben heute als Arbeitsmarkt einen Arbeitnehmermarkt und keinen Arbeitgebermarkt mehr. Sie können sich aussuchen, wo Sie hinwollen. Wenn es den Leuten nicht mehr gefällt, sagen sie: Tschüss, Chef, ich gehe zum anderen; der sucht auch gute Leute. - Da müssen Sie also einfach mal an sich arbeiten 

(Sonja Eichwede (SPD): Sie müssen zuhören!)

und dieses Narrativ beenden.

Ich habe Lutz Goebel diese Woche auch getroffen, Herr Minister. Nun mag es auch an der unterschiedlichen Erwartungshaltung liegen, dass Sie für sich positive Teile heraushören und ich höre, dass man das nicht für ehrgeizig genug findet. Vielleicht muss man das einfach mal wieder zusammen machen, um ein gemeinsames Bild zu kriegen. Aber Tatsache ist eben, dass hier viel Luft nach oben ist und dass es wirklich nicht besonders ehrgeizig ist, was Sie hier vorgelegt haben.

Es ist so, dass Bürokratieabbau ein wirklich kostenfreies Konjunkturpaket darstellt,

(Stephan Brandner (AfD): Das habe ich auch gesagt! Dann scheint es ja zu stimmen!)

wenn er richtig gemacht wird. Das brauchen wir in Deutschland. Leider haben Sie das hiermit nicht vorgelegt.

Wir werden weiter hartnäckig für Bürger- und Unternehmerinteressen eintreten, damit dieses Kujonieren durch öffentliche Verwaltungen weniger wird bzw. aufhört. 

Sie müssen sich ja eigentlich nur unseren Antrag vom April letzten Jahres anschauen. Da waren wir schon weiter, als Sie es jetzt sind. Darin sind 22 sehr konkrete Entlastungsvorschläge enthalten, zum Beispiel die Erweiterung von „One in, one out“ zu „One in, two out“.

(Dr. Thorsten Lieb (FDP): Das ist doch nicht konkret! Das ist das Gegenteil von konkret!)

Das ist natürlich wichtig, weil wir doch die Erfahrung gemacht haben in der ganzen Zeit, dass wir - -

(Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch nichts Konkretes!)

- Nein, nein, Sie müssen an die Strukturen rangehen. Wenn Sie den Einzelnen fragen, ob seine Vorschrift notwendig ist, dann findet er Tausend Begründungen dafür. 

(Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Man muss sich schon den Umfang anschauen!)

Sie müssen die Verwaltung beim Abbau von Verwaltung zum Mitarbeiten bringen, und das geht, indem Sie Regeln wie „One in, one out“ zu „One in, two out“ weiterentwickeln.

(Zuruf des Abg. Dr. Günter Krings (CDU/CSU))

Ich sage: Erledigen Sie Ihre Aufgabe! Ich gestehe Ihnen zu, dass es schwer ist. Die SPD hat das Bild vom Unternehmer, wie ich es eben gesagt habe. Die Grünen halten sowieso alle Leute für unmündig und wollen sie alle zum guten veganen menschlichen Menschen und was weiß ich was erziehen. 

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben wir die ganze Zeit drüber geredet heute Morgen!)

Und die FDP hat immer Probleme mit dem Datenschutz.

Aber wir arbeiten mit. Das haben wir bei der Novelle des Unternehmensbasisdatenregistergesetzes gezeigt. Da haben wir Ihnen eine Rechtsverordnungsermächtigung reingeschrieben, damit wir die anderen vergessenen Gesetze damit auch noch erledigen können. 

Wir sind immer bereit, hier über kluge Vorschläge zu reden und daran mitzuarbeiten, weil wir Erfahrung haben und weil wir, im Gegensatz zu Ihnen, wissen, wie es geht. 

(Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na ja! Na ja! Und dann wollen Sie mitarbeiten? Ja, klar!)

Aber trotzdem hoffen wir, dass Sie ein bisschen was vorwärtsbringen.

Danke schön. 

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Gegenteil haben Sie gezeigt!)

Präsidentin Bärbel Bas:

Als Nächste hat das Wort für die SPD-Fraktion Dr. Zanda Martens. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Zanda Martens (SPD): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Wie viele leerstehende Ladenlokale haben Sie beim letzten Spaziergang durch die Innenstadt gezählt? Wie oft ist es Ihnen passiert, dass der geliebte kleine Laden in der Innenstadt plötzlich verschwunden war und dort stattdessen eine große Kette eingezogen ist? Tote oder wenig einladende Innenstädte sind mehr als nur ein versagender Wirtschaftsfaktor, sie zeigen fehlende Lebensqualität. 

Gerade der stationäre Einzelhandel sorgt gemeinsam mit Cafés, kleinen Nachbarschaftstreffs und sozialen Einrichtungen für lebendige Innenstädte - Lebendigkeit, die wir nicht missen möchten. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Deswegen haben Sie die Umsatzsteuer in der Gastronomie wieder erhöht!)

Die Entwicklung geht jedoch in die andere Richtung: Unser Konsumverhalten hat sich dramatisch verändert. Wir kaufen immer öfter online ein und machen es uns zu Hause bequem.

Parallel sind die Gewerbemieten jedoch explodiert und können, außer vielleicht noch von den großen Ketten, von keinem mehr erwirtschaftet und bezahlt werden. Das stellt kleine Betriebe vor gewaltige Herausforderungen. Deshalb brauchen wir einen klaren, einheitlichen und sozialen Rahmen für das Gewerbemietrecht - ein soziales Gewerbemietrecht. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Insbesondere in der jetzigen Situation angespannter Mietmärkte brauchen wir spezielle mietrechtliche Schutzmaßnahmen auch für schutzbedürftige und -würdige Gewerbebetreibende; denn die Mietenkrise beschränkt sich nicht nur auf den Wohnbereich. 

Neben den hohen Mieten ist auch eine Vorschrift aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch verantwortlich für den Austausch von Kleingewerbe durch große Ketten. Das extrem strenge Schriftformerfordernis für Gewerbemietverträge plagt insbesondere kleinere Gewerbetreibende und schadet unserem Wirtschaftsstandort. Derzeit muss nämlich nicht nur der ursprüngliche Mietvertrag in Schriftform abgeschlossen sein, also mit Originalunterschriften, sondern auch jede noch so kleine, aber vertragswesentliche spätere Änderung. Darunter fallen selbst kleinste Vereinbarungen zu Umbaumaßnahmen, da solche ja den Vertragsgegenstand betreffen. Wer als Gewerbetreibender also eine Steckdose verlegen möchte, darf dies korrekterweise nicht per SMS oder Anruf mit seinem Vermieter klären, sondern beide müssen dafür eine zusätzliche Vereinbarung unterschreiben. 

Ein Schriftformmangel liegt auch dann vor, wenn eine Anlage zum Vertrag - etwa der Bauplan, in dem vermietete Räume und der Keller eingezeichnet sind - mit einer Büroklammer angeheftet wird. Notwendig ist eine feste körperliche Verbindung, etwa durch Tackern. Man kann darüber lachen, aber diese Fälle zeigen: Wir müssen dringend etwas tun; denn das ist nicht mehr zeitgemäß und stellt viele Betriebe vor unrealistische Anforderungen. 

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Konsequenzen, wenn man eine solche Vereinbarung doch per SMS oder Anruf trifft, sind verheerend und den allermeisten Gewerbebetreibenden gar nicht bewusst: Ein für eine bestimmte Zeit abgeschlossener Mietvertrag, der eigentlich bis zum Ende der Vertragslaufzeit nicht kündbar ist, wird zum unbefristeten Mietvertrag, der plötzlich mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden darf. - Mittlerweile werden deshalb reihenweise Anwälte beauftragt, um eben solche Schriftformmängel zu suchen und zu finden, damit die Vermieter sich aus bestehenden billigen Verträgen lösen oder Neuverhandlungen - dann natürlich über die Frage der Miethöhe - erzwingen können. 

An dieser Stelle kommt das Bürokratieentlastungsgesetz ins Spiel, das sich genau dieser Thematik annehmen möchte. Die im Gesetzentwurf gewählte Lösung, die Schriftform pauschal und für alle durch einfache Textform zu ersetzen, ist vielleicht die einfachste, jedoch nicht unbedingt die beste. Dass Verträge in Schriftform geschlossen werden müssen, hat schon seine Berechtigung; denn schließlich erfüllt die Schriftform immer auch eine wichtige Warnfunktion und ermöglicht insbesondere einem Erwerber einen direkten Überblick über bestehende Vereinbarungen. Die Entwicklung zeigt jedoch, dass das Schriftformerfordernis heute in erster Linie für vorzeitige Kündigungen unliebsamer Verträge missbraucht wird und den Gepflogenheiten in einer digitalen Welt nicht entspricht. 

Wir werden die Zeit nutzen, die das Bürokratieentlastungsgesetz hier im Bundestag verbringen wird, und nach einer Lösung suchen, die rechtssicher und zeitgemäß ist, damit sich künftig keiner mehr um die Zukunft seines Geschäfts sorgen muss, wenn er im Jahr 2024 kleine Verabredungen mit seinem Vermieter per SMS trifft. 

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 20/11306 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe keine anderen Überweisungsvorschläge. Dann ist das so beschlossen. 

Ich rufe auf den Zusatzpunkt 13:

 

ZP 13

 

Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU

Den politischen Islam als Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie jetzt wirksam bekämpfen

Drucksache 20/11393 

 

 

 

Überweisungsvorschlag:

Ausschuss für Inneres und Heimat (f)

Auswärtiger Ausschuss

Rechtsausschuss

Finanzausschuss

Ausschuss für Arbeit und Soziales

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Ausschuss für Digitales

Haushaltsausschuss

 

 

Für die Aussprache wurde eine Dauer von 68 Minuten vereinbart. - Ich sehe, die Platzwechsel haben überwiegend stattgefunden. 

Ich eröffne damit die Aussprache, und zuerst hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Throm.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Alexander Throm (CDU/CSU): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im 75. Jahr des Grundgesetzes ist unsere freiheitliche Demokratie vielen Anfeindungen ausgesetzt, links- wie rechtsextremistisch. Aber auch die massive Ausbreitung des politischen Islam wird eine immer stärker anwachsende Gefahr für unseren Staat, unsere Sicherheit und die Art, wie wir leben und leben wollen. Deshalb muss die so vielbeschworene Wehrhaftigkeit der Demokratie sich hier auch beweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da gehen Tausende auf die Straße, fordern ein Kalifat, eine neue Ordnung unter Islam und Scharia, Tausende, die von unserem Wohlfahrtsstaat verwöhnt sind, die die Freiheiten unseres Grundgesetzes genießen, die sie anderswo nicht hätten - alles ordentlich nach Geschlechtern getrennt und mit Kind und Kegel. Und wo ist die Bundesinnenministerin? 

(Dorothee Martin (SPD): Krank!)

- Heute ja; aber die letzten Wochen war sie auf Tauchstation: 

(Dorothee Martin (SPD): Das stimmt nicht!)

kein von ihr so geliebter Aktionsplan, keine schnell einberufene Sonderinnenministerkonferenz und vor allem auch keine von ihr bevorzugte Pressekonferenz. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Faeser ist im Kampf gegen den Islamismus in den letzten zwei Jahren schlichtweg ein Totalausfall, liebe Kolleginnen und Kollegen. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Akteure des politischen Islam wollen die Kämpfe aus ihren Heimatländern nach Deutschland hineintragen. Das wird aber die deutsche Bevölkerung in ihrer Gesamtheit und in ihrer Vielfalt nicht hinnehmen. Derartige Bilder wie in Hamburg zerstören den gesellschaftlichen Frieden. Und ich will hinzufügen: Der Kampf gegen den Islamismus dient zugleich auch dem Kampf gegen die Ausbreitung von Rechtsextremismus. Deswegen ist es besonders fahrlässig, wenn Sie dies vernachlässigen, liebe Kolleginnen und Kollegen. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihr Nichtstun schadet auch den vielen bestens integrierten, liberalen und säkularen Muslimen, die Teil unserer Gesellschaft sind. Denn auch die müssen wir vor Verallgemeinerung und vor Generalverdacht schützen, liebe Kolleginnen und Kollegen. 

