Philosoph Omri Boehm und Joseph Vogl: Die Rückkehr des Täuscher-Gottes
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Philosoph Omri Boehm und Joseph Vogl: Die Rückkehr des Täuscher-Gottes

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Omri Boehm, hier auf der Frankfurter Buchmesse 2022.
Omri Boehm, hier auf der Frankfurter Buchmesse 2022. © IMAGO/STAR-MEDIA

Omri Boehm und Joseph Vogl diskutieren über Schönheit und Vernunft im Frankfurter Opernturm.

Täuscht uns etwa ein böser Geist, wenn wir über die Welt nachdenken? Es könnte durchaus sein. Zumindest glaubt der Literaturwissenschaftler Joseph Vogl, dass ein genius malignus, den der Philosoph René Descartes in seinen „Meditationen über die erste Philosophie“ einführte, eine erschreckende Rückkehr feiert, „wenn man sich die heutigen Diskussionen ansieht“. Vogl verwies auf die gegenwärtige Inflation von Verschwörungstheorien. Man könne Zweifel haben, ob man es noch mit ein und derselben Realität zu tun habe. Vogl diskutierte am Dienstagabend gemeinsam mit dem Philosophen Omri Boehm im Rahmen des Literaturm-Festivals in den luftigen Höhen des Opernturms über das Verhältnis von Vernunft und Schönheit. Moderiert wurde die ausverkaufte Veranstaltung von dem Journalisten und Philosophen Peter Neumann („Die Zeit“).

Das Publikum erwartete ein kühner Ritt durch die Geschichte der Philosophie und der Literatur. So sprach man über die mangelnde physische Attraktivität der philosophischen Köpfe wie Sokrates und Diogenes, verweilte bei Friedrich Nietzsches Einlassungen über das Schöne und das Hässliche, bedachte den Wechsel vom Interesse an der Schönheit im Zuge der Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts, für die Namen wie Baumgarten, Kant oder auch Schiller stünden. Und erklärte die Neugier auf das Hässliche im 19. Jahrhundert mit der Tatsache, dass das Schöne längst zum Warenfetisch, siehe Karl Marx, geworden sei.

Während Boehm, diesjähriger Träger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung, mit dem universalistischen Vernunftbegriff Immanuel Kants zur Überwindung dissoziierender Identitätsdebatten beitragen will, betonte der Kultur- und Literaturwissenschaftler Joseph Vogl den Schwebe-Charakter der Dingwelt, wie er sich im Digitalkapitalismus der Gegenwart zeige. Die Frage des Schwebens stehe exemplarisch für mächtige Gestalten wie Hamlet oder Wallenstein, die angesichts der Vielzahl von Möglichkeiten nicht wissen, wie sie mit diesen verfahren sollen – und daher Handlungsverzicht üben. Sie werden zu Zauderern, so Vogl. Er verwies darauf, dass auch die Aufklärungsepoche vom Schwebe-Charakter der Dinge in Unruhe gehalten wurde, wie er sich in den naturwissenschaftlich geprägten Einsichten wie Magnetismus oder Elektrizität gezeigt habe. Die Frage sei, ob das so Schwebende überhaupt eine Dinghaftigkeit besitzen könne.

Das war der Startschuss für den Einsatz von Boehm. Er erklärte, dass Kant hier eine wichtige Beziehung in der „Kritik der reinen Vernunft“ freigelegt habe, nämlich die zwischen der Annahme eines Ich und der eines Objekts. Kants Clou sei ja gewesen, dass ein Objekt ohne ein Ich nicht denkbar sei, dass aber zugleich ein Ich immer nur im Wechselspiel mit einem Objekt anzusetzen sei. Wenn uns keine dinghafte Wirklichkeit gegenüberstehe, sich alles in der Schwebe befinde, sei die Frage, wie sich ein Subjekt überhaupt konstituiere. Es sei eine kafkaeske Realität, in der das Ich verschwinde.

Die Frage kam auf, was die Welt im Innersten zusammenhält. Den genius malignus, den bösen Täuschergott, hatte Omri Boehm ins Spiel gebracht. Denn die Frage sei ja, was uns da als Realität begegne, was wir etwa als schöne Natur begreifen. Der Täuschergott sei jedoch so listig, dass er uns sogar bei einfachsten Rechenoperationen hinters Licht führe, hatte Descartes, den Vogl als „Robinson Crusoe des Denkens“ bezeichnete, in der 2. Meditation seiner radikalen Zweifelsbetrachtungen behauptet. Wir könnten sogar bei leichten Additionsaufgaben wie 7 plus 5 gleich 12 getäuscht werden, sodass schlichtweg nichts mehr gewiss sei. Descartes befreite den menschlichen Geist aus der misslichen Lage durch den Nachweis, dass das Ich in seiner Existenz jeder Handlung des Zweifels vorauszusetzen sei und dass der ein Gott als Schöpfer des Alls stets ein guter Gott sein müsse.

Laokoon als Beispiel

Es sei eben eine Gefahr, so Boehm, wenn wir uns einfach einer blinden Natur gegenüber sähen, in der keine Regelhaftigkeit festzustellen sei. Genauso problematisch sei die Annahme, dass wir uns allein in einer Wirklichkeit befänden, in der das Kausalitätsprinzip absolute Hoheit über die Dinge habe. Erst die Konzeption von Boehms wichtigstem Denker, Immanuel Kant, helfe da mit seiner Zwei-Welten-Lehre aus der Klemme. Die menschliche Vernunft, daran erinnerte Boehm, gerate immer wieder in eine Illusion hinein, es sei ein „Defekt“ der Vernunft, so Boehm, der erst durch das Programm einer Kritik der reinen Vernunft erkennbar sei. Denn wir können Dinge wie Gott, Freiheit und Unsterblichkeit anders als die Vernunft es uns vorgaukelt, nicht erkennen.

Auf all dem baute sich die Frage auf, was Schönheit sei und wie die Philosophen sie interpretiert hätten. Vogl erinnerte an Ephraim Lessings Reflexion über Laokoon, der von Ungeheuern getötet wurde und dem Tod und der Qual mit geschlossenem Mund entgegensieht. Ein weit aufgerissener Mund hätte die Schönheit der Statue zerstört, ein solcher Riss hätte die Ästhetik beschädigt, befand Lessing. Vogl schloss, dass Schönheit etwas mit Naturbeherrschung zu tun habe.

Kant, daran erinnerten Boehm und Vogl, hatte die Schönheit als ein harmonisches Zusammenspiel der Vermögen des Menschen bezeichnet. Sie ist eben bei ihm nicht nur ein sinnlich zugängliches Objekt, sondern auch ein verstandesmäßig begleitetes, was sich in den Geschmacksurteilen äußert. Die Frage kam auf, wie Kant das Schöne vom Erhabenen trenne, wobei das Gefühl der Erhabenheit sich etwa in der Vorstellung von der Unendlichkeit des Weltalls oder einem furchtbar tosendem Gewitter einstellen könne. Hat diese Vorstellung, die den Menschen auf die nackte Existenz seines Daseins erinnert, etwa eine Funktion für das moralische Verhalten?

Man war sich da nicht ganz einig, in anderen Fragen auch nicht, am Ende aber im Großen und Ganzen doch. Die Synthese zwischen Boehm und Vogl war geglückt, das Publikum ging beglückt nach Hause, staunend, was das Schöne doch für wunderbare Wortgefechte entfesseln kann.

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