Wir leben in einer Welt wachsender Turbulenzen, die immer zerbrechlicher wird. Sie ist geprägt durch eine zunehmende Fragilität. Wesentliche Treiber hierfür sind die Zeitenwende durch die digitale Transformation aller Lebensbereiche mit Künstlicher Intelligenz und die Gefährdung des Planeten durch die ökologische Bedrohung.

Weitere Treiber sind die hohe Volatilität der internationalen politischen Systeme und der internationalen Bankensysteme. Dabei führt die globale Dynamik des Wirtschaftens und immer neuer Innovationen zu neuen globalen Machtstrukturen, in denen neben den staatlichen Machtzentren global agierende Großunternehmen die Komplexität und Dynamik der Weltentwicklung weiter steigern. Das alles findet statt in der Spannung zwischen demokratisch und autoritär geführten Machtzentren staatlicher und privatwirtschaftlicher Art.

Fragilität sozialer Systeme

Wir leben in einer fragilen Welt wachsender Turbulenzen, die immer zerbrechlicher wird. Die Steigerung der Bevölkerung der ErdeFootnote 1 hat sich zwar seit dem Jahr 2015 verlangsamt, aber im Jahr 2080 werden voraussichtlich ca. 10 Mrd. auf der Erde leben. Die Ordnungssysteme in dieser Welt, also die globalen und lokalen sozialen Systeme, werden dabei erhebliche Veränderungen erleben. Die überall lauernde Fragilität hat permanente Veränderungs- und Transformationsprozesse zur Folge und beeinflusst alle Systeme mit ihrer jeweiligen Umwelt. Das betrifft Veränderungen in der Weltwirtschaft ebenso wie den Klimawandel und den weltweiten demografischen Wandel der Bevölkerungsstrukturen. In Zeiten von zunehmenden Kriegen, Pandemien und autoritären Regimen ist das für jeden spürbar.

Die wachsenden Turbulenzen führen zu einer zunehmenden Fragilität sozialer Systeme,Footnote 2 die für Organisationen immer schwieriger zu navigieren sind.

Für die Entwicklung der Welt ergeben sich bei einer solch großen Fragilität sowohl enorme Chancen als auch vermehrte Risiken – es ist eine Welt wachsender Turbulenzen, die sich sowohl in positiver als auch in negativer Richtung entwickeln kann. Die Chancen, die Welt zum Positiven zu verändern, wachsen ständig – die „Chancen“, die Welt in Abgründe zu stürzen, wachsen aber genauso (Henning 1993), (Abb. 1.1).

Abb. 1.1
figure 1

Eine Welt wachsender Turbulenzen

Bedingt durch die Möglichkeiten der weltweiten Kommunikation mit Bild, Text und Sprache steigt dabei unser Wahrnehmungsraum ständig. Dabei sind wir nicht in der Lage alles wahrzunehmen, was wir wahrnehmen könnten. Unsere Wahrnehmungsfähigkeit ist also deutlich kleiner als unser Wahrnehmungsraum. Im Grundsatz gilt es, aus Wahrnehmungen dann Schlussfolgerungen zu ziehen und zu Handlungen zu kommen. Aber nur einen Bruchteil unserer Wahrnehmungen können wir in Handlungen umsetzen.

Aber zweifellos wächst unsere Handlungsfähigkeit, wie auch unsere Wahrnehmungsfähigkeit. Wir werden also immer kompetenter, diese Welt positiv oder negativ zu verändern.

Das Dilemma ist aber: Die Differenz – das Delta – zwischen Handlungsfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungsraum wächst stärker als unsere Handlungsfähigkeit.

Unsere Macht, die Dinge zu verändern wächst, aber noch stärker wächst die Ohnmacht, Dinge nicht verändern zu können.

Eine Welt wachsender Turbulenzen mit steigender Fragilität wird damit immer widersprüchlicher: Die Chancen wachsen, aber auch die Risiken.

Die Widersprüche zwischen den positiven und negativen Entwicklungen werden ständig steigen. Zerbricht die Welt eines Tages an ihren Widersprüchen? Das ist wohl zu erwarten, aber wann eine solche Situation erreicht wird, ist nicht prognostizierbar.

