"Verhinderungsblockade" als Demonstration

Mit der Qualifikation als „Verhinderungsblockade“ kann der Versammlungscharakter einer Personenzusammenkunft, bei der es jedenfalls auch zu in den Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung einzuordnenden Bekundungen kommt, allenfalls dann verneint werden, wenn das kommunikative Anliegen und der Einsatz entsprechender Kommunikationsmittel in handgreiflicher Weise einen bloßen Vorwand darstellen. 

"Verhinderungsblockade" als Demonstration

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat das Eingreifen der versammlungsgesetzlichen Sperrwirkung in Gestalt des Auflösungsvorbehalts aus § 15 Abs. 3 VersG gegenüber einer Anwendung des Landespolizeirechts verneint, indem er an dem Begriff der Versammlung angesetzt und aus diesem seiner Einschätzung nach mit der Bezeichnung als Verhinderungsblockade zu erfassende Aktionsformen ausgenommen hat1. Dieses Normverständnis steht mit dem bundesrechtlichen Begriff der Versammlung nicht im Einklang.

8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Nach § 1 Abs. 1 VersG hat jedermann das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.

Das Bundesverfassungsgericht definiert die Versammlung im Sinne des Art. 8 GG als örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung2. In Übereinstimmung mit dieser Definition bestimmt das Bundesverwaltungsgericht in gefestigter Rechtsprechung den Versammlungsbegriff nicht nur des Art. 8 GG, sondern auch des § 1 Abs. 1 VersG3. Diese Gleichsetzung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden4.

Eine Bewertung des Inhalts des mit einer Veranstaltung verfolgten kommunikativen Anliegens bzw. der Eignung oder Sinnhaftigkeit einer Veranstaltung sowie der in ihrem Rahmen geplanten Aktionen und Ausdrucksformen im Hinblick auf den jeweils bezweckten Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung steht den grundrechtsgebundenen staatlichen Stellen nicht zu5. Unberührt hiervon bleibt allein die den zuständigen Behörden und den Gerichten obliegende rechtliche Beurteilung, ob eine Veranstaltung den Versammlungsbegriff erfüllt6.

Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf eine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob eine derart gemischte Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist. Kann ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festgestellt werden, bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln ist7.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die nach seiner Einschätzung dem Versammlungsbegriff nicht unterfallende Verhinderungsblockade als eine strategische Veranstaltung definiert, mit der nicht nur wie bei einer von dem Versammlungsbegriff umfassten demonstrativen Blockade kurzfristig ein symbolischer Protest im Sinne einer Meinungskundgabe ausgedrückt werden solle, bei dem die Behinderung Dritter bloße Nebenfolge sei. Vielmehr bestehe deren primärer Zweck darin, eigene Forderungen zwangsweise durchzusetzen, die Rechte Dritter gezielt zu beeinträchtigen oder das, was – wie etwa eine andere Versammlung – politisch missbilligt werde, tatsächlich zu stören oder zu verhindern. Für die Prüfung, ob eine Blockade einen nur symbolischen Charakter habe und der kommunikative Zweck im Vordergrund stehe oder aber Meinungen lediglich bei Gelegenheit der Blockade kundgetan würden, sei auf das anhand der objektiven Umstände zu ermittelnde Gesamtgepräge abzustellen, wobei insbesondere Art, Umfang, Dauer und Intensität der Blockade sowie der sachliche Zusammenhang mit ihrem inhaltlichen Gegenstand und die Eignung, das erklärte Ziel tatsächlich vor Ort mit physischen Mitteln zu erreichen, in den Blick zu nehmen seien. Diese Merkmale hat der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall als gegeben erachtet.

Mit dieser einschränkenden Interpretation hat der Verwaltungsgerichtshof den bundesrechtlichen Versammlungsbegriff verkannt. Sie gibt einer wertenden Betrachtung der von den Veranstaltungsteilnehmern verfolgten Zwecke in einem Maße Raum, das bereits mit den dem Versammlungsbegriff inhärenten Geboten, eine Bewertung von Meinungskundgaben zu unterlassen und im Zweifel einen Versammlungscharakter anzunehmen, kaum zu vereinbaren ist. Jedenfalls kann sich der Verwaltungsgerichtshof zur Rechtfertigung seines restriktiven Interpretationsansatzes nicht auf zwei Stränge in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berufen, in denen dieses – äußerst eng umgrenzt – bestimmte Formen des Zusammenwirkens in einer Personengruppe von dem Versammlungsbegriff des Art. 8 GG ausgenommen hat. Über die danach bestehenden Maßgaben geht das Normverständnis des Verwaltungsgerichtshofs weit hinaus. Im Ergebnis handelte es sich bei der Personengruppe, die sich in dem Kreisverkehr eingefunden und sich sodann auf die Flughafenstraße begeben hatte, in Anbetracht der aus ihrer Mitte heraus zum Ausdruck gebrachten Ablehnung der der AfD zugeschriebenen politischen Positionen um eine Versammlung.

