„Wir haben trainiert wie die Irren" – CHRISTOF DIENZ (DIE KNOEDEL) im mica-Interview - mica - music austria

„Wir haben trainiert wie die Irren” – CHRISTOF DIENZ (DIE KNOEDEL) im mica-Interview

Die KNOEDEL sind ein Oktett, das sich der New Alpine Chamber Music verschrieben hat. Mit etabliertem Volksmusik-Instrumentarium, darunter Hackbrett, Harfe, Fagott, Flügelhorn, Kontrabass, Trompete, Gitarre, spielen sie seit den frühen 1990er Jahren Volksmusik, die sich moderner Musikformen bedient und trotzdem wunderbar aus der Zeit gefallen klingt. Anfang 2018 hat Mastermind CHRISTOF DIENZ die Tiroler Volksmusikgruppe aus dem zwischenzeitlichen Dornröschenschlaf geholt und ihr mit zwei hervorragenden Alben und vielen Live-Auftritten neues Leben eingehaucht. Markus Deisenberger erzählte er, der neben Fagott auch Zither spielt und alle Stücke komponiert, die Geschichte der Knoedel, die sehr schnell sehr groß wurden und sich trotzdem das Musikantische bewahrt haben.

Wieso habt ihr die Knoedel damals Anfang der 1990er eigentlich gegründet?

Christof Dienz: Mein Vater hat in einer Volksmusikgruppe gespielt, die einmal im Monat bei uns zuhause geprobt hat. Ich durfte zuhören und mir hat das unheimlich getaugt. Ich bin als stilles Mäuschen dabeigesessen, wenn die geprobt und Bier getrunken haben.

Volksmusikabende unter Freunden also?

Christof Dienz: Genau. Privat bei uns im Wohnzimmer. Das hat mir gefallen. Dann kam ich ins Musikgymnasium in Innsbruck. Einige meiner Mitschüler:innen kamen aus der Volksmusikszene, und dann hat mich das halt auch zu interessieren begonnen. Ich hab´ den Eltern zu Weihnachten eine Polka, einen Walzer und einen Landler komponiert und das gemeinsam mit meinen Freund:innen mit einem Kassettenrecorder aufgenommen. Nach der Schule ging ich nach Wien und habe im WUK mit der Martina Reiter Konzerte veranstaltet, und da habe ich mich an die alten Zeiten erinnert und meine alten Mitschüler:innen reaktiviert, um die alten Stücke und richtige Volksmusik zu spielen, und das ist vor Ort unheimlich gut angekommen.

War das erwartet oder unerwartet? Wien galt damals doch nicht gerade als Hotspot für Tiroler Volksmusik.

Christof Dienz: Das war Anfang der 1990er, 1992 muss da gewesen sein, und es war offenbar – ich weiß auch nicht warum – der richtige Zeitpunkt. Aus dem WUK hat das jemand dem Christoph Moser (verstorbener Musikmanager und Förderer vieler Musiker:innen, Anm.) erzählt, der damals noch in Innsbruck war, und der hat uns dann zu einem Festival im Utopia, das es schon lange nicht mehr gibt, eingeladen. Dann haben wir dort gespielt, was den Leuten auch wieder getaugt hat, und dann hat er uns zu managen begonnen. Ab da ging es los und wurde sehr schnell sehr groß. Ein Jahr später haben wir “Verkochte Tiroler” veröffentlicht, im Februar 1993, und dann haben wir gleich auf der ganzen Welt gespielt, innerhalb nur eines Jahres in Kanada, Russland, New York, Japan, ganz Europa und Mexiko.

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Woher kommt der Begriff “New Alpine Chamber Music” eigentlich? War das gleich ein Label, das auch von den Medien aufgedrückt wurde?

Christof Dienz: Nein, früher hat das ja “Neue Volksmusik” geheißen. Mich hat das aber immer schon gestört, weil es keine “neue” Volksmusik gibt, es gibt nur eine Volksmusik. Das muss und kann man nicht neu erfinden. Das kann man nur machen. Und wenn man neue Stücke schreibt, dann ist es auch Volksmusik, aber nicht neue Volksmusik. Der künstlerische Aspekt, den wir mit reingebracht haben, passte halt nicht zum Genre. Volksmusik muss aus dem Bauch rauskommen und ist zu einem Gutteil ja auch Funktionsmusik. Da gibt es die Tanzlmusi, die zum Tanzen ist, und die Stubnmusi, die dazu da ist, dass man in der Stube eine kleine zarte Besetzung spielt. Unser Zugang war eher einer, wie ihn viele Komponist:innen pflegten, die sich mit Musik aus ihrer Region beschäftigt haben. Bartok ist ein berühmtes Beispiel oder Strawinski, aber auch Mozart, Schubert und Beethoven haben Musik aus ihrer Region studiert und dann Stücke geschrieben.