Zeitenwende durch Künstliche Intelligenz

Zu den zahlreichen technologischen Innovationen der letzten Jahrhunderte zählen die Erfindung der Elektrizität. Dadurch erhielten die Menschen an den meisten Orten der Welt auch nachts Licht, und Strom wurde ein entscheidender Energieträger für Maschinen und Wärmeerzeuger. Ähnlich einschneidend war die Ablösung der Pferdekutschen durch Automobile innerhalb von weniger als 20 Jahren.

Die tiefgreifendste Innovation seit der Erfindung des Buchdrucks ist jedoch die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI).

Seinerzeit war es Johannes GutenbergFootnote 3 durch die Erfindung des Massenbuchdrucks gelungen innerhalb von 20 Jahren – dem Primat der Vernunft folgend – geschriebene Texte massenhaft zu vervielfältigen. Dadurch bekamen die Menschen erstmals die Möglichkeit die Lesefähigkeit zu erlernen und dadurch Zugang zu Wissen und Information zu erhalten. Diese Entwicklung hat den Beginn der Aufklärung mit ermöglicht und das Zeitalter der Vernunft eingeleitet, allerdings verbunden mit fast 200 Jahren großer Instabilität der sozialen, politischen und kirchlichen Ordnungssysteme.

In ähnlich grundlegender Art und Weise verändert heute Künstliche Intelligenz auf der Basis weltweiter digitaler Netzwerke und Plattformen die Art und Weise, wie wir arbeiten, kommunizieren und uns organisieren. Dies stellt Organisationen vor große Chancen und Herausforderungen bei der Anpassung an die neue Technologie und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Arbeitswelt (Henning 2019).

Es ist als Teil der weltweiten Digitalen Transformation die größte Kulturrevolution, die enorme Chancen aber auch immense Risiken enthält.

  • Die Maschinen, Autos und Gegenstände des Alltags werden ein eigenes Bewusstsein bekommen, das zusammen mit der weltweiten minutenschnellen Vernetzung eine völlig neue Dimension darstellt.

  • Diese digitale Transformation führt dazu, dass „digitale Agenten, digitale Schatten und digitale Zwillinge“ von realen Gegenständen und Menschen entstehen. Diese parallelen Welten der Wirklichkeit stellen eine globale und lokale Umwälzung dar, die alle unsere Lebensbereiche umgestalten wird und das ist unvermeidbar.

  • Das digitale Universum mit intelligenten Maschinen und Netzwerken ist eine riesige Chance, unsere Lebens-, Arbeits- und Lernumgebungen neu (wieder) zu erfinden.

Wir haben die Chance, die digitale Transformation mit Künstlicher Intelligenz verantwortlich zu gestalten, bevor es andere verantwortungslos tun.

Die Systeme mit starker Künstlicher Intelligenz erhalten nach und nach ein eigenes Bewusstsein auf dem Niveau von Tieren. Es entsteht im positiven Sinne eine Partnerschaft zwischen intelligenten KI-Systemen im Netz oder reale KI-gestützten Gegenständen, wie zum Beispiel einer automatisch fliegenden Drohne. Im negativen Sinne kann aber eine Kontrollstruktur über den Menschen entstehen, die mit Systemen der Künstlichen Intelligenz alle Lebensvollzüge des Menschen verfolgt und steuert, wie wir das heute schon (2023) in vielen Aspekten im chinesischen Herrschaftssystem erleben.

Auch hier wachsen Chancen und Risiken und damit steigt die Turbulenz der gesellschaftlichen Entwicklung auf allen Ebenen – gesellschaftspolitisch ebenso wie in den Unternehmen und auf der persönlichen Ebene.

Für Organisationen bedeutet das, dass in dem Zusammenspiel von Mensch, Technik und Organisation die beiden letzteren eine eigene selbstständige Identität erhalten, weil sie in einem gewissen Maß ein eigenes Bewusstsein entwickeln. Spätestens hier wird die Verantwortung des Menschen für ein kooperatives Miteinander deutlich.Footnote 4 Die jeweiligen „Partner“ – Menschen, Maschinen, Geräte, Fahrzeuge – haben eine digitale Abbildung, einen digitalen Schatten oder einen digitalen Zwilling. Alle kommunizieren mit allen. Menschen kommunizieren weiter mit Menschen. Menschen kommunizieren aber auch mit ihren digitalen Schatten, zum Beispiel ihren Smartphones. Die Maschinen kommunizieren mit Maschinen, aber auch mit ihren jeweiligen digitalen Schatten. Und die diversen digitalen Schatten kommunizieren miteinander, unabhängig von den jeweiligen „realen“ Partnern.

