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75 Jahre Grundgesetz

Was Männer aus dem Südwesten beitrugen

Seit 1949 ist das Grundgesetz die Basis für die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Mit Carlo Schmid und Theodor Heuss waren zwei Politiker aus dem Südwesten maßgeblich an seiner Entstehung beteiligt.

Fotos von Elisabeth Selbert hängen im Treppenhaus einer nach ihr benannten Berufsschule: Die SPD-Politikerin Elisabeth Selbert (1896 - 1986) war eine von vier Müttern des Grundgesetzes, keine von ihnen kam aus dem Südwesten.

IMAGO/Eckhard Stengel)
Links: Der SPD-Politiker Carlo Schmid war einer der Väter des Grundgesetzes. FOTO: WALTER SANDERS | Rechts: Der erste deutsche Bundespräsident Theodor Heuss im Jahr 1954. FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE

Stuttgart. Am Anfang des Weges zum Grundgesetz, das am 23. Mai 1949 verabschiedet wurde, stand der Wille der westlichen Alliierten. Nach der Blockade Westberlins durch die Sowjetunion seit Ende Juni 1948 zeichnete sich der Kalte Krieg und die Teilung Deutschlands bereits ab. Die Militärgouverneure der USA, Großbritanniens und Frankreichs forderten die Ministerpräsidenten in den elf Ländern in ihrer Besatzungszone auf, die Verfassung eines westdeutschen Staates vorzubereiten. Alsbald trat ein Sachverständigenausschuss in Herrenchiemsee zusammen und erarbeitete den ersten Entwurf für eine Verfassung. Im September schon setzte der Parlamentarische Rat in Bonn die Arbeit fort. Dieser bestand aus 65 stimmberechtigten Mitgliedern, entsprechend den parteipolitischen Kräfteverhältnissen in den Ländern ausgewählt.

Welche Macht sollten die Länder haben, welche der Bund? Wie sollte das neue Staatsgebilde heißen? Auf diese und viele weitere Fragen sollten die 65 Mitglieder des Parlamentarischen Rates überzeugende Antworten geben.

Konrad Adenauer (CDU) wird Präsident des Rats, für ihn ein Ausgangspunkt für seine spätere Kanzlerschaft. Er nutzt das Amt, um gegenüber den Alliierten schon als eine Art Staatschef aufzutreten und Macht und Ansehen auszubauen.

Schmid führt die SPD, Heuss die FDP im Parlamentarischen Rat

Inhaltlich trug er eher wenig bei. Nicht ein einziges Komma habe er in den Verfassungstext gesetzt, wird später gespottet. Eine maßgeblichere Rolle für Substanz wie Textfassung des Grundgesetzes spielen dagegen zwei Politiker aus dem Südwesten, die die beiden anderen gewichtigen Parteien vertreten. Carlo Schmid ist im Rat Verhandlungsführer der SPD-Vertreter, Theodor Heuss hat diese Funktion für die FDP inne. Für Schmid war die Tätigkeit im Parlamentarischen Rat die Sternstunde seiner politischen Karriere, Theodor Heuss wurde kurz darauf erster Bundespräsident des neuen Staates.

Was war ihr Beitrag zum Grundgesetz? Schmid hatte nicht nur formal eine Schlüsselrolle inne. Der Juraprofessor, erst 1946 in die SPD eingetreten, war schon in Herrenchiemsee dabei gewesen, also mit der Materie vertraut. Zudem hatte er, zeitweise sogar stellvertretender Staatspräsident und Justizminister, bereits an der Ausarbeitung von Länderverfassungen mitgewirkt. „Die Verfassung Württemberg-Badens – die erste in einem westdeutschen Land nach Kriegsende – war im Wesentlichen von Carlo Schmid entworfen worden“, so der Historiker Frank Raberg.

