Frage an Fischer zum Rückzug der Cum-Ex-Chefermittlerin

Eine Frage an Thomas Fischer: Was hin­ter­lässt der Rückzug der Cum-Ex–"Che­fer­mitt­lerin"?

von Prof. Dr. Thomas Fischer

15.05.2024

Die Staatsanwältin Brorhilker aus Köln möchte ab sofort nicht mehr ermitteln, sondern Politik machen. Offenbart sich in ihrem Abgang auch ein Scheitern, Herr Fischer?

Vorbemerkung 

Es geht hier um das Ausscheiden der Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker, geboren 1973, aus dem Staatsdienst. Ich bin, was die Person betrifft, nicht unbefangen, was aber auch gewiss nicht Voraussetzung für einen Meinungsbeitrag ist. Es gehört sich allerdings nicht, über "eigene" Fälle zu schreiben, gleichgültig aus welcher Perspektive. Ich will es daher auch hier nicht tun, sondern nur erwähnen, dass ich vor zwei Jahren einmal in einem Cum-Ex-Verfahren einen Angeklagten vertreten habe; daher und aus Sitzungen eines Untersuchungsausschusses stammen meine unmittelbaren Eindrücke von der Person Brorhilker.

Chefermittlerin 

Der Beruf der "Chefermittlerin" ist den meisten Lesern aus dem Zusammenhang von Nachrichten aus dem transatlantischen Ausland bekannt, wo man, wenn's mit dem Chefermitteln gut läuft, oft auch noch Gouverneurin werden kann.  

Anne Brorhilker war während der letzten Jahre Abteilungsleiterin bei der Staatsanwaltschaft Köln. Eine deutsche Staatsanwaltschaft ist eine hierarchische Behörde mit Weisungsrecht der Oberen über die Unteren. Chefs der Staatsanwälte in den Ländern sind die Leitenden Oberstaatsanwälte der jeweiligen Staatsanwaltschaft beim Landgericht. Ihr gemeinsamer Chef ist der Generalstaatsanwalt beim jeweiligen Oberlandesgericht. Ob Justizminister die Chefs aller Staatsanwälte ihres Landes sind, ist ein wenig streitig, kann hier aber dahinstehen. Sicher ist jedenfalls: Eine Abteilungsleiterin einer Staatsanwaltschaft bei einem Landgericht ist nicht "Chefermittlerin". Sie hat in ihrer Behörde ein internes Weisungsrecht nach unten und eine Gehorsamspflicht nach oben.     

Deshalb war man natürlich aufgerüttelt, als man am 22. April erfuhr, "die Chefermittlerin" in Sachen "Cum-Ex" sei "zurückgetreten", "werfe hin", "habe gekündigt", "verlasse" die Justiz. Der WDR strahlte tagesaktuell ein 17-minütiges Exklusiv-Interview mit der Protagonistin aus, in welchem sie das Versagen von Justiz und Politik im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität geißelte.

Verstehen kann man Brorhilkers mediale Beförderung zur "Chefin", wenn man den Titel mit anderen Ehrungen der Person sowie ihrer Selbstdarstellung im Zusammenhang sieht. Von der FAZ wurde sie einst zur "mächtigsten Staatsanwältin Deutschlands" ernannt, von Bloomberg zu einer der "50 einflussreichsten Personen der Welt" im Finanzwesen. Einen Höhepunkt des Ruhms erreichte sie, als sie 2021 in einem 45-Minuten-Doku-Spielfilm des WDR als Hauptdarstellerin die Rolle der "Staatsanwältin, die die Cum-Ex-Mafia jagt", übernahm ("Der Milliardenraub", 07.06.2021). Der Film des Journalisten Massimo Bognanni ist noch immer in der ARD-Mediathek abrufbar. Brorhilker ließ sich in nachgestellten Spielszenen als einsame Kämpferin gegen die Abgründe der Finanzkriminalität inszenieren.

In einem kürzlich wiederum vom WDR verbreiteten Musikvideo des Künstlers Quichotte, einem Hip-Hop-Lied der fromm-sozialpädagogischen Art mit einem Text wie aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen einer Anklageschrift, wurde die Chefermittlerin gedoubelt. Mehrere Szenen des Videos wurden zwecks Authentizität auf Brorhilkers Heimatbühne, in den Räumlichkeiten des Landgerichts Bonn, gedreht. Auf die Idee, so etwas zu genehmigen, muss eine Justizverwaltung – falls sie gefragt worden ist – auch erst einmal kommen. Der Präsident des Landgerichts Bonn, Stefan Weismann, ließ sich jedenfalls vom WDR ebenfalls exklusiv interviewen und gab bekannt, er sei "sehr traurig“ über das Ausscheiden der Staatsanwältin.

So vermischen sich Wirklichkeit und Fiktion, und am Ende glaubt man vielleicht selbst an die eigene Gesendetheit.

Kündigung

Nach § 33 Abs. 1 S. 1 Bundesbeamtengesetz bzw. der jeweils entsprechenden landesrechtlichen Regelung sind Beamte zu entlassen, wenn sie gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich ihre Entlassung zu einem bestimmten Zeitpunkt verlangen. Insofern geht also alles seinen unspektakulär beamtenrechtlichen Gang: Eine Staatsanwältin der Besoldungsgruppe R 2 (plus Amtszulage) verlangt ihre Entlassung, wird auf Kosten des Staats in der Rentenversicherung nachversichert und wechselt als Geschäftsführerin zu einem privaten Verein (Bürgerbewegung Finanzwende e.V.).

Soweit man erfahren konnte, ist die Entlassung zum 31. Mai 2024 beantragt worden. Die Bewerbung stammt offenbar aus dem Herbst 2023; der Vertrag mit dem Verein wurde schon vor Monaten geschlossen. Ihre Dienstvorgesetzten informierte die Staatsanwältin davon nicht. Die mit einem Arbeitsvertrag eines hochinteressierten Lobbyvereins bereits ausgestattete Ermittlerin arbeitete nicht etwa im Abklingbecken eines Straßenverkehrsdezernats, sondern weiterhin im Kern-Interessenbereich ihres zukünftigen Arbeitgebers.

Dort trifft sie übrigens auf ihren ehemaligen Förderer, den NRW-Justizminister a.D. Peter Biesenbach, der "nach einem Abstinenzjahr" (wegen Interessenkonflikts) als "Fellow" bei "Finanzwende e.V." fungiert; ebenso wie der ehemalige NRW-Finanzminister (2010-2017) und nachmalige SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjahns, der seine "Fellow"-Rolle zwischen 2019 und 2022 ebenfalls im Hinblick auf den Interessenkonflikt ruhen ließ. Die Hauptabteilungsleiterin Brorhilker und ihre Dienstvorgesetzten können einen Konflikt offenbar nicht erkennen.

Die demnächst ehemalige Staatsanwältin hat uns im WDR-Exklusivinterview mit dem Journalisten Bognanni ihre Gründe zu vermitteln versucht. Ein kleiner Auszug:

"Ich habe in den letzten 10 Jahren (…) bemerkt, wie schwer es ist, ausreichende Unterstützung für die Cum-Ex-Aufklärung zu bekommen (…) Es war und ist so, dass es keine zentrale Zuständigkeit gibt, keine Bündelung von Ermittlungen, Es bleibt bei einer Zersplitterung der Zuständigkeiten. Und es war auch nicht so, dass die Politik da einen Schwerpunkt gesetzt hat. (…) Ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird (…)"

Frage: Warum passiert das in Deutschland so?  

Antwort: "Tatsächlich glaube ich, dass der Föderalismus ein Problem ist."  

Frage: Was war ihr größter Erfolg?  

Antwort: "Dass wir die Kronzeugen zum Reden gebracht haben und das erste Urteil erwirkt haben, was dann auch rechtskräftig geworden ist. Dafür bin ich übrigens auch ausgezeichnet worden in den USA." 

Als ihre strategischen Ziele beim zukünftigen Arbeitgeber Finanzwende e.V. gab sie an:  

"1) die Justiz deutschlandweit besser aufstellen;

2) die Finanzlobby weiter zurückdrängen;

3) dass die kleinen Leute nicht härter bestraft werden als Millionenbetrüger".  

Umsetzen wolle sie dies mittels Öffentlichkeitsarbeit.   

Das war, bei Licht betrachtet, trotz demonstrativer Zuversichtlichkeit ein seltsames Gemisch aus Resignation und höchstmöglicher Ambition. Eine Staatsanwältin, die mit dem Ziel kündigt, "den Föderalismus" zu überwinden sowie "die Justiz neu aufzustellen", hat entweder ein sensationelles Selbstbild oder befindet sich im beruflichen Panik-Modus. Erfahrungsgemäß sind auch Kombinationen möglich. Ich möchte mich da nicht festlegen.

Nur ein kleiner Hinweis sei erlaubt: Schon viele haben geglaubt, sie könnten ihr "Amts-Charisma" mitnehmen ins Private. Oder, etwas komplizierter formuliert: die charismatisch-symbolhafte Bedeutsamkeit ihrer Handlungen und deren medialer Widerspiegelung stamme aus dem Kern ihrer Persönlichkeit selbst – und nicht aus ihrer behördlichen Aufgabe. Das erweist sich in den meisten Fällen als Trugschluss.

Eifern

Ein geschlossenes Weltbild ist subjektiv nützlich, denn es erlaubt, die komplizierte Welt in übersichtliche Licht- und Schattenräume zu teilen. Brorhilker "jagt die Steuermafia" (Bognanni), kämpft gegen eine Übermacht, von deren "Gesprächen in Hinterzimmern" mit Politikern sie ausweislich ihres WDR-Interviews "nur ahnt", und muss sich überdies permanent "teurer Anwälte" erwehren. Die Verdächtigen und Beschuldigten, welche sie jagt, sind, daran lässt sie kaum einen Zweifel, nach ihrer Ansicht allesamt Schwerverbrecher. Unschuldige gibt es im Zugriffsgebiet der Chefermittlerin nicht, allenfalls Reuige. Ihr Ziel ist so klar wie unverrückbar: "Gerechtigkeit". Was das ist, hat man zu wissen.  

Der "größte Erfolg": die Kronzeugen zum Reden zu bringen. Der sog. Kronzeuge ist formal eine Figur aus dem anglo-amerikanischen Recht, aber wenn es der Wahrheitsfindung dient, nimmt ihn die deutsche Justiz auch gern.

Dem Lieblingskronzeugen von Brorhilker wurde, obgleich er einen persönlichen Cum-Ex-Gewinn von 50 Millionen Euro einräumte, von der Ermittlerin ein Absehen von Strafe (§ 46b StGB) in Aussicht gestellt (und die Vorab-Zustimmung dazu vom Landgericht erbeten) für den Fall, dass er genügend belastenden Stoff gegen andere liefere. Seither sprudelt die Quelle und erzählt der Zeuge routiniert ein ums andere Mal die Geschichte seiner Brorhilker-initiierten inneren Wandlung vom "größten Steuerräuber" zum Biedermann und Wohltäter. Zur Belohnung behielt er mit Billigung der Staatsanwaltschaft jahrelang den größten Teil seiner Beute und ist in der Schweiz und Dubai weiter als Rechtsanwalt im Finanzwesen tätig, aktuell im Geschäftsfeld "Relokation" von sanktionsbedrohtem Vermögen in die VAE. Ein Vertrag als Berater von Finanzwende e.V. ist bislang nicht bekannt geworden. 

Demgegenüber: In einem Cum-Ex-Strafverfahren in Bonn beantragte Brorhilker gegen einen schwer kranken Endsiebziger, der 13 Jahre zuvor an den ihm vorgeworfenen Straftaten insgesamt 100.000 Euro Provision verdient (und versteuert) hatte, eine Freiheitsstrafe von zehn (!) Jahren. Das kam einem faktischen "lebenslang" gleich. So viel zur Gerechtigkeit.

Frage Bognanni im Interview, mit Blick auf die behördeninterne Lage der Jägerin:

"Haben Sie sich da vielleicht auch ein bisschen übernommen?"  

Antwort Brorhilker: "Man muss das tun. Wenn man es nicht tun würde, wär’s Strafvereitelung im Amt."

Befragt, auf welcher Stufe einer Skala von eins bis zehn sie den Stand der Cum-Ex-Verfolgung sehe, antwortet sie, sie habe mehrere Verfahren gegen Mitarbeiter einer Hamburger Bank geführt.

Unbestreitbar ist, dass Brorhilker das Thema Cum-Ex in der Strafjustiz initiiert und vorangetrieben hat. Das ist verdienstvoll, soweit es die Verfolgung der strafbaren Fälle betrifft. Freilich ist nicht alles, was nachträglich den Stempel "Cum-Ex" erhalten hat, eine vorsätzliche Straftat gewesen.

In elf Jahren brachte die Ermittlerin zwei Hände voll Anklagen zustande; rechtskräftige Urteile muss man mit der Lupe suchen. Währenddessen häufte sie in ihrer Abteilung Ermittlungsverfahren gegen derzeit etwa 1.700 weitere Beschuldigte auf. Allein gegen Mitarbeiter der Deutschen Bank sollen etwa 80 Verfahren laufen. Auch sie liegen seit einem dreiviertel Jahrzehnt wie Blei in den Regalen der Jägerin. Noch weiter draußen im Bedeutungsgefüge liegen Fragen nach der Verfolgung von Verantwortlichen der ehemaligen Westdeutschen Landesbank, des mutmaßlich quantitativ größten deutschen Cum-Ex-Hotspots. Das möglicherweise allergrößte Einzelverbrechen des angeblich "größten Raubs" fand, wie gewichtige Anzeichen nahelegen, quasi vor dem Fenster der Chefermittlerin statt.

