Entdeckung in NRW: Ist diese Höhle der Schlüssel zu einem riesigen Röhrensystem? - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Regionales
  3. Nordrhein-Westfalen
  4. Entdeckung in NRW: Ist diese Höhle der Schlüssel zu einem riesigen Röhrensystem?

Nordrhein-Westfalen Höhlenforschung

Entdeckung einer großen Unbekannten

Redakteur Nordrhein-Westfalen
Unterirdische Seen: Eines der ersten Fotos aus der neu entdeckten Höhle Hackerloch im Klutertberg bei Ennepetal Unterirdische Seen: Eines der ersten Fotos aus der neu entdeckten Höhle Hackerloch im Klutertberg bei Ennepetal
Unterirdische Seen: Eines der ersten Fotos aus der neu entdeckten Höhle Hackerloch im Klutertberg bei Ennepetal
Quelle: Arbeitskreis Kluterthöhle AKKH e.V.
Die Kluterthöhle am Rand des Ruhrgebiets ist eine viel besuchte Touristenattraktion. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft fanden Forscher nun eine weitere Höhle. Ist sie der Schlüssel zu einem gigantischen Röhrensystem?

Stefan Voigt führt den Reporter am Kiesbett einer Bahnlinie entlang. „Betreten verboten“ steht auf einem Schild. Direkt neben den Gleisen steigt ein bewaldeter Hang steil nach oben. Baumwurzeln krallen sich in ein Felsband hinein. Vor einem der Felsen bleibt Voigt stehen. Zwischen Stein und Erdreich wurde eine Metallklappe eingemauert. „Hier ist es“, sagt Voigt. Hinter dieser Klappe, kaum größer als ein Computerbildschirm, befindet sich eine Höhle, über deren Existenz die Experten seit Langem spekulieren. Vor gut zwei Wochen hat Voigt die Höhle gefunden. Er gab ihr den Namen „Hackerloch“.

Stefan Voigt ist Vorsitzender des Arbeitskreises Kluterthöhle (AKKH) mit Sitz in Ennepetal. Die Mitglieder dieses Vereins kümmern sich vor allem um die Kluterthöhle, eine begehbare Unter-Tage-Welt, eingetragen als Nationales Naturmonument, die größte Attraktion der 30.000-Einwohner-Stadt zwischen Ruhrgebiet und Bergischem Land. Darüber hinaus erkunden die ehrenamtlichen Höhlenforscher andere, weniger bekannte Höhlen in der Region. Und immer wieder gelingen ihnen aufsehenerregende Entdeckungen.

Zuletzt fanden sie 2019 einen Zugang zu einer bislang unbekannten Höhle im Bergischen Land. Schon die ersten Meldungen klangen spektakulär. Und inzwischen hat sich herausgestellt, dass diese Höhle, genannt Windloch, mit einer Ganglänge von fast 8500 Metern die längste Höhle in Nordrhein-Westfalen ist. Die Aragonit-Kristalle, die die Forscher darin entdeckten, gelten als die größten in Europa. Und die Gemeinde Engelskirchen, auf deren Gebiet das Windloch liegt, will nun ein Höhlenerlebniszentrum bauen.

Riesenkristalle im Höhlensystem Windloch in Engelskirchen, NRW. Diese sogenannten „Eisenblüten“ haben einen teilweise Durchmesser von mehr als 1,20 Meter
Riesenkristalle im Höhlensystem Windloch in Engelskirchen, NRW. Diese sogenannten „Eisenblüten“ haben einen teilweise Durchmesser von mehr als 1,20 Meter
Quelle: picture alliance/dpa/Arbeitskreis Kluterthöhle

