Zwei rivalisierende Stimmen für die Freiheit - Preußische Allgemeine Zeitung
20.05.2024

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Am 16. Juli 1952: Ernst Reuter und Konrad Adenauer (von links)
Foto: akg imagesAm 16. Juli 1952: Ernst Reuter und Konrad Adenauer (von links)

Doppelbiographie

Zwei rivalisierende Stimmen für die Freiheit

Jürgen Peter Schmied zeichnet in einer von der Stiftung Ernst-Reuter-Archiv herausgegebenen Publikation Ernst Reuter und Konrad Adenauer als Rivalen, Gegner und Verbündete

Ansgar Lange
18.05.2024

Konrad Adenauer und Ernst Reuter sind unzweifelhaft zwei prägende politische Gestalten der frühen Bundesrepublik. Während der „Gründungskanzler“ (Hans-Peter Schwarz) den meisten Deutschen zumindest dem Namen nach noch geläufig sein dürfte, sieht es bei Ernst Reuter schon etwas anders aus. Der Bonner Historiker Jürgen Peter Schmied widmet den beiden auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Figuren eine schlanke Schrift, welche die Vollblutpolitiker als Rivalen, Gegner und Verbündete zeichnet.

Der 1974 geborene Historiker Schmied ist ein ausgewiesener Kenner der Materie. Im Jahr 2010 veröffentlichte er im Verlag C.H. Beck eine voluminöse Biographie über Sebastian Haffner, einen der interessantesten Publizisten und populären Historiker der Bundesrepublik. Von 2010 bis 2018 arbeitete Schmied als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf und war Projektleiter der dortigen Dauerausstellung. Seit 2019 ist Schmied als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf tätig.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat Schmieds Stil anlässlich einer Rezension seines Haffner-Buches einst wie folgt beschrieben: „Er wird Haffner, der nicht zuletzt wegen seines Stils berühmt war, sowohl sprachlich als auch in seinem souveränen, gerecht abwägenden Zugriff auf dessen Art und Eigenheiten gerecht.“ Diese Feststellung darf man auch über seine jüngste Veröffentlichung im Rahmen der Ernst-Reuter-Hefte machen. Obwohl der eher als konservativ zu verortende Schmied dem Gründungskanzler Adenauer, dem er 2018 den sehr schönen Bildband „Konrad Adenauer. Der Kanzler aus Rhöndorf“ gewidmet hat, politisch näherstehen dürfte, beschreibt er sowohl Adenauer als auch Reuter mit Fairness und Sympathie. Sein Stil ist klar und verständlich, die Sprache menschlich einfühlsam. Sowohl der Laie als auch der Historiker können die Broschüre mit Genuss und Gewinn lesen.

Doch nun zum eigentlichen Buch, das vergangenes Jahr im Bebra Verlag erschienen ist, der sich seit seiner Gründung vor 30 Jahren schwerpunktmäßig mit der Geschichte und Zeitgeschichte der Region Berlin-Brandenburg beschäftigt. Die Ernst-Reuter-Hefte haben es sich zum Ziel gesetzt, auf knappem Raum ausgewählte Themen zur Biographie Ernst Reuters, zur Geschichte Berlins und zur allgemeinen deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert darzustellen. Die historischen Essays richten sich sowohl an ein Fachpublikum als auch an eine historisch interessierte Leserschaft. Beide Lesergruppen adressiert Schmied perfekt.

Was verbindet die auf den ersten Blick so unterschiedlichen Politiker? Beide haben gemeinsam, dass sie als Oberbürgermeister von Köln (Adenauer) und Magdeburg (Reuter) von den Nationalsozialisten aus dem Amt gejagt wurden. Während der 1889 im schleswigschen Apenrade geborene Reuter einer arrivierten bürgerlichen Familie entstammte, wuchs der 1876 geborene Adenauer in einem eher kleinbürgerlichen Milieu auf. Während beide ihre politischen Karrieren mit viel Fleiß verfolgten, mangelte es dem Großbürger Reuter immer am nötigen Stallgeruch in der SPD, während Adenauer die Christlich Demokratische Union über Jahre dominierte.

Wertvoll für Profis wie für Laien
Als Oberbürgermeister teilten der Sozialist Reuter und der Zentrumsmann Adenauer die Vorliebe für eine sehr expansive Ausgabenpolitik. Sie förderten den sozialen Wohnungsbau, um die Lebensqualität der Bürger spürbar zu verbessern. Beide einte eine „Vorliebe für kostspielige Großvorhaben“, so Schmied. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten war die politische Karriere erst einmal unterbrochen. Beide mussten sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Der Rheinländer Adenauer kam in Haft, der Preuße Reuter musste sogar für mehrere Monate in ein Konzentrationslager. Beim Aktenstudium gab sich der gebürtige Kölner übrigens deutlich preußischer, das heißt akribischer als der Freigeist Reuter, den eine lebenslange Liebe zur klassischen Philologie und zu Büchern auszeichnete, wie Schmied mit feinem Humor anmerkt.

