Havelberger Dialoge: Landkreis Stendal: Seit wann gibt es den „Ossi“?
  1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Havelberg
  6. >
  7. Havelberger Dialoge: Landkreis Stendal: Seit wann gibt es den „Ossi“?

EIL

Havelberger Dialoge Landkreis Stendal: Seit wann gibt es den „Ossi“?

Die Havelberger Dialoge widmen sich der „Ostdeutschen Identität“. Autor Christoph Dieckmann geht mit seinem Buch „Woher wir geboren sind“ auf Spurensuche.

Von Max Tietze 11.05.2024, 12:39
Buchautor Christoph Dieckmann nahm sich nach der Lesung in Havelberg Zeit für Fragen der Gäste, hier im Gespräch mit Sabine Hoffmann.
Buchautor Christoph Dieckmann nahm sich nach der Lesung in Havelberg Zeit für Fragen der Gäste, hier im Gespräch mit Sabine Hoffmann. Foto: Max Tietze

Havelberg. - Die Reihe der „Havelberger Dialoge“ geht in ihr drittes Jahr. Nach den Worten von Initiator Pfarrer Teja Begrich hat sie damit beste Voraussetzungen, zu einer Tradition in Havelberg und im Landkreis Stendal zu werden. Diesmal liegt der Schwerpunkt auf der Suche nach Erklärungen, was unter einer ostdeutschen Identität verstanden werden kann. Gibt es den Ossi und den Wessi? Zu Gast in Havelberg im Paradiessaal war Christoph Dieckmann, Journalist bei der Wochenzeitung „Die Zeit“ und freier Autor. Als Pfarrerskind erfuhr er selbst, wie schwierig der DDR-Staat den Menschen Ausbildung machen konnte. Heute sieht er sich als Vermittler, er kann über das Leben in Ost und West Auskunft geben. In seinem Buch „Woher sind wir geboren: Deutsche Welt- und Heimreisen“ nimmt der Autor seine Leser mit zu Orten, die bedeutsam für das eigene Verständnis sind.

Mit seinen Kapiteln über das Reisen zu DDR-Zeiten und die präzise Schilderung der Wendezeit weckte er eigene Erinnerungen bei den Zuhörern. Was passierte damals und wie ist es heute – letztlich sind es viele Dinge, die nicht mit einem Wort allein erklärt werden können. Das doppeldeutsche Leben in der Zeit von 1989 und danach selbst erfahren zu haben, ist ein Schatz der aktuellen Generation.

Erstaunt war Christoph Dieckmann über den bis auf den letzten Platz gefüllten Raum. Der Abend war für Ost und West gleichermaßen interessant. Der Autor schildert in seinem Buch das Volk, wie es bei den in der DDR üblichen Demonstrationen den Oberen zujubelte oder sie bejubeln musste. 1989 wurde auch demonstriert, aber völlig anders, als die Rufe „Wir sind das Volk“ immer lauter wurden. Er stellte die Frage, ob es in der DDR verschiedene Völker gab. Christoph Dieckmann listete chronologisch auf, was beispielsweise in Ungarn und Rumänien vor sich ging. Er zeichnete den Weg von Honecker nach, vom Staatsführer hin zu jemanden, der bei der Kirche Asyl fand.

Nach Ansicht von Eva-Maria Menard, Superintendentin im Kirchenkreis Prignitz, brauchen die Menschen mehrere Perspektiven. Die Erinnerungen aus Ost und West zu etwas Gemeinsamen zu machen, gehe nicht mit einem Wort allein.

Lesen Sie auch: Kreis Stendal: „Dialog“ mit Anetta Kahane über Lebensgeschichten

Wie besonders Erinnerungen sein können, schilderte der Havelberger Edwin Weidenbach: „Ich bin 1989 aus der alten Welt in eine neue gereist. Im September ging es für drei Monate nach Kanada. Als ich im November zurückkehrte, gab es keine DDR mehr.“

Beim Thema Identität wurde deutlich, Redebedarf ist nicht nur auf „ostdeutscher“ Seite vorhanden. Wer die vielen Veränderungen im Saarland über Jahrzehnte zurückverfolgen kann, weiß aus eigener Erfahrung, wie sich Gesellschaft und Geschichte wandeln können. „Brüche“ im Leben von Menschen bleiben.

Aus dem Publikum wurde darauf aufmerksam gemacht, dass der Begriff „Ossi“ schon weit vor Wendezeiten den Ostfriesen vorbehalten war. Ostfriesland liegt bekanntlich im Nordwesten Deutschlands und hat nichts mit den fünf neuen Bundesländern zu tun. Außer, dass nach 1990 einige aus dem Landstrich ihr Zuhause in Ostdeutschland gefunden haben.

Auch von Vorurteilen gegenüber Westdeutschen war die Rede, wo sich unpopuläre Entscheidungen der Treuhand fälschlicherweise ins Private übertrugen. Unterschiedliche Sozialisation und doch wieder Gemeinsames aus Jugendzeiten kam zu Tage. Dank Radio und Fernsehen waren beispielsweise Musik und Modetrends fast gleich.

Also bleibt die Frage nach „woher Menschen geboren sind“ spannend. Alle, die Umbrüche in ihrem Leben erfuhren, unabhängig von einer Staatenzugehörigkeit, haben dadurch ganz besondere „Schätze“ und Sichtweisen auf Dinge, die einzigartig sind.

Viel Gesprächsstoff wird der kommende Dialogabend am Dienstag um 19 Uhr bieten. Dann wird Marianne Birthler in Havelberg im Paradiessaal zu Gast sein. Ein ganze „Behörde“ trug ihren Namen. Der „Gauck-Behörde“ folgte die „Birthler-Behörde“. Von September 2000 bis 2011 war sie die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.