Palästina-Proteste und Krawall-Studenten: Was läuft falsch an New Yorks Elite-Uni Columbia?

Palästina-Proteste und Krawall-Studenten: Was läuft falsch an New Yorks Elite-Uni?

Die Columbia University steht im Zentrum der propalästinensischen Proteste in den USA. Nun wurde sogar die Semesterabschlussfeier abgesagt. Die Atmosphäre ist aufgeladen. Ein Stimmungsbericht.

Studierende der Columbia University bei einem Protestmarsch durch New York
Studierende der Columbia University bei einem Protestmarsch durch New YorkGetty Images/North America

Die Stimmung auf dem Campus der Columbia University in New York ist gedrückt. Der Eingang zur Hamilton Hall, die in der Nacht zum 1. Mai von der Polizei geräumt wurde, ist streng bewacht: Offiziell ist das Gebäude „für Reparaturen geschlossen.“ Doch immer wieder kommen uniformierte Polizisten herein. Drinnen arbeiten Handwerker mit Schutzhelmen und grünen Leuchtwesten, sie schleppen Farbeimer. Die klaffenden Löcher im Glas der Eingangstür sind verschwunden, neue Scheiben eingesetzt. Die verbogene Türklinke ist ersetzt. Nur ein paar Kratzer in der Holzvertäfelung erinnern an die Besetzung des Gebäudes durch die Demonstranten und eine nächtliche Polizeirazzia vor über einer Woche.

An der Columbia geht das Frühjahrssemester zu Ende. Die universitätsweite Abschlussfeier wurde jedoch abgesagt. Für die 19 Colleges wird es nur kleinere Feiern geben. Die meisten Abschlusszeremonien werden in der kommenden Woche im geräumigen Baker Athletics Complex in Nord-Manhattan stattfinden, etwa 20 Autominuten vom Columbia-Campus entfernt. Eine große Enttäuschung für viele der 15.000 Absolventen, ihre Eltern und andere Eingeladene. Die Abschlussfeier zieht traditionell viele prominente Gäste an und ist wichtig für das Prestige der Universität und zukünftige Spenden.

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Das Problem: Seit dem 17. April steht die Elite-Uni der Ivy League im Zentrum der propalästinensischen Protestbewegung an amerikanischen Hochschulen. In weniger als einem Monat war die Universität Schauplatz von zwei Polizeirazzien, zwei Protestcamps (das erste wurde am 18. April, das zweite in der Nacht zum 1. Mai aufgelöst), einem Fußmarsch der Lehrkräfte, zahlreichen Demonstrationen und der Besetzung der Hamilton Hall. Das ist außergewöhnlich, selbst für eine Universität, die auf eine lange Tradition von Hochschulprotesten zurückblicken kann und 1968 aktiv an der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg beteiligt war.

Inmitten der aktuellen Spannungen fand der Unterricht mehrere Tage lang virtuell statt. Den Studierenden und den meisten Fakultätsmitgliedern war der Zugang zum Campus verwehrt. Private Sicherheitsfirmen und New Yorker Polizisten bewachten die Eingänge. Der „Elfenbeinturm Columbia“ wurde zur „Festung Columbia“.

Forderungen der Protestanten: Keine Investitionen in Israel

Die Krise brach am 17. April aus, als die Präsidentin der Columbia-Universität, Nemat Shafik, vor dem Bildungsausschuss des Repräsentantenhauses aussagte. Sie wurde von den Republikanern scharf kritisiert, die ihr vorwarfen, nicht genug gegen den Antisemitismus auf dem Campus zu unternehmen. Die propalästinensischen Proteste in den USA, vor allem auf den Straßen, begannen im Oktober 2023, kurz nachdem Israel auf einen Großangriff der radikalislamischen Hamas reagiert hatte. An dem Tag, an dem Shafik auf dem Capitol Hill sprach, stieg die Spannung an der Columbia. Schon vor ihrer Rede waren auf dem South Lawn vor der Butler Library mehrere Zelte errichtet worden. Nach Shafiks Auftritt waren es noch mehr.

