Abgeschoben nach Europa: Warum Barley, Strack-Zimmermann & Co. in Berlin unerwünscht sind

Abgeschoben nach Europa: Warum Barley, Strack-Zimmermann & Co. in Berlin unerwünscht sind

Früher war Katarina Barley SPD-Bundesministerin, jetzt ist sie in Brüssel. Auch FDP-Politikerin Strack-Zimmermann soll ins EU-Parlament. Was dahintersteckt.

Katharina Barley, SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl 2024
Katharina Barley, SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl 2024Chris Emil Janßen/Imago

Ein fieses Sprichwort sagt: „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa.“ Denn im politischen Berlin gilt das EU-Parlament in Brüssel tatsächlich als Friedhof für abgehalfterte Volksvertreter. Jetzt steht erneut die Wahl zum Europaparlament an, derzeit ist Deutschland mit 99 Abgeordneten in Brüssel vertreten. Zur Abstimmung am 9. Juni wird überall in Deutschland plakatiert. Zu sehen sind darauf oft Unbekannte, aber auch Politiker, die in dem Land einmal eine große Rolle gespielt haben. Und die dann in der Versenkung verschwanden.

Das Trostpflaster: Ein Leben als Europaparlamentarier lohnt sich. Den Abgeordneten stehen monatliche Dienstbezüge in Höhe von 9386,29 Euro zu. Davon werden eine EU-Steuer und ein Versicherungsbeitrag abgezogen – trotzdem bleiben immerhin noch 7316,63 Euro übrig. Und Mitglieder des Parlamentspräsidiums haben die gleichen Bezüge wie alle anderen Abgeordneten, dürfen aber ein bis maximal zwei Assistenten mehr beschäftigen.

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Katarina Barley: Komische Posts und brandgefährliche Patzer

Katarina Barley galt einmal als Hoffnungsträgerin der SPD. Die Volljuristin stammt aus Nordrhein-Westfalen, Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. In der Partei war sie Generalsekretärin, dreimal hintereinander hatte sie unterschiedliche Bundesministerposten inne. Doch seit 2019 ist sie in Brüssel und hofft seitdem, dass ihr Einsatz für Demokratie in Europa endlich wahrgenommen wird. Zugegeben: Ihr Start war ein Desaster. Barley startete mit einem Stimmenverlust der SPD von rund 11 Prozent. Es gelang ihr aber sofort, gleich eine von 14 Vizepräsidenten des Europaparlaments zu werden.

Der „Friedenskanzler“ als Wahlkampftrumpf: Ex-SPD-Generalsekretärin Katarina Barley, derzeit Abgeordnete im Europaparlament in Brüssel, will wiedergewählt werden.
Der „Friedenskanzler“ als Wahlkampftrumpf: Ex-SPD-Generalsekretärin Katarina Barley, derzeit Abgeordnete im Europaparlament in Brüssel, will wiedergewählt werden.Oliver Zimmermann/imago

Ihr Engagement bislang: eher unauffällig bis mitunter peinlich. In der SPD beklagen einige ihre fehlende Durchschlagskraft von Kampagnen. In der Öffentlichkeit fiel Barley bisher vor allem damit auf, dass sie eine Debatte über eigene europäische Atombomben auslöste – und damit viele in ihrer Partei unglücklich machte. Ein Genosse nannte ihre Äußerung brandgefährlich. Anderen stieß auf, dass Barley im März für das Ukraine-Hilfspaket der EU gestimmt hatte. Unter Punkt 11 werden auch Marschflugkörper vom Typ Taurus genannt, deren Lieferung Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) explizit ablehnt. Die Punkte wurden vorher allerdings einzeln abgestimmt, stellt ein Sprecher klar. Beim Thema Taurus enthielt sich Barley.

