„Auto-Perforations-Artisten“: Politisch nicht direkt angreifbar
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„Auto-Perforations-Artisten“: Politisch nicht direkt angreifbar

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„Herz Horn Haut Schrein“, 1987.
„Herz Horn Haut Schrein“, 1987. Foto: Karin Wieckhorst/Courtesy Auto-Perforations-Artisten/KVOST © Karin Wieckhorst/Courtesy Auto-Perforations-Artisten/KVOST

Berlins Kunstverein Ost erinnert an die tollkühnen „Auto-Perforations-Artisten“.

Auch dieser Abend im Frühling 2024 wird, wie in den Jahren 1982 bis 1989, unvergesslich bleiben. Die in Dresden gegründete, subversive Künstlergruppe „Auto-Perforations-Artisten“ trifft im Kunstverein Ost (KVOST) in Berlin-Mitte wieder zusammen und macht den Galerieraum zur Bühne, führt in Bild und Ton die ganze Drastik ihres selbstverletzenden Kunstkommentars zur „Freiheit“ im vormundschaftlichen Staat, zu Überwachung und Gängelung vor. Was mir ebenso unvergesslich bleiben wird, ist das Staunen eines aus Niedersachsen zugezogenen Neuberliners im Publikum. „War denn so etwas wirklich möglich in der DDR? Und den Künstlern ist nach solch krassen Aktionen nichts passiert?“ Es war möglich. Das gab es. Ein Wagnis war es dennoch.

Alles, was wir in der von Stephan Koal kuratierten und vom Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur geförderten Ausstellung zu sehen bekommen, stand seit 1982 unter Beobachtung von „Guck, Horch, Greif“. So hieß die Staatssicherheit im Volksmund. Dass diese nicht viel heftiger durchgriff, war erstens dem Intellekt und der tollkühnen Raffinesse des Quartetts und ihres kunsttheoretischen Begleiters Christoph Tannert (heute der bald in Rente gehende Leiter des Künstlerhauses Bethanien) zu verdanken. Und zweitens wohl auch der Tatsache, dass sich diese Aktionen als exzentrischer Dada-Nonsens tarnten und behördlich anfechtbare Botschaften verweigerten. Mancher fühlte sich auch sicher, weil er sich auf die Ahnungslosigkeit der Stasi verließ.

Körnige Super-8-Filme laufen, ein rotstichiges Video flimmert. Die Wände des Kunstvereins Ost sind bis hoch zur Decke tapeziert mit den Schwarzweißfotos der damals kaum offiziell genehmigten, aber genau darum mit Schmackes hingelegten Auftritte der in Dresden, beim Studium an der Hochschule der Bildenden Künste formierten Gruppe: Else Gabriel, Jahrgang 1962, Micha Brendel, geboren 1959, Rainer Görß, Jahrgang 1960 und Via Lewandowsky, geboren 1963. Es schlägt wieder die Stunde der „Auto-Perforations-Artisten“, von denen drei – Lewandowsky, Brendel und Gabriel – noch vor dem Mauerfall nach West-Berlin ausreisten, weil das Maß für sie voll war. Weil es immer enger wurde, hoffnungsloser.

Micha Brendel erzählt: „Ich hatte in Dresden einen Spezial-IM in die Wohnung gesetzt bekommen. Dafür mussten drei alte Leutchen ins Altenheim, damit für den die Wohnung frei wird und er jeden zweiten Abend an meinem Abendbrottisch saß, gut zuhörte und dann das Blaue vom Himmel herunter (an die Stasi) berichtete.“ Else Gabriel heiratete im September 1989 den West-Berliner Schriftsteller Max Goldt, bloß um rauszukommen. Aber sie ging am 8. Oktober noch demonstrieren und wurde dabei zusammen mit Freunden kurzzeitig von der Stasi verhaftet.

Vor den Aktionen, spontan in Galerien in Dresden und Ost-Berlin aufgeführt, war nie klar, was passieren würde. Die Kulturkontrollettis und die Stasi konnten vorab keine Programmangabe lesen, ein „Drehbuch“ gab es nicht.