Die Begeisterung über das Windloch im Bergischen Land ist noch nicht abgeklungen, die unterirdischen Gänge sind noch nicht vollständig vermessen – da kommen Voigt und seine Mitstreiter vom AKKH nun mit der nächsten Sensationsmeldung. Denn hinter der unscheinbaren Metallklappe am Bahngleis verbirgt sich der Eingang zu einem weit verzweigten Gangsystem. Deswegen auch der Name Hackerloch: So wie ein Computerhacker sich heimlich in ein System hackt, sagt Voigt, so habe er hier die Schlüsselstelle zu etwas Großem gefunden. Rund 500 Meter hätten sie quasi auf Anhieb begehen können, große Hallen und mehrere Seen befänden sich darin. Dabei hätten sie viele Abzweigungen noch nicht näher begutachten können. Auch einige unter Wasser liegende Röhren müssten in den nächsten Wochen noch bei Tauchgängen erkundet werden. Es werden also wohl noch etliche hundert Meter Länge hinzukommen.

Was den erfahrenen Höhlenkundler am meisten elektrisiert, ist die Lage dieser Höhle: Sie befindet sich im Ennepetaler Klutertberg, dort wo auch die lange bekannte Bismarck- sowie die Kluterthöhle liegen, quasi an der Heimatadresse des Höhlenforschervereins. Das Unbekannte lag in diesem Fall wirklich vor der Haustür.

Eine Begehung für den Reporter schließt Stefan Voigt energisch aus. Der erste Zugang sei zu eng, einige nach unten abfallende Gänge könnten nur kopfüber gemeistert werden, sagt er. Als Anschauungsmaterial muss ein Plan reichen, den Voigt ausbreitet. Auf dem mit Höhlenlehm verdreckten Millimeterpapier hat er die ersten Vermessungen eingezeichnet. Das Muster, das dabei entstanden ist, sieht aus wie die Laufwege, die Borkenkäfer unter der Rinde von Bäumen graben.

Mit einem siebten Sinn für unentdeckte Höhlen ausgestattet: Stefan Voigt vom Arbeitskreis Kluterthöhle im Hackerloch
Mit einem siebten Sinn für unentdeckte Höhlen ausgestattet: Stefan Voigt vom Arbeitskreis Kluterthöhle im Hackerloch
Quelle: Arbeitskreis Kluterthöhle AKKH e.V.

Voigt erkennt darin aber etwas anderes: An den Rändern der Zeichnung sind andere Höhlengänge zu sehen. „Rechts die Kluterthöhle, links die Bismarckhöhle“, erläutert Voigt. Auf dem Papier passt kaum seine Daumenbreite zwischen die Neuentdeckung und die bereits bekannten Höhlen. „Wir sind im Hackerloch schon jetzt bis auf wenige Meter an die Kluterthöhle herangekommen.“ Voigt hofft nun, eine Verbindung zwischen den Höhlen zu finden. Der Luftzug, Experimente mit durchfließendem Wasser: Alles spreche dafür, dass es diese Verbindung gibt, sagt Voigt – und dass man es hier im Klutertberg nicht mit drei verschiedenen Höhlen zu tun habe, sondern mit einem einzigen gigantischen Röhrensystem, das vor Millionen von Jahren entstand, als das durchsickernde Wasser die Kalkschichten im Fels auflöste.

Wenn sich die Theorie bewahrheitet und Voigt in den nächsten Wochen und Monaten mit seinen Mitstreitern vom AKKH tatsächlich Übergänge zu Klutert- und Bismarckhöhle finden sollte, dann wäre der Rekord der größten Höhle von NRW geknackt, das Gangsystem käme leicht auf eine Länge von zehn Kilometern – das Windloch in Engelskirchen stünde mit achteinhalb Kilometern nur noch auf Platz zwei. Der dortige Bürgermeister, der die Pläne für das Höhlenerlebniszentrum vorantreibt, habe ihn schon angerufen und gefragt, ob er sich Sorgen mache müsse, erzählt Voigt grinsend. Er scheint solche Frotzeleien zu lieben.

