Der Mädchenbus ist in Adorf in die neue Saison gestartet
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Der Mädchenbus ist in Adorf in die neue Saison gestartet

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Erste Station auf dem Adorfer Dansenberg: Der Mädchenbus ist trotz fortbestehender Finanznöte in die neue Saison gestartet. Die jungen Diemelseerinnen freuten sich schon auf die vielfältigen Angebote. Er steht an der Dansenberghalle.
Erste Station auf dem Adorfer Dansenberg: Der Mädchenbus ist trotz fortbestehender Finanznöte in die neue Saison gestartet. Die jungen Diemelseerinnen freuten sich schon auf die vielfältigen Angebote. © Karl Schilling

Trotz weiter unsicherer Finanzierung ist der Mädchenbus wieder unterwegs. In Adorf startete das Team in die neue Saison. Die Ziele: Mädchen stark machen und in Lebenskrisen verlässliche Hilfe anbieten.

Diemelsee-Adorf – Serviettenblumen basteln, Steine bemalen, sich verkleiden, auf dem Einrad fahren, gemeinsam herumalbern, sich besprechen – die rund 20 Mädchen sind am Dienstag Nachmittag voll bei der Sache. Ein paar sind neu, andere haben sich schon darauf gefreut, das „ihr“ Mädchenbus endlich wieder Station auf dem Dansenberg macht. Der Oldtimer, Baujahr 1973, ist trotz aller Finanznöte des Teams in Adorf in die neue Saison gestartet.

Verlässliche Ansprechpartnerinnen

Für die Leiterin Sabine Schreiner und ihre beiden Kolleginnen bilden die Spiele nur „den Vordergrund“. Viel wichtiger sei die Unterstützung, die das Team „im Hintergrund“ leiste. „In Krisensituationen sind wir für die Mädchen da“, erklärt die Sozialpädagogin. Sie fänden verlässliche Ansprechpartnerinnen, mit denen sie über ihre Sorgen sprechen können.

Der Mädchenbus tourt schon seit 1998 durch Waldeck-Frankenberg und die Kreise Schwalm-Eder und Kassel-Land. Sein Ziel ist, Mädchen stark und selbstbewusst zu machen. Über die Spiele und die Gemeinschaft mit anderen Mädchen soll Vertrauen aufgebaut werden.

Das Team begleitet Mädchen und junge Frauen über Jahre, „sie werden mit uns älter“, beschreibt Schreiner – diese Kontinuität ist ein Kernpunkt des Konzepts.

In drei Altersgruppen

An den Stationen kommen die Besucherinnen immer in drei Altersgruppen zusammen. Entsprechend wählen sie ihre Themen: Bei den älteren geht es etwa um die Wandelungen in der Pubertät, um die Ernährung und zweifelhafte Körperbilder, um den Umgang mit Handys und mit Cybermobbing. Auch Corona-Nachwirkungen bemerkt das Team noch immer.

Entscheidend sei, dass die Mädchen Ansprechpartnerinnen vor Ort hätten, betont Schreiner: In der Beratung gewinne das Projekt „Tiefgang“ – gerade wenn Mädchen zum Opfer von Gewalt werden oder mit dem Gedanken spielen, sich umzubringen. Erst am Montag hatte die WLZ berichtet, dass die Gewalt gegen Kinder nach der Einschätzung von hessischen Richterinnen zunehme, allein 2023 sei die Zahl der Sorgerechtsverfahren um zehn Prozent gestiegen.

Die Wiesbadener Richterin Doris von Werder forderte daher, mehr Geld in die Familien- und Jugendhilfe und in die Weiterbildung von Erzieherinnen und Lehrern zu investieren - die Finanzierung des Projekts Mädchenbus ist jedoch auch in der neuen Saison nicht gesichert.

Finanzierung nicht gesichert

Schon Anfang 2023 war wie berichtet die Landesförderung weggebrochen, auch dieses Jahr ist kein Geld aus Wiesbaden absehbar. Damit fehle weiter die Basisfinanzierung von rund 50 000 Euro, erklärt Projektcoach Hannes Schrebe, der das Konzept des Mädchenbusses vor 30 Jahren entworfen hat. Personalkosten mitgerechnet, liege das Jahresbudget real bei rund 250 000 Euro.