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Unsere Aufgabe ist es nun, das, was in 75 Jahren Grundgesetz erschaffen wurde, zu schützen. Da müssen wir auch Fragen neu stellen und beantworten: Wie weit muss unsere Toleranz bei der Meinungsfreiheit gehen? Wo setzen wir in heutiger Zeit Schranken? Muss ein freiheitlicher Staat derartige Demonstrationen, die zur Abschaffung fundamentaler Werte führen sollen, tatsächlich ertragen? 

Der Vizekanzler der Bundesregierung hat da offensichtlich eine klare Meinung, jedenfalls bei Markus Lanz: Das ist eine Demo - ich zitiere -, „die nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes steht“. - Ich weiß nur nicht, ob der Philosoph Habeck dabei gewusst hat, was dieser Satz zu Ende gedacht bedeutet, nämlich ein Verbot dieser Demonstrationen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hamburg war nur die Spitze des Eisbergs. Deutschsprachige Tiktok- Prediger haben Hunderttausende Follower, Millionen von Likes; das fällt auf fruchtbaren Boden bei der muslimischen Jugend - keine Gegenwehr, keine Gegenerzählung dieser Bundesregierung. Nein, der Integrationsbericht wird von Ihrer Integrationsbeauftragten sogar noch zum Antirassismusbericht umgeschrieben. Misstrauen, Rassismusvorwürfe gegen die Polizei: Sie machen genau das Gegenteil von dem, was notwendig ist. Sie stärken nämlich noch das Opfernarrativ dieser Szene, und das ist wirklich gefährlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen einen Aktionsplan Islamismus. Den haben wir Ihnen schon mehrfach vorgelegt, nicht erst heute. Es muss strafbar sein, wenn jemand zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufruft, insbesondere wenn es um einen islamistischen Gottesstaat geht. Und für Nichtdeutsche, die diesen Aufruf tätigen, muss dies zur Regelausweisung führen. Das heißt, ohne Wenn und Aber muss das Aufenthaltsrecht, egal welches Aufenthaltsrecht es ist, entzogen werden. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und wer dann Islamist ist, der kann auch in einen islamistischen Gottesstaat abgeschoben werden, etwa Iran oder Afghanistan.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz hat auf dem Parteitag gesagt, dass wir den Rechtsextremismus zu lange unterschätzt haben. Er hat aber auch darauf hingewiesen, dass wir denselben Fehler nun gegenüber dem politischen Islam nicht wiederholen dürfen. Recht hat er. Und ich füge hinzu - an die Innenministerin gerichtet, der ich gute Genesung wünsche -: Auch durch Nichtstun kann man seinen Amtseid verletzen, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. 

Herzlichen Dank. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die SPD-Fraktion Daniel Baldy. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Daniel Baldy (SPD): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte zu den islamistischen Demonstrationen der letzten Woche ist ja bereits die zweite Debatte, die wir zu diesem Thema in dieser Woche führen. Der Antrag der Union, der vorliegt - und das möchte ich mal ausdrücklich betonen -, macht aber wenigstens den Versuch, ernsthaft eine Grundlage für eine Debatte hier im Plenum zu liefern, während die AfD-Anträge, über die wir am Mittwoch diskutiert haben, an Scheinheiligkeit ja nicht zu überbieten waren. 

Ich möchte deshalb auch noch mal betonen: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Das gilt auch für Demokratiefeinde, und das zeigen auch die gemeinsamen Ziele, die die AfD und Islamisten teilen. Wir brauchen von den Demokratiefeinden von rechts jedenfalls keinerlei Tipps, wie wir mit den Demokratiefeinden aus dem islamistischen Spektrum umzugehen haben. 

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Liebe Unionsfraktion und lieber Herr Throm, lassen Sie mich mit zwei Feststellungen zu Ihrem Antrag starten, die wir wahrscheinlich beide teilen:

Die meisten Muslime - das haben Sie eben selber auch noch mal gesagt -, die in Deutschland leben, lehnen das, was da in Hamburg und in anderen Städten in den letzten Wochen passiert ist, genauso ab, wie sie und ich das tun, und vor allen Dingen sind sie froh, dass sie in einem Land leben, wo die Demokratie herrscht, dass sie also eben nicht in einem Kalifat leben. 

Der zweite Punkt, den wir, glaube ich, teilen, ist: Die Forderung nach einem Kalifat ist nichts, was wir als Demokratinnen und Demokraten einfach unwidersprochen so stehen lassen dürfen. Deshalb will ich im Namen der SPD-Fraktion noch mal festhalten: Wir werden uns dieser Forderung immer wieder entschieden entgegenstellen. 75 Jahre Grundgesetz sind doch kein Lippenbekenntnis, sondern das ist eben auch der Auftrag, immer wieder gegen Demokratiefeinde aufzustehen und sich ihnen entgegenzustellen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die erste Forderung in Ihrem Antrag ist ja die Strafbarkeit des Aufrufs zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Da kann ich nur einen Blick in die Urteile des Bundesverfassungsgerichts empfehlen. 2007 haben die Richterinnen und Richter festgestellt, dass - ich zitiere - „Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen ebenso erlaubt ist wie die Äußerung der Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern“. 

(Detlef Seif (CDU/CSU): Das ist etwas ganz anderes! Völliger Blödsinn!)

Diese Kritik an unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die da in Hamburg geäußert wird, muss uns nicht gefallen, und wir müssen ihr auch immer wieder widersprechen; aber wir dürfen sie eben leider nicht verbieten. Werteloyalität kann und darf nicht erzwungen werden; das sagt leider auch das Bundesverfassungsgericht. 

Und es überrascht mich schon, dass Sie plötzlich Robert Habeck, den Sie das ganze Jahr über hier durch den Kakao ziehen und dem Sie immer jegliche Kompetenz absprechen, zum Kronzeugen ernennen und sagen: Der hat mehr Kompetenz als das Bundesverfassungsgericht.

(Alexander Throm (CDU/CSU): Ich habe doch nur Fragen gestellt!)

Entscheiden Sie sich jetzt mal! Was wollen Sie eigentlich? Und vor allen Dingen: Akzeptieren Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts! 

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Detlef Seif (CDU/CSU): Das sagt was ganz anderes!)

Müssen wir die Aufrufe zur Kalifat-Errichtung deshalb tatenlos hinnehmen? Nein, ganz im Gegenteil! Das Gericht betont im Urteil auch die Möglichkeit, Beschränkungen für Versammlungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung vorzugeben, wie das auch bei der letzten Demo in Hamburg geschehen ist. Wir sind eben gerade nicht handlungsunfähig gegen solche Demonstrationen. Also tun Sie bitte nicht so und werfen uns vor allen Dingen nicht vor, wir würden aus so einer angeblich falsch verstandenen Toleranz diesen Schwachsinn von diesen Idioten auf unseren Straßen zulassen! 

(Dr. Bernd Baumann (AfD): Sie lassen es aber zu!)

Das hat nichts mit falsch verstandener Toleranz zu tun. Ganz im Gegenteil: Wir achten im Gegensatz zu diesem Antrag das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, liebe Unionsfraktion. 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Eine weitere Forderung von Ihnen ist der Entzug des Aufenthaltstitels für diejenigen, die zur Gründung eines Kalifats aufrufen. Auch hier gibt es bereits Regelungen und Rechtsprechungen. Der Fall Martin Sellner - der österreichische Hass- und Hausprediger der rechtsextremen Szene - zeigt doch, dass diese Regelungen von kommunalen Behörden auch angewandt werden. Es braucht für Ausweisungen oder den Entzug einer Aufenthaltsgenehmigung Ihren Antrag nicht, sondern es braucht Ausländerbehörden vor Ort, die geltende Regelungen anwenden, liebe Kolleginnen und Kollegen. 

Eines müsste Ihnen am Ende doch auch klar sein: Gegen diese Kalifat-Demos helfen keine Anträge wie dieser, die das Rad neu erfinden wollen oder die Forderungen aufstellen, von denen - seien wir doch mal ehrlich, Herr Throm; Sie sind Jurist - 

(Detlef Seif (CDU/CSU): Sie sind kein Jurist, und das merkt man!)

Sie doch wahrscheinlich auch selbst wissen, dass sie spätestens in Karlsruhe kassiert werden würden. 

(Alexander Throm (CDU/CSU): Wenn man etwas versucht, wird einem etwas gelingen! Sie wollen es nicht! Das ist eine billige Ausrede!)

Was hilft, das ist Präventionsarbeit, 

(Martin Hess (AfD): Ihre Prävention funktioniert doch nicht!)

das ist die Durchsetzung von Auflagen für Versammlungen - und ja, es sind auch Verbote der Vereine, die diesen Hass schüren. 

Daran arbeitet diese Koalition, daran arbeitet das Innenministerium, und daran werden wir auch weiterhin konsequent und vor allen Dingen in aller Sorgfalt arbeiten. 

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion Dr. Bernd Baumann. 

(Beifall bei der AfD)

Dr. Bernd Baumann (AfD): 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland verändert sich rasant. Der Islam breitet sich aus und leider auch der Islamismus. Abertausende fordern schon eine Kalifat-Herrschaft für Deutschland. Mittlerweile sitzen sogar in öffentlich-rechtlichen Rundfunkräten radikale Muslime, die den Gottesstaat rechtfertigen.

Gegen Islamismus bringt die CDU heute ein 14-Punkte-Papier ein. Die Richtung stimmt; denn es enthält Punkte, welche die AfD schon sieben Jahre lang im Bundestag fordert. Aber warum hat die CDU all die Jahre, in denen sie regierte, nichts - nichts! - von dem umgesetzt, was sie heute fordert - zum Schaden des Landes? Die CDU ist nicht die Lösung für Deutschland, wie sie heute wieder vortäuscht.

(Beifall bei der AfD)

Die CDU ist das eigentliche Problem. 

War die Union von Adenauer bis Kohl Schutz und Schirm gegen alle linken Spinnereien, begann sie danach, sich vor dem links-grünen Zeitgeist auf den Bauch zu werfen. Sie versprach den Bürgerlich-Konservativen zwar immer wieder eine Begrenzung der Einwanderung, öffnete dann aber Deutschlands Grenzen für alle Einwanderer dieser Erde.

(Anja Karliczek (CDU/CSU): Das ist gelogen!)

Das war die Erfüllung des links-grünen Urtraums schlechthin. Kohl und Strauß hätten so was „Landesverrat“ genannt. Und das war es auch, CDU!

(Beifall bei der AfD - Alexander Throm (CDU/CSU): Mit Landesverrat kennen Sie sich ja aus! - Zuruf der Abg. Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Hier vor mir sitzen immer noch die gleichen CDU-Abgeordneten, die das alles begeistert beklatscht haben, Herr Throm.

(Zuruf des Abg. Christoph de Vries (CDU/CSU))

Während die CDU hier im Bundestag wieder Anträge gegen Islamismus einbringt, macht sie zeitgleich in allen sieben Bundesländern, in denen sie selbst regiert, das Gegenteil. So verdammt sie hier heute die islamistischen Demos in Hamburg. Aber in Nordrhein-Westfalen, wo sie selber regiert mit den Grünen, lässt sie genau solche Kalifatsdemos zu. Schlimmer noch: Unter NRW-Regierungschef Wüst und Innenminister Reul dürfen in NRW sogar leibhaftige Taliban - die Jungs in Köln - öffentlich predigen.