Das komplexe Gebilde hybrider Intelligenz wird zur Normalität des Alltags und Berufslebens werden. In dieser neuen Wirklichkeit entsteht durch die Vielzahl der Wechselwirkungen eine deutlich höhere Komplexität und Dynamik.

Gefährdung des Planeten – die ökologische Dimension

Die Gefährdung des Planeten und damit aller elementaren Lebensprozesse wird schon seit über 50 Jahren diskutiert. Der Club von Rom hat mit seiner Publikation „Grenzen des Wachstums“ schon 1972 auf die globale Bedrohung der Überlebensfähigkeit hingewiesen (Meadows und Meadows 1972). Inzwischen sind der Klimawandel und seine Folgen ein beherrschendes Thema in allen Teilen der Erde. Bei den Themenfeldern Klimawandel und Zerstörung der Umwelt werden wir besonders die Herausforderungen in den Blick nehmen, denen Organisationen und Unternehmen aus den verschiedensten Richtungen gegenüberstehen.

Im Mittelpunkt steht dabei der Begriff der Nachhaltigkeit. In der Theorie sind sich die meisten einig, dass Nachhaltigkeit die gleichzeitige Gestaltung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimension umfassen muss. Aber genau dieser Komplexität weichen viele aus, indem sie die ökologische Dimension in den Mittelpunkt stellen und sich mit meist sehr hoher Kompetenz auf diese Dimension konzentrieren. Oft führt dies jedoch zu dem fatalen Ergebnis, dass richtige Ergebnisse und Maßnahmen entweder wirtschaftlich nicht durchsetzbar sind oder sozial nicht akzeptiert werden. Es ist eine wesentlich komplexere Aufgabe, eine Veränderung so zu planen und zu managen, dass nicht nur die natürliche Umwelt einen Nutzen hat, sondern auch die soziale und ökonomische Dimension berücksichtigt wird oder zumindest keinen Schaden nimmt.

Am besten ist es jedoch, wenn eine Dynamik zum Schutz des Planeten entsteht, in der gleichzeitig (neue) wirtschaftliche Dynamik und Vorteile in den sozialen Dimensionen entstehen.

Auch hier sind die steigende Komplexität und Dynamik der Zusammenhänge der eigentliche Engpass für verantwortliches Handeln.

Volatilität und Abhängigkeit der weltweiten Finanzsysteme

Die wachsende Volatilität und Abhängigkeit der weltweiten Finanzsysteme ist heute schon eine große Herausforderung für Organisationen, die ihre Finanzen und Geschäftsmodelle an diese Veränderungen anpassen müssen. Dabei ist es unvermeidbar die verschiedenen Finanzsysteme mit allen Ländern aufrecht zu erhalten, egal ob sie demokratisch oder autoritär geführt werden. Jede Form von Krisen im internationalen Finanzsystem haben aufgrund der starken, dynamischen und komplexen Vernetzung sofort Einfluss auf die internationalen Finanzmärkte.

Im März 2023 konnte man beispielsweise wieder einmal sehr genau beobachten, welche internationalen Kraftanstrengungen erforderlich waren, um die Auswirkungen der Schweizer BankenkriseFootnote 5 einzudämmen.

Natürlich ist Einiges getan worden, um die Anfälligkeit internationaler Finanzmärkte einzuschränken, wie zum Beispiel die Erhöhung der Mindestgröße für Eigenkapital von Banken. Allerdings ist die Empfindlichkeit geblieben und stellt für kleinere Banken ein großes Risiko dar. Und die meisten europäischen Banken sind derzeit (2023) „kleinere“ Banken. Erst andere Entwicklungen, wie ein europäisches Bankensystem, würden ein weiterer Stabilitätsfaktor werden.

Die Vernetzung der Finanzsysteme mit dem Leben der Menschen zeigt sich aber auch bei den Rentenversicherungsstrategien. Fast alle diese Systeme, egal ob privat oder staatlich, nutzen die internationalen Finanzmärkte für den Werterhalt und für die Wertsteigerung. Jede Krise des internationalen Finanzmarktes gefährdet auch die Vorsorge für das Alter, sei es staatliche oder private Vorsorge.

