Brüssel stellt trotz ausgebliebener Veränderungen Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein

Pablo González kurz vor seiner Festnahme.

Die EU-Kommissionspräsidentin kündigt an, laufende Verfahren gegen Polen wegen Verstößen gegen Rechtsstaatsprinzipien einzustellen. Außer Ankündigungen ist nichts passiert, als Geste hätte man die Freilassung des Journalisten Pablo González fordern müssen. Der Baske sitzt seit fast zwei Jahren und drei Monaten in Isolationshaft, ohne dass Beweise oder eine Anklage für eine angebliche Russland-Spionage vorgelegt wurden.

„Der heutige Tag markiert ein neues Kapitel für Polen“, twitterte die EU-Kommissionspräsidentin auf X und gratulierte der polnischen Regierung unter Donald Tusk, der seit vergangenem Dezember im Amt ist. „Nach mehr als 6 Jahren glauben wir, dass das Verfahren nach Artikel 7 abgeschlossen werden kann“, meint Ursula von der Leyen. Seit Jahren läuft in Brüssel ein Verfahren, wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatsprinzipien.

Passiert ist aber noch nichts. Die Regierung Tusk, so tönt es aus Brüssel auch, habe bisher nur „wichtige Maßnahmen“ angestoßen, um die Unabhängigkeit der Justiz von der Politik in Polen „wiederherzustellen“. Schon deshalb halte die EU-Kommission die Gefahr, dass in dem Land gegen rechtsstaatliche Standards verstoßen werde, für gebannt.

Allein mit der Ankündigung eines „Aktionsplans“, um umstrittene Entscheidungen und Richterberufungen der PiS-Vorgängerregierung rückgängig zu machen, machte die Kommission im Februar Milliardenhilfen für Warschau frei. Rund 137 Milliarden Euro sollen bis 2027 fließen. Die waren zuvor gesperrt, weil die rechte PiS-Regierung nach Ansicht aus Brüssel die Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten bis hinauf zum Verfassungsgericht eingeschränkt hatte.

Bekanntlich können Gesetze aber nicht angewendet werden, die noch gar nicht verabschiedet sind. Doch Tusk erfreut sich allein über Ankündigungen schon an einem „ganzen Berg an Geld“, wie er selbst erfreut festgestellt hatte. Die Gesetze, mit denen die Rechtsstaatlichkeit wieder in Zukunft garantiert werden soll, sind aber noch nicht verabschiedet. Darunter fallen auch künftige Leitlinien für das polnische Justizsystem. Die sind wiederum Teil des Machtkampfes, der zwischen dem PiS-Präsident Andrzej Duda und Tusk ausgefochten wird. Dass das Verfahren kurz vor der Europawahl beendet wird, ist auch alles andere als ein Zufall, sondern Wahlhilfe für Tusk aus Brüssel.

Der Fall González

Eigentlich gestehen also alle ein, dass es um den Rechtsstaat in Polen finster steht. Ein Beispiel dafür sind die Vorgänge um den Journalisten Pablo González. Der war am 28. Februar 2022 vom polnischen Geheimdienst festgenommen worden, als er von der Grenze zur Ukraine für spanische Medien wie dem TV-Kanal „La Sexta“ über Geflüchtete berichtete.  Er sitzt seit zwei Jahren und fast drei Monaten unter dubiosen Vorwürfen in Polen in Isolationshaft.

Auf die Frage an seinen spanischen Vertrauensanwalt, ob sich an der Lage des Reporters etwas verändert habe, muss Gonzalo Boye gegenüber Overton mit „Nein“ antworten. Es gäbe keinerlei Neuigkeiten. Dabei hatten auch Freunde, Angehörige und Menschenrechtsorganisationen darauf gehofft, dass sich mit dem Regierungswechsel etwas an seiner Lage ändern könnte. Zu befürchten ist vielmehr, dass in den nächsten Tagen die Untersuchungshaft erneut, zum neunten Mal, um weitere drei Monate verlängert wird.

Dabei fordern sogar die „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) seine Freilassung. Es müsse „schnell“ Anklage erhoben werden. In einem EU-Land sei es „höchst ungewöhnlich, einen Journalisten zwei Jahre lang ohne Prozess und unter geheimen Anschuldigungen in Haft zu halten“, erklärte der Leiter des RSF-Balkan-Referats. „Wir fordern die polnischen Justizbehörden dringend auf, Pablo González freizulassen.“ Von der Staatsanwaltschaft wird „im Einklang mit den EU-Standards ein Mindestmaß an Transparenz“ gefordert.