Du hast Christoph Moser erwähnt. Das erste Mal, dass ich die Knoedel gehört habe, war bei ihm zuhause. Der Abend war fortgeschritten, ich wurde genötigt, einen ekelhaften Kräuterschnaps, den “Krautinger” zu trinken, und er hat mich irgendwann gefragt, ob ich die Knoedel kenne, was ich verneinte. Dass jemand, der für sich beansprucht, in der Musik zuhause zu sein, die Knoedel nicht kennt, konnte und wollte er nicht akzeptieren und der Abend artete in eine intensive Listening-Session aus. Ein unvergessener Abend und ein Beweis dafür, dass euer damaliger Manager auch euer größter Fan war.

Christof Dienz: Ich habe schon meinen Bruder und meinen Vater zu Grabe getragen, aber noch nie hat jemand so ein großes Loch in meine Leben gerissen wie der Christoph durch sein Ableben. Das war für mich schwierig.

Du hast damals in einem Interview zu mir gesagt, dass du praktisch wieder bei Null anfängst. „Es ist, als hätte ich den Planeten gewechselt.“

Christof Dienz: So ungefähr. Natürlich war das ein bisschen überspitzt, aber mein gesamtes künstlerisches oder berufliches Leben ist über eine lange Zeit, siebzehn Jahre lang, über ihn gelaufen. Wir waren ein Gespann, und dann war er von einem Tag auf den anderen nicht mehr da. Das war schon schwierig. Abgesehen von der Freundschaft – er war mein bester Freund und wir sind zwei-, dreimal die Woche ausgegangen und haben Dinge beschnapst und ausgeheckt; wenn ich eine Idee hatte, wusste ich, ich kann das bei Hoanzl releasen und er pusht das – über den freundschaftlichen Verlust, der natürlich viel essenzieller war, war es aber auch ein beruflicher Verlust. Es war wahnsinnig schwierig.

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Irgendwann habt ihr dann aufgehört, habt die Knoedel sein lassen. Was war der Grund?

Christof Dienz: Wir haben einfach aufgehört, weil wir gesehen haben, dass es nicht mehr funktioniert. Wir waren an einem Punkt angelangt, wo jeder ins Berufsleben einstieg und man sich entscheiden musste. Die Mnozil Brass haben circa zeitgleich mit uns begonnen und haben beschlossen, das voll zu machen und zu leben. Dafür waren die Knoedel nicht bereit, weil es einfach zu viele unterschiedliche Interessen gab. Die Kathi war in Berlin und hat Kinder gekriegt. Wir waren in Wien und haben Kinder gekriegt. Die Margit war in Mailand. Es wurde irgendwann so schwierig, allein zu einer Probe zusammenzukommen. Noch dazu haben sich die einen in die alte Musik, die andere Hälfte in die Neue Musik entwickelt. Einer war schon im Orchester, hätte also seinen fixen Job für die Knoedel sausen lassen müssen. Christoph Moser war bei Hoanzl schwer eingedeckt und auch nicht mehr so enthusiastisch. Bevor die Unzufriedenheit in alle Richtungen größer würde, haben wir es einfach gelassen. Auch um diese wunderbare Zeit der Zwanziger, die wir gemeinsam hatten, nicht zu beschädigen, in dem wir´s zu Tode spielen. Dass es uns nicht mehr gibt, haben wir so aber nie gesagt. Wir haben uns nie offiziell zu Tode getragen. Irgendwie hat es einfach gepasst, es sein zu lassen.

„Wir haben uns nie offiziell zu Tode getragen”

In einem alten Interview, das ich für die Jazzzeit mir dir führte, hast du damals, es muss 2009 gewesen sein, auf eine mögliche Reunion angesprochen, eine solche kategorisch ausgeschlossen. „Logistisch zu aufwendig“, hast du damals gemeint. „Damals waren wir jung, unsere Beziehung war sehr intim und wir haben den Erfolg voll ausgelebt. Jetzt sind wir gute Freunde und haben eine tolle Erinnerung.“ Dann habt ihr es aber 2018 doch getan. Ihr habt wieder angefangen. Weshalb?

