Jugendkriminalität Österreich
Immer wieder schwappt die Debatte hoch, ob Kinder und Jugendliche schon früher als derzeit möglich vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden sollen.
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Die Debatte rund um die Altersgrenze für die Strafmündigkeit flammt immer wieder mal auf. Ende April beispielsweise präsentierte die Wiener Polizei einen Ermittlungserfolg: Sie hat 24 Verdächtige zwischen zwölf und 17 Jahren ausfindig gemacht, die seit Herbst 350 Mal in Fahrzeuge eingebrochen sein sowie diverse Geschäfts- und Automateneinbrüche und Sachbeschädigungen begangen haben sollen. Sechs davon waren strafunmündig. Ihren Anfang nahm die Diskussion nach dem im Februar öffentlich gewordenen Missbrauch einer Zwölfjährigen mit insgesamt 17 Tatverdächtigen, darunter zwei unter 14-Jährige.

Vergangene Woche sprach sich nun ein Bündnis zwischen 14 Jugendorganisationen in einem offenen Brief gegen den Vorschlag aus. Es unterschrieben unter anderem jene der SPÖ, der Grünen und Neos, die Evangelische Jugend und die Pfadfinder, auch NGOs schlossen sich an. Sie schlagen stattdessen ein umfangreiches Maßnahmenbündel von Sozialarbeit über Bubenarbeit bis hin zur Wiedereinführung des Jugendgerichtshofs vor.

Was der ÖVP vorschwebt

ÖVP-Innenminister Gerhard Karner und seine Parteikollegin und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler verweisen darauf, dass sie mit der Herabsetzung der Strafmündigkeit von aktuell 14 auf zwölf Jahre einer Empfehlung der interministeriellen Arbeitsgruppe folgen. Edtstadler verteidigt das Vorhaben damit, dass es ihrer Partei nicht darum gehe, "Kinder ins Gefängnis zu bringen", sondern "durchsetzbare Maßnahmen ergreifen zu können, die derzeit mit dem Alter der Strafmündigkeit zusammenhängen".

Die ÖVP will außerdem erreichen, dass junge Straftäter verpflichtend und in Begleitung der Eltern von der Exekutive vorgeladen werden können. Bei Nichtteilnahme sollen Verwaltungsstrafen von bis zu 1000 Euro drohen. Im Fall von schwerwiegenden Gewaltdelikten oder Intensivtätern sollen zudem sicherheitspolizeiliche Fallkonferenzen mit Jugendeinrichtungen und Justizstellen eingeführt werden.

Grüne dagegen

Der grüne Koalitionspartner der Türkisen zeigt sich bisher allerdings eindeutig ablehnend. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) hat sich schon im März gegen eine Senkung ausgesprochen. Innenminister Karner gibt sich unbeirrt: Er werde die "Gespräche mit dem Justizministerium intensivieren".

Die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie spricht sich ebenso gegen die Idee aus wie der Dachverband Österreichischer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen. Und auch der Vorsitzende der Fachgruppe Jugendstrafrecht in der Vereinigung österreichischer Richterinnen und Richter, Daniel Schmitzberger, kann einer Änderung der Altersgrenze nichts abgewinnen. "Eine Herabsetzung der Strafmündigkeit würde keine einzige Straftat verhindern", ist er überzeugt.

Reaktionen aus der Fachwelt

Wer diese verhindern wolle, müsse "frühzeitig präventiv tätig werden, insbesondere im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, und in den Schulen investieren". Die Strafmündigkeit liege schon seit fast 100 Jahren bei 14 Jahren, sie entspreche damit der Altersgrenze in fast allen Staaten der Europäischen Union und den internationalen Empfehlungen. Sie zu senken, "bedeutet zwölf- und 13-jährige Kinder in Gefängnissen einsperren zu wollen, alle anderen Maßnahmen können im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe besser, früher und einfacher umgesetzt werden". Dafür müsse aber auch entsprechend investiert werden, sagt Schmitzberger. Der Richter ist auch Mitglied des Netzwerks Kriminalpolitik, in dem unter anderem die Vereinigung österreichischer Strafverteidiger aktiv ist. Auch dieses Gremium steht den ÖVP-Vorstellungen ablehnend gegenüber.

Es gibt in der Justiz aber durchaus auch Menschen, die zumindest anonym einer niedrigeren Altersgrenze etwas abgewinnen können. Als Argument wird etwa angeführt, dass es bereits jetzt Intensivtäter gebe, bei denen die Staatsanwaltschaft nur auf deren 14. Geburtstag warte, um sie beim nächsten Delikt festnehmen zu können. Das könne man mit einer früheren strafrechtlichen Intervention möglicherweise verhindern. Andere sympathisieren mit der Vorstellung, die Grenze nur für bestimmte Delikte zu senken. Derzeit informiert die Polizei bei Delinquenten unter 14 Jahren die Staatsanwaltschaft und die Kinder- und Jugendhilfe nur, da ohnehin keine Strafverfolgung möglich ist. Es ist aber ein offenes Geheimnis – zumindest im Landesgericht für Strafsachen Wien –, dass die Handvoll unmündiger Intensivtäter durchaus unter Beobachtung sowohl der Anklagebehörde als auch des Jugendgerichts steht. Taucht ein Name sehr oft in den Akten auf oder kommt ein 13-jähriger Komplize als Zeuge vor Gericht, wird mitunter durchaus eindringlich darauf hingewiesen, dass man ab dem 14. Geburtstag die Konsequenzen seines illegalen Handelns tragen muss.