Auch auf der Ebene der globalen Zinsen und der Inflation ist die internationale Vernetzung unauflösbar. Während die Nullzinspolitik der Jahre 2008 bis 2021 die jahrzehntelange private Sparstrategie mit Zinserträgen ad absurdum führte,Footnote 6 war gerade diese Finanzpolitik im Jahr 2008 ein internationales Gebot der Stunde, um in der damaligen weltweiten Rezession wieder Anreize für das Wachstum der Wirtschaft zu bieten. Sogar eine Negativzins-Politik hielt teilweise Einzug,Footnote 7 um die Konjunktur und die Stellung im internationalen Währungsmarkt stabil zu halten.

Ein typisches Beispiel für die Volatilität ist der plötzliche Umschwung auf massive Erhöhungen der Leitzinsen von Null bzw. negativen Leitzinsen auf bis zu 6 % im Jahr 2023 und dem Risiko, dass die Leitzinsen noch weiter steigen. Die Treiber hierfür liegen wieder in der hochgradigen internationalen Vernetzung von Prozessen. Nach der Corona-Krise erholte sich die weltweite Konjunktur und der Verbrauch und die Investitionen wurden angeheizt. Als Trigger einer Kostenexplosion kam dann die weltweite Energiekrise dazu, ausgelöst durch die Maßnahmen aus der Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern herauszukommen. Im Prinzip ist das eine gute Idee, die in einigen Ländern zur schrittweisen Abschaltung der Kernenergie geführt hat.

Dann aber hat der 2022 beginnende Ukraine-Krieg die Energiepreise explodieren lassen mit der Folge einer Inflationsrate von bis zu 8,8 % in Deutschland.Footnote 8 Nichts Ungewöhnliches, wenn man sich vor Augen hält, dass die Inflationsrate während der Energiekrise in den 70er-Jahren innerhalb von zwei Jahren von 6 % in 1972 auf 13 % in 1974 stieg.Footnote 9 Damals hatten die OPEC-Staaten einfach mal den Ölhahn zugedreht und damit eine Weltwirtschaftskrise ausgelöst.

Auf ähnliche Weise hat 2022 die Entscheidung eines einzigen Menschen, nämlich Wladimir Putin, einen disruptiven Umschwung von negativen Leitzinsen auf hohe Leitzinsen und einen sprunghaften Anstieg der Inflationsrate ausgelöst.Footnote 10

Die Volatilität und Empfindlichkeit des internationalen Finanzsystems wird bleiben und extreme Veränderungen innerhalb kurzer Zeit erleiden, die durch einzelne Handlungen von Akteuren ausgelöst sein können, aber dramatische weltweite Auswirkungen haben.Footnote 11,Footnote 12,Footnote 13

Die Expansion von wirtschaftlichen und politischen Großmächten

Betrachten wir die Weltentwicklung unter dem Aspekt der Entwicklung von Großmächten, so ist es notwendig, zwischen den politischen Systemen und den privat-wirtschaftlich organisierten Großmächten zu unterscheiden.

Die Machträume sind zunehmend nicht nur von wenigen politischen Global Playern geprägt, sondern ebenso von überwiegend privatwirtschaftlich entstandenen Weltkonzernen, die eine ähnliche Machtkonzentration darstellen wie die staatlich organisierten Großsysteme.

Zu dem politischen und wirtschaftlichen Großsystemen zählt Europa, China und die USA/Kanada. Russland hat an wirtschaftlicher Bedeutung verloren. Indien ist in seiner Entwicklung langsamer als erwartet. Hinzu kommen wichtige, aber nicht so mächtige Regionen wie Südamerika, die südasiatischen und pazifischen Staaten sowie der arabische Wirtschaftsraum. Der afrikanische Kontinent ist wirtschaftlich gesehen noch ohne große Bedeutung, hat aber enormes Entwicklungspotenzial.

Zu den privatwirtschaftlichen Großmächten gehören die Handelsunternehmen Walmart und Amazon, das IT Unternehmen Apple, und der Automobilkonzern Volkswagen.Footnote 14 Gemessen am Marktwert kommt man zu einer anderen Liste. Darin findet man den Ölkonzern Saudi Aramco, die IT- Unternehmen Apple, Microsoft, Alphabet (Google) und Meta Platforms (Facebook), das Handelsunternehmen Amazon, das Automobilunternehmen Tesla sowie Berkshire Hathaway als amerikanisches Unternehmen, das von Handel bis Produktion breit gestreut ist. In diese Liste gehört auch das Versicherungsunternehmen United Health, oder der Pharmazie- und Konsumgüterhersteller Johnson&Johnson.Footnote 15

