Nicolas Schmit will Präsident der EU-Kommission werden. Ein Gespräch über die Gefahr des Rechtsextremismus, Fehler sozialdemokratischer Politik und den Grund, warum er nach den Europawahlen auf Konfrontationskurs mit der Regierung gehen könnte.

Interview: Christoph Bumb

Herr Schmit, Sie wollen am 9. Juni als Spitzenkandidat für die Europäischen Sozialdemokraten die Wahlen gewinnen. Sie treten formal aber nirgendwo als Kandidat an. Wie erklären Sie den Menschen diese nicht ganz demokratische Besonderheit der Europawahlen?

Das System der Spitzenkandidaten gibt es ja erst seit 2014 und ist außer in den Statuten von manchen Parteien auch nirgendwo formalisiert. Als Spitzenkandidat soll ich die Ideen und Forderungen meiner Parteienfamilie europaweit vertreten, und später auch umsetzen. So verstehe ich meine Rolle. In einer idealen Welt gäbe es transnationale Listen, die jeweils von Spitzenkandidaten angeführt werden, die dann auf Basis des Wahlresultats und Koalitionen die Kommissionsposten besetzen. Dazu kam es bisher aber nicht, weil sich einige Staaten gegen eine stärkere Demokratisierung der EU ausgesprochen haben.

Warum treten Sie dieses Mal nicht als Kandidat in Luxemburg an?

Natürlich könnte ich hier antreten und so eine Legitimation durch die Luxemburger Wählerschaft anstreben. Ich erinnere mich aber noch gut an die letzten Wahlen. Damals war ich Kandidat für die LSAP und wurde dafür kritisiert, weil mein Ziel ja die Kommission und nicht das Parlament war. Die demokratische Legitimation, um die es jetzt geht, ist aber eine andere: Es geht um die Frage, wer aufgrund des Resultats in allen EU-Staaten das Mandat erhält, die EU-Exekutive anzuführen.

Der Präsident oder die Präsidentin der EU-Kommission wird laut den Verträgen formal von den Staats- und Regierungschefs ernannt, muss aber auch vom neuen Europäischen Parlament bestätigt werden. Mit welcher Mehrheit wollen Sie das schaffen?

So wie die Dinge stehen, ist die erste Voraussetzung, dass die Sozialisten und Sozialdemokraten stärkste Kraft im EU-Parlament werden. Das wird nicht einfach, ist aber laut aktuellen Umfragen auch nicht komplett unrealistisch. Danach muss sich eine Koalition der Mitte finden. Ich betone „der Mitte“, weil eine Kooperation mit der extremen Rechten für mich ausgeschlossen ist.

In den vergangenen Jahren haben wir gesehen, dass auch manche Parteien links der Mitte die sozialen Gräben nicht überwinden konnten.“

Was machen Sie, wenn die Sozialdemokraten nicht stärkste Partei und Sie nicht Kommissionspräsident werden?

Die diplomatische Antwort lautet: Das werden wir sehen. (lacht) Wenn die EVP weiterhin die stärkste Fraktion stellen sollte, werden wir natürlich fordern, dass der Spitzenkandidat der zweitstärksten Fraktion in der nächsten EU-Kommission eine wichtige Funktion übernehmen soll.

Und das wären in dem Fall Sie …

Das könnte ich sein, ja.

Nicolas Schmit, Jahrgang 1953, war für die LSAP von 2004 bis 2018 Regierungsmitglied, zuletzt als Arbeits- und Sozialminister. Seit 2019 ist er EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte. Bei den Europawahlen tritt er als Spitzenkandidat der Europäischen Sozialdemokraten an. (Foto: Mike Zenari)

Luxemburgs Regierung dürfte das anders sehen. Denn mit dem CSV-Politiker Christophe Hansen gibt es eigentlich schon einen designierten Kandidaten für die nächste Kommission. Lassen Sie es dann auf eine Konfrontation ankommen?

Ich denke nicht, dass das zwangsläufig auf eine Konfrontation hinausläuft. Man sollte sich über solche Fragen austauschen, wenn sie anstehen. Ich habe mit Luc Frieden aber schon erste Gespräche geführt. Generell denke ich nicht, dass diese Koalition anders handeln wird, als das schon andere Regierungen getan haben. Deshalb gehe ich das ganz gelassen an.

CSV und DP werden ihren designierten Kommissar aber nicht einfach so aufgeben, oder?

Ich war 2014 auch designiertes Kommissionsmitglied der damaligen Dreierkoalition. Doch der Plan ging nicht auf, da Jean-Claude Juncker nach den Wahlen Präsident der Kommission wurde. Der Fall von Frans Timmermans 2019 zeigt zudem, dass man auch Erster Vize-Präsident der Kommission werden kann, selbst wenn die eigene Partei zu Hause nicht in der Regierung ist.

Haben Sie schon mit Christophe Hansen über Ihre Ambitionen gesprochen?

Wissen Sie, was Christophe Hansen sagt, interessiert mich eigentlich relativ wenig …