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Was wir von Kindern lernen können

Was wir von Kindern lernen können, Kinder sitzen auf einer Bank
© Rawpixel.com – Adobe Stock

Im neuen Teil unserer Kolumne „Das ist ja wie im Kindergarten“ von Tanja Siepmann geht es dieses Mal um die kindliche Flexibilität von Kindern bei Meinungsverschiedenheiten, darum auch als pädagogische Fachkraft, Konflikte im Team nicht zu persönlich zu nehmen und sich einmal mehr ein Beispiel an der Offenheit der Kinder zu nehmen.

Meinungsverschiedenheit im Rollenspielbereich

Greta ist es leid. Den ganzen Vormittag schon weigert sich Felix ihre Spielideen umzusetzen. „Du bist jetzt wohl das Baby und ich bin die Mutter und bring Dich ins Bett“, schlägt sie im Rollenspielbereich vor. „Nein“, sagt Felix, er wolle lieber der Vater sein und zur Arbeit gehen! „Aus Spiel hast du einen Unfall und musst ins Krankenhaus und ich bin die Ärztin und verarzte Dich“, versucht sie es etwas später noch einmal. „Ne, das geht nicht“, sagt Felix, weil er ja ein Feuerwehrmann ist und der rettet schließlich Menschen und muss nicht selbst gerettet werden. Auf dem Außengelände will Greta Fangen spielen, und entscheidet, dass Felix der Fänger ist. Felix hat anderer Pläne, er muss Löcher in den Sand graben und hat für „Mädchen fangen Jungen“ keine Zeit. Nach noch ein paar weiteren Abfuhren von Felix platzt Greta der Kragen und der Satz aller Sätze bricht aus ihr heraus. Der Satz, der Freundschaften in Frage stellt, Träume zum Platzen bringt und Pläne durchkreuzt. Der Satz, der in seiner Tragweite so schwer wiegt, dass danach nichts mehr wie vorher sein könnte: „Dann lade ich Dich nie wieder zu meinem Geburtstag ein!“ ruft sie Felix erbost zu. Bleiende Stille macht sich über dem Außengelände breit. Niemand wagt es, sich zu bewegen. Leise quietschend rollt ein führerloses Dreirad über den heißen Beton. Direkt vor Felix stößt das Vorderrad gegen die Sandkastenumrandung und kommt zum Stehen. Die ganze Kita hält den Atem an. Nun liegt es an Felix zu reagieren. Wie ernst ist es Greta? Es gilt abzuwägen, ob das Durchsetzten des eigenen Spiels es wirklich wert ist, die „Langzeit Geburtstagsausladung“ in Kauf zu nehmen. Noch ist ein Einlenken möglich, noch kann das Unheil abgewendet werden.

Es geht um das Abwägen von Bedürfnissen

Es arbeitet in dem Jungen, dass ist deutlich zu sehen. Greta steht da und strahlt mit jeder Faser ihres Körpers aus, wie ernst es ihr ist. Wir alle wissen, dass sie erst im nächsten Jahr wieder Geburtstag hat und jedem ist klar, dass sie ihre Entscheidung bis dahin längst vergessen oder revidiert hat. Für Felix spielen diese Tatsachen gerade keine Rolle. Hier geht es um mehr, als um verpasste Partychancen. Es geht um den Konflikt zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen Gretas. Es geht ums Durchsetzen oder Nachgeben, um Loyalität zu sich selbst oder zur Freundin, um Bestimmer oder Mitspieler sein. „Na gut“ lenkt Felix ein, lässt die Schaufel fallen, ruft „Jungs fangen Mädchen“ und rennt los, um Greta zu fangen.

Dann bist Du nicht mehr mein Freund!

Ich bin wieder einmal beeindruckt von der Kraft dieses Satzes und überlege, ob ich die Anwendung in meinen Alltag adaptieren sollte. Kurz stelle ich mir vor, wie ich dem Vordrängler an der Supermarktkasse mit hochgezogener Augenbraue gegenübertrete und mit fester Stimme sage „Das können Sie machen, aber dann lade ich Sie nie wieder zu meinem Geburtstag ein!“ Garantiert wird er sich trollen und brav hintenanstellen. Sehr effektvoll wäre der Satz sicher auch, würde ich, wegen zu schnellen Fahrens, von der Polizei angehalten. Von der Forderung eines Bußgeldes würde der Beamte doch absehen, wenn ich ihm klar machte, dass ihm die Konsequenz, nie wieder zu meinem Geburtstag eingeladen zu werden, drohte. Verstünde er den Ernst der Lage nicht, könnte ich mit dem zweiten Satz aller Sätze nachsetzen, der da lautet: „Dann bist Du nicht mehr mein Freund!“ Noch fehlt mir der Mut für dieses Vorgehen, aber ich bleibe an der Idee dran.