Für die Beurteilung der Einflussfaktoren auf Komplexität und Dynamik in der Welt ist es jedoch entscheidend, dass im privatwirtschaftlichen Bereich, im Wesentlichen in den USA, globale Player entstanden sind, die vor allem aus den Bereichen IT, Handel und Automotive stammen. Durch ihre Größe üben sie zunehmenden politischen Einfluss aus und spielen deshalb neben den staatlichen Machtstrukturen eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Zusammenfassend ist zu erkennen:

Die Treiber einer Welt wachsender Turbulenzen kommen im Wesentlichen aus der

  • Fragilität der sozialen und politischer Systeme,

  • Zeitenwende durch die Systeme der Digitalen Transformation mit Künstlicher Intelligenz,

  • Bedrohung des Planeten durch die nunmehr seit über 50 Jahren offensichtlichen ökologischen Krisen,

  • Volatilität und Empfindlichkeit der weltweiten Finanz- und Banksysteme

  • Interessenlage der global ausgerichteten Staatssysteme und Unternehmensstrukturen der Big Player.

  • Eine Vielzahl von Kriegen, die auch im 21. Jahrhundert diese Welt erschüttern.

Die treibenden Faktoren für die staatlichen und privatwirtschaftlichen Machtblöcke sind von unterschiedlichen Motiven geleitet. Gemeinsam haben sie die Konkurrenz um eine weltweite Dominanz.

Bei den Menschenrechten gibt es sehr unterschiedliche Ausrichtungen. Während etwa in China der Wert des Individuums eine untergeordnete Rolle spielt, ist genau dieser Wert etwa in der Vereinigten Staaten sehr hoch. Was aber unter dem Wert des Individuums verstanden wird, ist in den verschiedenen Kulturräumen sehr unterschiedlich. In den USA und Kanada besteht der Wert in einem Maximum von persönlicher Freiheit und Verantwortung bei minimaler sozialer Absicherung. Auf der anderen Seite ist der Wert des Individuums in China nur gegeben, solange es nicht in Widerspruch zu der ideologischen Diktatur des kommunistischen Regimes kommt. Ähnliches gilt aber auch für alle totalitär geführten Staatssysteme, unabhängig davon, ob die Diktatur populistischen Charakter hat oder es sich um eine religiöse Diktatur handelt wie im Falle des Irans.

Im Mitteleuropa finden wir einen „mittleren“ Weg, den Weg der sozialen Marktwirtschaft, der aus der Katholischen Soziallehre entstanden ist und den Grundpfeiler der Wirtschaftspolitik in Mitteleuropa darstellt. Ludwig Erhard als erster Wirtschaftsminister der neu gegründeten Bundesrepublik hat dieses Konzept nachhaltig geprägt.Footnote 16 Ähnliche Ansätze finden sich in dem Konzept des Rheinischen Kapitalismus, das gerechter und ausgeglichener ist als das neo-kapitalistische amerikanische System (Albert 1992).

Den Ansatz der sozialen Marktwirtschaft hat Robert Habeck 2023 auf dem Wirtschaftstag der CDU erweitert.Footnote 17 Danach kommt dem Staat die regulative Aufgabe zu, nicht nur das soziale Gleichgewicht gegenüber der freien Marktwirtschaft zu gewährleisten, sondern in gleicher Weise die ökologische Balance.

Im Kern geht es darum, die freie Marktwirtschaft zuzulassen, aber dem Staat die Rolle der Rahmenbedingungen und des sozialen und ökologischen Ausgleichs zuzuordnen.

Da aber die wirtschaftlichen Prozesse alle hochgradig quer über alle Wirtschaftssysteme vernetzt sind und auch vernetzt bleiben werden, entsteht die weiterhin wachsende Anfälligkeit aller Prozesse. Das macht das Steuern und Führen von Unternehmen und staatlichen Einrichtungen immer unsicherer und volatiler.

Diese Entwicklung wird auch mit dem Akronym VUCA beschrieben, das seit den 1990er-Jahren zur Beschreibung der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges entstanden ist.Footnote 18

Volatilität (volatility) steht dabei für die Unbeständigkeit der Bedingungen und Schwankungen von Prozessen. Unsicherheit (uncertainty) und Komplexität (complexity) prägen die zukünftige Entwicklung. Viele Beobachtungen sind dabei mehrdeutig (ambiguity).