Denn Beweise für die schweren Anschuldigungen, der Baske mit einer russischen und spanischen Staatsangehörigkeit habe für Russland spioniert, hätten „weder der zuständige Richter noch die Staatsanwaltschaft oder eine andere polnische Behörde“ vorgelegt. RSF kritisiert auch, dass auch die „Verteidigung keine Einsicht in die Akten“ habe. Er habe „unter Ausnutzung seines Status als Journalist“ spioniert, hatte ein Regierungssprecher einst zur Verhaftung erklärt. Seither herrscht Funkstille aus Warschau.

Weil das polnische „Rechtssystem“ ist, wie es ist, spricht der Vertrauensanwalt von der „größten Sorge“, dass die Haft sehr lange dauern könne. Boye verweist auf die „besorgniserregende“ Tatsache, dass „das polnische Recht keine Obergrenze für die Dauer der Untersuchungshaft“ kennt. Er kritisiert die weiter „sehr strenge Einzelhaft“, mit „wenig Zeit im Hof“. Die Kommunikation mit der Familie fände praktisch nur über „zensierte Briefe“ statt, „die im Durchschnitt erst nach zwei Monaten ankommen“. Erst zwei Mal durfte seine Frau ihn besuchen, Kontakt zu den Kindern hat er keinen, Telefonanrufe und Videokonferenzen sind verboten. Boye geht seit davon aus, man wolle den Basken über harte Haftbedingungen „weichkochen“. Gäbe es Beweise, hätte Polen sie „längst vorgelegt“.

Er beklagt „langsame, sehr langsame Ermittlungen“. Die führten zu nichts, „weil man versucht, etwas zu beweisen, was es nicht gegeben hat“. Als er im Februar in Polen war, sei er Zeuge von Ermittlungen geworden, die im Jahr 2022 hätten durchgeführt werden müssen. So dauerte es zum Beispiel ein Jahr, bis Polen ein Rechtshilfeersuchen an Spanien stellte, um die Passfrage zu klären. Darauf basierten Anschuldigungen.

Der in Russland geborene González verfügt auch über einen russischen Pass, in dem er als „Pavel Rubtsov“ (Nachname des Vaters) geführt wird. Zunächst wurde sogar behauptet, es seien gefälschte Pässe. Auch das hat sich längst als falsch herausgestellt Zu den vielen Besonderheiten in dem Fall gehört auch, dass Polen sogar den Kontakt zu seinem Vertrauensanwalt verwehrt hatte. Ein rechtsstaatliches Verfahren sieht anders aus. Wenn Polen also auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit zurückkehren will, sollte der Journalist sofort entlassen werden, um diesen Willen zu unterstreichen.

Spanische Regierung duckt sich weg

Da es sich um einen Basken handelt, noch dazu das Unwort Russland im Spiel ist, hält sich der Einsatz der sozialdemokratischen spanischen Regierung in sehr engen Grenzen. Bei einem Besuch von Regierungschef Pedro Sánchez 2022 in Warschau, forderte der sogar „Respekt“ vor dem polnischen Rechtssystem.

Außenminister José Manuel Albares meint, die Rechte von González würden gewahrt und das gelte auch für seine „Kommunikationsrechte“ und das Recht, „seine Anklagepunkte zu erfahren“. Dabei kennt González weiter keine konkrete Anschuldigung. Es kann als ein winziger Fortschritt gewertet werden, dass er beim Treffen mit dem neuen polnischen Amtskollegen Radosław Sikorski, kleinlaut erklärte, der Journalist solle einen „fairer Prozess“ erhalten, der „so bald wie möglich“ beginnen solle. Seither sind allerdings auch schon wieder fast vier Monate ins Land gegangen.

Die González-Unterstützergruppe in Madrid fordert weiter, dass die „psychologische Folter“ beendet wird. Sie hatte auf den neuen polnischen Justizminister Adam Bodnar gehofft, der sich schließlich in der „Vergangenheit für die Pressefreiheit und die Menschenrechte eingesetzt“ habe. Der müsse dafür sorgen, dass „die Rechte von Pablo González endlich respektiert werden“. Das blieb in fast sechs Monaten aber eine fromme Hoffnung. Trotz allem meint die EU nun aber, dass die Gefahr vor Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit in Polen gebannt sein soll.

