Theater: „Ku‘Damm 59“ – Erst Berlin, dann Wodka-Aspirin - WELT
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Kultur „Ku‘Damm 59“

Erst Berlin, dann Wodka-Aspirin

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Starke Frau: Pamina Lenn als Schöllack-Schwester Starke Frau: Pamina Lenn als Schöllack-Schwester
Starke Frau: Pamina Lenn als Schöllack-Schwester
Quelle: sunstroem-effect Ron Scheffel
„Ku‘Damm 59“ will am Berliner Theater des Westens die ZDF- und Musical-Erfolgstory weiterschreiben. Das geht so gründlich schief, dass man sich wünscht, das Stück ginge nochmal zurück in die Werkstatt.

Das ultimative Berlin-Musical. Auch wieder so ein Mythos, die Suche nach einer Legende. Man wollte es immer und bekam es doch nicht. Ja, da ist „Linie 1“ von 1986, der freilich der Grips-Kindertheatergeruch anhaftet. „Eins Zwei Drei“, nach dem kultigen Billy-Wilder-Film vom „Linie 1“-Komponist Birger Heymann, setzte im November 1989 die Kalte-Krieg-Klamotte gegen den real fallenden Eisernen Vorhang und musste zeitumständehalber verglühen.

„The Winds of Change“ von den Scorpions wurde nie Realität, dafür floppte am Ende das Udo-Lindenberg-Ding „Hinterm Horizont“ und hinterließ ein bis heute weitgehend leeres Theater am Potsdamer Platz. Dem „Babylon Berlin“-Erfolg hinterherschwappende Zwanziger-Revuen plus Moka Efti Orchester hatten nur limitierte Spielzeiten.

Bleiben als definitive Berliner Buletten-Burlesken mit Musike nur die „Drei Drachen vom Grill“ der draggig trashigen Teufelsberger – und eben „Ku’damm 56“, der Überraschungshit von 2021 nach der erfolgreichen ZDF-Fernsehserie über die Tanzschule Galant, deren eher schnepfige Besitzerin Catarina Schöllack und ihre drei ganz und gar nicht galant geratenen Töchter Monika, Helga und Eva. Auf einen Schlag hatte die bunte Truppe um die ehemaligen Rosenstolz-Songschreiber Peter Plate und Ulf Leo Sommer das auch schon im Dornröschenschlaf ratzende Plüschtheater des Westens wiederbelebt. Das swingte und klingelte, das war sympathisch und echt. 300.000 zahlende Zuschauer hatten bei diversen Wiederaufnahmen und Gastspielen in Hamburg und München Spaß.

Und weil auch ein eigenes „Romeo und Julia“-Musical als Nachfolgeproduktion gut lief und die Bertelsmann AG finanziell stützte, indem sie etwa das vom Land Berlin an die Stage Entertainment verpachtete Haus anmietete, stürzten Plate und Sommer sich jetzt ins Abenteuer. Weil die Bertelsmänner mittelfristig wieder aussteigen wollen (wohl nicht genug Rendite…) übernehmen sie selbst das Haus und spielen auf eigenes Risiko. Zunächst mit dem zweiten, 1959 spielenden „Ku’damm“-Teil (die Dreiteiler-Serie hat bereits drei ausgestrahlte Staffeln und eine in Vorbereitung), zudem wiederum Originalautorin Annette Hess das Buch geschrieben hat.

Und hört man den längst vorab veröffentlichten Soundtrack, ist alles gut: 21 saubere Songs, die auf „Berlin“ – „Wodka Aspirin“ reimen, melancholisch klaviermäandern, die typischen, schnell zu Hymnen mit lang gezogenen Vokalen sich steigernden Platte/Sommer-Songs aufweisen, ohne allzu viel Zeitgeiststilistik. Doch auf der Bühne ist „Ku’damm 59“ eine eben nicht gut gemachte, über weite Strecken nach Schultheater-AG aussehende Enttäuschung. Das fängt beim billig austauschbaren Bühnenbild aus ein paar schwenkbaren Fassaden und Podesten und den einfallslosen Kostümen an. Und man verhakelt sich ganz schnell in einer ohne Serienkenntnis kaum durchschau- und entwirrbaren Überfrachtung mit Figuren, Motiven und Storysträngen.

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Der ehrbare Ansatz, von Träumen und Repressionen in den späten Fifties zu erzählen, von alten Nazissen und jungen Rebellinnen, vom Heimatfilm und Rock’n’Roll, von verfolgten Schwulen und versteckten Sehnsüchten, von jüdischen KZ-Überlebenden und offenen Beziehungen, von unterdrückten Frauen und unehelichen Kindern, erlaubt es keiner Geschichte, wirklich Kontur zu gewinnen, Personen scharf zu zeichnen. Alles wird nur angerissen, verschwindet hinter dem nächsten Song, einem weiteren, überhasteten Szenenwechsel. Da merkt man eben: Sommer und Plate können Lieder, aber keinen Plot. Sie schreiben Pop, aber diesmal sin es zu wenig Songs, die nur an genau dieser Stelle in einem musikalisierten Story stehen können.

So klingt es austauschbar. Da fehlte ein Workshop oder ein Musical-Doktor, der einen Drama-Bauplan kennt. Die tollen Darsteller arbeiten auf Hochtouren, aber sie haben einfach zu wenig Material, aus denen sich echte Schicksale ergeben. Alles wird oberflächlich angerissen, ein Lamento gehört sogar dem toten Stallhasen. Die klammernde Tanzschulen-Metapher kommt total unter die Betroffenheitsräder. Und weil man noch eine Rolle für die eigenwillige Steffi Irmen brauchte, wurde aus dem Ex-Nazi-Filmdirektor ein kesser Vater, der nun Catarina Schöllack hinterherschmachtet. Während die anrührende Geschichte vom schwulen Helga-Gatten Wolfgang (Philipp Nowicki) und seiner Ost-Liebe Hans (Alexander Auler) zwar einen der schönstens Songs („Zwischen Ost und West“) bekommt, aber auch einen der blödesten, die überdrehte Flotte-Dreier-Nummer „1! 2! 3!“, die deren Beziehung lächerlich macht, welche anschließend ganz beiläufig durch Helgas Denunziation abgewickelt wird.

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Zudem ist die Fünf-Mann-Band enervierend einheits- und dauerlaut, die Lautsprecheranlage so übersteuert, dass man kaum den Text versteht. Die kapitalen Handwerksfehler des Abends sollen brutal übertönt werden. Und weil es keinesfalls einen dritten Teil geben soll, wird unvermittelt ein superdummes Happy End mit allem in einem Bett unter dem Peace-Zeichen eingeblendet. Das traut man sich wirklich nur im Musical-Entwicklungsgebiet Deutschland.

Diese Berliner Alternativ-Crew war angetreten, den generischen Großentertainmentversorgen mit ihrem schalen Kitsch und ihren Plastikpartituren Paroli zu bieten. Hier haben sie ihre Ideale verraten. „Ku’damm 59“ müsste sofort zurück in die Werkstatt. Potential wäre da, aber nur nach einer Entschlackungskur und einem Stylingkurs. Am besten bei Galant.

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