Stefan Voigt, 60 Jahre alt, Familienvater, Inhaber einer Firma für Garten- und Landschaftsbau, ein Mann, der entweder in lederner Motorradkluft oder im roten Schlufanzug der Höhlenkundler anzutreffen ist, führt den AKKH seit Jahrzehnten an. 1979 trat er in den Verein ein. Er war damals 17 Jahre alt und hatte ein paar abenteuerliche Unternehmungen in der Bismarckhöhle hinter sich. „Wir sind da durch acht Grad kaltes Wasser geschwommen und solche Sachen“, erzählt er. Sein Vater verbot ihm schließlich die gefährlichen Touren. Wenn schon Höhlen, dann wenigstens mit Leuten, die sich auskennen, so sagte er und meldete den Sohn im Verein an.

Anzeige

Dort etablierte sich Voigt schnell als der, der sich am besten auskannte. Er schulte sein „Näschen“, wie er es nennt, mit dem er erspürt, ob sich hinter einem faustgroßen Loch oder einem Luftzug im Fels mehr verbirgt. Die Heilenbecker Höhle, die er 1983 am Rand eines Steinbruchs auftat, war sein erster großer Triumph, sie zählt zu den längsten Höhlen Deutschlands. Vor rund zwanzig Jahren machten Voigt und der AKKH mit der Erkundung der Blätterhöhle bei Hagen Furore, sie fanden steinzeitliche Menschenknochen. Mittlerweile gilt sie als einer der wichtigsten archäologischen Fundplätze.

„Dieses Gefühl, Neuland zu betreten und da unten der erste Mensch zu sein“, das treibe ihn bis heute an, sagt Voigt. „Wo ist denn das sonst schon möglich?“ Die Erdoberfläche lasse sich von Satelliten aus erkunden, doch eine Höhle könne man bis heute nicht von außen orten. Voigt ist nicht der einzige, der fasziniert davon ist, in Zeiten der totalen digitalen Welterschließung einen archaischen Entdeckerdrang ausleben zu können. Die Zahl der Mitglieder im AKKH steige stetig an, sagt Voigt. Derzeit sind es 190, davon werden 50 als aktive Mitglieder geführt, die unter Tage dabei sein dürfen. Gefährlich sei dieses Hobby nicht, beteuert Voigt. In brenzlige Situationen geriet er allerdings schon öfter.

Kopfüber in einen Spalt: Bei der Erkundung des Hackerlochs geht es mitunter eng her
Kopfüber in einen Spalt: Bei der Erkundung des Hackerlochs geht es mitunter eng her
Quelle: Arbeitskreis Kluterthöhle AKKH e.V.

Die Erforschung von Höhlen ist hierzulande keine akademische Wissenschaft. Nur nebenbei interessieren sich Geologen dafür. Oder Wasserkundler. Oder Biologen auf der Suche nach Fledermäusen. Höhlen sind also das Terrain der Laien. Und die bewegen sich oft am Rande der Legalität, weil sie sich heimlich Zugang verschaffen. Der Arbeitskreis Kluterthöhle macht das anders. Er schließt Verträge mit Grundstückseigentümern, in denen alle Fragen der Sicherungspflicht und der Forschungserlaubnis geregelt sind. „Dieses Ennepetaler Modell war lange Zeit einzigartig, viele andere Höhlenvereine haben sich das zum Vorbild genommen“, erklärt Voigt.

Beim Gelände entlang der Ennepetaler Bahnstrecke waren solche Verträge nicht nötig, Voigt hat es vor einigen Jahren gekauft. Er habe immer daran geglaubt, dass ihm von dort der Zugang zu einer großen Verbindungshöhle im Klutertberg gelingen würde, sagt er: „Das ist ja so etwas wie ein Lebenstraum von mir.“ Jahrelang lief er die Böschung entlang. Immer wieder suchte er nach einem Riss oder Spalt im Gelände, der im Jahr zuvor noch nicht da war. Jetzt hat er ihn gefunden.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant