Tanz um das goldene Kalb - Managementwissen online
25. Mai 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Tanz um das goldene Kalb

KRITIK: Immer dieses Geraune um Purpose … Ist das nicht alles bloß Berater-Latein? Man könnte schon auf den Gedanken kommen, wer keinen hat, der bastelt sich einen: vierfarbig und in 3D. – Oder ist die Sinndiskussion etwa doch sinnvoll?

Wie gut, dass es die Wissenschaft gibt! Während die einen noch allerlei Zauberrituale veranstalten, die anderen sich genervt abwenden – könnte man die Sache doch auch einmal tiefschürfender angehen. Und fragen: Macht Sinn Sinn? Und wenn ja, welchen? Und welcher für wen?

Doch ehe ich nun berichte, was die beiden Autoren (Die schönsten Uhren der Welt) herausgefunden haben, muss ich noch eine schöne Definition zum Besten geben. Und die stammt vom großen Soziologen Niklas Luhmann: „Sinn sagt, daß an allem, was aktuell bezeichnet wird, Verweisungen auf andere Möglichkeiten mitgemeint und miterfaßt sind.“ Der Volksmund würde gehässig kontern: „Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein!“ Merke: Unsinn ist auch Sinn!

Ich hoffe, zur allgemeinen Erheiterung beigetragen zu haben. Doch auch dieses hier ist richtig: „Aus Spaß wurde Ernst. Und Ernst lernt jetzt Laufen.“ Was haben uns also die Autoren (Neues) zu sagen?

Purpose-Making

Nun, sie stellen zunächst fest, dass das Thema – neudeutsch: Purpose – da ist; und auch nicht längst wieder verschwunden ist. Irgendeine Funktion muss es folglich haben. Daher interessiert sie, wie Purpose-Making konkret im Unternehmen geschieht. Zu diesem Zweck haben sie eine empirische Untersuchung vorgenommen. Und zwar bei einem renommierten Unternehmen, dem Luxusuhrhersteller A. Lange & Söhne im sächsischen Glashütte.

„Damit ein Organizational Purpose seine organisationsinterne Wirkung entfalten kann, braucht es dessen Wahrnehmung und das Verständnis der Organisationsmitglieder.“ Sie hätten auch mit Karl Weick von „Sense Making“ sprechen können; haben sie aber nicht – eigenwilligerweise. Als Ergebnis schält sich für sie eine vierdimensionale Perspektive heraus:

  • Produkt: „Die Herstellung der Uhr wird zum Fixpunkt allen Handelns.“
  • Corporate Social Responsibility: Die soziale Rolle des Unternehmens als Arbeitgeber wird betrachtet.
  • Geschichte: Die Tradition soll erhalten bleiben. Manufaktur, Kompetenz, Herzblut.
  • Kapitalistisches System: Das Unternehmen verdient gutes Geld.

Eine vielfältige Perspektive

Purpose scheint es also nicht „einfach“ zu geben. Aus individueller Sicht eröffnet sich eine überraschende Vielfalt an Purpose-Konstruktionen. Was zur Frage führt, wie Purpose-Making funktioniert. Die Autoren definieren Purpose-Making als „die Reflexion über das Warum und Wozu unternehmerischer Aktivität.“ Solches hat man auch schon einmal vernommen: Why, How & What heißt es beim Managementguru Simon Sinek (Impact first). Die Autoren Brands und Meynhardt (Die schönsten Uhren der Welt) fragen nach den Auslösern des Purpose-Making, der organisationalen Rolle und den individuellen Motiven und Bedürfnissen der Mitarbeitenden.

  • Auslöser: Man spricht nicht ständig über den Purpose. Er ist zwar immer da, wie die Luft, die man atmet; er ist ein Medium. Doch braucht es konkrete Auslöser, damit Reflexionsprozesse stattfinden. „Purpose-Making wird demnach geprägt durch Person und Kontext.“ Die auffällige Nähe zum Thema Unternehmenskultur wird von den Autoren nicht weiter thematisiert.
  • Rolle und Tätigkeit der Organisationsmitglieder: Diese sind sehr unterschiedlich. Die einen sind ganz ins Handwerk vertieft, die anderen beschäftigen sich mit dem Marketing.
  • Persönlichkeit der Organisationsmitglieder: Individuelle Motive und Bedürfnisse entscheiden über die Purpose-Formulierung. Hier hätten die Autoren schön mit der altbekannten Motiv-Trias Macht/Autonomie, Leistung und sozialer Anschluss argumentieren können; haben sie aber nicht.

Das Verbindende

Auch wenn Purpose unterschiedlich erlebt wird, scheint seine Funktion doch der einer Komplexitätsreduktion zu dienen. Also Spannungsbogen und Mainstreaming zugleich. Da fällt einem doch glatt das, Antoine de Saint Exupéry zugeschriebene, Zitat ein: „Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht die Leute zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem unendlichen Meer.“

Und als ob ich es geahnt hätte, argumentieren die Autoren auch flugs mit dem Argument „Führung“. „Durch bewusstes Purpose-Giving kann Führung das Purpose-Making prägen.“ Da ist er wieder: Kai aus der Kiste! Ach, ich fühle mich doch glatt in eine Sonntagspredigt versetzt. Und die dann folgenden, wohlfeilen Ratschläge der Autoren kann man auch getrost überlesen.

Doch wenn ich schlussendlich lesen muss, „Es gibt keine einfachen Antworten. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind vielfältiger und komplexer als sie auf den ersten Blick scheinen,“ möchte ich den beiden Autoren doch gerne zurufen: „Well, da hätte ich jetzt von euch doch deutlich mehr erwartet. Vor allem seitens eurer wirtschaftspsychologischen Expertise.“ Wie war das gleich noch mit dem Sinn? „Das kann doch nicht alles gewesen sein,“ sang weiland (1976) Wolf Biermann (Das Lied vom donnernden Leben).

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