Große Oper mit Lina Beckmann: „Laios“ triumphiert beim Berliner Theatertreffen

Große Oper mit Lina Beckmann: „Laios“ triumphiert beim Berliner Theatertreffen

Roland Schimmelpfennigs aktualisierter „Laios“ mit der grandiosen Lina Beckmann aus Hamburg lässt Berlin beim Theatertreffen aus den Sitzen springen. Die Kritik.

Lina Beckmann in einer ihrer geschätzt hundert Rollen in „Laios“ beim Theatertreffen.
Lina Beckmann in einer ihrer geschätzt hundert Rollen in „Laios“ beim Theatertreffen.Monika Rittershaus

Laios, kennt den jemand? Nach diesem Abend mit der unvergleichlichen Lina Beckmann, eingeladen aus Hamburg zum Berliner Theatertreffen, wird man den unglücklichen König von Theben nicht mehr vergessen. Eingegangen in die Mythologie ist er vor allem als Fluch beladener Vater von Ödipus, der ihm unausweichlich irgendwann den Garaus macht. Oder war Ödipus der Verfluchte? Flüche jedenfalls spielten seit je die zentrale Rolle im Herrschergeschlecht der Labdakiden. Seit Urgroßvater Kadmos einen Drachen erschlug, dessen Zähne aussäte und so die ersten Bewohner des neu zu gründenden Theben zeugte.

Doch die Frage nach dem Neuen oder doch Vergangenheitsverbundenen der Stadt, nach der Kraft freier Selbstbestimmung oder dem Einfluss alter Götter, mündet bald wieder in blutige Familienkämpfe und politische Schandtaten. Roland Schimmelpfennig hat diese mythische Gründungsgeschichte für Regisseurin und Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier in fünf Dramen gepackt, dass ihre archaischen Zweige problemlos ins Heute ragen.

Nach „Dionysos“ ist nun „Laios“ der zweite Teil der „Anthropolis“-Pentalogie, in dem Theben versucht, die Neuzeit zu erringen. Dass ausgerechnet der junge Laios dafür zurück in die Stadt geholt wird, der schon als Kleinkind ausgesetzt unter zähnefletschenden Wildtieren aufwuchs und außerdem aktuell in einer verdächtigen Liebelei mit dem jungen Chrysippos lebt, ist dabei die Ironie der Geschichte. Denn von Zivilisation oder Machtteilung weiß der Gute wenig. Und dann hustet die alte Dönerbuden-Hexe Pythia ihm und seiner neuen Frau Iokaste auch noch zu, dass das mit ihrer Familie schlecht endet. Überhaupt schwebt über allem eine seltsame Vogel-Katzen-Sphinx, die in jeden vernünftigen Gedanken dissonante Zweifel hineinsingt.

Lina Beckmann jagt durch hundert Gedanken- und Gemütszustände

Und da sind wir bei Lina Beckmann, die gegen Ende des rasenden Solos in einem glitzernden Pailletten-Umhang und mit Schlammgesicht als eben diese Sphinx auf einem Kreidestein steht und fragt: „Weißt du überhaupt, wie das ist, wenn man Katze und Vogel zugleich ist?“ Nein, wissen wir nicht, aber wir haben vor Augen, wie grandios sie alles fast zugleich sein kann: Mensch und Raubtier, skeptischer Bürgerchor, Stier reißendes Kind, bulliger Macho und lässiger Jungstar, lüsterne Iokaste, abgefeimte Alte, mahnender Prediger, zwinkernder Entertainer und grob geschätzt hundert Figuren mehr.

Es gibt kaum eine Schauspielerin derzeit, die so vielgesichtig, ganzkörperlich elastisch und souverän durch die Gedanken- und Gemütszustände schlüpft wie Lina Beckmann und in Sekundenschnelle einen liebenden Blick ins Satanische abblitzen lässt – und in derselben Sekunde wieder zurück. Große Oper im Haus der Festspiele, stehender Schlussjubel inklusive.

Theatertreffen noch bis zum 20. Mai, Karten und Informationen unter www.berlinerfestspiele.de

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