Die Zusammensetzung der Protestgruppen war so vielfältig, wie es ihre Anliegen waren. Mit der Zeit kristallisierten sich drei Hauptforderungen heraus. Erstens: die Trennung der Universität von Investitionen in Unternehmen, die nach Ansicht der Protestierenden „von der palästinensischen Besatzung profitieren“. Zweitens: „vollständige Transparenz aller finanziellen Investitionen“ der Columbia. Kurz darauf kam eine dritte hinzu: „Amnestie“ für Studenten und Mitarbeiter, die während der Proteste „diszipliniert oder entlassen“ worden waren.

Zu Beginn der Demonstrationen wollten viele Teilnehmer mit arabischem oder palästinensischem Hintergrund auf die Opfer unter der Zivilbevölkerung im Gazastreifen aufmerksam machen. Später kamen Diskussionen über die Meinungsfreiheit an Universitäten und die akzeptablen Grenzen von Protesten hinzu. Einige Studenten, die angesichts der „Black Lives Matter“-Bewegung dem Vorgehen der Ordnungskräfte eher misstrauisch gegenüberstanden, empfanden die Razzia als Angriff auf ihre Rechte.

Unter den Demonstranten waren auch Netanjahu-kritische, linke jüdische Studenten. Andere Aktivisten lehnten die Nahostpolitik der Biden-Regierung ab. Unter den Sprüchen waren auch solche, die als judenfeindlich interpretiert werden können und in Deutschland verboten sind.

Von den 112 Personen, die in der Nacht zum 1. Mai an der Columbia verhaftet wurden, hatten nach Polizeiangaben 29 Prozent keinen Bezug zur Universität. Sie wurden von der Polizisten als „externe Agitatoren“ bezeichnet, Details werden derzeit geprüft.

Misstrauensvotum gegen die Uni-Präsidentin Shafik?

Im Laufe der Proteste wuchs die Verunsicherung. Die Kommunikationskrise vertiefte sich. Am Vorabend des Pessach-Festes, einem der wichtigsten jüdischen Feiertage, forderte der Rabbiner Elie Buechler mehr als 290 jüdische Studierende der Universität auf, angesichts der propalästinensischen Aktivitäten auf dem Campus nach Hause zu gehen.

Später unterzeichneten Hunderte von jüdischen Studenten der Columbia University einen offenen Brief, in dem sie antizionistische Juden verurteilten, die sich auf die Seite der propalästinensischen Demonstranten stellten. Sie „versuchen, unsere gelebten Erfahrungen mit Antisemitismus zu delegitimieren“, hieß es darin.

Innerhalb der propalästinensischen Gemeinschaft äußerten viele die wachsende Angst vor „Doxxing“, der Offenlegung ihrer persönlichen Daten und der Verletzung ihrer Privatsphäre.

Shafik genehmigte zweimal die Räumung der Zeltlager durch die New Yorker Polizei. Nach dem zweiten Einsatz sprach sie in einer Videobotschaft von „empathy and compassion“ (Empathie und Mitgefühl).

Die Reaktionen auf die Entscheidungen der Universitätsleitung waren von wachsender Irritation und Verärgerung geprägt. Der Senat, das 111-köpfige Gremium, das die Strategie der Columbia festlegt, beriet am 8. Mai über die Absage der großen Abschlussfeier und verurteilte die Disziplinarmaßnahmen der Universität.