Auch dieser See freilich ruht Jahr um Jahr still, dieweil die Chefin sich auf vermeintlich übersichtliche Verfahren in anderen Bundesländern und auf politik-inspirierte Scheinfragen konzentrierte sowie mit NRW-eigenen Polizeitruppen in Hamburg Durchsuchungen durchführte. Die mediale und die parteipolitische Welt sind begeistert: Hat Olaf S. gelogen? Focus ernannte Brorhilker zur "Scholz-Jägerin" (20.8.2022).

Natürlich kann man argumentieren, dass die wenigen abgeschlossenen Verfahren als "Musterverfahren" angesehen werden können, nach deren Schema weitere Aburteilungen rascher erfolgen können. Diese Sichtweise vertreten Brorhilker und auch Teile der Justiz: "Anklagen wie am Fließband" versprach der einstige Justizminister und jetzige "Finanzwende"-Fellow Biesenbach. Mit den Mustern, Textbausteinen und Blaupausen sollte man im Strafrecht des Rechtsstaats allerdings sehr vorsichtig umgehen. Wenn der Eindruck entsteht, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte nurmehr schematisch und mit vorab feststehendem Ergebnis Fließband-Verurteilungen produzieren (wollen), mag das kurzfristig populär erscheinen, schadet aber der Rechtskultur ebenso wie eine gleichheitswidrige Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Gruppen von Beschuldigten.

Um vorzugehen wie Brorhilker und sich zugleich als vermeintlich regelbrechende ("mutige") Johanna der unschuldigen Mehrheit zu inszenieren, benötigt man eine unverrückbare Überzeugung. Ich meine das nicht abwertend. In nicht wenigen Fällen sind solche Personen für Ziele unterwegs, die ihre realen Kräfte überfordern, aber zugleich so abstrakt und bedeutend sind, dass jeder Zweifel wie ein Verrat an der Idee erscheint. Wer könnte etwas gegen Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Gleichbehandlung haben? Das persönliche Problem von Eiferern ist, dass sie die Leere zwischen der Ebene der allerhöchsten Ziele und derjenigen der Lebenswelt schwer aushalten können. Im Leiden an diesem Vakuum vollbringen sie teils großartige Leistungen, teils verbrennen sie oder machen sich lächerlich. Möglicherweise hat die von Brorhilker wiederum dramatisch inszenierte Enttäuschung über angeblich mangelnde Unterstützung auch hierin ihre Ursache.

Verschwörung und Relativität

Noch einmal zum exklusiven Brorhilker-Interview vom 15. April 2024: Der Journalist Bognanni fragte nach Hintergründen, Abgründen, Entscheidungsgründen. Nun kam "die Politik" ins Spiel, ein Kosmos, welchem der Wutbürger sowieso jedwedes Verbrechen zutraut. Erstaunlicherweise ging es unter diesem Stichwort nicht um verflossene NRW-Finanzminister oder WestLB-Verwaltungsräte, sondern um nebelhafte "Hinterzimmer" und einmal mehr um den sagenhaften "kleinen Fisch", dem allenthalben schwere Ungerechtigkeit widerfährt, dieweil die Walhaie ruhig ihre Bahn ziehen und den Krill-Schaum abschöpfen.  

Die taz berichtete (23. April 2024): "Brorhilker (sagt), es gebe eine systemische Verquickung von Politik und Bankinteressen. "Da geht es oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, und die treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz"". Ein konkreter Zusammenhang zwischen dem Zitat und seiner Deutung ist kaum erkennbar, wenn man von der vagen Behauptung korruptiver Verschwörungen absieht. Diese lassen sich aber nicht schon aus der banalen Behauptung einer "Verquickung" von Politik und Interessen ableiten: Es gibt kein gesellschaftlich relevantes Interesse, welches nicht mit Politik "verquickt" ist.  

"Wenn viel Geld im Spiel ist, gibt es Möglichkeiten der Einflussnahme", sagte die Chefermittlerin "exklusiv". Damit ist sie, ausgehend von "der Politik", im Nebelfeld spekulativer Schwerkriminalität angekommen. "Denen da oben" ist alles möglich, und je mehr das eigene Bemühen misslingt, desto gewaltiger muss wohl die Kraft des Bösen sein.

