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Drei Ökonomen helfen nach: Schaut mal, liebe Ampel – so macht man uns wieder Lust auf Arbeit
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dpa/Jens Büttnerbild Leistung muss sich wieder lohnen, heißt es derzeit oft. Nur selten wird debattiert, wie sich Leistung wieder lohnen kann.

Viele Menschen fordern, dass sich Leistung (wieder) lohnen muss, aber nur wenige bieten konkrete Lösungsvorschläge an. FOCUS online hat mit drei Top-Ökonomen gesprochen. Das sind ihre Vorschläge.

Es ist der Slogan dieser Tage: „Leistung muss sich wieder lohnen.“ Politiker und Verbandschefs wiederholen ihn wie ein Mantra. So forderte beispielsweise Parteichef Friedrich Merz auf dem CDU-Parteitag eine „Agenda für die Fleißigen“. Was bei diesen Debatten selten behandelt wird, ist die Frage, wie sich Leistung denn wieder lohnen kann.

Oft heißt es im gleichen Kontext, man müsse das als zu üppig empfundene Bürgergeld wieder abschaffen. „Reiner Populismus“, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, gegenüber FOCUS online, „denn kein Beschäftigter zum Mindestlohn hat auch nur einen Euro mehr Einkommen, wenn das Bürgergeld oder Leistungen für Geflüchtete gekürzt werden“.

Was aber muss sich konkret ändern, damit Leistung sich wieder lohnt? FOCUS online hat dafür mit Fratzscher und zwei weiteren renommierten Ökonomen, Chefökonom Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung sowie Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank, gesprochen.

Zentrales Problem: Für Teilzeitarbeiter bleibt ein höherer Lohn kaum hängen

Grundsätzlich, erklärt Dullien, lohne sich Leistung in Deutschland weiterhin: „Berechnungen haben gezeigt, dass es für praktisch jede Haushaltskonstellation besser ist zu arbeiten, als nicht zu arbeiten, und in den allermeisten Konstellationen bringt auch steigendes Bruttoeinkommen ein Mehr an Netto.“

Es gebe jedoch Ausnahmen, etwa beim Verlauf der Abgabenlast von Familien an der Grenze zur Mittelschicht. Dort schmelzen Leistungen wie Wohngeld oder Kinderzuschuss bei steigenden Einkommen dahin. Am Ende bleibe so nur wenig zusätzliches Geld bei steigendem Einkommen.

Sebastian Dullien, Direktor des Instituts fâÆöºr Makrooekonomie und Konjunkturforschung (IMK), im Rahmen der Bundespres
imago images/photothek Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (Archivbild)
 

Fratzscher stimmt hier zu: „Das Problem liegt darin, dass es sich für viele Menschen in Teilzeit und geringen Löhnen kaum lohnt, mehr Stunden zu arbeiten, da zusätzliche Leistungen – wie Wohngeld oder Kinderzuschlag – so schnell reduziert werden, dass kaum mehr Netto vom Brutto bleibt.“

Ähnlich sieht es auch Ulrich Kater, Chefökonom der Deka Bank. „Für viele Erwerbstätige ist es schwierig, damit umzugehen, dass ein Job so wenig Einkommen einbringt, dass trotzdem der Staat noch unter die Arme greifen muss.“ Für deren Gerechtigkeitsempfinden sei umso wichtiger, dass sie dann spürbar mehr Einkommen haben als jemand, der sich vollständig auf den Staat verlässt.

„Dazu gehört auch, dass man bei einer Erhöhung des eigenen Arbeitseinsatzes vom Verdienst auch ausreichend viel behalten darf“, fügt Kater an - ein Punkt, bei dem sich alle drei Ökonomen einig sind.

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IMK-Ökonom Dullien plädiert für „drei notwendige Dinge“, die sich ändern müssen

Dullien verweist jedoch ebenso auf eine „nicht immer gerechte Korrelation zwischen Leistung und Einkommen“. „Die Bezahlung in vielen sozialen Berufen, etwa in der Pflege, ist nicht in richtigem Verhältnis zu der gesellschaftlich wichtigen Leistung, sondern viel zu niedrig, während Top-Manager oft Einkommen erzielen, die man kaum mit ihrer Leistung rechtfertigen kann.“

Daher empfiehlt der IMK-Ökonom hier „drei notwendige Dinge“, damit sich Leistung auch wirklich wieder lohnt. Erstens plädiert Dullien für eine Erhöhung der Tarifbindung, gerade bei so elementaren Berufen wie der Pflege. „Forschungen zeigen, dass mit mehr Tarifabdeckung üblicherweise die Löhne steigen. So würde in diesen gesellschaftlich wichtigen Bereichen Leistung besser honoriert.“

Zweitens müsse es eine Reform geben, um Familien an der unteren Grenze zur Mittelschicht besser zu fördern, damit die Sozialleistungen bei Mehrverdienst langsamer abschmelzen. „Das Ifo-Institut hat hierzu Berechnungen vorgelegt, wie so etwas ohne großen Finanzeinsatz möglich wäre“, erklärt Dullien.

