Kann eine Konfrontation der Nato mit Russland vermieden werden?
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Kann eine Konfrontation der Nato mit Russland vermieden werden?

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Ein durch russischen Beschuss zerstörtes Haus in Charkiw.
Ein durch russischen Beschuss zerstörtes Haus in Charkiw. © dpa

Auch wenn niemand vorhersehen kann, wie der Ukraine-Krieg endet: In diesem Krieg gibt es keine guten Optionen mehr. Der Gastbeitrag von Johannes Varwick (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg).

Für die in Trümmern liegende europäische Sicherheitsarchitektur heißt das, dass selbst eine Minimalstabilisierung nur gelingen kann, wenn der Krieg in der Ukraine nicht in einen Krieg um die Ukraine eskaliert. Deshalb sollte die dauerhafte westliche Unterstützung so angelegt sein, dass die Nato nicht zur Kriegspartei wird oder Kompromissangebote für Moskau faktisch unmöglich werden.

Die Nato und Russland werden selbst im besten Fall – also der Vermeidung einer direkten militärischen Konfrontation in der Ukraine – auf lange Sicht in einem Zustand scharfer Konfrontation miteinander leben müssen. Dies geschieht in einer Lage, in der Rüstungskontrolle nahezu komplett erodiert ist und es in einem von gegenseitigem Misstrauen geprägten politischen Klima jederzeit zu Zwischenfällen und Fehlkalkulationen kommen kann. Man kann nur hoffen, dass es minimale „Backchannel-Kontakte“ gibt, die ein Mindestmaß an Berechenbarkeit gewährleisten.

Nato will 100-Milliarden-Euro-Paket an Ukraine-Hilfen

Nach Vorstellungen ihres Generalsekretärs will die Allianz auf ihrem Gipfel im Juli 2024 ein eigenes Budget in Höhe von 100 Milliarden Euro für die kommenden fünf Jahre zur Unterstützung der Ukraine auflegen. Sie will zudem die Koordination der Waffenlieferungen und der Ausbildung ukrainischer Soldaten übernehmen, die bisher unter Führung der USA im sogenannten Ramstein-Format durchgeführt wird.

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Auch soll es einen Nato-Rahmen für die künftigen bilateralen Sicherheitsabkommen geben. Solche Vereinbarungen haben eine Reihe von Staaten, darunter Deutschland im Februar 2024, abgeschlossen. Es geht dabei um auf zehn Jahre angelegten Vereinbarungen über Sicherheitszusammenarbeit und langfristige Unterstützung zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten und der Ukraine. Verbindliche Sicherheitsgarantien vergleichbar einem Nato-Beitritt sehen diese Abkommen vernünftigerweise nicht vor.

Einige Nato-Länder erwägen, Truppen nahe dem Dnipro zu stationieren

Inzwischen wird offenkundig in einigen Hauptstädten aber auch darüber nachgedacht, ob es eine Option sein könnte, bei einem absehbaren Durchbruch Russlands durch die Frontlinie eigene Truppen westlich des Dnipro zu stationieren, um Russland von einem Übertritt abzuhalten. Die Folge wäre eine faktische Teilung der Ukraine in einen russisch besetzen Osten und Südosten und eine durch westliche Truppen gesicherte Restukraine. Einige nennen dies „Südkorea-“, andere „Deutschland-Modell“.

Johannes Varwick lehrt internationalie Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Johannes Varwick lehrt internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. © privat

Die Nato hat nach dem russischen Angriff im Februar 2022 in nachvollziehbarer Weise ihre Verteidigungsplanung angepasst. Durch den Beitritt Schwedens und Finnlands hat sich die beiderseitige Grenzlänge zwischen Allianzterritorium und Russland verdoppelt und es stehen sich künftig Nato- und russische Truppen an einer verlängerten osteuropäischen Konfrontationslinie zwischen Nordnorwegen und dem Schwarzen Meer gegenüber.

Das neue Streitkräftemodell der Nato vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs

Das neue Streitkräftemodell der Nato sieht eine erhöhte Verteidigungs- und Reaktionsfähigkeit in drei Abstufungen vor, bei dem bis zu 500.000 multinationale Truppen zur Verfügung stehen. Aufgrund deutlicher konventioneller Unterlegenheit Russlands – das zudem durch erhebliche personelle und materielle Verluste im Krieg gegen die Ukraine kurz- bis mittelfristig kaum zu großen raumgreifenden Operationen gegen Nato-Gebiet fähig ist – dürfte Russland die Bedeutung von Nuklearwaffen mit kurzer und mittlerer Reichweite in den Vordergrund seiner Militärstrategie rücken.

Denn hier hat es eine deutliche Überlegenheit gegenüber den europäischen Nato-Staaten. Auch wird Russland stärker auf hybride Taktiken, von der Unterbrechung westlicher Seekabel beziehungsweise Pipelines über Cyberangriffe bis hin zu Informationskriegen setzen.

Die mantraartige Betonung der „ukrainischen Friedensformel“ ist unrealistisch

Minimalziel muss sein, dass erstens eine direkte militärische Auseinandersetzung und eine unter Umständen sogar nukleare Eskalation mit Russland verhindert und zweitens die Ukraine diesen Krieg zu möglichst guten Bedingungen übersteht und seine Existenz als souveräner Staat sichert. Ob beides gleichzeitig zu haben ist, wird sich zeigen.

Jedenfalls dürfte die mantraartige Betonung der „ukrainischen Friedensformel“ keine realistische Ausgangslage dafür sein. Zugleich muss eine politische Lösung über den Tag hinausdenken. Denn unabhängig von der Ukrainefrage wird es einen Modus Vivendi zwischen dem Westen und Russland geben müssen, mit dem ihre Koexistenz möglichst belastbar gestaltet werden kann.

Auch wenn niemand vorhersehen kann, ob der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine in absehbarer Zeit beendet werden kann und wie er endet: In diesem Krieg gibt es keine guten Optionen mehr. (Johannes Varwick)

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