Kulinarische Entdeckungsreise: Kochbücher aus dem Egerland und Nordböhmen
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Traditionelle Küche

Kulinarische Entdeckungsreise: Kochbücher aus dem Egerland und Nordböhmen

Was kochten die Deutschen, die bis 1945 im heutigen Tschechien lebten? Der Leipziger Verlag Tschirner&Kosová lädt mit zwei neuen Kochbüchern zu historischen und kulinarischen Entdeckungsreisen ins Sudetenland ein. Ein Selbstversuch.

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Kateřina Tschirner-Kosová, 38, und Jürgen Tschirner, 55. Er, gelernter Buchhändler, stammt aus der Messestadt. Sie, gebürtige Tschechin, studierte in Prag Architektur

Pflaumenknödel, Sauerbraten - zu den Erinnerungen an meine Oma Anna Staffa gehört unbedingt auch das, was sie in der Küche zauberte. Heute weiß ich: Es waren stumme Grüße aus ihrer Heimat, dem Riesengebirge im heutigen Tschechien. Wie viele Vertriebene in der DDR, verlor sie nie viele Worte über die Zeit vor 1945, oder darüber, wie sie nach Thüringen kam und hier (k)eine neue Heimat fand.

Als jüngst der Leipziger Verlag Tschirner&Kosová die Bücher „Wahre Schätze aus der Egerländer Küche“ und „Wahre Schätze aus der Nordböhmischen Küche“ herausbrachte, machte mich das neugierig: Würde ich darin Rezepte finden, die mich an meine Großmutter erinnern? Um an der Quelle zu recherchieren, lud mich das Verleger-Ehepaar Jürgen Tschirner und Kateřina Tschirner-Kosová in ihre Küche ein.

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Gefüllte Tomaten

Zutaten

  • 6 feste und etwa gleich große Tomaten
  • 20 dg Hack (= 200 g)
  • Zwiebeln
  • Salz

Zubereitung

Die Tomaten abwischen, in Hälften schneiden, mit einem Teelöffel aushöhlen. Das gewonnene Mark später für Suppen und Tunken verwenden. Das Hackfleisch mit Salz und der gewürfelten Zwiebel vermengen und anbraten. Die Menge in die halben Tomaten geben, im Backofen backen. (Originaltext aus dem Nordböhmen-Kochbuch)

Alte Rezepte würze ich gern mit einer Prise Modernität.

Kateřina Tschirner-Kosová

Erinnerungen an Omas Küche: Die Bedeutung der Rezepte aus Nordböhmen und dem Egerland

Mit der Gründung ihres Verlags im Jahr 2020 hat das Paar der ostdeutschen Bücherlandschaft eine interessante Stimme hinzugefügt: Neben erzgebirgischer Regionalliteratur verlegen sie auch Bücher, die sich dem Schicksal der drei Millionen Deutschen widmen, die einst jenseits des Erzgebirges lebten. Von dort, aus dem Sudetenland, wurden sie nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben, wobei Zigtausende umkamen. Tschirner: „So wichtig es ist, die Erinnerung an die Nachkriegsgewalt wachzuhalten, so sehr lohnt es sich, nach vorn zu blicken und zu fragen, wie sich das Erbe der Sudetendeutschen ins Heute übertragen lässt.“

Zum Beispiel, indem man ihre Esskultur wiederentdeckt. In der großzügigen Wohnküche der Leipziger Verleger wird die Vorspeise serviert: ein Süppchen. Auch zum Repertoire meiner Oma gehörten Suppen, ihre aber waren deftiger - wenn ich nur an ihre herrliche Leberknödelsuppe denke... Kateřina Tschirner-Kosová scherzt: „Das hier ist eine vegetarische Version. Noch einen Teller?“

Erst mal nicht, reden wir lieber über die Geschichten hinter den Rezepten. Zum Beispiel darüber, wie stark die böhmische Küche beeinflusst war von der Wiener Küche bzw. jener der k. u. k.-Monarchie. Davon zeugt in beiden Kochbüchern der immens große Anteil an Mehlspeisen: Klingen diverse Varianten von Buchteln und Strudel vielversprechend, so wäre ich bei Liwanzen und Stoppala auf das Gaumenerlebnis gespannt...

© privat
Erna und Heinz Lorenz. Beide lebten nach ihrer Vertreibung aus dem Egerland in Burglengenfeld/Bayern. Ihrer Heimat blieben sie  zeitlebens verbunden

Die Entstehung der Kochbücher: Von Gablonzer Köchin und sammelndem Ehepaar

Tatsächlich spannend ist die Entstehung des Nordböhmen-Kochbuchs: Zugrunde liegen ihm ca. 500 Rezepte, die einst eine Gablonzer Köchin namens Betty Kubik zusammentrug. In den Wirren der Flucht 1945 zurückgelassen, gelangte das Zettel-Konvolut erst in den 1960er Jahren zu ihren in Thüringen lebenden Nachfahren. Jüngst transkribierte Hans-Jürgen Salier, ein in Hildburghausen tätiger Pädagoge und Heimatforscher, die in feinstem Sütterlin verfassten Rezepte dann ins heutige Schriftdeutsch.

Das Egerland-Kochbuch dagegen entstand erst nach dem Krieg. Über Jahrzehnte sammelten Erna und Heinz Lorenz, ein aus dieser Region stammendes, später in der Oberpfalz lebendes Ehepaar, Kochtipps aus ihrer Heimat. Durch Nachkochen formulierten sie daraus Rezepte, die nun zwischen geschmackvoll gestalteten Buchdeckeln vorliegen.

In Leipzig ist es Zeit für den Hauptgang, wofür die Kochbücher viele herzhafte Fleischgerichte bereit halten: Braten, Gulasch oder auch Innereien wie Lunge und Kutteln… Danke, liebe Verleger, dass Sie mir insbesondere Letzteres erspart haben und wir stattdessen mit Hackfleisch gefüllte Tomaten essen. Diese sehen zwar auf dem Teller etwas verloren aus, so ganz ohne sättigende Kohlenhydrate, sehr apart schmecken sie dennoch, und die Sättigung setzt bekanntermaßen ohnehin erst später ein.

Das Erbe der Sudeten ist reich, auch an Rezepten.

Jürgen Tschirner
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Rastensuppe

Zutaten

  • geschälter Kohlrabi
  • ein Viertel Zeller (Sellerie)
  • eine mittelgroße Karotte
  • eine Zwiebel
  • ein Viertel Weißkohl
  • 10 dg Reis (= 100 g)
  • Salz und Pfeffer

Zubereitung

Das Gemüse wird kleinwürflig geschnitten und mit Reis und der fein gehackten Zwiebel in Fett heiß geröstet. Mit Knochensuppe aufgießen und aufkochen. Man gibt noch eine rohe geschälte, gewürfelte Kartoffel bei, lässt alles weich kochen. Mit Schnittlauch bestreuen. (Originaltext aus dem Nordböhmen-Kochbuch)

Persönliche Eindrücke: Geschmackvolle Rezepte und die Suche nach den Wurzeln

Fazit: Obwohl ich in Leipzig die Küche meiner Oma nicht wiederfand (Hackfleisch kam bei ihr nur in Form von Klopsen auf den Tisch), so enthalten die Kochbücher aus Nordböhmen und dem Egerland doch viele Rezepte, die ich nun selbst ausprobieren möchte - um mich so kulinarisch auf die Spuren meiner sudetendeutschen Vorfahren zu begeben. Zum Dessert gab es bei Tschirner&Kosová übrigens leckere Egerländer Rumkugeln.