Marcel Fratzscher Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung - SGVSH Mittelstandsforu
IMAGO/Frank Peter Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
 

Auch hier teilen DIW-Präsident Fratzscher und Deka-Chefökonom Kater Dulliens Vorschläge. „Eine Priorität der Politik sollte sowohl die Reduzierung von Abgaben und indirekten Steuern sein, als auch Leistungen nicht so stark mit steigendem Einkommen zu senken.“ Die Folge: Mehr Beschäftigte würden mehr Stunden arbeiten und weniger vom Staat abhängig sein. Und den Unternehmen brächte es Arbeitskräfte.

Kater fügt an: „Insbesondere bei den Hinzuverdienst-Regelungen besteht weiterhin Handlungsbedarf in Richtung von mehr Arbeitsanreizen.“ Monetäre Motivation könne aber auch an anderer Stelle helfen, etwa bei der steuerlichen Gestaltung für Ehepaare oder bei Rentnerinnen und Rentnern, so Kater.

„Ein wichtiger Schritt wäre der Abschluss eines Tarifvertrags in jenen Betrieben, die heute keinen solchen haben“

Als letzten Punkt nennt Dullien höhere Steuern für diejenigen, „deren Einkommen heute nicht im richtigen Verhältnis zu ihrer Leistung stehen“. „Da dies bei vielen Topmanagern der Fall ist, würde sich hierfür eine moderate Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei besonders hohen Einkommen anbieten.“

Zudem betonen die Experten, dass auch die Unternehmen ihren Teil dazu beizutragen hätten, dass sich Leistung wieder lohnt. „Ein wichtiger Schritt wäre der Abschluss eines Tarifvertrags in jenen Betrieben, die heute keinen solchen haben. Bei Tarifverträgen achten üblicherweise beide Tarifparteien darauf, dass Leistung angemessen bezahlt wird“, erklärt IMK-Volkswirt Dullien.

Auch intern könnten Unternehmen Leistung - „etwa durch Regeln für Überstundenvergütungen und Beförderungen“ - stärker belohnen. Kater ergänzt, dass es „im eigenen Interesse“ der Firmen sei, faire Löhne zu zahlen, betont aber ebenso die Grenzen der Wettbewerbsfähigkeit dabei. „Dazu gehört auch ein von vielen ungeliebtes, ausreichendes Niveau an Gewinnen, da ansonsten dem Unternehmen kein Kapital mehr zur Verfügung gestellt würde.“

Höherer Steuerfreibetrag? Davon würden vor allem Gutverdiener profitieren

Höhere Löhne, gar höhere Steuern für Spitzenverdiener? Das entspricht nicht unbedingt dem, was manchen Politikern vorschwebt. Doch die Alternativen, die dazu führen könnten, dass sich Leistung wieder lohnt, sind rar.

Eine Option, die eher selten diskutiert wird, wäre ein höherer Steuerfreibetrag. Das würde den Staat zwar Einnahmen kosten. Allerdings steuern die unteren Einkommensschichten ohnehin nur wenige Prozent der Lohnsteuereinnahmen bei. Deka-Volkswirt Kater findet eine erneute Anhebung des Grundfreibetrages sinnvoll.

DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater.
DekaBank DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater.
 

Dullien und Fratzscher sehen diese Option kritischer. „Bei einem sonst unveränderten Tarifverlauf käme das vor allem Besserverdienenden zugute, weil diese einen höheren Grenzsteuersatz zahlen“, erklärt Dullien. In Euro gerechnet würden diese Arbeitnehmer sogar stärker davon profitieren als Geringverdiener – wobei ja gerade letztere wieder zu mehr Arbeit motiviert werden sollen.

Daher pocht Dullien weiter auf eine Reform der Transfersysteme, damit Transferleistungen weniger schnell abschmelzen, wenn sich das Einkommen erhöht.  „Das würde das System gerechter machen, gleichzeitig die Arbeitsanreize erhöhen, das Gemeinwesen aber nicht so viel Geld kosten“, sagt Dullien.

Auch DIW-Präsident Fratzscher sagt entschieden: „Eine Erhöhung des Steuerfreibetrags ist ein schlechtes, weil nicht zielgenaues Instrument zur Entlastung von Beschäftigten mit geringem Einkommen. Das beste Instrument für höhere Einkommen und eine bessere Vorsorge sind höhere Löhne und Einkommen.“

Der Volkswirt verweist dabei explizit auf den Mindestlohn. Dieser habe sich seit seiner Einführung 2015 bewährt. Daher wäre eine weitere Erhöhung hier sinnvoller, ebenso wie „eine Stärkung der Sozialpartnerschaften, um höhere Einkommen und bessere Arbeitsbedingungen zu ermöglichen“.

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Seit Einführung des Bürgergeldes steht die Behauptung im Raum, dass sich die Sozialhilfe mehr lohne als arbeiten. Statt die Hilfe zu kürzen, würde eine kräftige Erhöhung des Mindestlohns Vollzeitjobs wieder lohnender machen, ist zumindest die SPD überzeugt.

Wie sollen wir mit den Menschen aus der Ukraine umgehen, die bei uns als Kriegsflüchtlinge landen? Sollen sie länger so wie jetzt sofort Bürgergeld beziehen, oder sollen sie zunächst wie Asylbewerber behandelt werden? Hier kommt der Vater einer ukrainischen Familie zu Wort, die seit anderthalb Jahren in einer norddeutschen Großstadt lebt. 

man
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