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18 Kommentare

  1. „Ist der Ruf erst einmal ruiniert, so lügt sich’s völlig ungeniert“, ein altes Sprichwort. Mir ist schleierhaft, ob, wann und wie die EU wieder Vertrauen aufbauen kann. Mit dem derzeitigen Entscheidungsträgern wird es jedenfalls für sehr viele Menschen, auch außerhalb Europas, vermutlich nichts.

  2. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat auch Polen unterschrieben. Zum nach lesen die Artikel 8 bis 11

    Artikel 8 (Anspruch auf Rechtsschutz)

    Jeder hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen Handlungen, durch die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzt werden.

    Artikel 9 (Schutz vor Verhaftung und Ausweisung)

    Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.

    Artikel 10 (Anspruch auf faires Gerichtsverfahren)

    Jeder hat bei der Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht.

    Artikel 11 (Unschuldsvermutung)

    Jeder, der wegen einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.
    Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine schwerere Strafe als die zum Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.

    1. Die Menschenrechte lassen sich jederzeit außer Kraft setzen, man muß nur beim Europa-Rat in Straßburg Bescheid sagen, die Ukraine z.B. hat das bereits getan. Ob Polen das getan hat keine Ahnung.

      Und die UN-Charta läßt sich jederzeit shreddern der israelische UN-Botschafter hat das gerade vor der UNO-Vollversammlung getan. Wenn alle diese „Errrungenschaften“ der Zivilisation nicht mit Leben erfüllt werden und verteidigt werden, werden sie nach und nach verschwinden ….

      1. Ja richtig, die Eidgenossen haben sich das in weiser Voraussicht gleich in die Verfassung geschrieben „gewiss, daß frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und daß die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“

  3. Zwei Anmerkungen:
    1. Bei dem EU-Verfahren gegen Polen wegen fehlender oder mangelnder Rechtsstaatlichkeit ging es im wesentlichen darum, eine aus wirtschafts- und geopolitischen Gründen ungeliebte Regierung zu sanktionieren. D. h. nicht, dass die abgewählten Nationalkonservativen unbedingt glaubwürdige Rechtsstaats-Protagonisten wären, nur ihr Widerpart, die Liberalkonservativen um Donald Tusk, sind das auch nicht. Kennzeichnend war die Auseinandersetzung um die für jede Regierung nicht ganz unwichtige Besetzung des Verfassungsgerichts. Die Nachwahlen von 5 Richtern stand 2015 an, 3 vor den Sejm-Wahlen im November, 2 danach. Da laut Umfragen mit einer neuen, nationalkonservativen Mehrheit im Sejm zu rechnen war, wurden vom alten, liberalkonservativ beherrschten Sejm aus „technischen Gründen“ die Wahl auch der 2 erst nach den Sejm-Wahlen zu bestimmenden Nachrücker vorgezogen und in ihrem Sinne gestaltet. Die EU störte das nicht. Der neue, von den den Nationalkonservativen dominierte Sejm reagierte auf diese Trickserei mit einer eigenen Trickserei und erklärte die komplette Wahl aller 5 Nachrücker für rechtswidrig und wählte 5 neue Richter. Das Geschrei in Brüssel war nun gross
    2. Ich habe heute nachmittag im polnischen Internet in Sachen Pablo G. etwas recherchiert. Zahlreiche Artikel über den „russischen Spion“ finden sich aus dem Jahr 2022. Der nationalkonservative PiS-Politiker Kaminski, für dümmliche Aktionen und Sprüche bekannt, hatte G. sogar als „gefährlichsten russischen Spion in Polen“ bezeichnet. Aus 2024 finden sich nur in südost-polnischen Regionalzeitungen einige Berichte über „neue Erkenntnisse“ in der Sache und im liberalen Portal oko.press eine vorsichtige Erörterung der Rechtmässigkeit der schon über 2 Jahre währenden Untersuchungshaft. Die sonstigen polnischen Menschenrechts-Helden sind aber offenbar auf Tauchstation gegangen.
    Mein Eindruck: Tusk & Co wollen sich in der auch von ihnen selbst aufgeheizten, anti-russischen Atmosphäre nicht dem Vorwurf aussetzen, leichtgläubig einen russischen Spion freilassen zu wollen. Deshalb muss G., wohl entgegen dem polnischen Prozessrecht und unter völlig inakzeptablen Bedingungen, weiter einsitzen. Die Vorwürfe gegen ihn sind, soweit sich das mir erschliesst, zudem als äusserst vage einzustufen. Von der EU würde ich nichts erwarten, Rechtsstaatlichkeit gehört nicht zu ihren Stärken.

