9. Mai 2024

Die Buchtipps der Schwalbacher Zeitung

Lesestoff

„Eisernes Schweigen“ von Traudl Bünger zeigt ein junges Land, das sich neu positionieren muss und dabei die Schatten seiner Vergangenheit konsequent übersieht – bis heute. Isabel Allende hat mit „Der Wind kennt meinen Namen“ eine historische Saga geschrieben. „Tore wie gemalt“ von Javier Cáceres verleihen nicht nur der alten Reporterfloskel eine völlig neue Bedeutung, sondern schreiben auch eine andere Art Fußballgeschichte.

 

„Eisernes Schweigen“

Wie ist es, herauszufinden, dass der Vater ein Attentäter war? Traudl Bünger kannte ihren Vater als einen fürsorglichen Mann, auf den sie sich stets verlassen konnte, der aber auch rigide Meinungen hatte. Schon als Kind wusste sie, dass ihn ein Geheimnis umgab, über das er stets eisern schwieg. Nach seinem plötzlichen Tod beginnt sie, dieses Geheimnis zu lüften – und wird in die frühen Sechzigerjahre katapultiert.

Deutschland ist frisch durch die Mauer geteilt, Bundeskanzler Konrad Adenauer will die BRD als verlässlichen internationalen Partner etablieren. Da flammt ein Konflikt auf, der die junge BRD emotionalisiert und in dem auch Traudl Büngers Vater tatkräftig mitmischt. Im Herbst 1962 fährt er mit Gesinnungsgenossen nach Italien. Ziel der Mission: Völkerrechtsverletzungen an „Volksdeutschen“ in Südtirol brandmarken. Das Mittel: Sprengstoff. Das Ergebnis: Ein Toter und zahlreiche Verletzte.

Was hat ihren Vater im Alter von 27 Jahren zu dieser Tat verleitet? Was für ein Mensch war er? Traudl Büngers Recherchen führen sie in zahlreiche Archive und in drei Länder. Sie beginnt, mit Angehörigen über das damalige Geschehen zu sprechen. Dabei blickt sie nicht nur in die Abgründe ihrer Familiengeschichte. Sie führt uns auch tief in die Historie der Bundesrepublik, des Kalten Krieges und seiner Propagandaschlachten. „Eisernes Schweigen“ zeigt ein junges Land, das sich neu positionieren muss und dabei die Schatten seiner Vergangenheit konsequent übersieht – bis heute.

Traudl Bünger konzipiert seit 2004 Kulturveranstaltungen, u.a. als Programmleitung der Literatur- und Kulturfestivals lit.Cologne und lit.Ruhr sowie des Literatur- und Musikfestivals „Wege durch das Land“. Sie war Kritikerin im Literaturclub des Schweizer Fernsehens und lehrt und publiziert zu Themen der Kulturvermittlung, der literarischen Öffentlichkeit und Gegenwartsliteratur. Sie ist Mitglied der Jury des Heinrich-Heine-Preises. Gemeinsam mit Roger Willemsen schrieb sie den Bestseller „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Die Weltgeschichte der Lüge“. Bei Kiepenheuer & Witsch erschien zuletzt von ihr der Roman „Lieblingskinder“. Für die Arbeit an „Eisernes Schweigen“ wurde sie vom Fritz-Bauer-Institut unterstützt, außerdem mit dem Wellershoff-Stipendium der Stadt Köln, dem Autorinnenstipendium der Kunststiftung NRW und dem Arbeitsstipendium des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW ausgezeichnet. Traudl Bünger lebt in Köln.

Traudl Bünger: „Eisernes Schweigen – Das Attentat meines Vaters. Eine deutsche Familiengeschichte.“
Kiepenheuer & Witsch, 2024. 384 Seiten, 24 Euro.

 

„Der Wind kennt meinen Namen“

Wien, 1938. Samuel Adler ist sechs Jahre alt, als sein Vater und die Familie alles verlieren. In ihrer Verzweiflung verschafft Samuels Mutter ihrem Sohn einen Platz in einem Kindertransport, aus dem von den Nazis besetzten Österreich nach England. Samuel macht sich allein auf die Reise, außer einer Garnitur Wechselkleidung und seiner Geige hat er nichts bei sich – die Last der Einsamkeit und Ungewissheit wird ihn ein Leben lang begleiten.

Arizona, 2019. Acht Jahrzehnte später steigen Anita Díaz und ihre Mutter in den Zug, um der Gewalt in El Salvador zu entkommen und in den Vereinigten Staaten Zuflucht zu finden. Doch ihre Ankunft fällt mit der neuen brutalen Einwanderungspolitik zusammen: Die siebenjährige Anita wird an der Grenze von ihrer Mutter getrennt und landet in einem Lager. Allein und verängstigt, weit weg von allem, was ihr vertraut ist, sucht sie Zuflucht in Azabahar, einer magischen Welt, die nur in ihrer Fantasie existiert. Wie aber soll sie zurückfinden zur Mutter?

Isabel Allende, geboren 1942 in Lima, ist eine der weltweit beliebtesten Autorinnen. Ihre Bücher haben sich millionenfach verkauft und sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden. 2018 wurde sie – und damit erstmals jemand aus der spanischsprachigen Welt – für ihr Lebenswerk mit der National Book Award Medal for Distinguished Contribution to American Letters ausgezeichnet.

Isabel Allende: „Der Wind kennt meinen Namen“
Übersetzt von Svenja Becker
Suhrkamp, 2024. 335 Seiten, 26 Euro.

 

„Tore wie gemalt“

Seit Jahren interviewt Javier Cáceres die bedeutendsten Fußballer der Welt. Eines Abends kam ihm die Idee, seinem Gegenüber einen Notizblock und einen Stift in die Hand zu drücken und ihn zu bitten, sein bestes, wichtigstes oder spektakulärstes Tor zu zeichnen. Entstanden ist eine einzigartige Sammlung von über 100 Zeichnungen, die nicht nur der alten Reporterfloskel „ein Tor wie gemalt“ eine völlig neue Bedeutung verleihen, sondern auch eine andere Art Fußballgeschichte schreiben.

Über 100 Spieler zeichnen und erzählen ihre wichtigsten Tore: Mario Götze, Rudi Völler, Franz Beckenbauer, Gary Lineker, Luis Figo, Alfredo Di Stéfano, César Luis Menotti, Juste Fontaine, Jorge Valdano, Michel Platini, Michael Ballack, Oliver Bierhoff, Thomas Hitzlsperger, Lothar Matthäus, Pep Guardiola, Felix Magath, Uli Hoeneß, Xabi Alonso, Lionel Scaloni, Paul Breitner, Bobby Charlton, George Weah, Pelé, Günter Netzer, Xavi Hernández und viele mehr.

Javier Cáceres, geboren 1970 in Chile, ist seit 2002 Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, er war Korrespondent in Madrid und Brüssel. 2006 veröffentlichte er das Buch „Fútbol. Spaniens Leidenschaft“. Heute lebt er in Berlin.

Javier Cáceres: „Tore wie gemalt“
Insel, 2024. 317 Seiten, 22 Euro.

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