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Völliger Schwachsinn!)

Die jetzige Migrationspolitik der CDU in allen Bundesländern unterscheidet sich in nichts von Rot-Grün - in gar nichts! Das ist die Wahrheit, liebe CDU.

(Beifall bei der AfD)

Die Union hat also in der vergangenen Bundesregierung - man muss es so sagen - die Bevölkerung betrogen. Sie tut es in der Gegenwart in allen sieben Bundesländern, Herr Merz, und sie wird es auch in Zukunft tun. Sollte sie an die Regierung kommen, will sie ja nur mit SPD und Grünen regieren, also mit genau den beiden Parteien, die eingeschworene Feinde gegen jede Änderung der Migrationspolitik sind. Mit denen werden Sie nichts von dem umsetzen - und das wissen Sie -, was Sie heute fordern.

Dabei gibt es doch längst breite Mehrheiten von Bürgerlich-Konservativen in Deutschland. Sofort ließen sich die Grenzen schließen. Sofort ließe sich die ganze verrückte Klimapolitik beenden. Sofort ließen sich Heizungsgesetz, Atomausstieg, Gender-Gaga, Industrieabwanderung stoppen

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In China können Sie das haben!)

und der ganze links-grüne Wahnsinn,

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In China gibt’s das umsonst, Herr Baumann!)

aber nicht mit SPD und Grünen. Aber nur mit denen wollen Sie ja koalieren. Also will die Union das, was sie heute fordert, nicht wirklich umsetzen -

(Zuruf der Abg. Dorothee Martin (SPD))

nicht gestern, nicht heute und auch nicht morgen. Die CDU will nur eins: an die Macht, um jeden Preis,

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die AfD nicht!)

und zwar auf dem leichtesten Wege: immer schön mitschwimmend im links-grünen Zeitgeist. 

(Beifall bei der AfD - Lachen der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht (FDP) - Thorsten Frei (CDU/CSU): Den gibt’s doch gar nimmer!)

Wer aber diesen ganzen Ungeist, der die Republik zerstört, wirklich aus diesem Land hinausfegen will, 

(Michael Sacher (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh, oh, oh!)

der kann nur AfD wählen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächste hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Lamya Kaddor.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ein bisschen fühle ich mich wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Ihr Antrag wiederholt Positionen, die wir heute das xte-Mal austauschen.

(Alexander Throm (CDU/CSU): Ja, weil Sie nichts tun! Haben wir doch gesagt!)

Sosehr ich Ihre guten Absichten auch teile, so irritiert mich doch das Resultat Ihres Antrags. Er zeigt Ihr schwieriges Verhältnis zu deutschen Musliminnen und Muslimen und riskiert weiter den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie machen den gleichen kommunikativen Fehler in der Ansprache der muslimischen Bevölkerung wie in Ihrem Grundsatzprogramm.

(Detlef Seif (CDU/CSU): Es geht um die Extremisten, nicht um die Muslime!)

- Dann lesen Sie mal Ihren Antrag!

(Detlef Seif (CDU/CSU): Es ist unanständig, wie Sie es vortragen!)

Sie knüpfen ihre Zugehörigkeit an Bedingungen, anders übrigens als bei Mitgliedern anderer Religionsgemeinschaften. Ihrem Antragstext nach ist die „kulturelle Vielfalt“ erst dann „ein Gewinn“ für die Gesellschaft, wenn sich Musliminnen und Muslime „friedlich“ und auf dem Boden des Grundgesetzes verhalten.

(Thorsten Frei (CDU/CSU): So ist es ja auch!)

Klingt erst mal schlüssig, Herr Frei.

(Thorsten Frei (CDU/CSU): Ja, natürlich!)

Was Sie aber nicht hören oder nicht hören wollen, ist das Vorurteil, das mitschwingt, nämlich dass alle Musliminnen und Muslime zunächst einmal unfriedlich seien und nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stünden.

(Alexander Throm (CDU/CSU): Quatsch! - Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Das stimmt überhaupt nicht! - Thorsten Frei (CDU/CSU): Was Sie hören! Sie hören etwas, was niemand sagt! - Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Unterstellungen!)

Vor allem repräsentiert das nicht die Realität. Mehr als 80 Prozent der Muslime in Deutschland halten die Demokratie für die beste Staatsform. Das entspricht den Zustimmungswerten innerhalb der deutschen Gesamtbevölkerung. 

(Dr. Bernd Baumann (AfD): Was sind das denn für Zahlen?)

Ihre schwierige Haltung zum Islam zeigt sich auch in der fast inflationären Nutzung des Begriffs „politischer Islam“ - heute auch schon wieder.

(Thorsten Frei (CDU/CSU): Ja, wir sagen, was ist! - Alexander Throm (CDU/CSU): Das ist ein Fachbegriff!)

Zunächst: Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Vertretung des politischen Christentums in Deutschland dieses Thema aufsetzt. 

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Thorsten Frei (CDU/CSU): Witzig! Echt witzig! - Christoph de Vries (CDU/CSU): Nichts verstanden!)

- Dass Sie das nicht verstehen, wundert mich jetzt nicht. - Wenn man die Debatten verfolgt, ist der Begriff zu einem Kunstbegriff für Islamhasser geworden.

(Thorsten Frei (CDU/CSU): Dümmer geht’s nimmer!)

Aufgrund seiner umstrittenen Definition stellt er eine „Projektionsfläche für Feindbilder und islamfeindliche Ängste“ dar und stellt Musliminnen und Muslime unter Generalverdacht.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Das ist das Problem der Grünen! Das ist genau das Problem der Grünen, genau das Problem, das Sie in Ihrer Partei haben!)

- Und das sage nicht ich, Herr Merz, sondern eine Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Ja, ja!)

Der Gipfel ist, dass Sie anscheinend selbst Schwierigkeiten haben, seine Bedeutung zu erfassen. 

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Es ist kein Wunder, dass man mit Ihnen nichts hinbekommt!)

- Hören Sie doch einfach zu! - Sie setzen ein Kalifat mit einem Terrorstaat gleich in Ihrem Antrag,

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Ist er das, oder ist er das nicht? - Zuruf des Abg. Christoph de Vries (CDU/CSU))

und gleichzeitig war es die von Ihnen geführte Landesregierung in Hessen, die 2013 die Ahmadiyya-Muslim-Jamaat-Gemeinde zur Körperschaft des öffentlichen Rechts erklärt hat - eine völlig auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Gemeinde, die einen Kalifen als geistliches Oberhaupt hat. Das haben Sie gemacht.

(Alexander Throm (CDU/CSU): Relativieren Sie jetzt die Forderung nach dem Kalifat? Das wäre nach unserem Antrag zukünftig strafbar!)

Genau dieses Halbwissen und diese Unstimmigkeiten sorgen dafür, dass ich manchmal echt an Ihren sicherheits- und religionspolitischen Kompetenzen zweifeln muss.

(Alexander Throm (CDU/CSU): Das ist doch unglaublich!)

Statt vom politischen Islam sollten wir, wie die Fachwelt, von „legalistischem Islamismus“ sprechen; denn genau darum geht es. 

(Thorsten Frei (CDU/CSU): Das ist doch Wortklauberei!)

- Bei Ihnen vielleicht. - Sie sehen, ich musste erst einmal einiges aufräumen mit Blick auf Ihren vorliegenden Antrag, bevor wir uns nun endlich, endlich über das eigentliche Problem austauschen können:

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Das ist genau das Problem, das die Grünen haben!)

die große Gefahr des Islamismus für uns alle.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Kein Wunder, dass man mit Ihnen nichts hinbekommt!)

Lassen wir uns davon nicht täuschen, dass Islamisten auf perfide Art und Weise versuchen, unsere Werte umzudrehen.

(Alexander Throm (CDU/CSU): Das ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten! Also wirklich wahr!)

Bei ihrer Demo in Hamburg sprachen sie von „Zensur“ und „Meinungsdiktatur“, weil es etwa untersagt war, zu Hass und Gewalt aufzurufen. Sie griffen das reale Problem der Islamfeindlichkeit auf, um es für ihre radikale Agenda zu instrumentalisieren - mit dem schlimmen Effekt, dass so das Narrativ der Islamhasser und Rechtspopulisten wie auch hier der AfD bedient wird, wonach Islamfeindlichkeit nur eine Erfindung von Islamisten sei. 

Wenn diese Demonstranten damit etwas bewirkt haben, dann das, nämlich das Leben von Musliminnen und Muslimen in diesem Land zu erschweren. Als Muslimin rufe ich diesen Menschen, die auf diese Demos gehen, durchaus entgegen: Wer in einem Kalifat leben will, der kann nach Afghanistan zu den Taliban,

(Beifall des Abg. Dr. Lars Castellucci (SPD))

der kann nach Syrien zum HTS, der darf meinetwegen auch gern in irgendeinen anderen Gottesstaat oder gar zum IS gehen. Aber hier ist kein Platz für irgendein Kalifat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die neue Generation von Islamisten weiß sehr gut auf der Klaviatur westlicher Ideen zu spielen. Was wir in Hamburg erlebt haben, ist ein gutes Beispiel für den legalistischen Islamismus. Man gibt vor, sich an die Gesetze des Landes zu halten, aber eben nur bis zur Machterlangung. Und dann wird der Staatsumbau im Sinne ihres fundamentalistischen Verständnisses der Scharia vorangetrieben. Bund und Länder müssen gegen die Strukturen mit rechtsstaatlichen Mitteln vorgehen, auch mit Verboten; daraus machen wir kein Geheimnis. Ein IZH oder „Muslim Interaktiv“ oder auch andere Plattformen sind eine echte Bedrohung für unser Land.

Um extremistische Haltungen zu bekämpfen, braucht es also das Durchgreifen der Behörden. Um sie aber auch aus den Köpfen zu kriegen, muss Prävention und Deradikalisierung her. Hierzu ist das Demokratiefördergesetz nötig; denn diese Arbeit gehört finanziell abgesichert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abg. Christoph de Vries (CDU/CSU))

Wer eine politische Ideologie bekämpfen will, muss auch die Geschichte erzählen, dass die große Mehrheit der Muslime ebenfalls vor dem Islamismus beschützt werden muss.

(Alexander Throm (CDU/CSU): Habe ich gesagt! Habe ich gesagt!)