      1. Seit dem Brexit nicht mehr. Und auch schon davor hätte das UK den nicht herausgegeben. Die alberne jahrelange Botschaftsbelagerung hat in der EU auch niemanden wirklich gestört. Der amerikahörige Deepstate in Schweden hat damals schon gut funktioniert und mittlerweile Schweden in die NATO gebracht.

  4. Man bekommt so das Gefühl, dass es in der EU für eine Demokratie keine wirklichen und verbindlichen Kriterien gibt.

    Wenn angeblich EU-feindliche und angeblich EU-freundliche Regierungen das gleiche oder in der Tendenz das gleiche Verhalten an den Tag legen, unsere EU-Granden aber mal positiv, mal negativ urteilen und entsprechend sanktionieren oder nicht sanktionieren.
    Erklären lässt sich die Beobachtung nur, wenn man annimmt, dass alles, was nach der EU-Pfeife tanzt, als demokratisch gelten soll, selbst wenn es offenkundig dagegen verstösst.

    Und ausserhalb sieht es genauso aus. Ab 21. Mai ist Selenskij nicht mehr gewählter, sondern nur noch autokratischer Präsident der Ukraine. Überall auf der Welt – aber wohl nicht in der EU und im Westen.

    Und ja Gonzalez ist der europäische Assange.

  5. Mit Zuckerbrot und Peitsche.
    Bestechung, Korruption und Erpressung sind die gängigen „Erfolgsmethoden“. Der Fall Polen und Ungarn ist ein wunderbares Beispiel wie unliebsame Regierungen von den „Futtertrögen“ ferngehalten werden. Tusk wäre stupide, wenn er die Vorgaben der PIS abändern würde. Es lässt sich mit den von der PIS abgeänderten Gewaltenteilung sehr gut regieren. Das sollten unsere „“Eliten“ auch berücksichtigen, wenn die wieder einmal Einschränkungen unserer freiheitlicher Werte zur Debatte steht
    Die Regierungen oder auch ganze Parlamente in den Demokratischen Ländern Rumänien, Bulgarien, Moldau, Georgien usw. werden mit Euronen „gelockt“. Mittlerweile ohne Scham und ohne Scheu.
    Zum Vergleich mit den Methoden der Mafia fehlen nur noch die Auftragsmorde im EU-Ausland. Innerhalb der EU braucht man keine Auftragsmorde, das Gewaltmonopol ist ja gegeben.

    1. Für kleinere Fehler in meinem Beitrag, entschuldige ich mich 🙂
      Grammatikfehler erzeugen Stress beim Leser (Lt. „Wer weis denn sowas“).

  6. Die neue polnische Regierung ist wieder 1:1 auf EU Linie. Was interessieren da Verträge. Für die EU Granden waren die nie mehr als Mittel zum Zweck.

    Die Verträge werden sowieso bereits im großen Stil unterlaufen oder in Planung. EU darf eigentlich keine eigenen Schulden machen. Geld darf nicht für für Rüstung ausgegeben. usw

  7. Die polnische Regierung ist soviel Regierung wie in Deutschland, aber Deutschland hat im Gegensatz zu Polen, die Macht zu bestimmen (oder wurde ihr so zugesagt oder zugesprochen?).
    Der Verräter vom Verteidigungsministerium hatte offiziell sich unterworfen zur NATO in Brüssel. Das offizielle Deutschland wirft sich angeblich unter die Fittiche von Brüssel und Ramstein.
    Scheiss auf Demokratie und diese Leute bestimmen über das Leben der Europäer!
    Die EU Wahlen kommen bald, dann bin ich auf die Ergebnisse gespannt.

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