Christof Dienz: Zufall. Ein Filmproduzent, Oliver Neumann von Freibeuter Film, hat mich kontaktiert und gefragt, ob die Knoedel nicht die Musik zu einem Spielfilm machen würden. Ich habe ihm geantwortet, dass es uns eigentlich schon lange nicht mehr gibt. Das fand er schade und meinte, es würde einfach so gut passen. Irgendwie habe ich da Lust bekommen, die anderen zu fragen, ob wir das nicht machen sollen.

Wie hieß der Film?

Christof Dienz: “Das Wunder von Wörgl”. Es ging darin um den so genannten Schwundgroschen Anfang der 1930er Jahre. Der Wörgler Bürgermeister hat damals Geld eingeführt, das jeden Monat weniger wert wurde, mit der Absicht, das Geld so schneller zirkulieren zu lassen.

Bild Knoedel
Knoedel (c) Lukas Beck

Das hat auch gut funktioniert hat. Die New York Times kam, um darüber zu schreiben. Das Experiment wurde weltbekannt und hat Wörgl Anfang der 1930er, als nach dem schwarzen Freitag die ganze Welt wirtschaftlich darniederlag, in einen nie gekannten Wohlstand katapultiert. Man baute neue Straßen und den Menschen ging es gut, aber nur so lange, bis die Nationalbank das Experiment abdrehte, weil sie die Geldhoheit für sich beanspruchte. Darüber wurde ein Film gedreht, mit Verena Altenberger und Karl Markovics in den Hauptrollen. Ja, und dann habe ich die Knoedel angerufen und alle waren dabei. Wir haben uns getroffen und die Musik aufgenommen, so als wäre nichts gewesen und als hätten wir uns erst vor zwei Monaten das letzte Mal gesehen.

War das Wiedersehen sentimental?

Christof Dienz: Gar nicht. Wir sind uns nicht um den Hals gefallen, weil wir uns ja nie aus den Augen verloren haben. Wir haben nur nicht in diesem Kontext miteinander musiziert. In anderen Kontexten haben wir sehr wohl immer wieder zusammengespielt, in der alten, in der neuen Musik. Dann habe ich Lunte gerochen und alle gefragt, ob sie nicht auch Lust hätten, wieder als Band zu spielen. Auch da waren alle dafür. Und das habe danach verschiedenen Leuten aus der Szene erzählt, dem Christoph Huber vom Porgy etwa oder dem Alber Hosp, dem Andreas Schett von col legno. Die Reaktionen waren überwältigend. Schett meinte, wir könnten die Platte bei ihm machen. Huber meinte, wir könnten sofort im Porgy spielen. Und Albert Hosp hat am nächsten Tag angerufen und gemeint, wir könnten die Premiere bei Glatt & Verkehrt im Juli spielen. Alle waren voll dafür.

Uns war aber klar, dass es nur Sinn macht, wenn wir mit einem neuen Programm rausgehen. Das heißt, natürlich wollten wir auch die alten Hits spielen, aber wir brauchen als Gegengewicht dazu auch neue Nummern, die zeigen, dass ich mittlerweile anders komponiere.

Es wäre uns zu fad gewesen, nur die alten Stücke zu spielen. Und die zweite Vorgabe war, dass wir alle auswendig spielen. Wir haben trainiert wie die Irren. Wir haben gleich ein Video gedreht, “Still”, und haben uns vier Tage lang vor Glatt & Verkehrt kaserniert. Als ersten Live-Gig nach so langer Zeit auf so einer großen Bühne vor so vielen Leuten zu spielen und auf Ö1 übertragen zu werden, das war schon stressig.

Warum auswendig?

Christof Dienz: Es spielt sich einfach anders, und man hat einen anderen Kontakt zum Publikum. Wenn du diese doch recht komplexe Musik auswendig spielst, hat es eine andere Magie, als wenn du von Noten spielst. Es haben sich dann doch Noten eingeschlichen, weil es besser ist, von Noten zu spielen, als sich zu verspielen… Aber es hat ein anderes Bild, wenn der Großteil auswendig spielt. Es wirkt freier und ist auch freier, aber natürlich auch gefährlicher, weil du dich ohne Netz bewegst. Du bist abhängig von den Mitmusiker:innen. Wenn da einer etwas, auf das du wartest, nicht spielt, gibt es u.U eine Kettenreaktion.