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BAUSTEiNE KiNDERGARTEN Ausgabe 4/2023

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Kindliche Flexibilität bei Meinungsverschiedenheiten

Manchmal wünsche ich mir, dass ich etwas von der Flexibilität übernehmen könnte, die Kinder in Konflikten und Meinungsverschiedenheiten an den Tag legen. Wenn das Gesagte auch im Moment des Aussprechens absolut ernst gemeint ist, ist es anschließend völlig unproblematisch, alles zurückzunehmen oder in Vergessenheit geraten zu lassen. Selbst wenn Felix nicht eingelenkt hätte, hätte Greta sicher nicht, im nächsten März beim Einladungskarten verteilen gesagt: „Tut mir leid Felix, für Dich habe ich heute leider keine Einladung. Du erinnerst Dich sich an den Vorfall im letzten Mai, als Du nicht mit mir spielen wolltest. Ich habe es dir ja gesagt!“ Schon am Nachmittag kann sie sich vermutlich nicht mehr an den Konflikt erinnern.

Nachtragend? Was ist das?

Kinder handeln frei nach der Devise Adenauers: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ Sie sind wahre Weltmeister im Verzeihen und müssten sie den Begriff „nachtragend“ erklären, würden sie vermutlich schildern, wie ihre Eltern ihnen, beladen mit Jacken, Pippibeutel und Bastelgut durch die Kitatür folgen, ihnen also ihren Krempel nachtragen.

Während ich, nach einem heftigen Konflikt zwischen Kindern noch emotional völlig aufgewühlt dasitze, und reflektiere, wie es dazu kommen konnte, haben die Kontrahenten auf dem Bauteppich inzwischen schon wieder gemeinsam den Spaß ihres Lebens.

Verrückterweise reden wir hier über Geschöpfe, die in der einen Minute buddhaartig in sich ruhend und weise handeln, um im nächsten Moment schreiend und untröstlich um einen Apfelschnitz streiten, weil nur dieser die richtige Farbe und Größe hatte. Und überhaupt hatte der Leon schon drei und man selbst nur zwei und einen ganz kleinen!

Konflikte nicht persönlich nehmen

Ich selbst bin leider häufig auch nachtragend. Das die eine Kollegin, sich vor drei Jahren geweigert hat, den Spätdienst mit mir zu tauschen, habe ich nicht vergessen! Ebenso wie meinen heimlichen Schwur, ihr eine Abfuhr zu erteilen, falls sie selbst mal mit einem Tauschwunsch auf mich zukommen sollte. Das ist dann wohl mein erwachsenes Pendant zu „dann lade ich Dich nie wieder zu meinem Geburtstag ein“.

Meine persönliche Lernaufgabe lautet hier wohl, dass Nein meiner Kollegin nicht persönlich zu nehmen. Ihre Absage galt nicht meiner Person, sondern lediglich der Sache. Ich darf anerkennen, dass es wichtige Gründe für sie gab, ihre eigenen Bedürfnisse zu wahren und vor meine zu stellen. Sobald ich das erkannt habe, verlasse ich die gedankliche Kampfarena und kann ihr wieder offen begegnen. Wem will ich etwas vormachen, das ist noch Work in Progress!

Pädagogische Fachkräfte müssen verhandlungsbereit sein

Anderen Haltungen und Meinungen offen gegenüber zu bleiben, ist eine Disziplin, die uns Erwachsenen häufig schwerer fällt als Kindern. Hauptsache Recht haben, selbst wenn man merkt, dass da was an der eigenen Sicht nicht ganz plausibel ist. Stark bleiben, nicht nachgeben, keine Schwäche zeigen, es nicht einreißen lassen, nicht die Kontrolle verlieren, bei Ausnahme droht Anarchie. Glaubenssätze, die die Qualität unserer pädagogischen Arbeit negativ beeinflussen können. Egal, ob innerhalb des Teams, in der Elternarbeit oder in der Beziehung zum Kind braucht es mehr Flexibilität und Verhandelbarkeit. Gerade in der pädagogischen Arbeit hält sich die Annahme hartnäckig, es drohe ein Kontrollverlust, wenn man sich diskussions- und anpassungsbereit zeigt. Ich finde, wer auf sein Recht beharrt, begibt sich in einen Kampfmodus, der selten zu zufriedenstellenden Ergebnissen für alle Beteiligten führt. Gerate ich in so eine Spirale, hilft es mir oft, wenn ich mir die Frage stelle, worum es mir hier gerade geht. Will ich Recht haben oder habe ich eine andere Motivation? Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann fallen mir meine Waffen ganz schnell aus der Hand und ich bin wieder in der Lage mein Gegenüber und seine Bedürfnisse wahrzunehmen.

Versprochen ist versprochen

Aber Achtung, auch kindliche Flexibilität und der Hang zum Vergessen hat seine Grenzen. Nämlich dann, wenn Sie etwas versprochen oder in Aussicht gestellt haben. Das gräbt sich ins kindliche Langzeitgedächtnis ein und kann bei Bedarf abgerufen werden. Da wirst Du locker nach drei Wochen Schließungszeit darauf festgenagelt, dass Du vor den Ferien gesagt hast, dass Paul heute den Morgenkreis leiten darf. Auch dass Du im letzten Jahr beim Zoobesuch versprochen hast, beim nächsten Mal Pommes für alle zu kaufen, wurde nicht vergessen. Und wehe Du hältst Dein Versprechen nicht, dann wirst Du nie wieder zum Geburtstag eigeladen …

Kolumnistin Tanja Siepmann

Tanja Siepmann ist Erzieherin und freie Autorin.

Tanja Siepmann Tanja Siepmann

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