Und das passiert bei Ihnen kaum. Ich möchte einmal aus dieser unsäglichen Rede eines dieser Prediger aus Hamburg zitieren. Dann merken Sie vielleicht, worum es eigentlich geht. Ich zitiere - es sind ausdrücklich nicht meine Worte -: 

„Und genau deswegen wollen wir sowohl den Politikern als auch den Medienschaffenden dieses Landes in Erinnerung rufen, wofür wir hier eigentlich stehen. Seit Jahren versucht ihr, die Muslime zu spalten, indem ihr sie in fiktive Schubladen steckt und anfangt, sie zu kategorisieren. Salafisten, radikale Islamisten, politische, fundamentalistische, ja sogar legalistische Islamisten sind nur einige Begriffe, die ihr uns seit Jahren an die Köpfe geworfen habt. Aber, meine lieben Geschwister, es muss doch nun mittlerweile jedem bewusst geworden sein, wen sie tatsächlich mit diesen sogenannten Islamisten meinen:“

- Achtung! - 

„Sie meinen damit jene Muslime, die fünfmal am Tag beten, die im Monat Ramadan fasten, die auf Alkohol und Schweinefleisch verzichten, die das Unrecht aufdecken und zum Guten aufrufen und vor allem die Allah und seine Gesandten in ihrem Leben kompromisslos an allererste Stelle setzen.“

Genau darum geht es. Und genau das sprechen Sie nicht an. Sie sind eine Gefahr für Muslime.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Alexander Throm (CDU/CSU): Und Sie verbreiten das jetzt vom Plenum aus! Glückwunsch! - Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich warne vor den Gefahren! - Gegenruf des Abg. Detlef Seif (CDU/CSU): Sie spalten! - Friedrich Merz (CDU/CSU): Das ist genau das Problem, das wir mit dieser Fraktion haben! - Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sehen die Gefahren nicht! - Gegenruf des Abg. Friedrich Merz (CDU/CSU): Machen Sie nur so weiter! Halten Sie weiter solche Reden! - Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben nicht mal das Problem erkannt! Sie verstehen nicht mal das Problem! - Sebastian Hartmann (SPD): Was macht die Schleuserbande? - Gegenruf des Abg. Alexander Throm (CDU/CSU): Selbst unter Ihrem Niveau, Herr Hartmann! Selbst unter Ihrem Niveau!)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächste hat das Wort für die FDP-Fraktion Sandra Bubendorfer-Licht.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dorothee Martin (SPD))

Sandra Bubendorfer-Licht (FDP): 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diesen Antrag hat die CDU/CSU-Fraktion mit heißer Nadel gestrickt. Er wirkt, als ginge es weniger um nachhaltige Lösungen für Deutschland als um schnellen Applaus vor der Europawahl. Von dem, was Sie hier fordern, ist nicht alles falsch. Nur muss ich Sie daran erinnern, dass wir vieles davon längst tun und für etliches die Länder zuständig sind.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen Islamisten nach geltendem Recht abschieben. Da sind wir sofort dabei. Aber warum machen Sie das denn nicht in den Ländern, in denen Sie die Innenminister stellen? Ihren Antrag sollte sich doch der Herr Reul in NRW, der Herr Strobl in Baden-Württemberg oder der Herr Herrmann in Bayern hinter den Spiegel stecken. Haben Sie mit den Herren überhaupt schon mal gesprochen? Das wäre nämlich der Moment, in dem Ihr Antrag auf den Asphalt der Realität trifft und hart aufschlägt.

Sie wollen Islamisten mit doppelter Staatsbürgerschaft die deutsche Staatsangehörigkeit entziehen. Gut gebrüllt, aber mit der Verfassung nicht so leicht vereinbar, wie Sie hier mit schlankem Fuß ganz einfach behaupten.

(Dorothee Martin (SPD): Hört! Hört!)

Hinzu kommt: Es handelt sich bei den Betroffenen meist nicht um Menschen, die erst seit 2015 bei uns in Deutschland leben, sondern um junge Erwachsene, die bei uns aufgewachsen sind.

Natürlich, wir müssen dem Islamismus hierzulande mit allen Mitteln des Rechtsstaats die Stirn bieten. Wer mit Nachdruck einen Kalifat-Staat zu errichten trachtet, gehört bestraft, abgeschoben, inhaftiert, was auch immer der Rechtsrahmen hergibt. Aber wir dürfen das Kindlein nicht mit dem Bade ausschütten. So wehrhaft dieser Rechtsstaat ist: Er bleibt ein Rechtsstaat, und dazu gehört das Recht auf freie Meinungsäußerung.

(Beifall bei der FDP - Detlef Seif (CDU/CSU): Aber nicht von Extremisten!)

Nicht jeder einzelne Satz oder jede einzelne Demonstration, die das Ziel hat, unserer Demokratie Schaden zuzufügen, rechtfertigt ein Verbot, und nicht alles, was sich gegen die Verfassung richtet, verstößt gegen die Verfassung. Auch deshalb sind wir ein freies Land. 

(Dorothee Martin (SPD): Ja!)

Hier müssen wir künftig genau abwägen; das weiß auch die Union. 

Sosehr in der öffentlichen Debatte die radikalen Hetzer mit ihren Kalifat-Forderungen dominieren, so wenig dürfen wir den Fehler machen, diese extremistische Minderheit mit der großen Mehrheit freiheitsliebender Muslime hier in unserem Land in einen Topf zu werfen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Denn genau damit täten wir den Extremisten den allergrößten Gefallen. Wer Muslim oder Muslimin ist und sich an die Gesetze hält, dem und der sollten wir nicht mit einem Mehr an Diskriminierung begegnen. Wir müssen stattdessen den radikalen Hetzern ihren ideologischen Nährboden entziehen. 

Wir müssen vor allem junge Muslime von unserer offenen, wunderbaren Gesellschaft genau dort überzeugen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie denn?)

wo die radikalen Hetzer ihnen auflauern: auf den Schulhöfen, im Internet. Da brauchen wir mehr eigene Angebote und Gegennarrative. Die müssen wir für den Unterricht, für das Internet, für Social Media erarbeiten, vielleicht mit der Bundeszentrale für politische Bildung, in jedem Fall gemeinsam mit der muslimischen Community. Genauso müssen wir darauf hinwirken, dass autokratische Regime im Ausland weniger Einfluss auf Religionsgemeinschaften in Deutschland haben. Es ist nicht völlig abwegig, dabei an die türkische Regierung oder den Iran zu denken.

Ich persönlich wäre auch offen dafür, den Expertenkreis Politischer Islamismus im Bundesinnenministerium neu zu etablieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber er darf sich nicht in Definitionsfragen verlieren, sondern er muss konkrete - die Betonung liegt auf „konkrete“ - Empfehlungen für Maßnahmen erarbeiten, mit denen wir den Extremismus wirksam bekämpfen können. Deshalb gehören in diesen Expertenkreis Muslime, die Zugang zu muslimischen Lebensrealitäten haben, die erleben, wie islamistische Akteure in der Community agieren.

Wenn wir dies alles geschafft haben, wenn uns dies alles gelingt, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann wird auch die Opposition im Deutschen Bundestag wieder bessere Anträge schreiben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Christoph de Vries.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Christoph de Vries (CDU/CSU): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der politische Islam und der Islamismus sind eine ernsthafte Bedrohung für unsere freiheitliche Demokratie, für unsere offene Gesellschaft. Wir haben in den letzten Wochen gesehen: Diese Bedrohung ist enorm, und sie wird immer größer. Frau Kaddor, das muss ich Ihnen schon sagen: In so einer Zeit die Forderung nach einem Kalifat in Deutschland so zu verharmlosen, ist der Sache nicht angemessen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Bernd Baumann (AfD) - Dorothee Martin (SPD): Hat sie nicht gemacht! Das hat sie nicht gemacht!)

Gut, dass Robert Habeck und Ihr Parteivorsitzender an der Stelle anderer Meinung sind als Sie.

Unsere heutige Botschaft an die Innenministerin und an Sie als Kollegen der Ampel ist ganz einfach: Nehmen Sie diese Gefahr endlich ernst! Schauen Sie nicht länger weg! Hören Sie auf mit den ständigen Empörungsritualen, die am Ende ohne jede Konsequenz bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist auch Sinn unseres Antrags: Jetzt sind Taten statt Worte gefragt. Wir brauchen einen parteiübergreifenden Schulterschluss, um den Vormarsch dieser Islamisten zu stoppen und unsere offene Gesellschaft zu schützen. 

Lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen: Wir achten das religiöse Bekenntnis eines jeden in unserem Land, und wir schützen es auch. Aber eine Ausprägung des Islam, der unsere Werte nicht teilt und der unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Lars Castellucci (SPD): Generalverdacht!)

Wenn ich mir die Entwicklung auf der Straße der letzten Monate anschaue, dann sage ich Ihnen: Es war richtig und gut, dass wir als CDU diese klare Positionierung in unserem Grundsatzprogramm vorgenommen haben. Es wäre noch besser, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie das in Ihren Parteiprogrammen auch tun würden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle (fraktionslos))

Denn es ist ja so: Wir haben es nicht nur mit ein paar verirrten radikalen Muslimen zu tun. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sprechen eine deutliche Sprache. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen kommt zum Ergebnis, dass zwei Drittel der befragten muslimischen Schüler die Regeln des Koran wichtiger finden als unsere Gesetze, und die Hälfte hält einen islamischen Gottesstaat für die beste Staatsform. Diese Woche hat ein Exzellenzcluster der Uni Münster sein Forschungsergebnis veröffentlicht, dass jeder zweite islamische Religionslehrer das Existenzrecht Israels nicht anerkennt.

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist denn die Lösung bei diesen Menschen? Was schlagen Sie vor? Dann sagen Sie mal!)

Und jeder vierte Studienteilnehmer wurde als fundamentalistisch eingestuft. Schließlich hat Innenminister Herbert Reul diese Woche bei der Vorstellung des „Lagebilds Islamismus“ gesagt: „Der Islamismus ist weiter auf dem Vormarsch.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Ergebnisse sind doch alarmierend. Sie zeigen auch, wie tief die Spuren sind, die der politische Islam in Deutschland schon hinterlassen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle (fraktionslos))

Kein Kind, kein Jugendlicher kommt von allein auf solche Gedanken. Das ist das Ergebnis systematischer Indoktrination in radikalen Moscheen, in den Koranschulen, aber auch immer mehr in den sozialen Netzwerken über islamistische Influencer, die unsere Kinder und Jugendlichen mit diesem radikalen, illiberalen Gedankengut verseuchen.

Frau Faeser hat vor der letzten Demonstration von „Muslim Interaktiv“ in Deutschland richtigerweise angekündigt, sie prüfe, gegen Äußerungen zur Gründung eines Kalifats vorgehen zu wollen. Ich sage ausdrücklich: Gut so! - Aber ich möchte Sie auch fragen: Wo sind denn die Ergebnisse dieser Prüfung? Warum gibt es vonseiten der Bundesregierung keinen Maßnahmenplan, keinen Aktionsplan gegen Islamismus in Deutschland, so wie wir das richtigerweise auch beim Rechtsextremismus machen?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Warum bleiben öffentliche Forderungen nach Errichtung eines Kalifats mit Schariarecht folgenlos, obwohl die Innenministerin schon im letzten Jahr nach der Demo in Essen gesagt hat, dass so etwas nicht toleriert werde? Ich muss das leider wie der Kollege Throm in aller Deutlichkeit sagen: Bei der Bekämpfung des Islamismus ist diese Innenministerin einfach ein Totalausfall, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich war in Hamburg, wo 1 100 Demonstranten von „Muslim Interaktiv“ das Kalifat gefordert haben, das sei die Lösung. Ich will Ihnen sagen: Das Kalifat wäre das Ende unserer Demokratie. Ein Kalifat wäre das Ende von Menschenwürde, von Gleichberechtigung,

(Dorothee Martin (SPD): Das sagen wir alle! - Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer bestreitet das denn? Niemand!)

von Gewaltenteilung und auch das Ende von Meinungsfreiheit in Deutschland.

Die Menschen verstehen nicht, dass Leute aus einer Gruppierung, die extremistisch ist, öffentlich solche Forderungen erheben können. Das muss sich ändern, meine Damen und Herren. Wir wollen den demokratischen Rechtsstaat und keinen islamistischen Gottesstaat in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle (fraktionslos))

Deswegen sagen wir: Wer auf deutschem Boden die Errichtung eines Kalifats öffentlich fordert, der gehört in Zukunft auch bestraft. Das ist einfach unvereinbar mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland.

Jetzt frage ich mich: Sehen wir das alle so? Ich war auf der Gegendemonstration in Hamburg, die die Migrantenverbände dankenswerterweise organisiert haben. Wissen Sie, wer Anfang des Jahres dabei gewesen ist, als gegen Rechtsextremismus demonstriert wurde? Da waren der Erste Bürgermeister, die Zweite Bürgermeisterin, die Parlamentspräsidentin, alle Mitglieder des Hamburger Senats und die Parteivorsitzenden. Wie ist es gewesen, als wir am 4. Mai gegen die Islamisten demonstriert haben? Von diesen Personen ist kein einziger da gewesen. 