Dies ist eine klassische Figur zirkulärer Glaubensbekenntnisse. Dazu gehört die Überzeugung, dass jeder, der sich kritisch äußert, ein Feind der Wahrheit sei. Als Zeugin vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss beteuerte Brorhilker, sie sei sich "von Anfang an absolut sicher" gewesen, dass es sich bei Cum-Ex-Geschäften um Straftaten handle. Sie hält Absolutheit "von Anfang an" vermutlich für ein Qualitätsmerkmal des Ermittelns. Bei anderer Gelegenheit gab sie bekannt, auf die Idee habe sie ihr Bruder gebracht (der inzwischen Vorstandsmitglied einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist).

Ich will keineswegs behaupten, Finanzkriminalität sei belanglos. Aber solange Art. 103 Abs. 2 GG (Bestimmtheitsgrundsatz)) und Art. 6 EMRK (Unschuldsvermutung) gelten, bestimmt sich die Strafbarkeit von konkreten Personen nach diesen rechtsstaatlichen Grundsätzen und nicht nach Maßgabe von Parolen, wonach "die da oben" stets die jeweils anderen sind und man selbst Opfer der Verhältnisse.

Propheten

Die Antwort Brorhilkers auf die Frage nach möglicher Selbstüberschätzung ("Man muss das tun. Wenn man es nicht tun würde, wär’s Strafvereitelung im Amt.") ist aus dem Blickwinkel des Legalitätsprinzips (§ 152 StPO) und des § 258a StGB (Strafvereitelung im Amt) im Grundsatz richtig, konkret allerdings nur die halbe Wahrheit. Denn tatsächlich wurden in der Abteilung Brorhilkers bislang weniger als ein Prozent der eingeleiteten Strafverfahren gegen 1.700 Beschuldigte einem Ergebnis zugeführt. Die Schuld daran tragen nach Ansicht der enttäuschten Ermittlerin unwillige Politiker, "teure Anwälte", korruptive "Hintergründe". Alles wäre besser, so lautet die per WDR-Exklusivinterview verbreitete Nachricht, wenn Frau Brorhilker mehr Macht und mehr Befugnisse gehabt hätte.  

Warum so viele Medien die Aktivitäten von Brorhilker seit Jahren als besonders "mutig" beschreiben, hat sich mir nicht erschlossen. Welche Gefahren könnten der Beamtin gedroht haben? Sie surfte auf der Bugwelle des ehemaligen Justizministers Biesenbach. Ihre Abteilung wuchs, für das Landgericht Bonn wird in Siegburg – in Erwartung von "Anklagen am Fließband" (Biesenbach) und hunderter Großverfahren – für (geplant) 43 Millionen Euro ein neues "Cum-Ex"-Gerichtsgebäude errichtet, ausgestattet mit einem Verhandlungssaal für 400 (!) Personen. Die Ankündigungen der Ausmistung des Augiasstalls erstrecken sich auf eine Perspektive von Jahrzehnten. Während vieler Jahre wurde die Staatsanwältin von Presse, Funk und Fernsehen gefeiert. Gewiss hat sie für ihre Arbeit eine Vielzahl von Eigenschaften gebraucht. "Mut" gehörte nicht unbedingt dazu. Man darf deutsche Staatsanwaltschaften nicht mit der Hollywood-Kanzlei von Frau Brockovich/Roberts verwechseln.   

Propheten leben gefährlich. In der Phase des "Lasst alles hinter Euch und folgt mir nach" läuft ihre Sache oft blendend. In der Wüste des Alltags aber müssen Fische und Wasser her, sonst ist es vorbei mit der Gefolgschaft. Wer von allen alles fordert um der einzigen Sache willen, wird irgendwann allein sein und scheitern.  

Brorhilker bekundete, sie sei zuversichtlich, dass die Staatsanwaltschaft Köln zukünftig auch ohne sie ihre Aufgaben erfüllen könne. Auf die Idee, dies für erwähnenswert zu halten, muss man auch erst kommen.  

Transparenzhinweis: 

Der Autor vertritt derzeit keine Beschuldigten in Cum-Ex-Verfahren. Er ist als Rechtsanwalt (Berater – of Counsel) in der Kanzlei Gauweiler & Sauter Rechtsanwälte Partnerschaft mbB tätig, die entsprechende Mandate führt. 

Zitiervorschlag

Eine Frage an Thomas Fischer: Was hinterlässt der Rückzug der Cum-Ex–"Chefermittlerin"? . In: Legal Tribune Online, 15.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54543/ (abgerufen am: 03.06.2024 )

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