DoP Łukasz Żal im Interview: „Wie filmt man denn eine Gaskammer?“ › Film & TV Kamera
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DoP Łukasz Żal im Interview

„Wie filmt man denn eine Gaskammer?“

Auf dem Camerimage Festival gewann „Zone of Interest“ den Fipresci Preis und reiht sich ein in die außergewöhnlich vielseitige Filmografie von Łukasz Żal – ob es in Malerei übersetzte Bilder sind wie in „Loving Vincent“, seine gefeierte Schwarz-Weiß-Fotografie in „Ida“ und „Cold War“ oder eben jetzt „Zone of Interest“ von Ausnahmeregisseur Jonathan Glazer.

Filmstill aus "Zone of Interest"
Foto: Łukasz Żal

„Zone of Interest“ nähert sich dem Holocaust auf eine Art und Weise, die gerne übersehen wird, und noch schwerer zu zeigen ist: über das Wegsehen selbst. Das industrielle Mordgeschehen geschieht nebenan hinter einer Mauer, ist pausenlos zu hören und wird von der in diesem Haus wohnenden Menschen so beiläufig ignoriert, als handele es sich um eine Autobahn. Die Öfen erhellen in der Nacht den Himmel, aber auch das stört nicht den Schlaf der Familie. Das ausgeblendete Grauen ist hier nicht mehr als der Brotjob des Hausherren und Lagerkommandanten von Auschwitz Rudolf Höß. Die Anzeichen für den stattfindenden Zivilisationsbruch sind rar und können einem entgehen, wenn man nebenher seine E-Mails checkt – was auf dem Camerimage tatsächlich bei einigen Zuschauern zu beobachten und damit nicht vom Wegsehen auf der Leinwand zu unterscheiden war.

Bevor wir auf „Zone of Interest“ eingehen, muss ich unbedingt noch fragen, warum man so selten Handkamera von dir sieht, wie zum Beispiel in einer der Tanzszenen in „Cold War“.
Als ich noch an der Filmschule war, zeichnete ich mich dadurch aus, dass ich viel aus der Hand gedreht habe. Früher habe ich auch mehr Dokumentarfilme gemacht. Ich liebe Handkamera, gerade dann, wenn ich sie auch selber führe. In „Cold War“ zum Beispiel auch die erotischen Szenen, ansonsten war Ernest Wilczynski mein Schwenker. Jeder Film ist natürlich anders, man muss sein Werkzeug dem Film, wenn nicht sogar der konkreten Szene anpassen, die gedreht wird. Ich sehe das nicht wie eine Entscheidung für das eine oder das andere, es kann auch von einer statischen Szene übergehen in bewegte Kamera. Die letzte Einstellung von „Ida“ sollte eigentlich mit Steadicam gedreht werden, aber es gab das Problem, dass die Strecke so lang war und sich als schwer umsetzbar erwies. Die habe ich dann spontan aus der Hand gedreht, weil schon die Sonne unterging. Das war unsere einzige Chance, ein einziger Versuch. Ich bin vor ihr hergelaufen und danach habe ich dann gedacht: Wie hätte das überhaupt anders aussehen sollen? Ich liebe es sehr, aus der Hand zu drehen. Natürlich habe ich nicht immer die Möglichkeit dazu!

DoP Łukasz Żal
DoP Łukasz Żal (Foto: Ernst Kaczynski)

Ich habe inzwischen den Eindruck, dass man dich auf einen Stil festnagelt: die durchkomponierte statische Einstellung.
Ich glaube, dass es so ist. Ich drehe ja auch gerne Werbung, dabei lernt man auch jedes Mal etwas Neues, kann viele Sachen ausprobieren und testen. Die letzten Filme, die für mich wichtig waren, zu denen ich eine Verbindung spüre, sahen eben so aus. Aber Paweł Pawlikowskis nächster Film wird komplett anders, er wird viel mehr bewegte Kamera haben. Es hängt alles komplett vom Projekt ab. Es wäre toll, wenn jedes Projekt anders wäre. Das mache ich überhaupt sehr gerne, dass ich mich in etwas mir Unbekanntes stürze, weil mich Bekanntes nicht mehr so reizt. Wenn man sich vor etwas fürchtet, und es einen stresst, weil man noch nicht weiß, wo es einen hinführen wird, das ist sehr aufregend. Deswegen muss ich ständig gute Sachen lernen, aber das ist auch ein Prozess, an den ich glaube, wie man zu Erkenntnissen gelangt. Ein russischer Regisseur, mit dem ich einmal gearbeitet habe, Aleksey German Jr. Dovlatov, hat mir auf die Frage „Wie sollen wir das jetzt drehen?“ geantwortet: „You know Łukasz, I don‘t know – nobody knows.“ Und ich glaube, dass das beim Film so ist: Niemand weiß vorher, wohin wir eigentlich unterwegs sind.

