Die jungen Ärzte übernehmen
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Die jungen Ärzte übernehmen

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Dr. Stefan Remy mit Maximilian Remy (Mitte) und Johannes Remy. Deren Schwester ist übrigens auch Medizinerin. © Patrick Dehnhardt

Für die Busecker ist es eine gute Nachricht: Die Hausarztpraxis Remy hat nicht nur einen, sondern gleich zwei Nachfolger: Maximilian und Johannes Remy haben die Praxis von ihrem Vater übernommen. Hausarzt zu werden war zwar nicht Liebe auf den ersten Blick - ist nun jedoch ein Traumberuf der beiden geworden.

Johannes Remy träumte zuerst davon, Lehrer zu werden, dann Kardiologe. Auch sein Bruder Maximilian dachte erst in der elften Klasse überhaupt über ein Medizinstudium nach. Was bei ihm letztlich den Entschluss ausmachte: »Ich habe gesehen, dass es meinem Vater Spaß macht.« Nun führen sie seit wenigen Tagen gemeinsam die Hausarztpraxis in der Bismarckstraße in Großen-Buseck weiter, in dritter Generation.

Dass Arzt nicht der Traumberuf der Kindheit war, ist schon eine kleine Familientradition: Ihr Vater Dr. Stefan Remy war als Kind und Jugendlicher stets in den Ställen und Scheunen im Ort zu finden, die Oma prophezeite ihm schon eine Karriere in der Landwirtschaft.

Dr. Cilly Remy war Oberärztin der Chirurgie in Frankfurt gewesen. Aufgrund der Bombenangriffe auf die Stadt ging sie nach Großen-Buseck, da dies auch für ihr kleines Kind sicherer war und Frankfurt zudem in Trümmern lag. Mit 29 Jahren eröffnete sie eine eigene Praxis als Landärztin in der Kaiserstraße. Eine Frau als Ärztin war damals noch eine Seltenheit. »Als Chirurgin hatte man aber eine gewisse Autorität«, sagt Stefan Remy. Im Lazarett im Busecker Schloss waren ihre Fähigkeiten dringend gefragt, operierte sie Blinddärme und Gallenblasen.

Als 1946 ihr Mann aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, übernahm er die Praxis von seiner Frau, die sich nun um den Haushalt mit sechs Kindern kümmern musste. Das lag nicht nur an den heute überholten Geschlechterrollen, sondern auch den Vorschriften für Arztpraxen: »Damals war es streng verboten, dass man zu zweit in einer Arztpraxis arbeitete«, erinnert sich Stefan Remy. »Der Arzt durfte keinen Assistenten haben.« Als 1972 sein Vater starb, übernahm Mutter Cilly Remy erneut die Praxis.

Diese war bereits 1953 in einen Neubau in der Bismarckstraße eingezogen: Im Vorderhaus die Praxisräume, hinten das Wohnhaus - eine Kombination, die auch Maximilian Remy gefällt: »Für mich hat es nur Vorteile, direkt nebenan zu leben.« In der Mittagspause kann er auch mal schnell nach Hause zur Familie, einen Stau auf dem Weg zur Arbeit gibt es nicht.

Auch sein Vater lebte direkt nebenan. Stefan Remy übernahm 1987 von seiner Mutter - damals 73 - die Praxis. Zu Beginn war es noch normal, dass auch samstags und sonntags bei ihm die Patienten an der Tür klingelten. Heute werde da der Ärztliche Bereitschaftsdienst stärker genutzt. Außerdem: »Die Patienten kommen heute rechtzeitiger«, sagt Stefan Remy. »Früher kamen sie abends, wenn sie sich tagsüber den Finger abgeschnitten hatten, aber ansonsten nicht. Das Gesundheitsbewusstsein ist gestiegen.«

Dass er in Buseck selbst groß wurde, brachte ihm im Umgang mit den Patienten viele Vorteile, sagt der Senior rückblickend. »Ich bin mit einigen früher in den Kindergarten gegangen.« Das Vertrauensverhältnis sei dadurch ein ganz anderes.

Genauso wie seine beiden Söhne studierte er in Gießen. Während Maximilian bereits am ersten Tag an der Uni wusste, dass er Hausarzt werden will, war dies bei Johannes Remy anders. Als Alternative zu Lehramt wollte er zunächst Medizin nur »ausprobieren«. Als das Studium dann Spaß machte, blieb er - wollte aber in einen aufregender klingenden Zweig, »vielleicht Kardiologe, innere Medizin«.

Während der praktischen Teile des Studiums merkte er, dass fachärztliches Arbeiten oft sehr monoton ist, da es praktisch immer ähnliche Fälle sind, mit denen sich ein Spezialist beschäftigt. »Bei uns ist das anders als in Grey’s Anatomy«, sagt er. In der Hausarztpraxis gebe es viele verschiedene Fälle, das ganze Wissensspektrum werde abgefragt. Das mache es abwechslungsreich und reizvoll.

Maximilian Remy ärgert sich deshalb ein wenig darüber, dass Hausärzte teils belächelt werden. »Viele sind sich nicht bewusst, welche Aufgaben wir in der Praxis übernehmen. Wir sind die Spezialisten für die Langzeitbetreuung der Patienten, erster Ansprechpartner.« Der Hausarzt kann den Weg zum richtigen Facharzt ebnen, kennt die Patientengeschichte über Jahre und Jahrzehnte hinweg.

Was viele junge Mediziner abschrecke, so haben die jungen Ärzte festgestellt, sei der Schritt in die Selbstständigkeit, die Angst vor der damit verbundenen Bürokratie. Wenn dann noch neue Gerätschaften finanziert werden müssen, stehe mancher vor einem Berg, denn er für nicht erklimmbar glaubt. Da sei es von Vorteil gewesen, dass sie seit Kindheitstagen den Arbeitsalltag ihres Vaters mitbekommen und so gesehen hätten, dass dieser nicht nur aus Verwaltungsarbeit besteht. »Wir haben gesehen, dass es funktioniert und die Medizin nicht zu kurz kommt«, sagt Johannes Remy. Manche der Arzthelferinnen kennen sie schon, seit sie laufen können.

In ihrem Umfeld hätten sie daher aktiv für die Arbeit als Hausarzt geworben. Johannes Remy berichtet, dass zu Beginn keiner seiner Kommilitonen Hausarzt werden wollte. »Nun sind es vier von fünf. Man muss die Leute dafür begeistern.«

Die Patienten kommen aus Buseck, Reiskirchen, Annerod dem Lumdatal und auch Gießen - da sich hier leichter ein Parkplatz finden lässt. Weil es eine offene Sprechstunde gibt, kann es auch mal zu Wartezeiten kommen. Maximilian Remy hat festgestellt, dass bei den Stammpatienten die Freude groß ist, dass für die nächsten 30 Jahre die ärztliche Versorgung gesichert ist. »Und manche haben mir auch gesagt, dass meine Oma sie schon behandelt hat.«

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