Crow Country - Review

Auf dem ersten Blick niedlich, auf dem zweiten furchteinflößend

Crow Country im Test - Schon jetzt eins der Horror-Highlights des Jahres
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Crow Country ist schon jetzt einer der besten Horrortitel diesen Jahres, bei dem ich jede Sekunde genossen habe. Oh, wow, IGN Deutschland legt direkt im ersten Satz vor! Wie gut der Retro-Survival Horror ist, habe ich ausgerechnet im Flugzeug bemerkt: Ich sitze da in einer vollen Kabine mit meinem Steam Deck und Noise-Cancelling-Kopfhörern. Um mich herum viel Sonnenlicht und Ablenkung. Im Spiel jedoch taste ich mich mit einer Taschenlampe durch einen dunklen Gang, als plötzlich schleimige Spinnenmonster mit lautem Knall aus einem Luftschacht springen. Zum Glück ist so ein Flugzeug laut, sonst hätten meine Nachbarn dieses peinliche »Eeek!« von mir vernommen. Fast hätte ich den Handheld vor Schreck fallen lassen! Die Atmosphäre war sogar so dicht, dass ich die Getränkeausgabe der Flugbegleitung verpasst habe. Wenn ein Spiel das schafft, macht es etwas sehr, sehr richtig.

Weniger ist manchmal mehr

Dabei sieht Crow Country so aus, als sei es vor ein paar Jahrzehnten erschienen. Eine reduzierte Farbpalette, grobe Polygonfiguren und rauschender Lo-Fi-Sound - hier werden Erinnerungen an die 32-Bit-Ära wach. Audiovisuell fühlt man sich sehr an die erste Playstation oder den Nintendo 64 erinnert. Und trotzdem schafft es der Titel stärker in seinen Bann zu ziehen als aktuelle Vertreter des Genres. Eigentlich paradox, weil andere Horrorspiele mit beeindruckender, aufwendiger Technik protzen können. Und doch sitze ich hier voller Staunen und bin begeistert davon, wie effizient und mit vergleichsweise einfachen Mitteln nervenkitzelnde Spannung und Immersion aufgebaut werden.

Mit einem kräftigen Tritt können wir manchmal Items aus einem Getränkeautomaten entlocken.

Mit anderen Worten: Fotorealistische Grafiken und fancy Cutscenes können diesmal nicht als Substitut für eine sorgfältige Inszenierung herhalten. Und diese Disziplin meistert Crow Country sehr gut: Alle Informationen, die wir im Spiel erhalten, werden organisch über Spielergebnisse, Umgebungen oder Dokumente vermittelt. Jeder Schritt der Hauptfigur Mara fühlt sich wie unser eigener an, weil wir aus erster Hand die Erfahrung mit ihr teilen. Wir begegnen und lösen Mysterien vorwiegend durch Taten, statt sie in Zwischensequenzen auf dem Silbertablett serviert zu bekommen.

Starker Fokus auf Rätsel und Erkundung

Das Gefühl kommt vor allem durch den starken Fokus auf Rätsel auf. Die üblichen Zutaten von Survival Horror kennt ihr sicher: Es gibt Monster und Munitionsknappheit zu bekämpfen. Vorwiegend erkundet ihr aber eine gefährliche Umgebung, die ihr euch Stück für Stück erschließt. Dazu müsst ihr Schlüssel, Zahlenkombinationen, oder Maschinenteile finden. Als Polizistin Mara erforschen wir im Jahre 1990 den namensgebenden Freizeitpark Crow Country, in dem sich eine merkwürdige Krankheit breit gemacht hat. Wir sind speziell auf der Suche nach dem Eigentümer Edward Crow, der sich irgendwo im Park versteckt hält.

Wie für Freizeitparks üblich sind die Areale in Themenwelten unterteilt. Hier geht's zur Unterwasserwelt.

Auf dem Weg begegnen wir anderen Charakteren, die ähnliche Beweggründe haben. Da wäre zum Beispiel die Anwältin, die Gerechtigkeit für ein Kind schaffen möchte, das von besagter Krankheit befallen wurde. Oder der Journalist, der für eine Klatschzeitung versucht, gute Fotos von sonderbaren Kreaturen zu machen. Gerüchte besagen, dass diese sich durch die Attraktionen wühlen sollen. Von wegen Gerüchte! Mara macht bereits nach wenigen Minuten Bekanntschaft mit diesen Monstern, die in den Tagebüchern der ehemaligen Mitarbeiter*innen harmlos als »Gäste« bezeichnet werden. Aber wie sind diese entstanden? Was hat es mit der Goldmine auf sich, die immer wieder in den Akten erwähnt wird? Und warum sind auffällig viele Krähen zu sehen?

