CSU-Kandidat Manfred Weber: Der Übergangene
  1. Startseite
  2. Politik

CSU-Kandidat Manfred Weber: Der Übergangene

KommentareDrucken

„Ich war mir bewusst, dass das da Tausend Fallstricke warten“, sagt Weber heute.
„Ich war mir bewusst, dass das da Tausend Fallstricke warten“, sagt Weber heute. © AFP

Manfred Weber von der CSU blieb 2019 der Spitzenjob der EU verwehrt. Wie tickt er heute? Ein Porträt von Jakob Maurer.

An der Backsteinwand von Manfred Webers Heimatkirche steht unter einer Sonnenuhr: „Von diesen Stunden eine ist einmal die deine“. Der CSU-Spitzenpolitiker weiß als Katholik und lebenslang aktives Mitglied der kleinen Pfarrgemeinde Pürkwang zwischen München und Regensburg: Dies ist kein Motivationsspruch für das Warten auf den einen, goldenen Moment, sondern ein freundlicher Hinweis auf die Endlichkeit der Dinge.

Manfred Webers Stunde schlug – politisch gesehen – im Sommer vor fünf Jahren. Der heute 51-Jährige führte die Europäische Volkspartei (EVP) als Spitzenkandidat zum Wahlsieg und sich selbst nahe heran an den höchsten Brüsseler Posten, den des Kommissionspräsidenten. „Wenn man die Unterstützung spürt“, erinnert er sich heute an die große Chance, „dann muss man springen, dann muss man das probieren.“

Weber ist noch da – und alles andere als ein Hinterbänkler

Bekanntermaßen sprang Weber aber ins Leere. Er wurde übergangen und in den Brüsseler Hinterzimmern ersetzt durch die CDU-Kollegin Ursula von der Leyen, die gar nicht zur Wahl gestanden war. Im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau blickt Weber gefasst zurück. „Ich war mir bewusst, dass das mit Tausend Unsicherheiten und Unwägbarkeiten verbunden ist, wenn du auf einem Kontinent auf der Spitzenebene arbeitest, dass da Tausend Fallstricke warten“, erzählt er mit ruhiger, bedachter Stimme. Die Sternstunde kam nicht, stattdessen blieb Weber der Weg nach ganz oben verwehrt. Aus der Traum.

Doch Weber ist noch da – und alles andere als ein Hinterbänkler: Er machte 2019 nach der Wahl weiter als Fraktionsvorsitzender der EVP, der stärksten Fraktion im EU-Parlament. Seit 2022 zieht er zusätzlich als Parteichef die Fäden. Bei der Europawahl am 9. Juni tritt Weber erneut als Spitzenkandidat an. Eine Comeback-Story also zwischen Bayern und Brüssel? Nicht ganz: Von der Leyen ist nun offiziell Nummer eins für Europas Konservative. Weber hingegen vertritt diesmal nur die CSU. Was hat sich darüber hinaus geändert?

Zunächst der Blick noch weiter zurück: Im Juli macht Weber 20 Jahre Europa voll; 2004 war er mit Anfang 30 vom Landtag ins Europaparlament gewechselt. „Das erste Mal den Plenarsaal betreten, das erste Mal Teil eines Parlaments zu sein, das heute 440 Millionen Menschen vertritt und das einzige direkt gewählte, demokratische und multinationale Parlament der Welt ist, das war für mich bewegend.“ Die Begeisterung für Europa bringt er glaubhaft rüber.

CSU-Kandidat Manfred Weber mutet dem Publikum mehr zu als Schenkelklopfer

Das Jugendhafte haftete ihm auch 2019 noch an. Nach dem Scheitern ließ er sich den Vollbart mit inzwischen viel Grau stehen, er trägt nun Brille. Das Bübische scheint bei seinem breiten Lächeln noch immer durch, doch jetzt soll mitschwingen: Hier ist ein Elder Statesman am Werk, einer der staatsmännischer wahrgenommen werden möchte. „Ein anderer Mensch bin ich 2024 sicher nicht“, sagt Weber selbst, „ich bin aber ein gereifter Mensch, ich habe viele Erfahrungen gemacht.“

Im Vergleich zum Baum-Umarmer, Panda-Knutscher und CSU-Klassenclown Markus Söder fällt es ihm zwar schwer, die Massen mitzureißen. Dafür mutet er dem Publikum mehr zu als Schenkelklopfer und Attacken, er spricht etwa über den Kampf gegen Krebs oder gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder. So wirkt er neben Söder wie der Besonnene, Bescheidene, der Boden- und Beständige. Man würde ihm vermutlich sogar den Pfarrer von Pürkwang abnehmen.

