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Hamburg Islamisten-Demos in Hamburg

„Die Gefahr destabilisierender Effekte in der Gesellschaft wächst“

Redaktionsleiter Hamburg und NRW
Strenge Auflagen für Demo – „Losung ‚Kalifat ist die Lösung‘ darf nicht genannt werden“

In Hamburg gehen erneut Anhänger des als extremistisch eingestuften Netzwerks „Muslim Interaktiv“ auf die Straße. Auf einer Demo der Gruppe Ende April hatten die Teilnehmer die Errichtung eines Kalifats gefordert. Dieses Mal gibt es für die Demo strenge Auflagen, berichtet Redakteur Jörn Lauterbach.

Quelle: WELT TV

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Welche Hürden und Verbote könnten „Muslim Interaktiv“ und ihre Kundgebungen stoppen? Die Hamburger Rechtswissenschaftlerin Prof. Marion Albers erklärt, was möglich ist – und was nicht. Und sie warnt eindringlich vor stärker werdenden Destabilisierungstendenzen in der Gesellschaft.

In den Seminarräumen des Instituts für Rechtswissenschaften seien die jüngsten Aufmärsche von Islamisten in Hamburg durchaus ein Thema gewesen, erzählt Professorin Marion Albers – auch viele Studentinnen und Studenten diskutieren, unter welchen Umständen das Netzwerk „Muslim Interaktiv“ gestoppt werden könnte, was die Gesetze für so einen Fall vorsehen. Albers kann dann quasi am lebenden Objekt darstellen, wie die Rechtslage ist, was möglich und was unmöglich in einem Rechtsstaat ist. Aber sie will dabei auch eine Haltung vermitteln, die nichts mit der Gesetzeslage zu tun hat, wohl aber mit dem gesellschaftlichen Gleichgewicht, um das sie sich zunehmend sorgt.

WELT AM SONNTAG: Die Demonstrationen und Kundgebungen der islamistischen Gruppierung „Muslim Interaktiv“ mitsamt den Forderungen nach einem Kalifat verstören viele Menschen – und es wird die Frage laut, ob das wirklich alles so durch die Gesetzeslage gedeckt ist. Sie beschäftigten sich als Wissenschaftlerin mit diesem Themenfeld. Wie ordnen Sie die aktuelle Lage ein?

Prof. Marion Albers: Ich verstehe, dass sich viele Menschen verunsichert fühlen und sich fragen, warum das auf unseren Straßen in dieser Form möglich ist. Rechtlich betrachtet verhält es sich so: Unsere Verfassung schützt die Versammlungsfreiheit als Grundrecht. Unter bestimmten Voraussetzungen ist dieses Grundrecht einschränkbar. Dabei gilt für die Behörden das Übermaßverbot. Versammlungen müssen nicht genehmigt, sondern lediglich im Regelfall angemeldet werden. Diese Anmeldung dient aber vor allem dazu, dass die Behörden schauen können, ob Straßen abzusperren sind oder wie der Verkehr reguliert werden muss. Ein Versammlungsverbot ist nur unter engen Voraussetzungen möglich. Nach den erkennbaren Umständen, also auf der Basis belegbarer Tatsachen, muss die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung gefährdet sein, etwa weil Straftaten absehbar sind. Wegen des Übermaßverbots muss die Behörden mildere Mittel wählen, wenn diese ausreichen. Das können zum Beispiel Auflagen für die Durchführung der Versammlung sein, wie es sie hier ja auch gegeben hat. Die Behörden können auch die Veranstaltungsleiter der Demo verpflichten, beispielsweise dafür zu sorgen, dass keine Plakate mit rechtswidrigen Sprüchen gezeigt werden.

Professorin Marion Albers ist seit 13 Jahren an der Universität Hamburg tätig
Professorin Marion Albers ist seit 13 Jahren an der Universität Hamburg tätig
Quelle: Marion Albers


WELT AM SONNTAG: Nach den Kundgebungen wurde die Frage laut, warum die Polizei nicht während des Geschehens eingeschritten ist.

