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Viel Kraft – wenig Biss

Wirtschaftsberichterstattung in ARD und ZDF – Kurzfassung der Studie
Auf einen Blick

Öffentlich-rechtliche Berichterstattung über Wirtschaft und Wirtschaftspolitik gewinnt an Bedeutung. Unsere Analysen auf Basis eines Samples von 5.778 Sendungen legen präzise Zahlen über die Vermittlung ökonomischer Inhalte durch ARD und ZDF vor. Der Umfang der wirtschaftspolitischen Berichterstattung ist beachtlich: Nachrichtensendungen, Talkshows und Politmagazine widmen rund ein Fünftel ihrer Sendezeit wirtschaftspolitischen Themen. Die Themensetzung wird stark von der Bundespolitik getrieben, Kontinuität und Kontextualisierung der Berichterstattung lassen zu wünschen übrig. Insbesondere die Wirtschaftsmagazine adressieren ihr Publikum überwiegend als Verbraucherinnen und Verbraucher, andere Perspektiven bleiben unterbelichtet.

Allgemeiner Kontext zur Studie

Finanz- und Eurokrise, Digitalisierung und sozialökologische Transformation – die Krisen und Umbrüche der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart machen Wirtschaftspolitik zu einem zentralen Themenfeld, auf dem sich das Wohlergehen einer Gesellschaft entscheidet. Damit gewinnt auch der wirtschaftspolitische Journalismus an Bedeutung, der als Unterart des Wirtschaftsjournalismus das Publikum explizit als Bürgerinnen und Bürger anspricht. Nur eine faktenbasierte, qualitativ hochwertige Berichterstattung kann eine verlässliche Informationsbasis liefern, sodass sich das Publikum ein fundiertes Bild wichtiger wirtschaftspolitischer Problemstellungen machen kann, einem Feld, das inzwischen von starken populistischen Tendenzen geprägt ist. Während populistische Politik auf Polarisierung setzt und schnelle, vermeintlich einfache Lösungen forciert, sind ökonomische Probleme meist vielschichtig und langfristig. Journalistische Medien sind gefordert, systematisch und kontinuierlich aufzuklären und weder aufmerksamkeitsökonomischen Versuchungen noch schnellen Themenkonjunkturen zu erliegen. Die Vermittlung ökonomischer Themen ist aufwändig und teuer.

Kommerzielle Massenmedien tendieren dazu, den gesellschaftlichen Bedarf an hochwertiger wirtschaftspolitischer Information nicht zu decken. Deshalb kommt dem öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsjournalismus – insbesondere dem reichweitenstarken Fernsehen – eine Schlüsselrolle zu. Wie ARD und ZDF über Wirtschaft berichten, ist die zentrale Frage der Studie.

Methode

Anders als bisherige stichprobenbasierte Analysen liefert die Untersuchung eine Vollerhebung der wichtigsten linearen öffentlich-rechtlichen TV-Angebote, die regelmäßig Wirtschaftsthemen aufgreifen. Möglich war diese Bestandsaufnahme zwischen September 2022 und Februar 2023, bei der 5.778 Sendungen mit 3.380 Stunden Programm aufgezeichnet wurden, durch den Einsatz computerbasierter Methoden der Spracherkennung, des Topic Modelling und Natural Language Processing, die ein exploratives Vorgehen auf quantitativer Basis ermöglichen. In weiteren Analyseschritten wurden einzelne Formate einer eingehenden händischen Inhaltsanalyse unterzogen.

Ergebnisse
Umfangreiche wirtschaftspolitische Berichterstattung …

Nachrichtensendungen, politische Talkshows und Politikmagazine räumten zwischen September 2022 und Februar 2023 wirtschaftspolitischen Fragen rund ein Fünftel ihrer Sendezeit ein. Die Wirtschaftsmagazine fokussierten sich lediglich in elf Prozent ihrer Inhalte auf die politischen Seiten ihres Berichterstattungsgegenstandes.

Insgesamt gibt es somit viel Wirtschaft im öffentlich-rechtlichen TV. Eine kontinuierliche wirtschaftspolitische Berichterstattung, die Entwicklungen auch zu Zeiten verfolgt, in denen ökonomische Ereignisse keine Headlines produzieren, betreibt jedoch nur Wirtschaft vor acht (Das Erste). Mit weniger als 20 Minuten pro Woche ist die Gesamtsendezeit dieses Formats allerdings knapp bemessen.

