Wie heißt es doch so schön: Aller guten Dinge sind drei! Wenn es tatsächlich nach dieser Redewendung gehen würde, wäre es längst zum ultimativen Showdown in der Königsklasse des Profiboxens gekommen. Tyson Fury versus Oleksandr Usyk – kein Duell sehnen die Anhänger des Faustkampfes seit Jahren mehr herbei als das zwischen den beiden unbesiegten Schwergewichtlern aus England und der Ukraine. Am Samstag nächster Woche (DAZN, 18 Uhr) soll es nun endlich in der Kingdom Arena der saudi-arabischen Hauptstadt Riad das unter dem Motto „Ring of Fire“ stehende Kräftemessen geben. Soll – im sechsten Anlauf.
Der Konjunktiv ist angebracht für dieses Spektakel, bei dem es zum ersten Mal in der offenen Kategorie um einen Titelvereinigungskampf der vier anerkannten Weltverbände geht. Die Tinte unter den Verträgen ist zwar längst getrocknet, dennoch gibt es nicht wenige Experten, die noch Zweifel hegen am Aufeinandertreffen der beiden Giganten. Nicht von ungefähr sagte der einstige Weltmeister Evander Holyfield, 61, unlängst WELT AM SONNTAG. „Ich glaube an diesen Fight erst, wenn beide tatsächlich im Ring stehen werden.“
Dass sich Usyk, der 37 Jahre alte Modellathlet aus Kiew, in 21 Kämpfen siegreich, „selbst mit dem Kopf unter dem Arm“, wie es Holyfield formulierte, „stellen wird, weil er ein heroischer Krieger ist“, bezweifelt niemand. Bei Fury, 35, dem großen, untrainiert wirkenden Koloss aus Manchester, melden sich derweil die Skeptiker laut zu Wort. Schließlich scheiterte der „Kampf der Kämpfe“ bislang stets an ihm, dem in 35 Duellen unbesiegten „Gypsy King“.
Rückblick. Im September 2021 wurde der erste Versuch unternommen, Fury, seinerzeit Weltmeister des Verbandes World Boxing Council (WBC), für einen Vergleich mit Usyk zu motivieren, nachdem dieser Furys Landsmann Anthony Joshua, 34, als Champion der drei anderen Weltverbände – World Boxing Association (WBA), World Boxing Organization (WBO) und International Boxing Federation (IBF) – entthront hatte. Fury lehnte ohne Begründung ab, obwohl Joshua dank einer Entschädigung von 15 Millionen Dollar auf sein sofortiges Rückkampfrecht verzichten wollte.
Kampf hat lange Vorgeschichte
Im darauffolgenden Jahr, nachdem Usyk auch die Revanche gegen Joshua gewonnen hatte, negierte Fury das nächste Angebot. Kein Zureden half, weil er es sich in den Kopf gesetzt hatte, seinen WM-Gürtel gegen den aus Simbabwe stammenden Derek Chisora zu verteidigen. Diese Herausforderung verhieß ihm, wesentlich leichter Millionen zu verdienen als in einer Auseinandersetzung mit Usyk.
Als zu Beginn des Vorjahres Frank Warren, Furys britischer Promoter, die Öffentlichkeit mit einem bereits fixierten Kampftermin überraschte, obwohl die Unterschriften der Protagonisten noch fehlten, schien der Weg zum epischen Schlagabtausch geebnet. Am 29. April 2023 sollte es im Londoner Wembley-Stadion so weit sein. Doch auch daraus wurde nichts, weil Fury mit der Geldforderung des Olympiasiegers von 2012 für das vereinbarte Rematch nicht einverstanden war. Usyk pochte darauf, wenn er den ersten Kampf gewinnen sollte, 70 Prozent der Gesamtbörse für das zweite Aufeinandertreffen zu kassieren. Was nur fair gewesen wäre, denn eben jenen monetären Mehrheitsanteil begehrte Fury unabhängig vom Ausgang für das erste Duell. Gute 50 Millionen Dollar wären in seine Taschen geflossen.