Die Professorengewerkschaft American Association of University Professors hat eine Abstimmung über ein Misstrauensvotum gegen Shafik eingeleitet. Die Abstimmung soll eine Woche lang für die einflussreiche Fakultät der Künste und Wissenschaften offen sein und online durchgeführt werden. Die Maßnahme hat eher symbolischen Charakter, ist aber nach Ansicht der Gewerkschaft ein wichtiger Schritt in Richtung Rechenschaftspflicht. Die Spannungen auf der Ebene der Geldgeber, der Fakultätsmitglieder und der Verwaltungs- und Stiftungsräte nahmen zu und trugen zu einer bereits aufgeladenen Atmosphäre bei. Nach außen hin schien die Lage jedoch ruhig. Es fühlte sich an wie im Auge eines Sturms.

Die propalästinensischen Proteste haben sich inzwischen auf mehr als 150 Colleges und Hochschulen ausgeweitet, darunter die Universität von Kalifornien in Los Angeles, die Universität von Texas und die George Washington University in D.C. Seit Mitte April wurden mehr als 2400 Menschen verhaftet. Auch in Europa hat sich die Protestbewegung ausgebreitet: in Berlin, Amsterdam, Paris und anderen Städten. Da die Columbia University einen Austausch mit der französischen Sciences Po unterhält, erfuhren viele Studierende über gemeinsame Bekannte oder direkt voneinander von den Entwicklungen jenseits des Atlantiks.

Zeltlager an der George Washington University geräumt

Am 8. Mai wurde das Zeltlager auf dem Campus der George Washington University geräumt, Dutzende Demonstranten wurden verhaftet. Dies geschah kurz bevor die Bürgermeisterin von Washington D.C., Muriel Bowser, vor dem Kongress zu den Maßnahmen gegen das Zeltlager aussagen sollte. Nach der Räumung wurde die Anhörung abgesagt.

Noch wenige Tage zuvor war der Zugang zum Camp uneingeschränkt möglich gewesen. Die Polizeipräsenz war gering. Lediglich ein Polizeiwagen versperrte die Zufahrt. Mehrere Journalisten postierten sich mit Videokameras in der Nähe der Statue von George Washington am Eingang des Camps. Das Gesicht eines der Gründerväter der USA war mit der Kufiya, dem palästinensischen Kopftuch, verhüllt. Um seine Schultern war eine palästinensische Flagge wie ein Mantel geschlungen. Der Bronzekörper der Statue war mit zahlreichen Aufklebern „Palestine will be free“ und „Stop genocide“ („Palästina wird frei sein“ und „Stoppt den Völkermord“) bedeckt.

Die Stimmung im Camp war entspannt. Aus den Lautsprechern dröhnte die Musik des amerikanisch-peruanischen Transgenderkünstlers Bobby Sanchez: „See you genocide us, then you colonize us“. Einige Zelte waren mit dunkelblauen Regenplanen abgedeckt. Hier und da waren Hängematten zwischen Bäumen gespannt, was dem Camp eine lockere Open-Air-Stimmung verlieh. Ein junges Mädchen lief zwischen den bunten Zelten umher und bot Falafelbällchen an. Hinter dem Rücken von George Washington in Kufiya hing ein riesiges Star-Spangled Banner über dem Eingang zur Uni.

So sehr es bei den aktuellen Protesten um die Nahostpolitik der USA geht, so sehr geht es auch um die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. Die Republikaner versuchen, Biden und den linksgerichteten Progressiven die Schuld für den Aufruhr an den Universitäten zuzuschieben. Die Konservativen nutzen die Situation, um zu beweisen, dass „zu viel Inklusion“ schädlich sei.

Biden bemüht sich nach Kräften, dieser Falle zu entgehen. Sein bisher ausgiebigster Kommentar zu den Protesten stammt vom 2. Mai. „Dissens ist unerlässlich für die Demokratie ... Es gibt das Recht zu protestieren, aber nicht das Recht, Chaos zu verursachen“, sagte er und fügte hinzu, dass er seine Nahostpolitik nicht überdenke. Ob er sich damit gegen seinen Konkurrenten durchsetzen kann, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

Unsere Autorin beendet gerade ihr Masterstudium an der Columbia University Graduate School of Journalism in New York.