Angebote für unter 14-Jährige

Auch der Psychiater Reinhart Haller sowie die Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Heidi Kastner befürworten prinzipiell – mit Hinweis auf den früheren Eintritt in die Pubertät – eine Herabsetzung der Strafmündigkeit. Sie betonen aber, dass sie es "nicht für sinnvoll" erachten, "Jugendliche ab zwölf ins Gefängnis zu stecken", wie es Kastner kürzlich in einem STANDARD-Interview formulierte.

Bei der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) verweist man auf mehrere Programme, die sich um die junge Klientel kümmern und dafür sorgen sollen, wieder zu einem sozialverträglichen Leben hinzuführen. So gibt es beispielsweise ein mehrmonatiges "konfrontatives Ressourcentraining", das aggressiven Kindern und Jugendlichen Empathie und korrekte Konfliktlösungen vermitteln soll, auch, indem sie Drucksituationen ausgesetzt werden. Ein Projekt der Männerberatung kümmert sich vor allem um 13- bis 16-Jährige, die strafrechtlich bereits in Erscheinung getreten sind; hier wird vor allem auf psychotherapeutische Betreuung gesetzt. Für die sehr kleine Zahl strafunmündiger Sexualtäter bietet der Verein Limes Therapien an.

Beispiel Schweiz

Ministerin Edtstadler verweist immer wieder auf Länder wie Irland, Großbritannien und die Schweiz, wo die Strafmündigkeit bei unter 14 Jahren liegt. In der Schweiz sind Jugendliche seit 2003 sogar ab zehn Jahren strafmündig. Allerdings steht dort nicht das Bestrafen im Vordergrund, sondern "der Schutz und die Erziehung des Jugendlichen", wie es im Jugendstrafgesetz heißt.

Entsprechend können Jugendanwaltschaften, die die Straftaten in der Eidgenossenschaft zu beurteilen haben, bei Zehn- bis 14-jährigen Straftätern als Sanktion bloß einen Verweis oder eine persönliche Leistung anordnen – etwa einen Arbeitseinsatz von höchstens zehn Tagen, den den Besuch eines Kurses oder die Aufsicht und Betreuung des Kindes und seiner Eltern sowie eine ambulante Behandlung im Fall von psychischen Störungen oder Suchtproblemen. Freiheitsstrafen können in der Schweiz erst ab 15 Jahren verhängt werden.

Noch bevor "Schutzmaßnahmen angeordnet werden, führen die Sozialarbeitenden der Jugendanwaltschaft eine Abklärung zur Person durch und geben eine Empfehlung ab", erklärt auf Anfrage Nino Santabarbara, der Leitende Jugendanwalt des Kantons Bern. Komme etwa eine stationäre offene oder geschlossene Unterbringung in Betracht, werde davor ein medizinisches oder psychologisches Gutachten eingeholt.

Solche "Schutzmaßnahmen" hätten "keinen strafenden Charakter, sondern dienten dazu, Defizite in der Erziehung oder Betreuung des Jugendlichen zu korrigieren", ergänzt der Jugendanwalt. In der Mehrzahl der Fälle würden sie erfolgreich sein, sagt Santabarbara: "Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie während des Vollzugs an die Fortschritte oder auch Rückschritte flexibel angepasst werden können."

Dass Zehn- und Elfjährige in eine Anstalt untergebracht werden, wenn nichts anderes Erfolg verspricht, kommt äußerst selten vor: Von 2020 bis 2022 wurden laut dem Schweizer Statistikamt insgesamt sechs Jugendliche zwischen zehn und zwölf Jahren in einer offenen und eine einzige Person in einer geschlossenen Anstalt platziert.

Die Strafmündigkeit schon ab zehn Jahren spielt derzeit weder in der öffentlichen Diskussion noch in der Kriminalstatistik eine große Rolle: In Zürich, dem bevölkerungsreichsten Schweizer Kanton, wurden 2022 gerade mal 24 Zehnjährige und 52 Elfjährige angezeigt. Die Statistik zeigt auch, dass die jungen Straftäter zwischen zehn und 14 Jahren zumeist leichte bis mittelschwere Delikte begingen – vom Schwarzfahren über Ladendiebstahl bis zu Sachbeschädigung, worunter etwa das Besprayen von Mauern oder Autos fällt. So kamen laut der Jugendanwaltschaft des Kantons Zürich von 4400 jugendlichen Straftätern 56 Prozent bloß mit einem Verweis davon.

Unterschiede zwischen der Schweiz und Österreich

Das Netzwerk Kriminalpolitik verweist in einer Presseaussendung auf wesentliche Unterschiede zwischen Österreich und der Schweiz. So dürfen in der Schweiz 15-Jährige maximal ein Jahr ins Gefängnis gesperrt werden, über 16-Jährige höchstens vier Jahre. In Österreich betragen die möglichen Höchststrafen für diese Altersgruppen zehn beziehungsweise 15 Jahre.

Geschlossene Betreuungseinrichtungen wie in der Schweiz müssten erst aufgebaut und personell besetzt werden, sagt Richter Schmitzberger. Eine bloße Absenkung der Strafmündigkeit auf das Niveau der Schweiz ohne begleitende Maßnahmen würde uns von unserem Nachbarstaat sogar entfernen, glaubt er. (Klaus Bonanomi aus Bern, Anna Giulia Fink, Michael Möseneder, 13.5.2024)