Freilich nahmen die staatlichen Wächter das Improvisierte sehr wohl als skandalös in der Form wahr und vermeldeten auch emsig, wie diese vier sich in wilden Kostümen an einem Pfahl festbanden, sich nackt mit Farbe beschmierten, mit Teig bewarfen, sich an Gerätschaften und mit Wasser malträtierten, sich Beulen stießen und für „Schaltkreismythologien“ unter Strom setzten.

„Panem et Circensis“, 1988.
„Panem et Circensis“, 1988. Foto: Ernst Goldberg/Courtesy Auto-Perforations-Artisten/KVOST © Ernst Goldberg/Courtesy Auto-Perforations-Artisten/KVOST

Es war politisch nicht direkt angreifbar, wenn Else Gabriel im Dirndl ein Huhn badete und mit dem Fön trocknete, Lewandowsky im Schwanensee-Ballett-Röckchen mit einem Skalpell ein Schweinhirn aus einem Kopfgebilde unter einer roten OP-Tischdecke herausoperierte und es dann an einem Drahtseil hoch zur Decke schweben ließ, um sich anschließend an einem riesigen Messing-Gong den Kopf zu stoßen. Oder wenn – wie jetzt wieder in einem nachgebauten, klaustrophobischen Raum im Kunstverein Ost – links und rechts der Wand riesige, waagerecht angebrachte rote Glühbirnen das Publikum versengten. „Rotlicht“: Jeder in der DDR wusste, was damit gemeint war – eine ideologische Bestrahlung.

Nun, 35 Jahre später, haben diese vier ihre erste „institutionelle“, von keinem Observationswässerchen getrübte Schau in Berlin. Sie machten seither alle ihren künstlerischen Weg: Else Gabriel ist Professorin der Kunsthochschule Weißensee, gründete 1991 mit ihrem Partner Ulf Wrede das Aktionsduo „(e) Twin Gabriel“, Lewandowsky und Brendel stellen international aus, und Görß, der Bildhauer, gründete in der Linienstraße das „Untergrundmuseum“.

In ihrer Schau sind auf Papierbahnen und in Vitrinen auch Texte, das Manifest und Konzepte der Gruppe zu lesen. Und Seiten mit Auszügen aus ihren Stasiakten, etwa von Rainer Görß, der sich an Flugblatt-Protestaktionen gegen die Inhaftierung und Ausbürgerung des NVA-Wehrdienstverweigerers Nico Hübner beteiligt hatte.

„Auto-Perforations-Artistik“, das führt uns diese Revival-Ausstellung vor Augen, war eine spezifische Form der Aktionskunst, die alle Kunstsparten verband und Freiraum forderte. Sie entwickelte sich als Abgrenzung zur vorherrschenden dogmatischen Staatskultur und der am Sozialistischen Realismus orientierten Kunstproduktion der DDR. Und im Zentrum stand dabei der eigene Körper, der bei den Aktionen bis zur Selbstverletzung verausgabt wurde.

Das ging freilich weit über den klassischen Dadaismus hinaus, jene Revolte, welche um 1920 die absolute Freiheit der Kunst und deren radikalen Irrationalismus proklamierte. Mehr noch ist bei den „Auto-Perforations-Artisten“ eine gewisse Wahlverwandtschaft zu den Wiener Aktionisten um 1970 zu erkennen: radikal, renitent gegen den konservativen Staat, der die NS-Verstrickung nicht aufarbeitete, und gegen die katholische Doppelmoral.

Das Quartett besaß neben seiner Renitenz eine Menge schwarzen Humor und komödiantisches Nonsens-Talent. Die bittere politische Note ihrer irritierenden und verstörenden Kunst nehmen gelernte DDR-Bürger und -Bürgerinnen wohl tiefer und mit sarkastischem Vergnügen oder Ingrimm wahr. In Erinnerung an dieses kleine Mauerland mit der großen Utopie, an der es sich so unwiderruflich verschluckt hatte.

KVOST, Berlin: bis 27. Juli. kvost.de

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