Albers: Auch hier greift das Übermaßverbot. Gibt es nur einzelne Personen, die strafbare Parolen rufen, müssen diese aus der Menge herausgeholt werden. Erst wenn sie zum Beispiel abgeschirmt werden und die Versammlungsleitung oder die sich versammelnden Personen es in ihrer Gesamtheit darauf angelegt haben, gegen Auflagen zu verstoßen oder Straftaten zu begehen, kann die Polizei die Kundgebung auflösen.


WELT AM SONNTAG: Diese „Gesamtheit“ der mehr als 1000 Islamisten war es dann doch auch, die viele entsetzt hat, diese Schärfe und Aggressivität, verbunden mit dem Slogan „Kalifat ist die Lösung“. Aber dagegen ist nichts zu machen?

Albers: Damit sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Kundgebungen können wegen der Art des Aufmarsches oder aggressiven Gebrülls durch eher symbolische Handlungen bedrohlich und einschüchternd wirken. Aber es gibt in unseren Gesetzen nur relativ wenige Tatbestände, die diese für das Recht wenig greifbaren Effekte erfassen.

Mehrere Hundert Menschen demonstrierten Anfang Mai gegen die islamistischen Umtriebe in Hamburg
Mehrere Hundert Menschen demonstrierten Anfang Mai gegen die islamistischen Umtriebe in Hamburg
Quelle: dpa
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WELT AM SONNTAG: Sie sagen, es gebe „relativ wenige“ Tatbestände – können Sie dafür Beispiele nennen?

Albers: Im Versammlungsrecht gibt es das Uniformverbot. Dahinter steht die historische Erfahrung mit Aufmärschen der SA und SS in Uniformen, mit Stiefeln und Fackeln, die allein wegen ihrer Form eine enorme Bedrohungswirkung ausstrahlten. Bei Demonstrationen von Rechtsradikalen wurde in jüngerer Zeit das Tragen von Springerstiefeln untersagt, und das war eine durchaus effektive Auflage im Hinblick auf die Ausstrahlungskraft der Demonstration.

WELT AM SONNTAG: Auch die Islamisten in Hamburg trugen sehr ähnliche Kleidung und griffen auf vorbereitete Transparente zurück.

Albers: Was in diesem Sinne eine „Uniform“ ist, ist nicht so leicht zu bestimmen. In Wuppertal trat 2015 eine selbsternannte „Scharia-Polizei“ auf, die Westen mit der Aufschrift „Shariah Police“ trug. Der Fall ging durch mehrere Instanzen bis zum Bundesgerichtshof, am Ende wurden mehrere Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Uniformverbot verurteilt. Aber insgesamt bekommt man solche symbolischen Wirkungen einer Demonstration mit juristischen Mitteln nur schwer in den Griff.


WELT AM SONNTAG: Dann bleiben noch die Slogans selbst. Zentral ist dabei die Botschaft „Kalifat ist die Lösung“, die auf vielen Transparenten zu lesen war, die laut skandiert wurde. Wie bewerten Sie diese Botschaft?

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Albers: Das ist – für sich genommen – eine noch relativ unbestimmte Aussage. Was ist hier konkret mit Kalifat gemeint und wofür soll es eine Lösung sein? Die Gruppe „Muslim Interaktiv“ versuchte in den vergangenen Tagen übrigens auch sofort, diesen Slogan als vollkommen harmlos hinzustellen. Organisatoren sind immer auch geübt im Codieren ihrer Botschaften. Allerdings sind Parolen aus objektiver Sicht im konkreten Kontext zu interpretieren. Werden etwa gleichzeitig staats- und gesellschaftsverachtende Reden gehalten, gewinnt auch der Slogan einen spezifischeren Gehalt. Forderungen nach einem Kalifat sind für die zweite Versammlung mittels Auflagen untersagt worden.

WELT AM SONNTAG: Nicht selten werden auch arabische Parolen gerufen, die ganze Vorgehensweise und das Auftreten finden in Kontexten statt, die sich zum Beispiel dem normalen Polizisten bei einer Demonstration entziehen könnten. Was folgt daraus?