Die wehrhafte Demokratie war eine Lehre aus dem Schicksal von W eimar

Heuss, zwölf Jahre älter, war schon in der Weimarer Republik ein führender Journalist und Politiker, Vertrauter des liberalen Übervaters Friedrich Naumann gewesen und Reichstagsabgeordneter.

Schmid wie Heuss war im Dritten Reich eine berufliche Karriere verwehrt, beide hatten Kontakt zu Widerstandskreisen gehabt und wollten – wie der Rat generell, in dem auch mehrere Exilanten saßen – die Basis dafür legen, damit sich das Schicksal der Weimarer Republik nicht wiederholte. Der Gedanke der „wehrhaften Demokratie“ stand beim Grundgesetz Pate.

Wie es der brillante Redner Schmid schon in der Auftakt-Debatte des Rats formulierte: „Die Grundrechte müssen das Grundgesetz regieren“, nicht wie in Weimar nur ein Anhängsel der Verfassung sein. Die Würde des Menschen ist unantastbar, heißt es später in Artikel 1 GG, die Grundrechte sind unmittelbar geltendes Recht. Auch das weitreichende Asylrecht und die Abschaffung der Todesstrafe sind zwei Meilensteine der deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte. In beiden Fällen zählte Schmid zu den vehementen Befürwortern und Wegbereitern.

Heuss plädierte für den Namen „Bundesrepublik Deutschland“

Wie sollte der neue Staat heißen, der die Nachfolge des Deutschen Reiches und des Dritten Reiches antrat? Der Parlamentarische Rat einigt sich auf „Bundesrepublik Deutschland“, nicht zuletzt auf Heuss’ Betreiben: „Mit dem Worte ‚Deutschland‘geben wir dem ganzen ein gewisses Pathos, sentimentaler und nicht machtpolitischer Art“, so Heuss. Der Vorschlag des Liberalen „passt sowohl zum föderalistischen Konzept der Union als auch zum republikanischen Selbstverständnis der Sozialdemokraten“, schreibt Sabine Böhne-Di Leo in „Die Erfindung der Bundesrepublik“.

„Ein gewisses Alleinstellungsmerkmal“, so der Landeshistoriker Thomas Schnabel, besaß Heuss in einem anderen Punkt. Während viele Mitglieder des Parlamentarischen Rats das Provisorische des Grundgesetzes herausstrichen, das deswegen auch nicht Verfassung heißen sollte, um nicht einer mehr erhofften als wahrscheinlichen Einheit Deutschlands im Wege zu stehen, betonte Heuss von Anfang an: „Wir müssen vielmehr strukturell schon etwas Stabileres hier fertigzubringen versuchen, auch etwas, was eine gewisse Symbolwirkung hat.“

Heuss wird 1949 Bundespräsident, Schmid scheitert 1959 bei der Wahl

Das gelang. Am 8. Mai 1949, auf den Tag genau vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands und dem Ende des zweiten Weltkriegs, war das Werk vollbracht, die Arbeit am Grundgesetz beendet; am 23. wurde es dann verabschiedet.

Wenig später, am 14. August, folgte die erste Bundestagswahl. Heuss wurde Fraktionsvorsitzender der FDP und auf Betreiben Adenauers, der eine Koalitionsregierung mit der FDP statt einer Großen Koalition anstrebte, am 12. September zum ersten Bundespräsidenten gewählt – gegen den SPD-Kandidaten Kurt Schumacher.

Noch einmal kreuzten sich die Wege von Heuss und Schmid. 1959 trat „Papa Heuss“, so sein halb ehrfürchtiger, halb spöttischer Spitzname, als Bundespräsident ab. Um seine Nachfolge im nominell höchsten Amt im Staat bewarb sich für die SPD Carlo Schmid. Er unterlag aber im zweiten Wahlgang gegen den Kandidaten der CDU, Heinrich Lübke.

Eine Leuchtreklame fürs Grundgesetz im Mai 2024 auf einer Litfaßsäule. Foto: IMAGO/Achim Duwentäster

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