Jetzt macht Barley mobil für die Europawahl, auch in den sozialen Medien. Ihre Hauptthemen: die Notwendigkeit der EU. Und die unfairen Attacken rechter Parteien wie der AfD gegen Brüssel. „Die EU ist ein Wunder! Stellt euch mal vor, so etwas gäbe es auch in anderen Teilen der Welt“ – träumte sie jüngst auf Instagram. Im Video erklärte sie: Nur dank der EU habe es seit 1945 keinen Krieg mehr auf dem Boden der EU-Mitgliedstaaten gegeben.

Dass es das Militärbündnis Nato ist, das seit vielen Jahrzehnten den Frieden in Europa mit militärischen Mitteln sicherstellt – und beizeiten auch in angrenzende Konflikte eingreift, wie 1999 im Kosovo – erwähnt die Politikerin nicht. Auch die alte Atombomben-Forderung scheint wieder vergessen. Jetzt lautet das Motto, für das sie gemeinsam mit dem Kanzler wirbt: „Frieden sichern, SPD wählen“. Unbeirrt erklärt sie: Wenn es so etwas wie die EU auf allen fünf Erdteilen gäbe, „dann hätten wir einen wunderbaren, gerechten, nachhaltigen Planeten“.

Ein weiteres Thema in Barleys Social-Media-Auftritt sind die Vorteile des EU-Binnenmarkts. Dabei hat es diesen auch schon in den Vorläuferorganisationen der Europäischen Union gegeben, die den Nationalstaaten mehr Souveränität gelassen hatten als Brüssel heute. Warum es dafür unbedingt die EU braucht? Aus Barleys Erklärungen wird das nicht ersichtlich.

Barley erwähnt auch die EU-Richtlinien, aufgrund derer die Nationalstaaten eigene Gesetze ausarbeiten. Sie legen unter anderem gemeinsame Standards für den Binnenmarkt fest. Das kann man auch aus einer marktwirtschaftlichen Perspektive für sinnvoll halten. Dass es hier aber ein entscheidendes Demokratiedefizit gibt – nicht das Parlament kann Gesetzesvorhaben anstoßen, sondern ausschließlich die nicht demokratisch gewählte Kommission – kommt bei ihr nicht vor. Der Aufstieg der rechten Parteien, für Barley ist er ein Rätsel.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Sie will auch in der EU nerven

Auch FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat europapolitische Ambitionen oder besser: muss sie haben. Die Bundestagsabgeordnete eckt in der Öffentlichkeit immer wieder mit ihren Positionen an, etwa zur Corona-Pandemie oder zum Ukrainekrieg. Ihre eigene Partei, so scheint es, will die Frau durch einen Sitz im Europaparlament neutralisieren. Konkret: Vielen ist sie zu laut, zu polternd und oft übers Ziel hinausschießend. Nun will sie diesen Stil in Brüssel fortsetzen. Ihr Slogan lautet: „Streitbar in Europa“.

Ihre ersten Schritte ließen kaum Fettnäpfchen aus. Schon die Vorstellung ihrer Wahlkampagne endete im Desaster. Unter dem Werbeslogan „Oma Courage“ ließ sie sich von ihrer Partei feiern. Dabei übersahen ihre Spindoktoren: In Bertolt Brechts Drama Mutter Courage ist die Hauptfigur eine Frau, die vom Krieg profitiert. Und die für den Profit sogar ihre Kinder opfert. Im Nachhinein will Strack-Zimmermann das alles so nicht gemeint haben.

Das Kampagnenmotiv referiere „in ironischer Weise auf den Spruch, der in früheren Zeiten für Europapolitiker verwendet wurde: ‚Schickst du einen Opa nach Europa‘“, erklärt ihr Sprecher gegenüber der Berliner Zeitung. Diesmal schicke die FDP „zwar eine dreifache Oma ins Rennen, aber dafür ihre beste“. Sie wolle „Courage“ gegen Autokraten zeigen. Und: „Mehr von der Freiheit, weniger von der Leyen.“

Überzeugend klingt das nicht. Eher entsteht der Eindruck: Je stärker Strack-Zimmermanns Mitarbeiterstab den Eindruck entkräften möchte, dass sie von ihrer Partei nach Brüssel abgeschoben werden soll, desto mehr verstärkt sie ihn. Auch andere Slogans von Strack-Zimmermann wirken eher unglücklich gewählt. Wie etwa: „Migration steuern. Sonst tun es die Falschen.“ Braucht es erst den Aufstieg rechter Parteien, um zu erkennen, dass irreguläre Migration begrenzt werden muss?