(Dorothee Martin (SPD): Der Fraktionsvorsitzende der Bürgerschaft war da!)

Meine Damen und Herren, das ist auch ein Statement. Das zeigt, wie ernsthaft Sie den Kampf gegen den Islamismus in Deutschland nehmen. Das ist einfach fatal.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dorothee Martin (SPD): Der Fraktionsvorsitzende der Bürgerschaft war da! Das ist falsch, was Sie sagen!)

Lassen Sie mich das noch sagen, weil Sie das angesprochen haben, Frau Kaddor: Wir müssen vor allen Dingen auch handeln im Interesse der vielen friedliebenden Muslime in Deutschland, die unsere Grundwerte, unser Verständnis von Freiheit und Toleranz mit uns teilen

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Welche Lösung haben Sie für die? Welche Lösung haben wir denn für diese Menschen?)

und die nicht aus islamistischen Diktaturen geflohen sind, damit sie so etwas wieder in unserem Land erleben müssen. Die Wahrheit ist doch: Alle, die sich aus diesem Milieu dafür einsetzen, dass diese Islamisten nicht weiterkommen, stehen ständig unter Polizeischutz,

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, ich auch! Tu ich auch, wie Sie wissen!)

bei jeder öffentlichen Anhörung. Die sollten wir nicht allein lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU - Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist denn Ihre Lösung, Herr de Vries?)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächste hat das Wort für die SPD-Fraktion Dorothee Martin.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Dorothee Martin (SPD): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Bilder, die wir in Hamburg bei der Demonstration von „Muslim Interaktiv“ gesehen haben, sind zutiefst verstörend. Auch mich machen diese Demonstrationen wirklich zornig. Bei der Gegendemo, lieber Christoph de Vries, waren übrigens Ihr Fraktionsvorsitzender und auch der Fraktionsvorsitzende der größten Bürgerschaftsfraktion, der SPD, anwesend. Es ist unredlich, dass Sie das hier nicht dargestellt haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Aber ich möchte bei dieser Debatte auch sagen, dass wir uns als demokratische Politikerinnen und Politiker an Helmut Schmidt - das ist sowieso immer eine gute Idee - halten sollten. Helmut Schmidt hat einmal gesagt - ich zitiere -: Wir müssen alle „trotz unseres Zorns einen kühlen Kopf behalten“. Und ich füge hinzu: Wir dürfen hier auch keinen Generalverdacht gegen Musliminnen und Muslime aussprechen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In unserer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft hat Islamismus keinen Platz. Natürlich: Der politisch-extremistische Islam ist eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands. Der Staat muss hier wehrhaft sein, und er ist es auch.

(Detlef Seif (CDU/CSU): Wo denn?)

Was aber immer klar sein muss: Die Rechtmäßigkeit steht an erster Stelle und nicht das Bauchgefühl, auch wenn das vielleicht emotional zu verstehen ist. Aber Abgeordnete und Regierung stehen nicht über Recht und Gesetz, stehen nicht über dem Grundgesetz. 

Bei allen Maßnahmen, die das Haus jetzt beschließt und das Innenministerium umsetzt, muss doch klar sein: Das muss machbar sein, muss aber vor allem rechtssicher und rechtskonform sein. Wer aber diesen Anspruch jetzt aufgibt, um vielleicht schnell politisch zu punkten, der verschafft doch den Islamisten womöglich ohne Not einen PR-Sieg auf Kosten von Demokratie und Sicherheit. Das kann doch keiner wollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, werte Kollegen der CDU/CSU, es ist wiederholt unverschämt von Ihnen, uns und der Ministerin hier vorzuwerfen, wir würden den Kampf gegen Islamismus vernachlässigen.

(Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Das stimmt doch! - Detlef Seif (CDU/CSU): Das stimmt aber!)

Das ist nichts anderes als billige Wahlkampfrhetorik; das muss man hier deutlich sagen.

(Alexander Throm (CDU/CSU): Was habt ihr denn getan?)

Natürlich wird der Kampf gegen jede Form von Extremismus mit aller Entschlossenheit geführt.

(Detlef Seif (CDU/CSU): Wo denn? - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

So, Herr Throm, wie es zum Beispiel gemacht wurde durch die Innenministerin beim Verbot von Samidoun und Hamas. Und ja, natürlich muss auch „Muslim Interaktiv“ verboten werden, sobald das rechtssicher möglich ist. Aber das kündigt man vorher nicht an.

(Alexander Throm (CDU/CSU): Aber der Bundeskanzler hat es getan! Der Bundeskanzler hat es angekündigt!)

Das prüft man und macht es dann einfach.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt auch für die Schließung des Islamischen Zentrums in Hamburg. Wenn wir das Verbot jetzt hoffentlich zeitnah rechtssicher aussprechen können, dann verdanken wir das einer sehr entschlossen handelnden Bundesinnenministerin Faeser,

(Alexander Throm (CDU/CSU): Da müsst ihr selber lachen!)

die im Gegensatz zu all ihren CDU-Vorgängern das Verfahren endlich vorangetrieben hat. Es ist nichts passiert unter den CDU-Innenministern, meine Damen und Herren; das muss man hier immer wieder deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie stellen hier nicht die Wahrheit dar.

Wir haben - gerade auch auf europäischer Ebene - mit dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem und auch nationalen Gesetzen Abschiebungen neu geregelt. Wir haben jetzt die Möglichkeit, Islamisten, Antisemiten ohne deutschen Pass einfach schneller auszuweisen und abzuschieben. 

Wir machen noch viel mehr. Es wird jetzt eine Früherkennungseinheit gegen Desinformationskampagnen geben. Wir werden dem Verfassungsschutz mehr Befugnisse auch im Bereich der Finanzermittlungen geben, wir werden Quick Freeze haben, eine Befugnisausweitung. Ja, wir müssen auch noch mal die Diskussion über die Speicherung von IP-Adressen führen und vieles mehr.

Ich möchte ausdrücklich - Kollegin Kaddor hat es schon gesagt - noch mal betonen, dass bei der Bekämpfung von Extremismus natürlich die Prävention ganz maßgeblich ist. Wir sehen doch jeden Tag, dass junge Menschen von Islamisten immer stärker auf Onlineplattformen angesprochen werden, um sie dann digital zu radikalisieren. Teil von Prävention ist deshalb auch, online härter durchzugreifen. Dazu gehört auch, dass der Digital Services Act konsequent umgesetzt wird.

(Beifall der Abg. Marlene Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir brauchen zudem auch eine Stärkung von Beratungsangeboten, einen besseren Austausch der vielen zivilen Akteure, die es gibt, wie zum Beispiel dem Violence Prevention Network oder ufuq. Dazu gehört auch RADIS; das ganz große Forschungsnetzwerk zum radikalen Islam. Ich finde es sehr bedauerlich, dass in Ihrem Antrag davon nichts zu lesen ist. Das ignorieren Sie hier leider völlig.

Wir brauchen jetzt mehr denn je - ich muss es wirklich noch mal sagen - ein Demokratiefördergesetz zur Absicherung der vielen Programme zur Extremismusprävention. Wenn Sie es ernst meinen, CDU/CSU, mit dem Kampf gegen Islamismus, schließen Sie sich dem Demokratiefördergesetz einfach an.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch wenn Sie hier versuchen, ein anderes Bild zu entwerfen: Die Sicherheitsbehörden des Bundes gehen ihrem gesetzlichen Auftrag sorgfältig nach, nutzen alle Mittel im Kampf gegen Extremismus.

Ich möchte zum Schluss zwei Dinge noch mal sehr deutlich betonen, auf die sich die Menschen in unserem Land verlassen können: Erstens. Unser Staat wird immer mit allen rechtsstaatlichen Mitteln Extremismus bekämpfen. Und zweitens. Unser Staat wird sich auch selbst immer an Recht und Gesetz halten. Das muss für das sichere Leben in Deutschland gewährleistet sein.

Mit Blick auf die anstehenden Haushaltsberatungen sage ich: An der inneren Sicherheit darf nicht gespart werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas: 

Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion Dr. Christian Wirth.

(Beifall bei der AfD)

Dr. Christian Wirth (AfD): 

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Meine Damen und Herren der deutschen demokratischen Fraktionen! „Den politischen Islam als Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie jetzt wirksam bekämpfen“: Guten Morgen, werte Kollegen der Union! Es müssen offenbar erst Tausende Islamisten auf unseren Straßen das Kalifat ausrufen und der Terrorangriff auf Israel mit kostenlosem Baklava gefeiert werden, um die Union aus ihrem Dornröschenschlaf zu holen.

Die Union schreibt dazu: „Die Tendenzen einer solchen Entwicklung zeichneten sich aber schon weit vor dem 7. Oktober 2023 ab.“ Seit wann sich diese Tendenzen abzeichneten, schreiben die Antragsteller leider nicht dazu. Das ist nicht verwunderlich; denn es betrifft die Zeit, als die Union die Bundesregierung führte.

Der Folgesatz ist eine Bankrotterklärung an Ihre eigene Integrationspolitik. 

(Beifall bei der AfD)

„Im Zusammenhang mit diesen Demonstrationen sind vernetzte Gruppierungen von häufig gut ausgebildeten jungen Männern an die Öffentlichkeit getreten, die in der Regel in Deutschland geboren sind und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.“

Da fragt man sich doch unvermeidlich, was da schiefgelaufen ist und wer das zu verantworten hat, liebe Union - nämlich die Union!

(Beifall bei der AfD)

Die Union schlussfolgert indessen, es handele sich um ein durch die sozialen Medien verursachtes Problem. Durch diese sei es Islamisten möglich, Jugendliche für den politischen Islam zu gewinnen. Meine Damen und Herren, wer ernsthaft glaubt, allein die sozialen Medien seien das Problem, der muss wirklich mit Scheuklappen durch die Gegend rennen. Man beklagt - man höre und staune - die unerlaubte Migration nach Deutschland. Plötzlich stört man sich daran, dass im vergangenen Jahr, 2023, nur 8 islamistische Gefährder abgeschoben worden seien von insgesamt 1 680. Da müssen Sie doch sich und Ihre eigenen Ministerpräsidenten in die Verantwortung nehmen. Mein Lieblingssatz:

„Kritische Stimmen, die bereits seit Jahren vor einer sich ausbreitenden Radikalisierung in Deutschland lebender Muslime warnten und warnen, wurden von der Bundesregierung systematisch ausgegrenzt.“

Kritik wird „unreflektiert als Muslimfeindlichkeit abgetan“. Ja, davon kann die AfD ein Lied singen. Die Einleitung des Antrags schließt: „Mit Ankündigungen und Lippenbekenntnissen ist es nicht getan.“ Wir werden Sie und Ihre Ministerpräsidenten, auch wenn Sie nicht zuhören, daran erinnern.

Allerdings wird auch dieser Antrag wieder Makulatur sein, wenn Sie mit einer dieser migrationsfetischistischen Parteien der Ampel eine Koalition demnächst bilden. Werte Kollegen von der Union, Sie wissen genau, dass es nur eine Partei gibt, mit der Sie diese Forderungen Ihres Antrags umsetzen können, und das ist die AfD. Wir reichen Ihnen hierzu gerne die Hand.

Vielen Dank und Glück auf!

(Beifall bei der AfD)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie zunächst einmal alle und gebe jetzt sofort das Wort an Marlene Schönberger für Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Marlene Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!

(Dr. Christian Wirth (AfD): Ach herrjeh! Der deutschen demokratischen Fraktionen!)