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Im Juli 2018 war das und auch erfolgreich. 2019 haben wir dann die erste Platte releast und gleich um die dreißig Gigs gespielt. Dann kam Corona, was bis heute viel verändert hat. Der ganze Mittelbau sowohl auf Veranstalter:innen- als auch auf Künstler:innen-Seite hat es viel schwerer als früher. Viele Kulturinitiativen gibt es seitdem einfach nicht mehr, weil Geld und Kraft ausgegangen sind. Das sind aber die Orte, an denen wir spielen. Wenn da kein Geld mehr da ist, funktioniert es nicht mehr. Wir sind ja eine teure Band. Wenn du acht Übernachtungen und Abendessen brauchst, bist du als Veranstalter schon mal einen Tausender los.

Ohne die Geschichte mit der Anfrage für einen Soundtrack gekannt zu haben, wäre eine meiner nächsten Fragen, die nach deiner Soundtrack-Affinität gewesen. Beim Hören der aktuellen Knoedel-Platte entsteht bei jeder Nummer Kopfkino. Felix Mitterer geht es da ähnlich. Ich zitiere: „Diese Musik ist wie ein Traum, den ich einmal in Irland hatte. Der Morgen dämmerte schon, die Fensterbalken waren geschlossen. Eine Welle durchflutete langsam pulsierend meinen Körper, sanft und kühl, wohltuend wie nie etwas zuvor, irgendwie blau, phosphoreszierend – und ich hob ab, in die Unendlichkeit.“ Schön ist das. Was mich zur Frage bringt: Du hast gesagt, du komponierst jetzt anders. Inwiefern?

Christof Dienz: Es ist alles ein bisschen komplexer geworden. Früher gab es eine Melodie und eine Walzer-Begleitung, A-B-A-Teile. Einfache, an die Volksmusik angelehnte Liedformen. Jetzt ist es viel komplexer, die Rhythmen, die Struktur der Lieder.

Aber trotzdem sollen Spaß und spielerische Leichtigkeit weiterhin im Vordergrund stehen?

Christof Dienz: Absolut. Das ist das Kernstück, was uns ausmacht und was wir auch nach wie vor gut können, dieses Musikantische, die Lust am Spielen. Dis Stücke sind, nur weil sie ein wenig komplexer sind, ja bei weitem nicht hyper-komplex. Die müssen immer noch so sein, dass sie auswendig spielbar sind. Es hat immer noch eine Song-Struktur, d.h. die Stücke sind immer noch kleine Formen, die zwischen drei und fünf Minuten dauern. Solche kleinen abgeschlossenen Gefäße zu schreiben, hat mir wieder enormen Spaß gemacht. Das war meine Motivation, das Projekt wieder zu starten. In dieser kurzen Zeitspanne alles unterzubringen war die Herausforderung.

Beim Label col legno habt ihr eine neue Heimat gefunden?

Christof Dienz: Ja, das kann man so sagen. Wir haben die erste Platte nach der langen Pause für heutige Verhältnisse gut verkauft, waren für col legno Top-Seller. Was ich meine ist: Wir fühlen uns dort sehr wohl, aber die hatten auch eine Freude mit uns. Und das Verhältnis mit Schett und Russo ist ein freundschaftliches.

Warum nicht bei Hoanzl wie früher?

Christof Dienz: Obwohl ich auch ohne Christoph Moser dort noch Leute kenne und schätze, wäre mir das zu nahe an früher gewesen. Das wollte ich nicht mehr.

Du kennst sicher das Penguin Cafe Orchestra. Würdest du da musikalische Parallelen sehen?

Christof Dienz: Durchaus, das ehrt mich, weil es eine super Musik ist. Das war vielleicht noch näher an Minimal Music dran als unsere Musik, aber auch unsere Musik trägt Aspekte von Minimal Music in sich. Schon Anfang der 19990er wurden wir ab und zu mit ihnen verglichen.

Bild Knoedel
Knoedel (c) Lukas Beck

Der viel zu früh verstorbene Simon Jeffes hat das Penguin Cafe Orchestra damals gegründet, weil er von den starren Strukturen der klassischen Musik und den Begrenzungen der Rockmusik desillusioniert war. Deshalb begann er ein Interesse an der relativen Freiheit folkloristischer Musik zu entwickeln. Ich kann mich an ein Interview mit dir erinnern, in dem du die starre Klassik der Freiheit des Jazz gegenübergestellt hast.

