Bayreuth: „Time stands still“, Gluck Festspiele

Ein junger Mann tanzt dutrch den Raum. Er nähert sich dem Altarbereich und entert die Bühne. Von hinten und von oben klingt plötzlich eine Stimme in den Raum. John Dowland, ein Lautenlied, wie es nur die englische Renaissance zustande brachte: „Time stands still“. Die Stimme schwebt durch die Schlosskirche: „Die Zeit steht still mit dem Blick auf ihr Gesicht, / steht still und blickt für Minuten, Stunden und Jahre, um ihr Platz zu geben: / Alle anderen Dinge werden sich ändern, aber sie bleibt dieselbe, / bis der Himmel seinen Lauf verändert und die Zeit ihren Namen verloren hat. / Amor schwebt auf und ab, geblendet mit ihren schönen Augen, / und das Glück betrachtet und liegt, gefangen zu ihren Füßen, besiegt.“ Liebe und Schmerz, Trauer und Freude verschwistern sich, die musikalisierte Stille hält Einkehr in die Nacht.

© Beth Chalmers

So magisch also begann das Nachtkonzert der Gluck-Festspiele, und magisch endete es: mit einer von der Frau, der Geliebten gesungenen Zeile eines Lieds, Monteverdis „Si dolce e‘l tormento“,  das der Mann angestimmt hatte: „Wenn die Flamme der Liebe noch nicht jenes starre Herz gefühlt hat, das mein Herz entzückt hat, wenn das Mitleid den grausamen Gürtel verweigert, der meine Seele entzückt hat, dann kann es gut sein, dass ich eines Tages reumütig und schmachtend seufzen werde.“ Der Rest ist Schweigen, eine lange Pause – und begeisterter Applaus.

Kein Wunder nach diesem relativ kurzen wie konzisen Programm, das aus 14 genau ausgewählten Arien, Songs und Canzonen Dowlands, Luigi Rossis, Giulio Caccinis, Purcells und anderen auch rein instrumentalen „Kleinigkeiten“ besteht. Gezeigt wird: wie Mann und Frau zusammenkommen, geleitet von einem Tänzer, begleitet von einem Cembalo und einer Laute. Man trifft sich und man trennt sich, s‘ist halt im Leben so, wie es im Weißen Rössel heißt, am Ende aber stehen sie wieder zusammen, er sitzend, sie die rechte Hand zart auf seine linke Schulter gelegt – sie singend. Sie: das ist die wunderbare Hannah-Theres Weigl, die am Vorabend als Publio in Glucks Clemenza di Tito glänzte. Nun steht sie als Prima inter pares im Raum und lässt im akustisch vollkommenen Ambiente ihre volltönend-bewegliche Stimme frei. Er: das ist Aco Bišćevic, ein Mann aus Slowenien, der – ein Höhepunkt unter Höhepunkten – „Zute denje“ singt. Man versteht kein Wort, aber man begreift, dass es ein sehr, sehr trauriges Lied ist. Herzschmerz waltet, wo Lautenleider auf Purcells „Sweeter than roses“ und Rossis „Occhi belli“ – eine Perle früher opernhafter Liebesduolyrik – auf Caccinis „Amor ch‘attendi“ stößt. Frau und Mann bewegen sich langsam durch den Raum, der stumme Jüngling kniet auch mal zu ihren Füßen, bevor er sich diskret zurückzieht, eine Siciliana, Glucks „Gli sugardi trattieni“, hüpft durch die Seele, Stephan Rauth gibt seine sensitiven Lautentöne, Bastian Uhlig seine Cembalosoli und -Begleitungen hinzu. Erzählt wird eine so abstrakte wie reale Geschichte, die wir unmittelbar verstehen – was auch der Zauber der Musik macht. Er aber kann nur von den Musikern kommen. Weigl,  Bišćevic, Rath und Uhlig haben da ein sogenanntes kleines, aber so kompaktes wie erfüllendes Programm geschaffen. Der Weg in die Nacht war dann wesentlich leichter – und auf schöne Weise ein wenig traurig.

Frank Piontek, 16. Mai 2024


Time stands still
Gluck-Festspiele

Schlosskirche Bayreuth

10. Mai 2024