Albers: Sicherheitsbehörden müssen über ausreichende sprachliche und interkulturelle Kompetenzen verfügen. Das ist durchaus ein Problem. Solche Kompetenzen sind auch im Falle von Verbotsverfahren nötig. Verbotsverfahren sind auch deshalb anspruchsvoll, weil man immer damit rechnen muss, dass jedes Tatsachenelement, das das Verbot tragen soll, angegriffen und in Zweifel gezogen werden dürfte mit der Behauptung, dass alles anders zu verstehen sei.


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WELT AM SONNTAG: Sie sprechen damit ein weiteres Mittel an, nämlich zum Beispiel die Gruppe „Muslim Interaktiv“ zu verbieten. Entsprechende Forderungen aus dem politischen Raum gibt es reichlich.

Albers: Vereinsverbote haben hohe Hürden. Dabei muss unterschieden werden zwischen Vereinigungen, die im Wesentlichen von deutschen Staatsbürgern geleitet werden oder überwiegend aus deutschen Staatsbürgern bestehen, und reinen Ausländervereinen, die leichter verboten werden können. Im ersten Fall setzt ein Verbot voraus, dass ein Verein auf das Begehen von Straftaten ausgerichtet ist oder sich in kämpferisch-aggressiver Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. Dafür braucht man hinreichendes Beweismaterial. Unmöglich ist ein Verbot aber nicht, es gibt schließlich islamistische und andere extremistische Vereine, die verboten sind. Dann gilt ein Betätigungsverbot. Verbote erfassen auch Ersatzorganisationen.

WELT AM SONNTAG: Nur treffen sich diese Menschen nicht mehr zwingend in Hinterzimmern von Moscheen oder in sogenannten Kulturvereinen, sie organisieren und orchestrieren sich im Internet.

Albers: Strukturen haben sich verändert. Aber hier gibt es verfestigte Organisationsstrukturen, anderenfalls könnte man auch nur schwer mehr als 1000 Menschen mobilisieren.

WELT AM SONNTAG: Jetzt haben wir viel über die juristischen Ebenen gesprochen. Was aber macht diese Debatte mit der Gesellschaft insgesamt?

Albers: Wir erleben in diesen Tagen auch Versammlungen und Kundgebungen gegen das Auftreten und die Inhalte islamistischer Gruppen. Das könnte mehr beitragen, als es vielleicht schärfere Gesetze leisten könnten. Zu den Anmeldern gehörten auch muslimische Verbände und es wäre sehr wichtig, dass deren Stimmen noch lauter werden. Dann könnte man Kalifats-Forderungen vielleicht auch tatsächlich als das ansehen, was die muslimischen Verbände behauptet haben, nämlich dass es sich um die Haltung einer kleinen Minderheit handelt, die eigentlich völlig irrelevant ist.

WELT AM SONNTAG: Sie beschäftigen sich als Wissenschaftlerin unter anderem mit dem Informations- und Kommunikationsrecht. Das sind Felder, die immer wichtiger werden, auch mit Blick auf das gesellschaftliche Zusammenleben.

Albers: Ja. Aus meiner Sicht wächst die Gefahr destabilisierender Effekte in der Gesellschaft. Wir können nicht mehr in gleichem Maße wie in früheren Jahrzehnten darauf vertrauen, dass wir in Deutschland eine relativ stabile Mitte haben. Die Verlagerung der Kommunikation in das Internet und in soziale Netzwerke führt zu so genannten Filterblasen und Echokammern, die durch Algorithmen und Bots verstärkt werden. Algorithmen filtern Posts so, dass die Nutzer sozialer Netzwerke Meinungen sehen, die denen ähneln, die sie selbst vorher gepostet haben. In den Filterblasen entsteht so der Eindruck, als werde eine Mehrheitsmeinung repräsentiert. Extremismus kann dadurch verstärkt und verbreitert werden. Gezielte Destabilisierungsstrategien, wie sie zum Beispiel mit Blick auf Russland beobachtbar sind, kommen hinzu. Solche Destabilisierungsgefahren sollten wir sehr ernst nehmen.

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