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Eurovision Song Contest: Europa findet Nemo

Deutschland ist in Malmö endlich mal nicht Letzter geworden, die Schweiz gewinnt. Doch der ESC erlebt seinen vielleicht größten Skandal. In der Halle gibt es immer wieder Buhrufe - nicht nur gegen Israel.

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Nemo aus der Schweiz jubelt  über den Sieg beim Finale des Eurovision Song Contest 2024
Nemo aus der Schweiz jubelt über den Sieg beim Finale des Eurovision Song Contest 2024 © dpa/Jens Büttner

Malmö. Kein bisschen Frieden beim Eurovision Song Contest? Bedeutet 2024 das Waterloo für die weltgrößte Musikshow? Deprimierende Wortspiele mit großen Grand-Prix-Siegertiteln liegen nahe. Überschattet von Protesten und einer Disqualifikation war der ESC in Malmö keine friedliche Show, wie sie das Publikum von diesem Treffen für Völkerverständigung durch Musik gewohnt ist.

Deutschland landete mit Sänger Isaak und dem Song "Always On The Run" auf dem zwölften Platz von 25 Finalisten und beendete die jahrelange Serie von letzten und vorletzten Plätzen. "Ich bin sehr happy. Ich bin super happy, super stark", sagte der 29-Jährige nach Ende der Show.

Den Sieg holte in der Nacht zum Sonntag die Schweiz mit Nemo. Der Siegertitel "The Code" ist ein wilder Genre-Mix aus Pop, Rap, Oper, Drum 'n' Bass und James-Bond-Song.

Deutschlands Isaak bei seinem Auftritt in Malmö.
Deutschlands Isaak bei seinem Auftritt in Malmö. © dpa/Jens Büttner

Die vorgeblich verbindende Show mit dem Motto "United by Music" erlebte diesmal draußen Demonstrationen und Festnahmen, drinnen Buhrufe und Grölen - alle waren eher divided statt united. Die Schweiz gewann erstmals seit 1988, als Céline Dion die Trophäe bekommen hatte. Seinen Namen im Zusammenhang mit der Starsängerin zu hören: was zum Teufel! So freute sich Nemo nach dem Sieg auf Englisch ("To hear my name next to Celine fucking Dion - what the fuck. I think this is so special for Switzerland"). Der Musiker Baby Lasagna aus Kroatien wurde mit "Rim Tim Tagi Dim" Zweiter in der Gesamtplatzierung, es folgten die Ukraine, Frankreich und Israel.

Sieger-Act Nemo - der denselben Namen trägt wie der Clownfisch aus dem amerikanischen Pixar-Animationsfilm "Findet Nemo" - lebt in Berlin und identifiziert sich als nicht-binär. Nemo zerbrach nach dem Sieg die Trophäe versehentlich auf der Bühne und bekam einen Ersatz-Preis. "Die Trophäe kann repariert werden - vielleicht braucht der ESC auch ein kleines bisschen Instandsetzung", sagte Nemo vieldeutig.

Nemo aus der Schweiz: "Ich fühle mich weder als Mann noch als Frau"
Nemo aus der Schweiz: "Ich fühle mich weder als Mann noch als Frau" © dpa/Jens Büttner

Was war da bloß los? Das rund vierstündige ESC-Finale wurde immer wieder durch laute Buhrufe gestört. Hintergrund waren Proteste gegen das Teilnehmerland Israel sowie Unzufriedenheit mit der Entscheidung der Ausrichter, den niederländischen Teilnehmer Joost Klein (26) für das Finale zu disqualifizieren. Klein war am Samstag kurzfristig ausgeschlossen worden. Hintergrund waren nach Angaben des niederländischen Fernsehsenders Avrotros Vorwürfe, er habe eine aggressive Geste gegenüber einer Kamerafrau gezeigt.

Der niederländische öffentlich-rechtliche Rundfunk reichte eine offizielle Beschwerde gegen den Beschluss ein. ESC-Chef Martin Österdahl erntete vor Beginn der traditionellen Punktevergabe der Jurys aus den ESC-Ländern unzufriedenes Raunen und laute Buhrufe aus dem Publikum. Bei den Punktevergaben wurden etwa Désirée Nosbusch aus Luxemburg, Joanna Lumley aus Großbritannien und für Deutschland Ina Müller zugeschaltet.