Für Fury kam Usyks finanzielles Verlangen einer Majestätsbeleidigung gleich, obwohl angesichts ihrer Erfolgsvitae beide für sich beanspruchen dürfen, „der große Zeh Gottes“ zu sein – so nannte der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer den Nimbus des einhelligen Champions im Schwergewicht. Fury ließ kein gutes Haar an seinem älteren Widersacher, reagierte auf dessen „Unverschämtheit“ mit üblen Schimpftiraden. „Usyk, du kleiner Mistkerl, du echter Haufen Scheiße“, schlug der kahlköpfige Hüne verbal auf seinen Rivalen ein. „Du kleine hässliche Ratte, dummer Idiot. Jetzt weiß jeder, dass du nicht den Mut hast, gegen den ‚Gypsy King‘ anzutreten.“
Der großmäulige Selbstdarsteller von der Insel machte damit seinem Kampfnamen alle Ehre, doch schon ein halbes Jahr später, am 29. September, unterschrieb er einen Kontrakt, der festlegte, dass es am 23. Dezember in Riad zum Kampf gegen Usyk kommen sollte. Beide bestätigten ihr Einverständnis auf ihren Social-Media-Kanälen. Doch trotz vermeintlicher Zusicherungen blieb es bei einer erneuten Luftnummer, weil Fury im Oktober noch in den Ring stieg, um gegen den früheren Mixed-Martial-Arts-Weltmeister Francis Ngannou in dessen ersten Kampf als Boxprofi seine Fäuste fliegen zu lassen. Was ihm wider Erwarten schwerfiel, woraufhin er sich eine längere Vorbereitungszeit für den Kampf gegen Usyk erbat.
Es folgte die Verschiebung auf den 17. Februar dieses Jahres. Und als hätte es nicht schon genügend Tohuwabohu gegeben, zog sich Fury zwei Wochen vor dem Kampf im Sparring eine Risswunde über dem rechten Auge zu. Der Cut musste mit elf Stichen genäht werden. Es blieb nichts anderes übrig, als die Veranstaltung abermals zu verlegen. Nun also gilt der 18. Mai als gesetzt. Inzwischen ist es – wie schon erwähnt – der sechste Anlauf, und wer weiß …
Fury droht Geldstrafe
Allerdings: Sollte Fury jetzt passen, käme ihn das teuer zu stehen. Statt mehr als 100 Millionen Dollar zu kassieren, müsste er zehn Millionen Dollar berappen und an Turki Al-Sheik, 42, zahlen. Der saudi-arabische Minister, zuständig für Entertainment, ist großzügiger Finanzier des Kampfabends der Superlative. Mit der vertraglich festgeschriebenen Sanktionssumme, die auch für Usyk gilt, wenn er nicht mitspielt, obwohl er geringer als Fury entlohnt wird, glaubt Al-Sheik, dass jetzt keiner mehr ausscheren wird. Er legte auch schon den Termin für den Rückkampf fest. Datiert ist er für den 12. oder 13. Oktober in Riad.
Was der Herbst bringen könnte, tangiert in der Boxwelt momentan noch keinen. Das Einzige, was interessiert, ist die Frage: Wer darf sich denn nun mit dem kostbaren Gütesiegel des undisputed, also uneingeschränkten Champions aller Klassen schmücken? Nichts wiegt mehr im Preisboxen.
Bei den Buchmachern ist derzeit kein Favorit auszumachen. Glaubt man Mike Tyson, 57, wird Fury erster vierfacher WM-Titelträger. Der frühere Weltmeister sagte WELT AM SONNTAG: „Fury ist körperlich überlegen, er wird Usyk mit seiner Power und Wucht überwältigen.“ Fury misst 2,06 Meter, wiegt 125 Kilogramm. Damit ist er 15 Zentimeter größer und 50 Pfund schwerer. Sein Reichweitenvorteil beträgt fast 20 Zentimeter. Tysons nicht weniger prominente Berufskollegen, wie Holyfield, Joshua, Lennox Lewis, 58, oder George Foreman, 75, setzen auf Usyk. Er sei schneller auf den Beinen, beweglicher und variabler bei seinen Schlägen, begründeten sie unisono ihre Prognose.
Wohlwollend nahm Usyk die Formulierungen seiner Vorgänger zur Kenntnis. „Wenn ich mit Gottes Hilfe mein wochenlanges Training beendet habe“, sagte er WELT AM SONNTAG beim Besuch in seinem Camp in der Nähe von Valencia, „werde ich in der Lage sein, drei Tyson Furys zu boxen.“ Und er fügte hinzu: „Jeden Morgen, wenn ich um fünf aufstehe, um zu laufen, denke ich als Erstes an mein Land und mein Volk, an unsere Leute, die an der Front kämpfen, und an die Opfer, die sie für meine Familie und mich bringen. Ich möchte ihnen Freude am Gewinnen bereiten. Ich kämpfe für eine ganze Nation. Tyson Fury kämpft für sich selbst.“ Sofern nicht wieder etwas dazwischenkommt.