Islamistinnen und Islamisten verachten alles, was unsere Demokratie ausmacht: universelle Menschenrechte, Würde, Freiheit, Gleichheit. Hier gibt es nichts kleinzureden oder zu verharmlosen. Demokratinnen und Demokraten müssen Islamismus bekämpfen. Punkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Union setzt das Thema politischer Islam auf die Tagesordnung, und was wir bekommen, ist eine Bühne für Geraune und Ressentiments. Was wir nicht bekommen, ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Fehlern der vergangenen Jahrzehnte. Damit meine ich: Jahrzehntelang wurden Musliminnen und Muslime ausgegrenzt. Ihnen wurde ihre Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft abgesprochen.

(Dr. Bernd Baumann (AfD): Das ist doch Quatsch! - Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Unglaublich!)

Gleichzeitig wurde radikalen Akteuren wie der Muslimbruderschaft, Millî Görüş oder DITIB das Feld überlassen. In den meisten Regionen stellen Millî Görüş und DITIB die einzigen Strukturen für gläubige Musliminnen und Muslime dar. Immer wieder wurden radikale Akteure aufgewertet. Nach wie vor sind Vertreter/-innen von Dachverbänden, denen auch vom Verfassungsschutz beobachtete Vereine angehören, gern gesehene Gäste bei Veranstaltungen, und Politiker/-innen lassen sich mit ihnen ablichten. Mit kritischer Auseinandersetzung hat das aber auch rein gar nichts zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Martina Renner (Die Linke))

Gleichzeitig gibt es kaum eine Debatte zum Kampf gegen den Islamismus ohne rassistische Stereotype. Immer wieder wird die schiefe Behauptung aufgestellt, das Problem lasse sich durch Abschiebungen und Passentzug lösen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dabei wird doch vollkommen ignoriert, wer die ersten Betroffenen von Islamismus sind: Menschen mit Fluchterfahrung, andere Musliminnen und Muslime, aber auch Kurdinnen und Kurden, Jesidinnen und Jesiden und Assyrer/-innen. Wie beschämend ist es eigentlich, dass Menschen, die dem Terror des IS entkommen sind, feststellen müssen, welche Strukturen sich hier bei uns verfestigt haben? Wer darauf mit Rassismus antwortet, fällt den Betroffenen in den Rücken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen ehrlich sein: Nach wie vor tun sich sowohl viele Konservative als auch viele in der politischen Linken schwer, den Islamismus und die extreme Rechte gleichermaßen zu verurteilen. Dann überrascht es auch wenig, dass die Gegenproteste zu den schäbigen Kalifat-Demos vor allem von migrantisierten Personen organisiert wurden. Ja, es war wichtig, dass in den letzten Monaten Hunderttausende gegen die extrem rechte Bedrohung auf die Straße gegangen sind. Aber ich wünsche mir, dass sich endlich das Bewusstsein durchsetzt: Diese Bedrohungen sind miteinander verbunden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Alexander Throm (CDU/CSU))

Eine der stärksten Gemeinsamkeiten extremer Rechter und islamistischer Kräfte ist der Antisemitismus, der glühende Hass auf Israel und gegen Jüdinnen und Juden als vermeintliche Stellvertreter des jüdischen Staates. Sie sind verbunden durch eine Ideologie, die moderne aufklärerische Errungenschaften und demokratische Werte bekämpft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Demokratie ist wehrhaft gegen die, die mit demokratischen Mitteln gegen unseren Rechtsstaat kämpfen, und gegen die, die das mit Gewalt tun. Ja, es ist beschämend, dass Deutschland in den letzten Jahrzehnten als Rückzugsort für die Hamas galt, dass hier Spenden für Terror gesammelt werden konnten, dass wir viel zu lange Appeasement-Politik gegenüber dem iranischen Regime betrieben haben und dass das IZH immer noch nicht geschlossen ist. Wer aber in rassistische und migrationsfeindliche Narrative verfällt, der untergräbt den Kampf gegen Islamismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn wir Demokratie stärken wollen, müssen wir endlich begreifen, wie erfolgreich sowohl islamistische Gruppen als auch Rechtsextreme in den sozialen Medien sind und dass autoritäre Regime wie Russland oder der Iran dabei ihre Finger im Spiel haben. Wir müssen zugeben, dass in unserem Bildungssystem etwas schiefläuft,

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt!)

dass es mehr Räume braucht, in denen Sorgen und Ängste artikuliert werden können,

(Steffen Janich (AfD): Grüner Lehrer zum Beispiel! - Gegenruf des Abg. Bernhard Herrmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einfach mal zuhören! Unglaublich! Das gehört sich nicht!)

dass es mehr Demokratiebildung, Medienkompetenz, Debattenkultur, Wissen zu Antisemitismus und jüdischem Leben braucht.

(Zuruf des Abg. Martin Hess (AfD))

Das ist übrigens auch der Grund, warum alle, die gegen Islamismus kämpfen wollen, auch das Demokratiefördergesetz unterstützen sollten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die extreme Rechte und Islamistinnen und Islamisten von der Identitären Bewegung bis hin zu „Muslim Interaktiv“ wollen im Kern das Gleiche: eine autoritär strukturierte Gesellschaft.

(Nicole Höchst (AfD): Hören Sie sich eigentlich selber zu?)

Wir müssen uns entscheiden: Stehen wir auf der Seite derjenigen, die Homogenität und Identität aufzwingen wollen, oder bei denjenigen, die für emanzipatorische und aufklärerische Werte kämpfen? Es sollte nur eine Antwort geben.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Martina Renner (Die Linke))

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Das Wort erhält für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Nina Warken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nina Warken (CDU/CSU): 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der kommenden Woche feiern wir ein wichtiges Jubiläum. Unser Grundgesetz, das Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wird 75 Jahre alt. „Freiheitlich“ und „demokratisch“ ist der Wesenskern unseres politischen Systems und unserer Wertvorstellungen, sozusagen unsere Leitkultur. Das Grundgesetz bildet den Rahmen für unser gesellschaftliches Miteinander und ist Garant dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland ein weltoffener, toleranter und stabiler Staat ist und bleibt. Berlin bereitet sich aktuell auf einen großen Staatsakt vor, um dieses Werk zu ehren.

Meine Damen und Herren, während wir das tun, gehen in Hamburg Hunderte von Menschen auf die Straße und fordern Kalifat und Scharia. Das ist einerseits unerträglich, andererseits habe ich den Verdacht, dass vielen gar nicht klar ist, was damit gemeint ist. Es ist schlichtweg der Gegenentwurf zu „freiheitlich“ und „demokratisch“. Das ist nicht das, was wir uns für unser Land vorstellen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sosehr wir uns gegen solche Forderungen stellen müssen und stellen werden, so sehr müssen wir auch klarstellen - und da lassen wir uns von Ihnen, Frau Kaddor, auch keine Vorwürfe machen -: Nicht der Islam an sich bedroht den gesellschaftlichen Frieden, sondern es sind bestimmte politische Deutungen des Islams und die aus ihnen abgeleiteten verfassungsfeindlichen Praktiken.

(Beifall bei der CDU/CSU - Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann schreiben Sie es so in Ihren Antrag!)

Ich bin sehr froh, dass dies am vergangenen Wochenende in Hamburg ebenfalls sichtbar geworden ist. Viele Muslime sind auf die Straße gegangen, um sich zu unserem Land und unseren Werten zu bekennen. Das war ein wichtiges Zeichen, meine Damen und Herren. Aber man muss auch sehr deutlich sagen: Umso trauriger ist es, dass sich die rot-grüne Hamburger Führungsriege nicht hat blicken lassen. Wahrscheinlich wäre das ein zu großes Eingeständnis gewesen. Man hätte vielleicht gefragt werden können, warum man das von der CDU-Bürgerschaftsfraktion geforderte Verbot von „Muslim Interaktiv“ nicht unterstützt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieses Netzwerk gilt seit Langem als radikal und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Aber es herrscht Funkstille bei den Verantwortlichen in Hamburg und im Umfeld Berlin. Sie verstecken sich hinter Ausreden. Dabei muss der Staat doch gerade das deutliche Signal senden: Wir dulden die zunehmende islamistische Radikalisierung nicht länger.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer in Deutschland leben will, muss das auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung tun. Und wer nicht dazu bereit ist, der soll sich gefälligst eine neue Heimat suchen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns das Problem näher ansehen, stellen wir einerseits fest, dass es durch illegale Zuwanderung in unser Land entstanden ist. Wir müssen andererseits sehen, dass viele derjenigen, die im Visier der Sicherheitsbehörden sind, einen deutschen Pass haben und schon immer hier leben. Deshalb müssen wir nicht nur Antworten darauf finden, wie wir illegale Einwanderung beschränken, wie wir ausländische Extremisten abschieben können. Wir müssen auch einen Umgang mit denjenigen finden, die einen deutschen Pass haben und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen. Vor allem müssen wir das Problem endlich angehen. Es hilft ja nicht, wenn sich die Innenministerin und die Bundesregierung jedes Mal, wenn etwas wie in Hamburg vorfällt, dann betroffen zeigen, aber sich vor konkreten Maßnahmen drücken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Problem der sich ausbreitenden Radikalisierung in Deutschland lebender Muslime wurde lange Zeit von Ihnen ignoriert. Auch die heutigen Reden haben da zum Teil Bände gesprochen. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben den Expertenkreis Politischer Islamismus abgeschafft und stattdessen Ihre eigene Agenda verfolgt, 

(Dr. Lars Castellucci (SPD): Das war doch Ihre Befristung!)

und das ist brandgefährlich, meine Damen und Herren. 

Was wir in Hamburg sehen, ist weder einmalig noch einzigartig; es ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen und schnellstmöglich einen Aktionsplan erarbeiten, um der Radikalisierung vor allem von Kindern und Jugendlichen und Heranwachsenden zu begegnen. Wir müssen unsere jungen Menschen schützen. Wir müssen dieser Bewegung gemeinsam mit den Instrumenten einer wehrhaften Demokratie entgegentreten. Dabei werbe ich für ein Miteinander der demokratischen Parteien.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Nina Warken (CDU/CSU): 

Dafür war Ihr Auftritt nicht hilfreich, Frau Kaddor.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Der nächste Redner ist Muhanad Al-Halak für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Muhanad Al-Halak (FDP): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Union, ich kann die Wut, ich kann die Entrüstung in Ihrem Antrag verstehen. Genauso geht es mir auch, wenn ich diese ekelhaften Bilder von der Kalifat-Demo sehe. Wir haben in der Vergangenheit so einige Fehler gemacht, auch Sie, liebe Union. Wir erinnern uns: Wir haben Azubis von der Arbeit abgeführt und abgeschoben, und gleichzeitig durften Straftäter nicht konsequent abgeschoben werden.

(Beifall bei der FDP)

Zu dieser Einsicht lade ich Sie ein. Dann können wir gemeinsam richtige Schritte dieser Koalition, wie zum Beispiel die Abschiebeoffensive, gut umsetzen.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Warum gehen Sie die denn nicht alleine? Da brauchen Sie uns nicht für!)

Manche Ihrer Forderungen heute kann man sicherlich diskutieren. Aber bevor wir das im Fachausschuss tun, möchte ich zwei Punkte ansprechen. Erstens. An vielen Stellen kann ich Ihre Forderungen nachvollziehen. Sie ziehen dann aber Schlüsse daraus, die Grundrechte betreffen und deswegen gut abgewogen werden müssen. Ich möchte ganz klar und deutlich sagen: Das Kalifat hat nichts, aber auch gar nichts mit unserer freiheitlichen Demokratie zu tun.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber das eine ist, etwas zu sagen, und das andere ist, etwas machen zu wollen. Und etwas machen zu wollen, ist das Gefährliche für uns alle und für unsere Demokratie. Wer das will, geht in den Knast, meine Damen und Herren, und zwar zu Recht. Und das gilt auch für diese Kalifat-Gestörten.