Christof Dienz: In der klassischen Musik geht es sehr stark um Details. Ich habe mal als Student an der Uni einen Klassenabend gespielt. Ein Ensemble-Stück. Wir haben wirklich gut gespielt, aber mein Lehrer hat sich danach beschwert, dass ich den Rhythmus mit dem Fuß nicht einmal geklopft hätte, aber ich hätte den Fuß bewegt. Das hat ihn total gestört. Okay, lass ich´s halt, aber so lange man das Gestampfe nicht hört, ist es doch völlig egal, oder? Aber grundsätzlich hat sich das seit den 1990ern, in denen ich studiert habe, stark geändert. Es ist viel durchlässiger geworden. Vielleicht waren wir da auch Vorreiter, weil uns diese harte Trennung zwischen E und U schlichtweg egal war. Und heute gibt es das auch nicht mehr. Wenn du dir heute das Programm des Konzerthauses anschaut, spielen dort neben Neuer Musik auch Jazzer und Popmusiker:innen. Die Bandbreite ist breiter, es gibt eigene Schienen für Popmusik. Es gibt auch genug Komponist:innen, die sich aus allen Richtungen inspirieren lassen. Jeder kennt auch viel mehr als früher, weil es viel leichter geworden ist, an Musik ranzukommen. Wenn du vom Penguin Café Orchestra spielst, kann ich mir das, wenn ich will, sofort anhören. Früher war es schwer, an diese Platten überhaupt ranzukommen und Hintergrundinformation zu erhalten. Da gab es Fanzines, von denen du erst mal wissen musstest. Heute lässt sich innerhalb weniger Sekunden alles abrufen. Dadurch ist es viel offener geworden. Es gibt auch viele zeitgenössische Komponist:innen, die sich mit Club-Musik auseinandersetzen, was früher ein komplettes No-Go war.

Du leitest seit einigen Jahren die Klangspuren in Schwaz. Ich kann mich erinnern, dass der Startschuss für dein Projekt “Zithered” ein Kompositionsauftrag der Klangspuren war, d.h. dein Projekt Zithered hat sich aus diesem Auftragswerk für die Klangspuren entwickelt. Dein Verhältnis mit dem Festival ist also ein lange zurückreichendes. War der Einstieg in die Programmatik ein logischer Schritt für dich?

Christof Dienz: Ich war schon vor dem Zitherstück dort und hatte Aufführungen,1997, glaub ich war ich das erste Mal dabei. Aber zwingend ist es natürlich nicht, dass man künstlerischer Leiter wird, nur weil man dort Stücke aufgeführt hat. Ich habe von 2012 weg ein Festival in Wattens gemacht, “fm Riese” hieß das, wo ich Popularmusik und Neue Musik präsentiert habe. Und dann gab es die Ausschreibung für Schwaz. Ich habe mich damals gemeinsam mit Clara Iannotta, einer italienischen, in Wien lebenden Komponistin als Doppelspitze beworben, und wir wurden auserkoren. Dann gab es Turbulenzen, nicht zwischen uns, aber zwischen anderen, sodass Clara Schwaz verlassen hat. Sie wollte nicht mehr. Ich bleib alleine übrig und habe ein neues Team zusammengestellt. Und seit 2022 mache ich das jetzt.

Und es macht dir Spaß?

Christof Dienz: Total. Das Tolle daran ist die Möglichkeit des Ermöglichens. Ich bin jetzt 55 Jahre alt und habe einiges erlebt. Ich bin jetzt in dem Alter, in dem ich etwas ermöglichen muss, in dem ich jungen Künstler:innen etwas bieten können will. Für viele junge Künstler:innen ist es ein wichtiger Karriereschritt, bei den Klangspuren ein Stück aufzuführen. Wenn man das ermöglichen kann, ist das eine runde Sache und auch gesellschaftlich wichtig.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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Christof Dienz war Fagottist an der Wiener Staatsoper und komponierte für sein Ensemble „Die Knoedel“, das Bruckner-Orchester Linz, Ernst Kovacic u.a. Später entdeckte er ein neues altes Instrument – die Zither und entlockte ihr mit neuen Spieltechniken ungeahnte Sounds. Nach 17 Jahren Pause reaktivierte er das Oktett Die Knoedel, die als Pioniere der Neuen Volksmusik gelten. Er ist künstlerischer Leiter bei den Klangspuren in Schwaz

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Die aktuelle Knoedel-CD “Wunderrad” ist bei col legno erschienen

Am Do, den 23.5., spielen die Knoedel ein Doppelkonzert mit deeLinde & Emiliano Sampaio im Theater am Spittelberg, 19.30 Uhr

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Links:

Christof Dienz / Knoedel
Knoedel (Facebook)