Gespräch über den Film „Was von der Liebe bleibt“ von Kanwal Sethi - ISSO Koblenz

Gespräch über den Film „Was von der Liebe bleibt“ von Kanwal Sethi

Die Rheinland-Pfalz-Premiere fand am 10. Mai 2024 im Odeon-Apollo-Kino in Koblenz statt. In Kooperation mit dem Beirat für Migration und Integration der Stadt Koblenz hatte die Türkische Gemeinde in Rheinland-Pfalz e.V. zu dieser Veranstaltung eingeladen. Nach der Vorführung moderierte Beatrix Sieben (ISSO) ein Gespräch mit dem indisch-deutschen Regisseur Kanwal Sethi, dem rheinland-pfälzischen Landesvertreter für Integration Miguel Vicente und dem rheinland-pfälzischen Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland e.V. Ahmet Günes.

Was von der Liebe bleibt

In seinem Film „Was von der Liebe bleibt“ erzählt der Regisseur Kanwal Sethi die Liebesgeschichte zweier in Berlin lebender Menschen, die sich dort kennenlernen, eine Familie gründen, ein Café aufbauen und betreiben, ein Kind großziehen und im Laufe von fünfzehn Jahren die ganz typischen Aufs und Abs eines Beziehungs- und Liebeslebens durchlaufen. Sethi erzählt dennoch eine ganz ungewöhnliche und einzigartige Geschichte, denn es ist auch die Geschichte einer Liebe, die durch den gewaltsamen Tod der Frau beendet wird, dessen konkrete Umstände bis zum Filmende ungeklärt bleiben. Sethi zeigt keinen Krimi, auch wenn der Erzählstrang den Stoff dafür liefern würde: Er erzählt das Leben der Lebenden und der Liebenden, er zeigt, wie ein kaltblütiger Gewaltakt das Leben der Familie rasant und dramatisch verändert. Er zeigt, wie Verhöre und Ermittlungen von Behörden und Justiz das Trauern verhindert und dass anschließend nichts so bleibt, wie es war. Auch nicht die Identität von Ilyas (Serkan Kaya), der sich zu Beginn der Liebesgeschichte klar für ein Leben in Berlin ausspricht. Dies geschieht, als er mit Yasemin (Seyneb Saleh) über mögliche Zukunftsträume spricht und sie sich als Wahlheimat Köln wünscht, was für ihn nicht infrage kommt: „Ich bin Berliner. Ich bin hier geboren, hier will ich sterben“.

Der Hintergrund

In der Moderation erklärt Sethi, dass seine Motivation für diese Filmgeschichte ganz eng verknüpft sei mit dem Kennenlernen und den Schilderungen von Opfern aus dem NSU-Prozess (2013).

Der NSU-Prozess war das Strafverfahren gegen fünf Personen, die angeklagt wurden, an den Taten der rechtsextremen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) beteiligt gewesen zu sein, darunter an neun Morden an Migranten, einem Polizistenmord, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen sowie insgesamt 43 Mordversuchen.

Wie es den Familien der Angehörigen und den Freunden im Umfeld dieser Opfer ergangen ist, bleibt weitestgehend im Verborgenen. Ahmet Günes kann dies aus seiner eigenen Erfahrung bestätigen, denn er hat selbst als Rechtsanwalt Angehörige von Opfern beraten. Im Rahmen von Verhören kommen die gesellschaftlichen Ressentiments zum Vorschein. Die Befragung mutet den Opfern vieles zu, ohne Rücksicht auf ihren Schmerz und ihre Trauer, um dann – wie es im Rahmen des NSU-Prozesses beschrieben wurde und auch im Film gezeigt wird – nur in die Richtungen zu ermitteln, die das eigene Denken hervorbringt und keinesfalls breit in alle Richtungen.

Auch Miguel Vicente kennt das Problem des strukturellen oder institutionellen Rassismus, der zu voreiligen und einseitigen (Vor-)Urteilen führt und einer lückenlosen und objektiven strafrechtlichen Aufklärung oder Polizei- und Justizarbeit im Wege stehen kann.

Diese Einseitigkeit und Vorverurteilung mutet Sethi den Kinobesucherinnen und -besuchern zu, wenn er aufzeigt, wie sich bei Vater und Tochter in Trauer und Verlust langsam die Zweifel breitmachen, ob die geliebte Frau und Mutter eventuell in illegale Machenschaften verstrickt gewesen sein könnte und nicht mehr diejenige war, die sie zu kennen glaubten. Zwischen Rückblenden zum Anfang der Beziehung und wichtigen Etappen im Leben der Liebenden setzt Sethi den Rahmen und verdichtet die Erzählstränge, zwischen denen sich sein Drama „Was von der Liebe bleibt“ entspinnt. Der Titel ist wörtlich zu nehmen, denn was bleibt von der Liebe, wenn alles auf einmal dagegenspricht, dass das bisherige vertraute Umfeld mit seinen Menschen so war, wie es als Heimat erlebt wurde. Und was bedeutet Heimat, wenn das Vertrauen erschüttert ist und Gewissheiten zerbröckeln?

Auf die Frage der Moderatorin, ob die heutige Ermittlungssituation anders als zur Zeit des NSU-Prozesses vor zwölf Jahren ist, waren sich alle einig, dass der Film einerseits die Situation für die Opfer sehr deutlich und klar herausgearbeitet hat, dass aber auch einiges vorangegangen ist: Das Thema findet heute deutlich mehr Beachtung und Interesse und eine jüngere Generation wächst nach, die das Thema in die Öffentlichkeit zieht. Auch die Bereitschaft für eine Auseinandersetzung mit der Thematik wird zugestanden, vor allem junge Menschen sowie Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation seien nicht mehr bereit, ihre neue Identität, ihr Deutschsein infrage zu stellen. Und alle waren sich einig darüber, dass Kultur einen Zugang zur öffentlichen Debatte schafft, um Empathie und eine Vision von Gemeinschaft und Miteinander zu entwickeln, und dass es Filme wie „Was von der Liebe bleibt“ braucht: Geschichten, von denen Menschen sich berühren lassen können. Viel mehr Filme!

Der Regisseur

Kanwal Sethi gründete in seinem Geburtsland Indien eine Theatergruppe und spielte mit ihr auf mehreren Bühnen unabhängiger Theater. Parallel schrieb Sethi für Literatur- und Filmmagazine. 1992 zog er nach Deutschland. Er studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der TU Dresden. Später zog er nach Leipzig, wo er eigene Bühnenproduktionen umsetzte und mit der Realisierung erster Filmprojekte begann. Nach einigen Kurz- und Dokumentarfilmen entstand 2011 mit „Fernes Land“ sein Spielfilmdebüt, das die Begegnung des illegal in Deutschland lebenden Pakistani Haroon mit dem Versicherungsvertreter Mark, der das Land verlassen will, thematisiert. Der Film feierte seine Premiere beim Filmfestival Max Ophüls Preis.

Der sehr sehenswerte Film „Was von der Liebe bleibt“ läuft im Odeon-Apollo-Kino, Löhrstraße 94 | 56068 Koblenz am 14.05.2024 um 17.00 Uhr und am 22.05.2024 um 19.00 Uhr.

Weitere Informationen zu den genannten Organisationen:

Türkische Gemeinde in Deutschland: https://www.tgd.de/

Beirat für Migration und Integration Koblenz: https://www.koblenz.de/rathaus/politik/weitere-gremien/beirat-fuer-migration-und-integration/

Landesministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration: https://mffki.rlp.de/

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