Zweitens. Liebe Union, scheren Sie nicht alle über einen Kamm. Über 99 Prozent der Muslime hier im Land, egal ob gläubig oder nicht, brechen im Strahl und brechen im Kreis, wenn sie diese Kalifat-Demos sehen. Gerade in den sozialen Medien gibt es eine Flut der Wut von Muslimen gegen diese Kalifat-Gestörten, weil viele genau vor so einem Kalifat geflüchtet sind, und zwar in unsere wehrhafte Demokratie.

Wir Demokraten müssen sichtbarer werden. Wir Demokraten dürfen Extremisten nicht das Feld überlassen. Wir Demokraten müssen dafür sorgen, dass geltendes Recht auf das Schärfste durchgesetzt wird. 

Zum Schluss, meine Damen und Herren, etwas Persönliches. Mit meiner Fluchtgeschichte bin ich jeden Tag dankbar für unsere Demokratie. Für mich ist das alles hier nicht selbstverständlich. Um das zu bewahren, was wir hier haben, bitte ich Sie alle um Zusammenhalt in einer so schwierigen Zeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Vielen Dank, Herr Kollege. - Jetzt erhält das Wort Dr. Silke Launert für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Silke Launert (CDU/CSU): 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Verfassungsprinzip der wehrhaften, streitbaren Demokratie soll gewährleisten - und jetzt zitiere ich das Bundesverfassungsgericht -,

„dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören“

Der wehrhafte Staat, also wir, darf sich gegen Verfassungsfeinde wehren, und er muss es sogar, wenn er seinen Bestand erhalten will. Die wehrhafte Demokratie ist aber nur so wehrhaft wie die Menschen, die in ihr leben, und vor allem wie die politischen Vertreter, die Verantwortung dafür haben, dass das Verfassungsprinzip eingehalten wird, und ihren Auftrag erfüllen müssen. Wenn man allerdings die Aussagen der Bundesregierung dazu hört, dann muss man zwangsläufig zweifeln, ob sie diese Gefahren wirklich richtig einschätzt und diesem Auftrag nachkommt. 

Nach dem Aufmarsch von über 1 000 Anhängern der Gruppe „Muslim Interaktiv“ in Hamburg vor knapp drei Wochen - die Anhänger haben faktisch ein Kalifat gefordert, indem sie gesagt haben, dass es die Lösung ist - hat Bundesjustizminister Buschmann auf X geschrieben: „Wem ein Kalifat lieber sein sollte als der Staat des Grundgesetzes, dem steht es frei auszuwandern.“

(Daniel Baldy (SPD): Richtig so!)

Das soll die Antwort unseres Rechtsstaats auf solche Forderungen sein?

(Daniel Baldy (SPD): Eine Antwort! - Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist eine Antwort!)

Es soll die Antwort unseres Landes gegenüber denjenigen sein, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, dass es ihnen freisteht, zu gehen? Das ist Ihr Ernst? Das ist nicht nur ein Witz; das ist brandgefährlich,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und zwar aus zweierlei Gründen. Auf der einen Seite: Was ist denn das für eine Botschaft an die potenziellen Anhänger? Sie können doch weitermachen wie bisher. Auf der anderen Seite - mindestens genauso gefährlich -: Was ist das für eine Botschaft an die Menschen, die Ängste haben, die eine Gefahr sehen, sie vielleicht auch überbewerten, aber vom Staat erwarten, dass er sie schützt?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da brauchen wir uns doch überhaupt nicht zu wundern, wenn von ihnen immer mehr zu extremistischen Parteien überlaufen. Merken Sie nicht, dass Sie immer mehr Wähler verlieren? Und leider Gottes landen die nicht immer bei uns, sondern oft ganz links und ganz rechts. 

(Daniel Baldy (SPD): Ja, warum wohl? Weil Sie hier Anträge vorlegen, wo wir doch alle wissen, dass die niemals standhalten! - Gegenruf des Abg. Martin Hess (AfD): Nein, weil Sie eine desaströse Politik betreiben!)

Das ist auch eine Gefahr. Sie ignorieren es. Ihre Redebeiträge haben so deutlich gezeigt, wie wenig Lust Sie haben, 

(Daniel Baldy (SPD): Nee, Ihr Antrag zeigt, dass Sie keine Lust haben!)

wirklich Lösungen für das Thema „islamistischer Extremismus“ zu liefern. 

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das war an Peinlichkeit und Unterstellungen nicht zu überbieten.

Es ist Ihre Aufgabe als Verantwortliche, gegen jede Form des Extremismus vorzugehen.

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was kommt von Ihnen an Vorschlägen?)

Leider höre ich dazu wenig. Der Expertenkreis Politischer Islamismus ist stillgelegt. Was ist eigentlich aus der Ankündigung geworden, das Islamische Zentrum Hamburg zu schließen? 

(Dorothee Martin (SPD): Das haben Sie nicht gemacht, zehn Jahre lang!)

Was ist eigentlich aus der Ankündigung geworden, im Februar einen Gesetzentwurf zur Verfolgung und Unterbindung extremistischer Finanzströme vorzulegen? 

(Daniel Baldy (SPD): Was ist eigentlich aus der Rechtsstaatspartei geworden?)

Es reicht nicht, nur schön zu reden. Handeln ist im Moment gefragt. Die Leute haben Angst, vielleicht ist sie überzogen; aber faktisch muss ein Staat handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Silke Launert (CDU/CSU): 

Wir haben Forderungen vorgelegt. Ein Kollege hat die meisten schon angesprochen. 

Seien Sie mutig! Die Leute erwarten es von uns.

(Beifall bei der CDU/CSU - Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So mutig wie Sie die ganze Zeit in 16 Jahren!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Für die SPD-Fraktion erhält das Wort Dr. Lars Castellucci.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Daniel Föst (FDP))

Dr. Lars Castellucci (SPD): 

Herzlichen Dank. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Wochen im Lande einige Aufmärsche und Demonstrationen erlebt, für die man sich nur schämen kann, wo sich Antisemitismus Bahn gebrochen hat, wo nach dem Kalifat gerufen wurde. Da schließe ich mich allen an, die sagen: Wer in einem Kalifat leben möchte, dem wünschen wir eine gute Reise.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht (FDP) - Steffen Janich (AfD): Dann macht es doch endlich! - Dr. Bernd Baumann (AfD): Reden reicht nicht!)

Zu einer richtigen Einordnung, wenn man sich die Zahlen anschaut, gehört aber auch: Sicherlich stehen Leute, die sich für ein Kalifat aussprechen, nicht auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Aber es gibt sehr viel mehr Menschen - deutsche Nazis, Reichsbürger, Ewiggestrige - im Land, die ebenso wenig auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen.

(Dr. Bernd Baumann (AfD): Das ist aber kein Vergleich! - Martin Hess (AfD): Immer diese Relativierungen! Das ist unglaublich! Sie sind doch das eigentliche Problem! Sie tun nichts!)

Diese Dinge muss man ins richtige Verhältnis setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Michael Sacher (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde diese Aufmärsche skandalös. Sie sind schwer auszuhalten. Wir müssen aber in einer Demokratie wieder lernen, dass man bestimmte Dinge aushalten muss,

(Dr. Bernd Baumann (AfD): Aber das nicht!)

zum Beispiel, Frau Launert, dass man, wenn man keine rechtliche Grundlage hat, nicht einfach agieren kann.

(Beifall der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht (FDP) - Zurufe von der CDU/CSU)

Die Rechtsstaatlichkeit ist auch für uns verbindlich, und das ist auch richtig so.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Es ist schwer auszuhalten. Wir müssen aber auch lernen, Dinge wieder auszuhalten. 

(Steffen Janich (AfD): Nee, das müssen wir nicht! Wir müssen etwas tun!)

Ich mache mir Sorgen um unsere Debattenkultur. Die Extremisten dürfen unsere Debattenkultur im Lande nicht zertrümmern. Keiner, der in unserem Land Verantwortung trägt - in den Städten oder für Universitäten -, will hässliche Bilder von solchen Demonstrationen auf seinem Marktplatz oder in seiner Universität haben. So sind in den letzten Wochen auch Demonstrationen untersagt bzw. aufgelöst worden oder Veranstaltungen abgebrochen worden. Ich will an dieser Stelle klar festhalten: Behörden haben in diesem Land das Recht, wenn die öffentliche Sicherheit bedroht ist, solche Untersagungen auszusprechen. Sie haben sogar die Pflicht dazu.

(Steffen Janich (AfD): Und sie werden durch die Politik ausgebremst!)

Diejenigen, die Verantwortung tragen und nach Abwägungen zu entscheiden haben, was in einer konkreten und aufgeheizten Situation zu tun ist, sind nicht zu beneiden. Ich möchte dafür plädieren, dass sie Respekt von uns erfahren, und wenn solche Anordnungen erfolgen, dann ist ihnen Folge zu leisten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das Dritte, was ich sagen will, ist an die gerichtet, die demonstrieren: Demonstriert! Meldet das an! Haltet euch an die Auflagen! Distanziert euch von extremen Trittbrettfahrern! Demonstriert laut, aber friedlich! Unter diesen Bedingungen muss es aber auch möglich sein, zum Beispiel seine Zerrissenheit und Verzweiflung angesichts der Bilder aus Gaza und dessen, was dort passiert, friedlich zum Ausdruck zu bringen. Ich mache mir Sorgen, wenn ein Raum dafür in Deutschland nicht mehr zur Verfügung steht. Deswegen will ich an dieser Stelle sagen: Solche Räume müssen wir bewahren. 

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja! Sonst machen es Islamisten! - Zuruf von der CDU/CSU: Ihr seid die Regierung, Mensch!)

Dass nun eine große deutsche Boulevardzeitung quasi Fahndungsfotos von Professorinnen und Professoren veröffentlicht hat, die sich dafür einsetzen, dass solche Räume an ihren Universitäten bewahrt bleiben, und von „Universitätern“ spricht, ist ein weiterer Tiefpunkt des deutschen Boulevardjournalismus. Das halte ich für unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Linken und der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht (FDP))

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Union?

Dr. Lars Castellucci (SPD): 

Ja, selbstverständlich.

Alexander Throm (CDU/CSU): 

Herr Kollege Castellucci, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Sie haben in Ihrer Rede wohl die Demonstrationen - man kann auch von der Besetzung der Universitäten hier in Berlin reden - angesprochen und dann die Reaktionen erstens der Polizei und zweitens einer Vielzahl von Universitätsprofessoren beschrieben. Auf diesen Demonstrationen wurde das Existenzrecht des Staates Israel infrage gestellt, ja sogar dafür geworben, dass Israel nicht mehr bestehen solle. 

Kann ich Ihre Rede so verstehen, dass Sie erlauben wollen, dass an Universitäten oder auch anderswo in Deutschland dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen wird?

(Dr. Johannes Fechner (SPD): Natürlich nicht! - Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Güte, ehrlich! Sie verschwenden unsere Zeit damit!)

Dr. Lars Castellucci (SPD): 

Ich bin froh, dass Sie mich fragen, ob Sie das so verstehen können, und nicht einfach behaupten, dass Sie das so verstanden haben. 

(Dr. Johannes Fechner (SPD): Das ist schon mal ein Fortschritt!)

Selbstverständlich können Sie meine Rede so nicht verstehen. Ich habe gesagt: Diese Professoren haben sich, ohne Partei zu ergreifen, dafür eingesetzt, dass Räume des friedlichen, rechtsstaatlich einwandfreien Protestes in diesem Land bewahrt werden. Ich habe davor auch gesagt, was ich von denjenigen, die Demonstrationen anmelden und durchführen wollen, erwarte. Deswegen: Beruhigen Sie sich! Wir haben ein Land, in dem die Meinungsfreiheit durch unser Grundgesetz geschützt ist. Wir feiern es nächste Woche.