Toll eingesetztes Foreshadowing

Der Park ist voller großer und kleiner Geheimnisse, von denen ihr einige lüften könnt und andere einer Interpretation im Kontext der Geschichte bedürfen. Diese wird nach dem After-the-Facts-Konzept erzählt: Als Mara den Park betritt, sind bereits einige verheerende Dinge geschehen. Was sie zu Gesicht bekommt, ist die gruselige Konsequenz. Dann über Videoaufzeichnungen auf VHS, Spuren in den Räumen oder Briefen von ehemaligen Angestellten zu lesen, was vor gar nicht allzu langer Zeit vorgefallen ist, sorgt für Gänsehaut. Dieses dramaturgische Konzept haben schon viele andere Genrevertreter verwendet, aber es funktioniert in Crow Country besonders gut, weil man sich durch die reduzierte Grafik durch seine eigene Fantasie stärker in das Geschehen hinein versetzt.

Mara begegnet mysteriösen Charakteren, mit denen sie kurze Gespräche führen kann.

Toll ist dabei, wie geschickt mit Foreshadowing gearbeitet wird. Dieser Begriff beschreibt kleine Hinweise, die auf spätere größere Ereignisse hindeuten. Merkwürdig aussehende Türen kitzeln zum Beispiel schon früh im Spiel eure Neugier, aber öffnen könnt ihr sie erst wesentlich später. Der Erhalt stärkerer Waffen, wie etwa die Schrotflinte, wird auf augenzwinkernde Art angedeutet. Mara bekommt zum Beispiel in einer Szene eine stärkere Waffe in die Hände - die sich dann aber als Attrappe aus Plastik herausstellt, die für eine der Attraktionen verwendet wird. So etwas klappt auch im großem Gesamtbild: Je weiter man in der Handlung vorankommt, desto stärker verdichten sich die Hinweise auf eine grausame Auflösung der Ereignisse. Bis zum Schluss wollte ich wissen, was es mit Edward Crow und seinen Park auf sich hat.

Die Grafik ist niedlich, aber ich war überrascht, wie gruselig (und grausam) der Horror stellenweise war.

Bemerkenswertes Ortsgefühl

Crow Country macht nicht nur wegen seiner Atmosphäre und Geschichte Spaß, sondern weil das Spiel eine gute Kommunikation zu uns hegt. Die Navigation durch den Freizeitpark fällt einfach, weil jeder Raum und jeder Gang ganz individuell gestaltet sind. Es gibt Themenbereiche, wie etwa die Gruselwelt (wie passend!), die Unterwasserwelt oder den Märchenwald. Alles ist plausibel miteinander verknüpft und die Laufwege sind überschaubar. Muss man einen Schlüsselgegenstand am anderen Ende des Parks einsetzen, kann man meistens auf dem gleichen Weg gleich eine Handvoll anderer Aufgaben erledigen. Längere Fußmärsche zurück sind mit viel Progression verbunden und deshalb nicht nervig.

Wer die klassischen Survival Horror-Karten kennt, wird sich hier gleich wohl fühlen.

Wer keinen guten Orientierungssinn hat oder eine längere Pause vom Spiel gemacht hat, kann die klar lesbare Karte verwenden. Sie verzeichnet u.a. verschlossene Türen und ungelöste Rätsel. Insgesamt wird Erkundung sehr groß in Crow Country geschrieben, da die Räume gespickt mit kleinen Details, Ressourcen und kleinen Hinweisen sind - und das trotz der Retro-Grafik. Ich kam aus den Staunen nicht heraus, mit wie viel Liebe und Seele die Orte gestaltet wurden. Jeder Bereich hat seine eigene Persönlichkeit und man bekommt generell einen guten »Sense of Place«, also ein greifbares Gefühl für den Schauplatz. Und durch die frei rotierbare Kamera kann man jeden Winkel erforschen. Das ist empfehlenswert, denn erst dann kann man Medikits oder Munition erspähen, die man auf den ersten Blick vielleicht übersieht. Manches davon ist gut in Glasflaschen versteckt, die man mit einem Schuss aus der Pistole zerbrechen kann. Wer gut aufpasst und genau hinschaut, holt auch mehr aus der Spielerfahrung heraus.

John Carpenter lässt grüßen

Foreshadowing wird auch bei den Gegnern eingesetzt. Durch die isometrische Perspektive haben wir zwar einen gewissen Überblick, aber meistens sind Monster trotzdem noch nicht zu sehen, wenn wir sie bereits hören können. Wenn ich an die Geräusche denke, während ich diese Zeilen tippe, bekomme ich schon wieder Gänsehaut. GÄNSEHAUT! Stellt euch schwer definierbares Glucksen, Gurren, Knarzen, Ächzen oder Winseln vor, das durch einen Lo-Fi-Filter verzerrt klingt. Brrrr! Was da auf euch zu gekrochen, geflossen oder gehumpelt kommt, ist ohnehin schon schwer in Worte zu fassen. Ich fühle mich hier an die deformierten Kreaturen aus John Carpenter’s The Thing erinnert. Besonders bei diesem einem Ungetüm, das als Fleischmasse auf mich zuschwappt, nur um im Schein meiner Taschenlampe ein schmerzverzerrtes Gesicht zu formen. Die zunächst knuffige Grafik mit ihren knuddeligen Proportionen ist ein fieser Trick! Durch diesen niedlichen Stil fand ich den Horror nur noch verstörender, weil er in vielen Szenen nicht vor Härte und Gore zurückschreckt.

