Das 77. Filmfestival in Cannes startet: Megalopolis an der Croisette
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Das 77. Filmfestival in Cannes startet: Megalopolis an der Croisette

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Vorbereitungen am Festivalpalast in Cannes. Foto: Valery Hache/afp
Vorbereitungen am Festivalpalast in Cannes. Foto: Valery Hache/afp © AFP

Heute eröffnet das 77. Filmfestival in Cannes mit höchst vielversprechendem Programm.

Unter der Sonne über der Croisette verblassen schlechte Erinnerungen schnell. Wer denkt am heutigen Eröffnungstag der 77. Festivalausgabe noch an die Streiks, die im vergangenen Jahr die Abwesenheit der meisten Hollywood-Größen erzwangen? Der Filmindustrie selbst stecken allerdings noch einige Schrecken in den Gliedern. Ein Teil des Vor-Corona-Publikums ist bislang nicht zurückgekommen, in den USA ging der Umsatz um ein Fünftel zurück. Glücklich, wer in diesen Zeiten einen 120-Millionen-Dollar-Film selber finanzieren kann, weil er es sich noch einmal, mit 85 Jahren, leisten möchte. Auch wenn er schon zwei Goldene Palmen in der Tasche hat.

Francis Ford Coppola heißt dieser Mann, der in seiner Karriere mehrfach Haus und Hof einsetzte, der mit dem „Paten“ früh zu Reichtum kam, mit „One from the Heart“ Pleite ging und sich mit Weinbergen sanierte. Mit seiner ersten Regiearbeit seit dem schnell vergessenen „Twixt“ von 2011 kehrt er nun zurück, um seine Karriere mit einem Höhepunkt zu beenden. Im Science-Fiction-Epos „Megalopolis“ spielt Adam Driver einen Visionär vom Schlage eines Coppola.

In einer dystopischen Zukunft liegt New York in Trümmern, nun versucht es ein genialischer Architekt nach dem eigenen Masterplan von Neuem zu erschaffen. Neben Driver werden Aubrey Plaza, Jason Schwartzman, Laurence Fishburne, Shia LaBeouf und vielleicht auch Nebendarsteller Dustin Hoffman in Cannes erwartet.

Ein anderer alter Meister, der Kanadier David Cronenberg, ist mit einem weiteren Science-Fiction-Film vertreten. Ohne einen Funken männlichen Geniekults kommt auch er nicht aus, doch nicht Macht und Selbstverwirklichung treiben seinen Helden an, sondern die Trauer. Vincent Cassel spielt in „The Shrouds“ einen Witwer, der eine gefährliche Technologie erfindet, um mit den Toten in Kontakt zu treten. Das ist schon Orpheus schlecht bekommen.

Cronenbergs Paradegenre, der body horror, hat in der feministischen Filmtheorie früh eine besondere Aufmerksamkeit gefunden. Während der Kanadier nie eine Goldene Palme erhielt, bekam Julia Ducournaus feministische Lesart dieser Genremotive in „Titane“ 2021 ebendiese Anerkennung. Auch wenn es die Höflichkeit eigentlich verbietet, ein noch unbekanntes Werk mit einem anderen zu vergleichen, wählte Festivalchef Thierry Frémaux genau diese Referenz, um Lust auf das Werk einer französischen Filmemacherin im Wettbewerb zu wecken. Viel mehr als das Versprechen dieser Ähnlichkeit ist über Coralie Fargeats Film „The Substance“ nicht zu erfahren. Sicher ist jedenfalls ein Wiedersehen mit Demi Moore, die neben Margaret Qualley und Dennis Quaid eine Hauptrolle spielt.

Auch wenn Greta Gerwig in diesem Jahr über einer mehrheitlich weiblich besetzten Jury präsidiert, bleibt der Wettbewerb wie stets in Cannes eine affaire d’hommes: Nur vier der 22 Beiträge stammen von Regisseurinnen, neben Fargeat sind das die Inderin Payal Kapadia, die Britin Andrea Arnold und die Französin Agathe Riedinger.

Falls dieses Missverhältnis nicht allein schon für einen politischen Diskurs sorgt, wäre da auch noch die in Frankreich weniger intensiv als andernorts geführte Moi-aussi-Debatte. Gegen Altstar Gérard Depardieu, noch vor fünf Monaten von Präsident Macron vehement verteidigt, wurden neue Belästigungsvorwürfe erhoben. Aus dem in Cannes gezeigten Animationsfilm „La plus précieuse des marchandises“ („Das kostbarste aller Güter“) wurde seine Synchronstimme angeblich entfernt. Ungewöhnlich ist die Aufnahme eines Animationsfilms immer, Regisseur Michel Hazanavicius möchte mit seinem ersten Versuch in dieser Filmform an seinen Erfolg mit „The Artist“ von 2011 anknüpfen.

Doch dieser außerordentlich vielversprechende Jahrgang hat noch größere Favoriten. Allen voran Yórgos Lanthimos, dessen letztes Meisterwerk „Poor Things“ kaum aus den Kinos verschwunden ist. Oscar-Preisträgerin Emma Stone spielt in dem surrealen Triptychon „Kinds of Kindness“ abermals eine Hauptrolle, auch Willem Dafoe ist wieder mit dabei. Worum genau es geht, bleibt vorerst ein Geheimnis.

Und dann wäre da noch Paul Schrader, neben Francis Ford Coppola ein weiterer New-Hollywood-Veteran. Der „Taxi Driver“-Autor hat in den letzten Jahren einige seiner besten Filme gedreht, mit 77 scheint er produktiver denn je. In „Oh Canada“ reflektiert Richard Gere als alternder Dokumentarfilmer über sein Leben, das einige Enthüllungen bereit hält und offenbar auch mit einer Comeback-Rolle für Uma Thurman aufwartet.

Einer der großen Favoriten ist schließlich der Iraner Mohammad Rasulof. Erst in der vergangenen Woche wurde der frühere Berlinale-Gewinner („Das Böse gibt es nicht“) in seiner Heimat zu acht Jahren Gefängnis und Peitschenhieben verurteilt – doch falls das Regime damit eine Aufführung seines neuesten Films in Cannes verhindern wollte, weckte es nur noch mehr Aufmerksamkeit. Eine Inhaltsangabe zu „Die Saat der heiligen Feige“ wurde nicht veröffentlicht, aber es soll um einen Richter am Revolutionsgericht in Teheran gehen, der mit Anklagen gegen Protestierende befasst ist.

Während außerhalb des Wettbewerbs George Miller seine „Mad Max“-Saga fortschreibt (der Titel „Furiosa“ ist Programm), glänzt eine Filmnation durch Abwesenheit – die deutsche. Nach den großen Auftritten, die 2023 Sandra Hüller und Wim Wenders hier erlebten, kann sie die Auszeit wohl verschmerzen. Der Eröffnungsfilm am Dienstagabend kommt wieder einmal aus Frankreich und verspricht, außerhalb des Wettbewerbs gezeigt, eher entspannte Unterhaltung. Auch mit dem Thema sollte kein Risiko verbunden sein. In Quentin Dupieuxs Komödie „Le deuxìeme acte“ mit Léa Sedoux und Vincent Lindon geht es vor allem um die Liebe.

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