Belastet war die Show vor allem durch israelfeindliche Proteste vor und in der Halle. Sie richteten sich gegen die Entscheidung der Veranstalter, Israel trotz des Gaza-Krieges mit bislang mehr als 30.000 toten Palästinensern antreten zu lassen, mit dem der jüdische Staat auf die von palästinensischen Terroristen am 7. Oktober in Israel verübten Massaker reagiert hat. Kritiker werfen den Veranstaltern in dem Kontext Doppelmoral vor, weil die EBU (Europäische Rundfunkunion) Russland wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine ausgeschlossen hatte.

Polizisten führten die Klimaaktivistin Greta Thunberg (21), deren Mutter 2009 beim ESC für Schweden mal den 21. Platz geholt hatte, mit anderen Demonstrierenden vom Platz vor der Arena ab, nachdem sich dort die Stimmung aufgeheizt hatte.

Bei ersten Demonstrationen am Abend hatte die Polizei die Haltung unter den 6.000 bis 8.000 Teilnehmern noch als "friedlich" beschrieben - bei der deutlich kleineren Versammlung vor der Halle griffen die Einsatzkräfte dann jedoch stärker durch und sperrten den Platz ab. Mehrere Störer wurden draußen festgenommen.

Demonstranten stehen während eines Protests gegen die Teilnahme der israelischen Teilnehmerin Eden Golan der Polizei gegenüber.
Demonstranten stehen während eines Protests gegen die Teilnahme der israelischen Teilnehmerin Eden Golan der Polizei gegenüber. © Andreas Hillergren/TT News Agency/AP/dpa

Auch aus dem Publikum in der Halle gab es immer wieder Protestrufe gegen Israels Act. Die Störversuche zogen sich durch den ganzen Abend. Schon als die israelische Sängerin Eden Golan (20), die in Schweden die ganze Zeit abgeschirmt werden musste, beim Einlauf der Nationen die Bühne betrat, waren Pfiffe in der Halle zu hören.

Beim Vortragen ihres Liedes "Hurricane" musste Golan später wieder zahlreiche Pfiffe und laute Buhrufe über sich ergehen lassen. Die Buhrufe wurden dann noch einmal lauter, als zu der Punktevergabe der israelischen Jury geschaltet wurde.

Eden Golan aus Israel: Beim Vortragen ihres Liedes "Hurricane" musste Golan zahlreiche Pfiffe und Buhrufe über sich ergehen lassen.
Eden Golan aus Israel: Beim Vortragen ihres Liedes "Hurricane" musste Golan zahlreiche Pfiffe und Buhrufe über sich ergehen lassen. © dpa/Jens Büttner

Der israelische Außenminister Israel Katz lobte die Interpretin vor der Show auf der Plattform X: "Eden stellt sich stolz enormem Hass und Antisemitismus entgegen", schrieb er. Deutschlands Fernsehpublikum vergab beim Televoting die Höchstpunktzahl 12 an Israel.

Millionen-Einschaltquote in Deutschland

Das ESC-Finale ist beim deutschen Fernsehpublikum einmal mehr auf großes Interesse gestoßen. Im Schnitt sahen am Samstag ab 21.00 Uhr 7,38 Millionen im Ersten die rund vierstündige Show. Das entspricht einem Marktanteil von 36,8 Prozent. Hinzu kamen noch etwa 600.000 Zuschauerinnen und Zuschauer (3,0 Prozent) beim ARD-Spartensender One, wie etwa der Branchendienst "DWDL" berichtete.

Besonders gut war die Einschaltquote bei den jüngeren Zuschauern. Bei den 14- bis 49-Jährigen lag die Quote im Ersten bei 51,7 Prozent, in absoluten Zahlen waren dies 2,85 Millionen.

Schon 2023 hatte sich die Gesamtzahl im Ersten und bei One ebenfalls auf rund 8 Millionen summiert, 2022 auf 7,3 Millionen, 2021 auf etwa 7,7 Millionen. 2020 war der ESC wegen Corona ausgefallen. In den Jahren zuvor war die Sehbeteiligung beim ESC-Finale teils noch höher: 2019 schauten 8,1 Millionen zu, 2018 waren es 7,9 Millionen und 2016 wesentlich mehr mit 9,4 Millionen. Als Lena 2010 mit "Satellite" den Sieg für Deutschland holte, waren sogar 14,7 Millionen vor den Bildschirmen dabei. Im Folgejahr beim ESC in Düsseldorf sahen 13,9 Millionen in Deutschland die Liveshow. (dpa)