Oder wie William Goldman es ausgedrückt hat: „Niemand weiß irgendwas.“
Total. Ich liebe das. Wir fangen an zu drehen und sind auf der Suche. Ich denke es hängt davon ab, ob man sich auch ins Unbekannte vorwagt. Natürlich super vorbereitet und alles, aber dann muss man alles vergessen, was man weiß, dieses Wissen um die Technik und alle Lösungen – das schwimmt ja in mir, und dann kann man es hinter sich lassen und Neues entdecken. Was „Zone of Interest“ betrifft, so ist alles so einfach wie möglich kadriert, dass es gar nicht erst komponiert aussieht. Neutral, wie ohne Autor, immer im Zentrum, so wie das Auge selbst in der Mitte der Netzhaut sieht, am gelben Fleck. Dort ist die Auflösung am höchsten und man sieht am schärfsten, aber der goldene Schnitt ist das nicht. Wenn man jemandem ins Gesicht sieht, wie ich dir jetzt, dann ist über dir der Himmel und dein Kopf in der Mitte des Bildes. Für diesen Film war das die natürlichste Komposition, die direkteste. Wir waren super vorbereitet und hatten alles fotografiert. Allein der Prozess jeden Tag die Kameras einzurichten, hat sich jeden Tag verändert. Ich saß mit Johnathan Glazer vor zehn Monitoren, sah zehn Bilder an, wir sahen einander an und waren unzufrieden. „Was denkst du?“ – „Nein, das ist es noch nicht.“ Dann habe ich umgebaut, weil die Perspektiven nicht stimmten, und man noch einmal von vorne anfangen musste. Das habe ich dann zusammen mit meinem Schwenker Stanisław „Stachu“ Cuske besprochen und so lange korrigiert, bis es irgendwann stimmte.

Filmstill aus "Zone of Interest"

Filmstill aus "Zone of Interest"
Familienidyll inmitten des Schreckens: Christian Friedel als Rudolf Höß, Sandra Hüller spielt seine Frau Hedwig. (Fotos: Łukasz Żal)

Dabei wirkt alles so, als sei es von den Brennweiten und der Höhe immer sehr ähnlich.
Die Höhe war für mich überhaupt eine sehr wichtige Sache, weil mir sehr daran gelegen war, dass die Linien gerade sind. Das habe ich von Ryszard Lenczewsk gelernt: „Achte darauf, dass die Linien gerade sind.“ Das war seine Ansage, als ich für ihn geschwenkt habe. Und das ist einfach wahr, weil sonst ist die Geometrie komisch! Aber wenn die Linien gerade sind, dann funktioniert es, dann hat man überhaupt erst ein Bild. Der Mensch darin ist zwar auch Teil des Bildes, aber in diesem Film muss es so und nicht anders sein, auch wenn es manchmal sehr von unten oder oben gefilmt wird. So ist die Geometrie dieser Welt, wir wollten auf keine Weise interpretieren oder werten, was wir zeigen, sollte immer super objektiv bleiben. Das wollte auch John so haben, dass die Kamera ein großes Auge ist, das Zeuge ist, dass da kein Łukasz Żal zu spüren ist, oder Glazer, dass es keinen Autoren gibt. Daher ist alles von allen Tricks bereinigt, die man sonst anwendet, wie einer geringen Tiefenschärfe. Wir haben auf Blende 8.5 gedreht, manchmal sogar 11, dass man sich beinahe davor fürchtet – genau darum ging es. Wir haben uns schon so sehr daran gewöhnt, dass unsere Augen die Filter und alles erwarten – vielleicht kommt es noch dazu, dass sie uns Filter für die Augen entwickeln – aber so sehen wir, und so soll es sein. Da ist keine Interpretation. Als Objektive haben wir Leitz gewählt, weil natürlich blicken wir auf die Deutschen durch deutsche Objektive. (lacht) Nein, unsere Priorität waren kleine Objektive und kleine Kameras.

Da fiel die Wahl auf Sony VENICE mit RIALTO-Erweiterung, damit wir die Kameras an den Wänden befestigen und verstecken konnten. Wir wählten Leitz M 0.8 aus einer ganzen Reihe kleiner Optiken, weil es davon das Objektivste war. Dann haben wir noch bis auf 8.5 abgeblendet, damit alles scharf war, bis in die Ecken unserer 6K-Auflösung, ohne Filter oder künstliches Licht. Das war überhaupt der Schlüssel: Zu welcher Zeit drehen wir? Denn darauf haben wir uns fünf Stunden lang vorbereitet, damit um 16.00 oder 17.00 Uhr alles für eine Stunde Dreh fertig eingerichtet war, in der wir dann eine ganze Szene gedreht haben. Währenddessen geht die Sonne unter, das Licht ändert sich, der Hund läuft durchs Bild – der Hund war in fast jeder Einstellung – und das schneidet sich alles problemlos wie Butter, eine ideale Kontinuität von allem. Das ist jetzt nur die technologische Seite, aber über die Darsteller bricht nicht nach jeder Einstellung eine Horde in The North Face eingekleidete Muskelberge herein, die alles umbauen und rumbrüllen: „Bring mir mal dies oder halt mal jenes! Das Haus war genau so gestaltet wie das von Höß, ebenso der Garten, die Mauer. Wir sind in unseren Container dahinter gegangen, die Schauspieler aufs Grundstück, und waren dann dort einfach und spielten alleine. Die Focus Puller saßen im Keller. Es gab nur eine Person am Set, mit der wir in Kontakt standen, die Hinweise weiterleitete, darüber hinaus war es verboten, das Set zu betreten. Es gab dort keine Scheinwerfer, die Kameras waren versteckt, da sah überhaupt nichts mehr nach einem Set aus. [15420]


Sie möchten das komplette Interview mit Łukasz Żal lesen? Dann geht’s hier entlang!


 

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