(Detlef Seif (CDU/CSU): Aber nicht für Extremisten! - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Ist das auch im Rahmen der Meinungsfreiheit?)

Aber wir müssen dafür sorgen, dass solche Demonstrationen in diesem Land weiterhin möglich sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Antrag der Union. Ross und Reiter zu benennen, wenn es um Extremismus geht, ohne ganze Gruppen pauschal anzugreifen, das ist manchmal ein schmaler Grat. Da stürzt die Union regelmäßig ab. 

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, allerdings!)

Sie sind nicht für Wehrhaft in der Demokratie, sondern immer für Sippenhaft. 

(Beifall bei Abgeordneten der FDP - Lachen des Abg. Dr. Bernd Baumann (AfD) - Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Unglaublich!)

So verhält es sich auch mit Ihrem Antrag. „Den politischen Islam als Gefahr … bekämpfen“ lautet die Überschrift. Und dann schreiben Sie gleich im ersten Satz: „Ein Viertel der Menschen in Deutschland hat mittlerweile einen Migrationshintergrund.“ Entschuldigung, was hat denn das eine mit dem anderen zu tun? 

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich wünsche mir, dass Sie, bevor Sie solche Sätze schreiben, einmal sagen: Danke Giuseppe, danke Ali, dass ihr dieses Land mitaufgebaut habt! 

(Dr. Bernd Baumann (AfD): „Mitaufgebaut“!)

Danke, dass ihr den Laden am Laufen haltet! - Ich wünsche mir, dass Sie diese Menschen nicht immer pauschal in den Kontext von Extremismus stellen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP - Alexander Throm (CDU/CSU): Sie spalten die Gesellschaft mit diesen Positionen, Herr Castellucci!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen Extremisten bekämpfen. Aber wir dürfen uns nicht immer gegenseitig verdächtigen. Wer sich gegenseitig verdächtigt, dem schnürt es nur die Kehle zu. Unsere Mütter und Väter der Verfassung haben uns mit ihrer Verfassung ein freiheitliches, ein offenes Land geschenkt. Das wollen wir bewahren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP - Steffen Janich (AfD): Und Sie machen eine Diktatur daraus!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Als Nächstes erhält das Wort Martina Renner für die Gruppe Die Linke.

(Beifall bei der Linken)

Martina Renner (Die Linke): 

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Religiöser Fundamentalismus ist eine Gefahr für die Demokratie und die demokratische Gesellschaft. Das gilt für den gewaltbereiten Islamismus wie für alle Formen religiös begründeter Menschen- und Demokratieverachtung. Dazu zähle ich auch und ausdrücklich die Demonstrationen islamistischer Gruppen wie zuletzt in Hamburg, aber auch in Essen mit schwarzen Fahnen und der Forderung nach einem Gottesstaat. Gegen diese Aufmärsche sind bereits am 4. Mai - es ist hier schon mehrfach erwähnt worden - in Hamburg Hunderte Menschen der Zivilgesellschaft auf die Straße gegangen. Sie traten den Hasspredigern entgegen, die die Scharia über die Verfassung stellen und das Grundgesetz als Wertediktatur beschimpfen. Es braucht diese Zivilgesellschaft für einen wirksamen Einsatz gegen den Islamismus. Diese Zivilgesellschaft ist unsere stärkste Waffe, und wir sollten ihr unseren Dank aussprechen.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Was wir nicht brauchen, sind solche scheinheiligen und populistischen Anträge. Scheinheilig ist der vorliegende Antrag - ich will es erklären -, weil auch die CDU/CSU im Kampf gegen den Islamismus versagt hat. Seit Langem ist doch offenkundig, welche Staaten islamistische und terroristische Gruppen und Netzwerke unterstützen. Weder die Türkei noch der Iran haben ernsthafte Konsequenzen zu befürchten. Türkische Islamisten und Faschisten wie die Grauen Wölfe verbreiten ihre Propaganda, bedrohen Menschen, und Abgeordnete lassen sich mit ihnen ablichten. Menschen, die sich dem IS-Faschismus entgegenstellen - die verfolgten Jesiden und Jesidinnen, die Kurden und Kurdinnen -, werden in diesem Land verfolgt und abgeschoben. An den Grenzposten der Türkei werden Flüchtlinge aufgehalten, während gleichzeitig Waffen und Terroristen ungehindert passieren.

Und es ist die Union gewesen - vielleicht erinnern Sie sich nicht mehr -,

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Exakt!)

die über Jahrzehnte das Wirken der türkischen Religionsbehörden in Deutschland befördert hat.

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Es wird ja grotesk, Frau Kollegin, wirklich grotesk!)

Vor diesem Hintergrund sind Ihre aktuellen Forderungen nach Kontrolle der Finanzierung von Moscheen nicht glaubwürdig. Ja, vielleicht haben Sie das alles vergessen. Schauen Sie mal auf Ihre Sicherheitspolitik der letzten Jahre! 

(Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Sprachlosigkeit sagt ja alles!)

Ich habe erläutert, warum Ihr Antrag scheinheilig ist. Ich will jetzt noch erläutern, warum Ihr Antrag populistisch ist. 

(Josef Oster (CDU/CSU): Nicht nötig! - Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Kann man nicht ernst nehmen!)

Ihr Antrag ist populistisch, weil er mit der Praxis der Sicherheitsbehörden, deren Bedürfnissen und dem, was gerade passieren muss, überhaupt nichts zu tun hat. Sie wollen nicht die Praxis der Sicherheitsbehörden verbessern. Sie wollen lediglich leere und zum Teil - das ist schon mehrfach erwähnt worden - verfassungsrechtlich bedenkliche Vorschläge in die politische Arena einbringen, nur um sich selbst zu profilieren. Das hilft niemandem in diesem Land, -

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Martina Renner (Die Linke): 

- der von Islamisten bedroht wird. 

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Diese Debatte droht der Tiefpunkt des heutigen Tages zu werden!)

Das sollte aber unsere Perspektive sein: an der Seite der Betroffenen zu stehen, immer da.

Danke schön.

(Beifall bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Die letzte Rede in dieser Aussprache hält Helge Lindh für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP - Zuruf von der AfD: Er hat Springerstiefel an!)

Helge Lindh (SPD): 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich höre von der AfD, ich hätte Springerstiefel an. Lieber Springerstiefel am Fuß als im Kopf wie bei Ihnen, finde ich. - Kommen wir zum Thema. Gestern hatte Salman Rushdie einen bemerkenswerten Auftritt im Deutschen Theater, der Mann, gegen den Chomeini bekanntlich ein Todesurteil ausgesprochen hatte und der 2022 beinahe von jemandem ermordet wurde, der dieses Urteil aus islamistischen Gründen vollstrecken wollte. Dieser Mann ist an seinem ganzen Körper zutiefst gezeichnet. Aber er widerspricht dieser Unmenschlichkeit mit Humor und zutiefst menschlich. 

Vor diesem Hintergrund ist es selbstverständlich berechtigt, dass wir heute über die sehr akuten Gefahren des Islamismus und der Radikalisierung sprechen. Und selbstverständlich ist es auch berechtigt, aktuelle Tendenzen der Radikalisierung wahrzunehmen, zum Beispiel Versuche einzelner Personen, mit charismatischen Tricks Jugendliche zu gewinnen. All das zu benennen, ist absolut legitim. Aber Ihre Analyse und die Schlussfolgerung, die die Union daraus zieht, reißen diesen berechtigten Ansatz weitestgehend wieder ein. Herr Throm, Sie haben den Beweis geliefert. Sie haben gesagt, besonders sei Ihr Antrag auch „an die vielen bestens integrierten, liberalen und säkularen Muslime“ gerichtet. Jetzt frage ich mich: Was hat denn Muslimischsein mit Integration zu tun? Als ob Islam automatisch Einwanderung und Integrationsbedarf bedeuten würde. Fragen Sie mal die Musliminnen und Muslime in Ihren eigenen Reihen, ob sie das so geistvoll finden! 

Definieren wir, dass Muslime säkular und liberal sein müssen? Was ist denn mit konservativen Muslimen, die ganz normal in diesem Land leben? Würden Sie auch bei Christen sagen, dass diejenigen, die säkular und liberal sind, auf dem Boden dieses Grundgesetzes stehen, aber nicht die konservativen Christen? Ich glaube, Sie würden das nicht tun. Und das ist Ihr Problem. Das kriecht aus jeder Pore Ihres Antrags, diese doppelten Standards, die Sie dort anwenden.

So ist es auch, wenn Sie fast schon verschwörungstheoretisch behaupten, kritische Stimmen würden von der Innenministerin ausgegrenzt und sie würde das Thema Muslimfeindlichkeit hochziehen. Ich erinnere Sie an Ihren eigenen Innenminister. Den Unabhängigen Expertenkreis hat nicht Nancy Faeser eingesetzt, sondern mit starkem Druck und Entschiedenheit war das Horst Seehofer,

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Und wer hat ihn abgeschafft?)

nicht verdächtig, Mitglied der SPD zu sein. Er hat ihn eingesetzt und besetzt. Also, hören Sie auf mit solchen verschwörungstheoretischen Vorstellungen!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie machen einen Fehler. Wenn es Ihnen wirklich darum ginge, diese Entwicklung zu bekämpfen, dann würden Sie selbstverständlich auch über das dramatische Problem der Muslimfeindlichkeit, des antimuslimischen Rassismus sprechen, und zwar weil man Islamismus nicht konsequent bekämpfen kann, wenn man nicht auch dieser Muslimfeindlichkeit entgegenwirkt.

Warum ist das so? Weil es a) den Alltag von vielen Muslimen betrifft und weil b) die Radikalisierer genau das nutzen und vermitteln: Ihr werdet diskriminiert. Die Muslimfeindlichkeit wird nicht anerkannt, aber wir schenken euch eine Stimme. Wir sind für euch da. - So machen sich doch letztlich radikale Islamfeinde und diejenigen, die solche radikalen islamistischen Ideen verbreiten, zu Komplizen, und wir haben eine Radikalisierungsspirale.

Eine Antwort aber, wie man es machen könnte, hat Salman Rushdie gegeben, indem er gestern gesagt hat, dass wir eben keine wandelnden Kategorien seien. Wir erschöpfen uns nicht darin, jüdisch zu sein oder muslimisch oder christlich oder einen Migrationshintergrund zu haben. Migrationshintergrund und muslimisch - ich wiederhole es noch mal; Beginn Ihres Antrages - sind nicht deckungsgleich.

Wenn Sie dann auch noch im zweiten Satz schreiben, dass kulturelle Vielfalt eine Bereicherung, ein Gewinn sein könne, wenn sie friedlich und auf dem Boden der Rechtsordnung erfolge, dann offenbaren Sie doch die Scheinheiligkeit, die Bigotterie und die doppelten Standards Ihres Antrags.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn Sie vermitteln nichts anderes als das: Kulturelle Vielfalt ist erst mal verdächtig.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Helge Lindh (SPD): 

Grundverdacht gegen Muslime: Sie stehen nicht auf dem Boden der Grundordnung, sie sind ein Sicherheitsproblem, und sie sind nicht friedlich. So verlieren Sie Menschen. 

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Helge Lindh (SPD): 

So treten Sie ganz vielen Musliminnen und Muslimen in diesem Land in den Hintern, und das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: 

Damit schließe ich die Aussprache. 

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 20/11393 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.

 

Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 
170. Sitzung – wird am

Dienstag, den 21.05.2024

auf der Website des Bundestages unter „Dokumente“, „Protokolle“, „Endgültige Plenarprotokolle“ veröffentlicht.

 

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