Reuter, der im Juni 1947 zum Oberbürgermeister von Berlin gewählt worden war, profilierte sich als Führungsfigur des Berliner Widerstands gegen die sowjetische Aggression. Mit seinem Eintreten für die Gründung eines westdeutschen Teilstaates, für eine Stärkung des westlichen Bündnisses und eine entschlossene Politik gegenüber Moskau entfernte sich Reuter sehr weit von seiner eigenen Partei und näherte sich den Positionen Adenauer an, der 1949 in Bonn, der provisorischen Hauptstadt der Bundesrepublik, zum Bundeskanzler gewählt wurde.

Doch mit der Zeit traten die Differenzen bezüglich der Deutschlandpolitik immer offener zutage, da der Regierende Bürgermeister von Berlin eine wesentlich größere Bereitschaft als der Bundeskanzler an den Tag legte, mit den östlichen Machthabern in einen Dialog über die Wiedervereinigung einzutreten, während Adenauer den westlichen Verbündeten gegenüber mit sehr viel mehr Verständnis und Nachsicht begegnete, als dies bei Reuter der Fall war.

Wie war es um die politische Macht der beiden bestellt? Adenauer, der gegenüber sich selbst und gegenüber den politischen Mitbewerbern zur Härte neigte und keine Sentimentalitäten kannte, war aufgrund seines Amtes als Bundeskanzler und als Parteivorsitzender unangefochten. Reuter wurde zu einem der profiliertesten Politiker der frühen Nachkriegszeit, weil er etwas darstellte und weil er über die Parteigrenzen hinweg sehr viel Sympathie genoss, zum Beispiel beim freidemokratischen Bundespräsidenten Theodor Heuss oder dem christdemokratischen Minister für Gesamtdeutsche Fragen Jakob Kaiser, der immer wieder als Fürsprecher Reuters auftrat.

Ein wenig dem Vergessen entrissen
„Schon die äußere Erscheinung war ähnlich imposant wie diejenige Adenauers“, schreibt Schmied. „Auf einem stattlichen Körper saß ein mächtiger Kopf, die großen, dunklen Augen wurden von buschigen Brauen und tiefhängenden Tränensäcken eingerahmt, ein Gehstock, auf den sich Reuter aufgrund einer Verwundung aus dem Ersten Weltkrieg stützen müsste, erinnerte an seine intensiven Verstrickungen in die Zeitläufte, und schließlich besaß er mit der Baskenmütze, die er bei fast jeder Gelegenheit trug, ein unverkennbares Markenzeichen.“

Eine ganze Weile buhlte der Sozialdemokrat um die Gunst des Kanzlers, musste aber feststellen, dass er auf Granit biss. Die Bundestagswahl am 6. September 1953 bestätigte den politischen Kurs Adenauers eindrucksvoll. CDU und CSU konnten ihren Stimmenanteil von 31 auf 45,2 Prozent steigern, während die SPD bei etwas unter 29 Prozent herumdümpelte. Reuter starb am 29. September desselben Jahres mit erst 64 Jahren überraschend an einem Herzinfarkt. Adenauer hatte erkannt, dass den Westdeutschen ihr eigener materieller Wohlstand wichtiger war als die nationale Einheit. Ihn zeichnete ein herausragendes Gespür für die Wünsche der Wähler aus. Pragmatismus war stärker als Idealismus.

Auch wenn der in Gefühlsdingen eiserne Kanzler den Einsatz Reuters für die Freiheit Berlins intern durchaus schätzte, blieb er dessen Begräbnis ebenso fern wie dem Kurt Schumachers. In seinen Erinnerungen, die der zurückgetretene Kanzler Mitte der 1960er Jahre schrieb und die immerhin vier Bände umfassten, erwähnte er seinen Rivalen und Gegner und nur sporadischen Verbündeten Reuter mit keinem Wort. Es scheint, als sei dem früh verstorbenen Sozialdemokraten die Gabe bürgerlicher Souveränität eher gegeben gewesen als dem hochbetagt verstorbenen Christdemokraten.

Schmieds schmale Schrift hat sicher nicht den Anspruch, die Geschichtswissenschaft auf einen neuen Kenntnisstand zu bringen. Am Ende des Büchleins findet sich eine überschaubare Liste bekannter Literatur, unter anderem von Willy Brandt und Richard Löwenthal, Theodor Heuss, Henning Köhler oder Hans-Peter Schwarz. Zahlreiche Bilder gestalten die Lektüre noch etwas abwechslungsreicher. Wegen der besseren Lesbarkeit und des populärwissenschaftlichen Anspruchs ist die Zahl der Fußnoten begrenzt.

Wie eingangs schon gesagt: Konrad Adenauer ist weiterhin im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Bei dem ersten Regierenden Bürgermeister von Berlin dürfte dies nicht mehr uneingeschränkt der Fall sein. Das 2010 gegründete Ernst-Reuter-Archiv widmet sich daher dem Gedenken einer wichtigen Stimme für Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung während der sowjetischen Besatzungszeit und der sowjetischen Blockade Berlins in den Jahren 1948 und 1949. Das Werk „Rivalen – Gegner – Verbündete“ entreißt Reuter wieder ein kleines Stück dem Vergessen.

Jürgen Peter Schmied: „Rivalen – Gegner – Verbündete. Konrad Adenauer und Ernst Reuter“, Heft 13 der Ernst-Reuter-Hefte, Bebra Wissenschaft Verlag, Berlin 2023, Paperback, 56 Seiten, 8 Euro


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