Aus Fehlern auf Bergtouren lernen
Anspruchsvolles Bergsteigen
Gerade bei schwierigeren Touren ist die Toleranz für Fehler oft klein. Foto: DAV/Julian Rohn
Aus Fehlern und (Fast-)Unfällen lernen

Irren ist menschlich

Irren ist menschlich, daraus zu lernen aber ebenso. Ob im Beruf, in Beziehungen oder am Berg, wir alle machen Fehler, täuschen uns gründlich oder treffen falsche Entscheidungen. Entsteht kein größerer Schaden, können wir daraus lernen und es das nächste Mal besser machen.

Der Spielraum beim Bergsteigen ist recht knapp bemessen, umso wichtiger ist es, heikle Situationen, Beinahe-Unfälle und massive Abweichungen vom geplanten Tourenablauf ernst zu nehmen und als klares Warnzeichen zu erkennen.

Die DAV-Sicherheitsforschung betreibt seit vielen Jahren systematische Analyse und Ursachenforschung von alpinen Unfällen. Die Erkenntnisse daraus finden sich in Lehrmeinung und Ausbildung der alpinen Verbände wieder – ein unersetzlicher Beitrag, um den Bergsport sicherer zu machen. Am Ende ist man jedoch selbst dafür verantwortlich, diese Standards und Empfehlungen umzusetzen und risikobewusst unterwegs zu sein. In der Nachbetrachtung zeigen sich Alpinunfälle häufig als Verkettung von unterschiedlichen Fehlentscheidungen und -verhalten in Verbindung mit ungünstigen äußeren Umständen (z.B. Verhältnisse, Wetter, Gruppe). Das heißt im Umkehrschluss: So manch folgenlos gebliebenes Verhalten, falsche Entscheidung oder Einschätzung hätte unter anderen Umständen unweigerlich zum Unfall geführt. Umso wichtiger ist es, diese rechtzeitig zu erkennen und zukünftig zu vermeiden.

Von Mensch zu Mensch sind Wahrnehmungen ebenso unterschiedlich wie der Umgang mit Fehlern und Irrtümern. Illlustration: Georg Sojer

Fehler erkennen

Beim Bergsteigen geht es nicht nur darum Gipfel, Touren und Höhenmeter zu sammeln. Es ist wichtig, seine Touren zu reflektieren und analysieren, ebenso das eigene Verhalten und die getroffenen Entscheidungen. So sammelt man über die Jahre Erfahrungen und wird immer besser. Je akkurater eine Tour im Vorfeld anhand der drei Faktoren Berg, Verhältnisse, Mensch geplant ist, umso besser lässt sich im Nachgang analysieren, ob gröbere Abweichungen in Planung oder Durchführung passiert sind.

Diese Fragen sollte man sich im Nachgang einer Tour immer stellen:

  • Wurden Länge und Anforderung der Tour unterschätzt?

  • Wie waren Wetter und Verhältnisse am Berg im Vergleich zur Vorannahme?

  • Haben sich daraus unerwartete Herausforderungen ergeben?

  • Waren ich und/oder meine Tourenpartner*innen konditionell, koordinativ oder mental überfordert und kam es dadurch zu kritischen Situationen?

  • Wurden die eigenen Fähigkeiten oder die der Gruppe überschätzt?

  • Gab es auf der Tour Probleme zum Beispiel mit der Wegfindung oder der Geländebewältigung?

  • Haben Wissen und Können für die Tour ausgereicht?

  • War die adäquate Ausrüstung dabei oder hat ein entscheidendes Teil gefehlt?

  • Gab es Entscheidungen, die sich im Nachhinein als wenig optimal erwiesen haben? Wenn ja, warum wurde so entschieden?

  • Wurden Gefahrenstellen unterschätzt?

  • Wurden falsche Maßnahmen ergriffen bzw. die richtigen unterlassen?

Nicht immer wird man sich diese Fragen zufriedenstellend selbst beantworten können. Es ist daher ratsam, hierzu den Dialog mit den Tourenpartner*innen zu suchen, um zu erfahren, wie sie den Tag erlebt haben. Auch der Austausch mit Expert*innen kann natürlich sehr lehrreich sein.

Warum passieren Fehler?

Niemand handelt oder entscheidet absichtlich falsch, gerade wenn dies fatale Folgen für Leib und Leben haben kann. Ein häufiger Grund ist mangelndes Wissen, Unkenntnis oder fehlendes Können. Je anspruchsvoller die Touren werden, umso mehr muss man wissen und können. Hier ist neben solider Basis-Ausbildung über Kurse eine langsame und schrittweise Steigerung von Schwierigkeit, Länge und Komplexität der Touren wichtig. Als Grundlage für den nächsten Schritt dient immer die obige Analyse der vergangenen Tour. Auch Einschätzungs- oder Entscheidungsfehler („Das Gelände ist ganz harmlos“, „Der Hang ist sicher“) können auf Unkenntnis beruhen, doch passieren diese auch wider besseres Wissen, wenn Wahrnehmung und Entscheidungsfindung durch andere Aspekte wie zum Beispiel die eigenen Ambitionen, Stimmungslage oder Gruppendruck beeinflusst sind. Dies zu erkennen und abzustellen, ist alles andere als einfach. Im ersten Schritt muss man sich erstmal eingestehen, dass die eigenen Entscheidungen nicht nur anhand sachlicher Argumente getroffen werden, sondern je nach Persönlichkeit durch unterschiedlichste Faktoren beeinflusst werden. Hier hilft es, sich selbst gut zu kennen, kritisch zu hinterfragen und diese Selbsteinschätzung mit vertrauten Personen zu diskutieren. Gerade in stressigen Situationen, wie sie am Berg schnell vorkommen, neigen wir dazu, in unser persönliches Entscheidungsmuster zu verfallen. Dies gegebenenfalls zu verändern, kann die Qualität eigener Entscheidungen deutlich verbessern. Denn es gilt: Je stressiger und heikler eine Situation ist, um so kühler und sachlicher sollte man entscheiden und sich dafür die nötige Zeit und Distanz nehmen.

Fehlerkultur statt Erfolgskult

Ob am Kletterstammtisch, in der Alpinliteratur oder in sozialen Medien: Die strahlenden Geschichten alpiner Triumphe erzählen selten vom Irren und Wirren, von blöden Fehlern und falschen Entscheidungen, die nur mit viel Glück heil überstanden wurden. Allzu leicht ist es, den Deckmantel des Schweigens über unser „Versagen“ zu breiten und das makellose Bild vom Gipfelerfolg zu proklamieren. Umso mehr Respekt gebührt denen, die zu Fehlern stehen und auch andere daran teilhaben lassen, um daraus zu lernen, ohne Teil der Unfallstatistik zu werden. Wer von Unfällen hört und großspurig überzeugt ist, dass einem selbst so etwas nicht passieren kann, vergibt eine wichtige Gelegenheit „ohne Schaden klug zu werden“. Besser man überlegt ehrlich, ob und in welcher Lage, Stimmung, Situation einem selbst nicht das Gleiche passieren könnte.

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