Natürlich darf in einem Freizeitpark auch eine Gruselwelt nicht fehlen!

Ein wenig Gift würzt die Horror-Suppe

Wie es sich für guten Survival Horror gehört, fühlte ich mich die meiste Zeit unterlegen. Mara ist als Polizistin versiert mit Waffen und kann sich gut wehren. Zielen ist aber trotzdem nicht einfach: Mit der Schultertaste verwendet ihr ein Laservisier, das erst einmal ausgerichtet werden möchte und dabei ganz subtil durch Maras Atmung schwankt. Treffen tut man mit etwas Übung schon irgendwie aus der Hüfte, aber wenn man Körperteile anvisiert, muss man sich konzentrieren. Humanoiden Gegnern kann man zum Beispiel den Kopf wegschießen, aber das will erst einmal gelernt sein.

Dieser größere Gegner lässt sich nicht so leicht mit einer simplen Pistole beeindrucken.

Granaten gibt es auch, aber sie können die größeren Gegner nicht auf einen Schlag töten. Sinnvoll ist es daher, Fallen in der Umgebung zu nutzen: Es gibt die obligatorischen roten Fässer, die bei Beschuss explodieren. Oder Bärenfallen, in die man aber auch selbst hineinlaufen kann. Als wäre die Munitionsknappheit nicht schon schwierig genug, kann Mara sich durch den Biss bestimmter Gegner auch vergiften. Dann sinkt die Lebensenergie langsam, bis man ein Gegenmittel eingenommen hat. Selbstverständlich findet man das nicht an jeder Ecke. Eklig übrigens: Ressourcen findet ihr auch in Mülleimern, wie zum Beispiel auch Verbandszeug. Beim Anlegen wollte ich am liebsten nicht darüber nachdenken, wie lange und neben was es im Eimer lag.

Kurz, aber lohnenswert

Nach etwa fünf Stunden hatte ich meinen ersten Spieldurchlauf geschafft. Via Patch soll ein Hard-Mode nachgereicht werden, den ich mir auf jeden Fall noch einmal geben werde. Ja, so gut hat es mir gefallen! Die Entwickler halten eine gute Balance zwischen den Action- und Adventure-Komponenten und geben trotzdem genug Entscheidungsfreiheit. An einigen Monstern könnt ihr mit etwas Geschick vorbeilaufen, um Munition zu sparen. Manche Rätsel und Räume können in beliebiger Reihenfolge gelöst werden. Die Kampagne ist dynamisch genug, um euren Entdeckerdrang nicht zu bremsen, obwohl es eigentlich ein lineares Erlebnis ist. Wer nicht weiterkommt, kann optional ein Orakel in einem Automaten befragen. Das wird in der genretypischen Punktetafel am Ende aber bewertet, wo auch die Zeit und andere Werte festgehalten werden. Wer möchte, kann also beim nächsten Durchlauf ein besseres Gesamtergebnis erreichen - wie in Resident Evil.

Hilfreich für mich ist zudem, dass ich Mara ins Herz geschlossen habe. Bei ihren Kommentaren scheint immer ein wenig Humor durch, der das Geschehen etwas auflockert. Als sie sich zum Beispiel über eine Vampirpuppe im Sarg lehnt, um wirklich sicher zu gehen, dass diese nicht echt ist, habe ich schon sehr geschmunzelt. Crow Country ist voll solcher augenzwinkender Momente, die aber nie Überhand nehmen oder albern werden. Die Horroratmosphäre bleibt immer intakt.

Fazit

Der niedliche Retro-Look von Crow Country täuscht: Die Atmosphäre ist dicht, die Handlung packend und der Horror manchmal überraschend grausam. Ein Wolf im Schafspelz, der in wichtigen Momenten zu verstören weiß. Und wie viel Spaß dieser Survival Horror dabei macht! Fortan werde ich das Spiel in einem Atemzug mit Titeln wie Tormented Souls, Alisa oder Signalis nennen, die ebenfalls bei der Wiederbelebung eines totgeglaubten Genres halfen. Crow Country ist nicht nur eine Liebeserklärung an den klassischen Survival Horror, sondern auch ein gutes Studienobjekt für ausgewogenes, durchdachtes Game Design.

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SFB Games
  • Platform
  • PC
  • PS5

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9
Unglaublich
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