… vielfältige Themen …

Die Nachrichtenformate folgen in ihrer wirtschaftspolitischen Berichterstattung in weiten Teilen der Agenda des politischen Berlins. Im Analysezeitraum liegt der Schwerpunkt zunächst auf der Debatte über die sozial- und wirtschaftspolitische Abfederung des Energiepreisschocks, später folgt eine Diskussion über das Bürgergeld und die Sozialpolitik insgesamt sowie eine Diskussion um die ökonomische Abhängigkeit Deutschlands von China. Die weitere energiepolitische Ausrichtung im Spannungsfeld von drohenden Versorgungsengpässen und klimapolitisch gebotener Transformation findet sich ebenfalls maßgeblich als bundespolitische Debatte in den Nachrichtensendungen.

In Teilen jenseits der Bundespolitik angesiedelt ist hingegen die makroökonomische Entwicklung (Konjunktur, Inflation) als Berichterstattungsgegenstand, jeweils ausgelöst durch neue Zahlen und Prognosen, sowie die Tarifpolitik. Letztere taucht dann prominent in den Sendungen auf, wenn konkrete Ereignisse (Streiks, Tarifabschlüsse) zu vermelden sind, verschwindet anschließend jedoch rasch wieder aus dem Fokus.

Unterbelichtet bleibt in der Berichterstattung vor allem die internationale Dimension der Wirtschaft. Europäische Aspekte und Entwicklungen im Ausland werden nicht kontinuierlich, sondern allenfalls ereignisbezogen beachtet. Während die Themenkonjunkturen der politischen Talkshows eine ähnliche Orientierung an der Bundespolitik wie die Nachrichtensendungen aufweisen, setzen Wirtschafts- und Politikmagazine stärker eigene Akzente.

… aber lückenhafte Perspektiven und schwankende Qualität.

Das größte Fragezeichen, das in den Ergebnissen der Untersuchung aufscheint, ist der inhaltliche Mix der Wirtschaftsmagazine. Die Inhalte der Wirtschaftsmagazine adressieren das Publikum überwiegend, in rund 65 Prozent der Beiträge, in der Rolle als Verbraucherinnen und Verbraucher. Der Fokus liegt auf individuellen Reaktionsmöglichkeiten auf wirtschaftliche Ereignisse. Ein umfangreiches Verständnis für wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Zusammenhänge ist kaum erklärtes Ziel, nur selten finden Konfrontationen mit Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft statt.

In der Gesamtschau über alle Formate hinweg mangelt es somit an einer wirtschaftspolitischen Berichterstattung mit vorausschauender Perspektive, eigener Schwerpunktsetzung und Kontextualisierung der behandelten Themen. Die Ergebnisse einer partiell durchgeführten Qualitätsanalyse legen darüber hinaus nahe, dass die häufige mediale Konzentration auf tagespolitischen Streit für einzelne Themen, insbesondere die Sozialpolitik, mit Qualitätseinbußen einhergeht.

Fazit

Trotz des großen Sendevolumens bleibt die wirtschaftspolitische Berichterstattung der Öffentlich-rechtlichen lückenhaft: Sie orientiert sich in weiten Teilen eng an der bundespolitischen Agenda, setzt wenig eigene Themenschwerpunkte und sucht zu selten die Konfrontation mit Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft. Abhilfe könnte aus Sicht der Autoren ein neues „Ständiges Wirtschaftspolitisches Format“ schaffen, das in die Wirtschaftsmagazine integriert und in den Mediatheken gebündelt angeboten werden könnte.

Die Langfassung dieser Studie mit Schaubildern, Quellen- und Autorenangaben finden Sie hier.

Über Henrik Müller, Gerret von Nordheim / Otto Brenner Stiftung:

Unter der Kennung "Gastautor:innen" fassen wir die unterschiedlichsten Beiträge externer Quellen zusammen, die wir dankbar im Beueler-Extradienst (wieder-)veröffentlichen dürfen. Die Autor*innen, Quellen und ggf. Lizenzen sind, soweit bekannt, jeweils im Beitrag vermerkt und/oder verlinkt.

Ein Kommentar

  1. Detlef Wilske

    Toll! Immer wenn ich, wartend auf die Tagesschau, “Wirtschaft vor acht” ansehen muss, werde ich nicht als Verbraucher angesprochen. Vielleicht sind die Autor:innen ja Wessis (darf man das Wort heute, 2024, noch verwenden?). Jedenfalls habe ich mit meiner Ost-Biografie nicht so viel Geld auf der hohen Kante, dass ich die Tipps, die dort auf die “Verbraucher” losgelassen werden, nutzen könnte. Ich versuche eigentlich, soweit möglich, zu vermeiden, solche “wirtschaftspolitischen” Sendungen zu sehen, um nicht schnellstmöglich in den ruhigeren Teil meiner Wohnung gehen zu müssen, um mich zu übergeben.

    Dem Fazit kann ich aber vollumfänglich zustimmen.

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