Will ein starkes und wehrhaftes Europa: Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die sich selbst „Eurofighterin“ nennt.
Will ein starkes und wehrhaftes Europa: Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die sich selbst „Eurofighterin“ nennt.IMAGO/Rüdiger Wölk

Strack-Zimmermann, die sich auch gerne mit ihrem Motorrad zeigt, war schon immer eine, die auffiel. Seit 1990 ist sie Mitglied der FDP und war von 2014 bis 2024 Vorsitzende des FDP-Kreisverbandes Düsseldorf. 2020 trat sie in der Landeshauptstadt von NRW als Oberbürgermeister-Kandidatin an – und scheiterte. Von 2013 bis 2019 war sie stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundespartei, seit Dezember 2021 leitet sie den Verteidigungsausschuss des Bundestags. Nun geht es ab nach Brüssel.

David McAllister (CDU): Nach verlorener Landtagswahl gen Brüssel

Ein weiterer prominenter Politiker, den es nach Brüssel verschlagen hat, ist David McAllister (CDU). Von 2010 bis 2013 war er niedersächsischer Ministerpräsident, er folgte auf Christian Wulff. Dann kam die Wahlniederlage: Sein Herausforderer, der Sozialdemokrat Stephan Weil, setzte sich durch. Kurz darauf zog der Deutsch-Brite ins Europaparlament ein, damals nannte man ihn den „unsichtbaren Kandidaten“. Weil die CDU anders als die anderen Parteien nicht mit einer zentralen Liste, sondern in jedem Bundesland mit einer eigenen angetreten war, konnte er nur in seinem Heimatland Niedersachsen gewählt werden – und auch dort Wahlkampf machen. 

Trotzdem legte der CDU-Politiker im EU-Parlament eine steile Karriere hin. Inzwischen leitet er den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und ist Vizepräsident der Europäischen Volkspartei (EVP), der christdemokratischen Fraktion im Europaparlament. McAllister gilt als Vertrauter von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), die ihre Karriere ebenfalls in Niedersachsen begonnen hatte und nach einer eher missglückten Amtszeit als Bundesverteidigungsministerin nach Brüssel ging.

Kennen und mögen sich: Ursula von der Leyen und David McAllister 
Kennen und mögen sich: Ursula von der Leyen und David McAllister www.imago-images.de

Jetzt muss sich von der Leyen vor der Justiz verantworten. Der Vorwurf des belgischen Lobbyisten Frédéric Baldan, der seine Klage zunächst an einem belgischen Gericht eingereicht hatte: Sie soll den Deal zur Beschaffung von Corona-Impfstoff des Pharmakonzerns Pfizer eigenmächtig per SMS eingefädelt haben. Impfdosen wurden damals teurer eingekauft als nötig, Milliarden an Steuergeld verschwendet. Die New York Times klagte auf Herausgabe der fraglichen SMS. Die EU-Kommission weigert sich.

An diesem Freitag soll entschieden werden, wer die Ermittlungen in der Sache fortführt: das erstinstanzliche Gericht in Lüttich oder die europäische Staatsanwaltschaft EPPO. Für David McAllister und viele andere Schützlinge der Kommissionspräsidentin dürfte das alles aber erst einmal keine Rolle spielen. Er tritt am 9. Juni wieder an, um seinen Platz in Brüssel behalten zu können. Seine Devise: „Für ein starkes Niedersachsen in Europa“.

Transparenzhinweis: Vorher hieß es in diesem Artikel, Katarina Barley habe im Europaparlament für die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine gestimmt. Ihr Sprecher teilte mit, sie habe sich an diesem Punkt enthalten. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.


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