Dem Gemeinwesen Millionen gespart

Schrebe versteht nicht, warum der Staat das Geld nicht aufbringen will. Sein Rechnung: Müsse ein Mädchen stationär in eine öffentliche Jugendhilfe aufgenommen werden, koste das rund 144 000 Euro im Jahr. Der Mädchenbus habe in 26 Jahren rund 17 000 Mädchen erreicht. Bei etwa drei Prozent von ihnen sei eine sozialpädagogische Krisenintervention erforderlich gewesen – bei etwa 500 Mädchen. Rund 250 Mädchen hätten die Sozialpädagoginnen des Busteams mit der Mädchen-Nothilfe betreut und therapeutisch versorgt, sie mussten nicht ins Heim.

Bei einem durchschnittlich dreijährigen Aufenthalt in einer Wohngruppe habe der Mädchenbus dem Gemeinwesen somit bislang fast 68 Millionen Euro an Steuergeldern gespart. Er habe einen gesellschaftlichen Nutzen.

Bürgermeister wollen helfen

Das sehen auch die neun Waldeck-Frankenberger Bürgermeister so, deren Kommunen der Bus anfährt. Im September 2023 hatten Vertreter von vier Waldecker Kommunen beraten, wie sie den Trägerverein unterstützen könnten. Daraufhin schrieben alle Bürgermeister einen gemeinsamen Brief an Ministerpräsident Boris Rhein. An der Lage änderte sich bisher nichts.

Auch von den drei Kreisverwaltungen ist eher keine Hilfe zu erwarten. Die Korbacher haben mit einem Defizit von 27,4 Millionen Euro zu kämpfen, in Kassel liege es bei rund 70 Millionen, berichtet Schrebe. Für „freiwillige Leistungen“ fehlt da das Geld. Allerdings habe Waldeck-Frankenberg seine jährliche Förderung für den Mädchenbus beibehalten, betont Bürgermeister Volker Becker.

Schwierige Spendensuche

So sammelt der Trägerverein weiter Spenden. Von den Serviceclubs hat bisher wohl nur der Soroptimistinen-Club Kassel / Kurhessen Waldeck 1500 Euro gespendet.

Dass der Bus im Mai dennoch erneut starten konnte, liegt einzig daran, dass Unternehmer und Privatleute dem Trägerverein Kredite gewährt haben. Wenigstens sie sind überzeugt vom hohen Wert der kontinuierlichen sozialpädagogischen Arbeit.

Anerkennung als „mobile Beratungsstelle“ angestrebt

Schrebe will die Leistungen des Mädchenbusses stärker herausstellen: Das europaweit einzigartige Projekt sei eine vorbeugende Anlaufstelle für Mädchen, es verhindere, dass sie in die teure Jugendhilfe kämen und helfe ihnen dabei, erlittene Traumata durchzustehen. Dabei setze das Team früh an. „Wir machen Mädchen Mut.“

In Städten gibt es Beratungsstellen – auf dem Land nur sporadisch. Der Kasseler Trägerverein „zur Förderung der Mädchenarbeit im ländlichen Raum“ ist als „freier Träger der Jugendhilfe“ staatlich anerkannt, er strebt aber auch die Anerkennung als „mobile Beratungsstelle“ an.

„Angebot von unschätzbarem Wert“

„Es ist bewundernswert, wie der Mädchenbus dazu beiträgt, Mädchen und junge Frauen eine sichere und unterstützende Umgebung zu bieten“, sagt Bürgermeister Volker Becker, der wieder 500 Euro für die Arbeit des Teams überreichte. „Eure Bildungsangebote und Beratungsdienste sind von unschätzbarem Wert“, erklärt er.

Das Team sorge „mit Hingabe“ dafür, dass Mädchen und junge Frauen „ihre Potentiale entfalten und gestärkt in die Zukunft gehen“ könnten. -sg-

Weitere Termine des Mädchenbusses

Die weiteren Termine in Waldeck-Frankenberg bis Sommer:

Freienhagen: 21. Mai.

Ehringen: 22. Mai.

Neukirchen: 29. Mai.

Rosenthal: 12. Juni.

Odershausen: 18. Juni.

Wrexen: 26. Juni

Frankenau: 2. Juli.

Usseln: 9. Juli.

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