Doch er macht auch keinen Hehl daraus, dass er Machtmensch ist. Er betont etwa: „Ursula von der Leyen wäre ohne meine Unterstützung nicht Kommissionspräsidentin geworden.“ Oder er stellt heraus, dass er den Mächtigen am EVP-Tisch vorsitzt: „Wenn ich als Parteichef einlade, sitzen 13 Staats- und Regierungschefs vor mir“, prahlte er kürzlich beim Europa-Treff der CSU und weiter: „Wir haben die größte Fraktion, wir haben die Chance zuzulegen.“ In dieser Frage gerät er allerdings von zwei Seiten unter Druck. Einerseits ist da der Rechtsruck in Europa, der auch der EVP Stimmen und Sitze kosten kann. Weber ist deswegen als Organisator gefragt. Er grenzt sich ab von der extremen Rechten, wie der AfD oder Marine Le Pen, aber er will neue Figuren und deren Gruppierungen – teils weit rechts der politischen Mitte – gewinnen: Petr Fiala, tschechischer Premier und Chef der in Teilen euroskeptischen ODS. Peter Magyar, der zum inneren Führungskreis der ungarischen Fidesz gehörte und jetzt einen nationalistischen Kurs alternativ zu Viktor Orbán fährt. Pieter Omtzigt, der niederländische Unruhestifter und Ex-Christdemokrat. Und die niederländische Bauernprotest-Partei „Bauern-Bürger-Bewegung“ von Caroline van der Plas.

Die bisher erschienenen Porträts zur Europawahl 2024:

Martin Schirdewan, Spitzenkandidat der Linken für die Europawahl, scheut auch vor Auseinandersetzungen mit dem Bundeskanzler nicht zurück. Hier finden Sie das Porträt.

Kein Parteimitglied und trotzdem Spitzenkandidatin der Linken für die Europawahl 2024. Hier finden Sie das Porträt zu Carola Rackete.

Trotz des Abwehrkampfs gegen rechts versucht die Grünen-Kandidatin Terry Reintke, eine positive Perspektive auf Europa zu bewahren.

Die SPD-Spitzenkandidatin hat Eigenschaften, die bei Politikern selten anzutreffen sind. Das Porträt von Katarina Barley finden Sie hier.

Für die AfD wird er wegen Spionagevorwürfen immer mehr zum Problem: Spitzenkandidat Maximilian Krah, hier im Porträt.

Für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) tritt ein Finanzexperte an, der für seine Kritik an Cum-Ex-Geschäften und der europäischen Geldpolitik bekannt ist. Hier geht es zum Porträt von Fabio de Masi.

Sie ist Spitzenkandidatin der Freien Wähler für die Europawahl und verabschiedet sich vom Dirndl – a bisserl. Ein Porträt von Christine Singer.

Weber steht in der Brandmauer-Kritik

Wegen mancher Seilschaften steht Weber in der Brandmauer-Kritik. SPD-Chef Lars Klingbeil bezeichnete ihn am Aschermittwoch als „Drahtzieher“ der Kooperation von Konservativen und Rechtsaußen-Kräften. „Die CSU hat ein Problem: Die ist nicht ganz dicht nach rechts“, prangerte Klingbeil an. Anfang 2023 besuchte Weber Italiens rechte Wahlsiegerin Giorgia Meloni, die er auch jetzt als „normale Regierungschefin“ bezeichnet. Die Kritik daran, auch aus seiner CSU, habe er „persönlich nie verstanden“. Man müsse mit denen arbeiten, die in Europa Verantwortung haben. So hat Weber die Asyl-Verschärfungen mitorganisiert, Entlastungen für die Landwirtschaft durchgeboxt, und so will er nun auch das Verbrenner-Aus für das Jahr 2035 revidieren.

Aus all dem ragt für Weber dann aber immer wieder die Pürkwanger Backstein-Kirche heraus. Brüssel und Straßburg sind ihm keine zweite Heimat geworden, sagt er. Das bleibt die Hallertau: ein Landstrich, den die dicht gestaffelten, meterhohen Holz- oder Betonsäulen der Hopfengärten prägen. So verankert wie die Säulen sieht sich Weber hier.

Wenn er vom Besuch des Gottesdienstes erzählt, wechselt er ins Niederbayerische: „Dann sprich i mit dene, mit dene i in der Landjugend war über die Bauernfragen. Dann red ma über des, was die Handwerker umtreibt“, so schilderte er das bemüht bürgernah beim CSU-Parteitag. Machtmensch made in bavaria, so könnte 2024 Webers Motto lauten – jetzt, wo er nicht mehr in ganz Europa zur Wahl steht, sondern nur noch für die CSU. (Jakob Maurer)

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!