Eine Mutter auf den Spuren des Sohnes: „Das Zimmer der Wunder“ neu im Kino
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Eine Mutter auf den Spuren des Sohnes: „Das Zimmer der Wunder“ neu im Kino

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Mit zwölf hat man noch Träume - was aber, wenn man diese stellvertretend als Erwachsene ausleben will? Wie das geht, zeigt der sentimentale Film „Das Zimmer der Wunder“.
Veröffentlicht:15.05.2024, 12:03

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Es gibt englische Ausdrücke, die sich ganz schleichend im deutschen Sprachgebrauch breitgemacht haben. „Bucket List“ ist so ein Fall. „Kick the bucket“ entspricht auf Deutsch in etwa „den Löffel abgeben“, und so geht es um eine Liste an Erfahrungen, die man zu Lebzeiten unbedingt noch machen will. Daran arbeiteten etwa die todkranken Filmfiguren von Jack Nicholson und Morgan Freeman im 2007er-Film „Bucket List“ (in Deutschland: „Das Beste kommt noch“). Und bereits zehn Jahre davor schickte Til Schweiger in seinem ausnahmsweise auch bei Kritikern beliebten „Knockin’ on Heaven’s Door“ zwei unheilbar Kranke auf eine wilde Abschiedstour.

Was diesen und vielen vergleichbaren Filmen gemein ist: Es geht um die eigenen Wünsche im Angesicht des bevorstehenden Ablebens. Was aber, wenn man sich diese Wünsche gar nicht erfüllen kann, obwohl man gerade erst ins Leben gestartet ist - und daraufhin jemand anderes einspringt? Auf dieser reizvollen Prämisse basiert der erfolgreiche Debütroman „La Chambre des Merveilles“ des französischen Autors Julien Sandrel, der nun von Lisa Azuelos („Ausgeflogen“, „LOL“) verfilmt wurde.

Ein Sammelsurium an Träumen eines Heranwachsenden

Hier lebt die alleinerziehende Mutter Thelma (Alexandra Lamy) mit ihrem zwölfjährigen Sohn Louis (Hugo Questel) zusammen. Während sie versucht, den anstrengenden Job in einer Lagerhalle samt nervigem Vorgesetzten, ihren Englischkurs und die Erziehungspflichten unter einen Hut zu bringen, zockt der Nachwuchs lieber Videospiele oder fährt auf seinem Skateboard durch die Straßen. Ein ganz normaler Bald-Teenager also, doch während seine Mutter von einem Telefonat abgelenkt wird, passiert das Unglück: Ein Lastwagen erfasst den Jungen auf seinem Skateboard, der daraufhin im Krankenhaus in ein künstliches Koma versetzt wird.

Verzweifelt, aber auch zunehmend routiniert wacht Thelma daraufhin wochenlang an seinem Krankenbett, doch Besserung ist nicht in Sicht. Da entdeckt die Mutter im Zimmer ihres Sohnes unter dem Kopfkissen ein mit aufwendigen Zeichnungen illustriertes Journal. Das trägt den Titel „Dinge, die man vor dem Ende der Welt tun sollte“ und enthält ein buntes Sammelsurium an Träumen von Heranwachsenden. Vieles hat mit Skateboard und Graffiti zu tun, aber auch Abenteuer wie das Schwimmen mit Walen sind enthalten. Und Persönliches findet sich ebenso, darunter der für Thelma besonders heikle Punkt: Herauszufinden, wer der Vater ist, von dem die Mutter nie erzählt … Dennoch macht sich Thelma nach und nach daran, diese Wünsche stellvertretend für ihren Sohn zu erfüllen. Dabei ist sie von der Hoffnung getrieben, dass er eines Tages aufwacht, wenn sie ihm am Krankenbett von diesen Taten erzählt.

Dramatisch und trotzdem auch komisch

Reichlich Tränendrüsenstoff also, doch über weite Strecken verzichtet der Film auf allzu offensichtlichen Kitsch. Dafür gibt es auch etwas Komik, etwa wenn Thelma mit den Skater-Kumpels ihres Sohnes loszieht. Auf größere Glaubwürdigkeit wird dabei gerne verzichtet und mit Fragen, wie die nicht gerade gut betuchte Alleinerziehende mal eben nach Japan fliegen kann, um dem Autogramm eines Kult-Manga-Autors nachzujagen, hält sich die Handlung auch nicht lange auf.

Dazu kommen noch einige Klischees, aber wettgemacht wird dies durch ein beherzt aufspielendes Darsteller-Ensemble, das dem Mutter-Sohn Team zur Seite steht und auch in kleineren Rollen sehr gut besetzt ist. Da ist etwa Thelmas eigene Mutter Odette, mitreißend verkörpert von der in Frankreich sehr beliebten Komikerin und Schauspielerin Muriel Robin („Saint Jacques … Pilgern auf Französisch“). Den charmanten jüngeren Nachbarn Etienne spielt Xavier Lacaille (Samy aus der Politsatire „Parlament“). Dazu sorgt ein engagiertes Pfleger- und Ärzteteam dafür, dass die Krankenstation kein ganz hoffnungsloser Ort ist. Und Louis’ Vater (Rafi Pitts) will ja auch noch aufgespürt werden.

In der Summe ergibt das eine sentimentale, aber nicht seichte Geschichte einer Mutter-Kind-Beziehung, wie sie in den Filmen von Lisa Azuelos öfters im Mittelpunkt steht. Garniert mit schönen Bilder und gut ausgewählter Popmusik wird das „Zimmer der Wunder“ trotz der tragischen Umstände so zu einem letztlich lebensbejahenden Ort, der einigen der Figuren sogar Anstoß zu ihrem ganz persönlichen Neustart gibt.


Das Zimmer der Wunder, Regie: Lisa Azuelos, Frankreich 2023, 99 Minuten. Mit: Alexandra Lamy, Muriel Robin, Hugo Questel.