Der erste Rechtsprechungsstrang zur abgrenzenden Konturierung des Versammlungsbegriffs wird durch zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1991 und 2007 gebildet. Im Jahr 1991 hat das Gericht für die Konstellation der opponierenden Teilnahme8 an einer Versammlung in geschlossenen Räumen festgestellt, der Schutz des Art. 8 GG ende dort, wo es nicht um die – wenn auch kritische – Teilnahme an der Versammlung, sondern um deren Verhinderung gehe. Die Beteiligung an einer Versammlung setze zwar keine Unterstützung des Versammlungsziels voraus, sondern erlaube auch Widerspruch und Protest. Wohl aber verlange sie die Bereitschaft, die Versammlung in ihrem Bestand hinzunehmen und abweichende Ziele allein mit kommunikativen Mitteln zu verfolgen. Wer dagegen eine Versammlung in der Absicht aufsuche, sie durch seine Einwirkung zu verhindern, könne sich nicht auf das Grundrecht aus Art. 8 GG berufen. Das gelte auch, wenn er dabei seinerseits im Verein mit anderen auftrete9.

Im Jahr 2007 hat es das Bundesverfassungsgericht dahinstehen lassen, ob und unter welchen Umständen Personenzusammenkünften unter freiem Himmel der Schutz des Art. 8 GG zu versagen sei, wenn diese ausschließlich die Verhinderung einer anderen Versammlung bezweckten. Jedenfalls werde der durch die Versammlungsfreiheit vermittelte Schutz nicht dadurch beseitigt, dass von einer Zusammenkunft Störungen für eine andere Versammlung ausgingen, die im Rahmen der die Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 2 GG beschränkenden Gesetze abgewehrt werden könnten10.

Der zweite hier relevante Rechtsprechungsstrang umfasst zwei Judikate aus dem Kreis der Entscheidungen, in denen sich das Bundesverfassungsgericht zu den Voraussetzungen einer Strafbarkeit von (Sitz-)Blockaden als Nötigung nach § 240 StGB verhalten hat. Im Jahr 2001 hat das Gericht bekräftigt, dass der Einsatz einer Blockade nach Art. 8 GG geschützt sei, wenn es sich um ein Mittel handele, um ein kommunikatives Anliegen bzw. die Erzielung von öffentlicher Aufmerksamkeit für einen politischen Standpunkt auf spektakuläre Weise zu verfolgen und dadurch am Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilzuhaben11. Im Rahmen der Prüfung der Verwerflichkeit nach § 240 Abs. 2 StGB seien Art und Maß der Auswirkungen der Blockade auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente seien – unter anderem – die Dauer und Intensität der Blockade sowie der Bezug des Ortes der Versammlung, ihrer konkreten Ausgestaltung und der von ihr betroffenen Personen zu dem Versammlungsthema12. Das Bundesverfassungsgericht hat hiernach einer Blockade des Grenzübergangs zur Schweiz an der Bundesautobahn 5, die eine Gruppe von Roma und Sinti mit ihren Fahrzeugen ins Werk gesetzt hatte, um ihre Einreise in die Schweiz zu erzwingen, bereits die Anerkennung als Versammlung im Sinne des Art. 8 GG versagt, die es zwei in demselben Verfahren behandelten Blockadeaktionen an der Zufahrt zu der vormals geplanten Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf hat zuteilwerden lassen. Die Blockade des Grenzübergangs habe – anders als die beiden anderen behandelten Aktionen – nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, der Kundgebung einer Meinung oder der Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein kommunikatives Anliegen gedient. Vielmehr habe die Erzwingung des eigenen Vorhabens im Vordergrund der Blockadeaktion gestanden. Art. 8 GG schütze die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen13.

Im Jahr 2011 hat das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungen für die Annahme einer nicht als Versammlung durch Art. 8 GG geschützten Blockade zur selbsthilfeähnlichen Durchsetzung eigener Forderungen präzisiert. Es müsse sich dabei um eine konkrete, vor Ort durchsetzbare Forderung handeln14.

Die Kriterien, nach denen in Übereinstimmung mit diesen Strängen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Agieren in einer Personengruppe von dem Versammlungsbegriff des Art. 8 GG ausgenommen werden kann, hat der Verwaltungsgerichtshof in mehrfacher Weise überdehnt.

Zunächst und vor allem kann der Versammlungscharakter einer Blockadeaktion, die nicht offensichtlich nur dem Nahziel dient, eine konkrete, vor Ort erfüllbare Forderung durchzusetzen, sondern in deren Verlauf es auch zu in den Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung einzuordnenden Bekundungen zu weiteren Zielen kommt, nur dann verneint werden, wenn das kommunikative Anliegen und der Einsatz entsprechender Kommunikationsmittel in handgreiflicher Weise einen bloßen Vorwand darstellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass es aus der schließlich eingekesselten Personengruppe heraus öffentliche Meinungsbekundungen in Gestalt von Parolen auf Transparenten (z. B.: „Den nationalistischen Konsens brechen“) und in Sprechchören (z. B.: „AfD-Faschistenpack, wir haben Euch zum Kotzen satt“) gab, mit denen die seitens der Veranstaltungsteilnehmer der AfD zugeschriebene Politik angegriffen wurde. Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass diese politischen Meinungsbekundungen einen bloßen Vorwand zur Kaschierung einer von einer entsprechenden politischen Positionierung gelösten Absicht zur Verhinderung des stattfindenden AfD-Bundesparteitags darstellten, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht benannt. Für die von ihm stattdessen aufgestellte – und nicht als erfüllt erachtete – Forderung, die Meinungskundgaben müssten im Vordergrund gestanden haben und es dürfe zu ihnen nicht nur bei Gelegenheit des übrigen Geschehens gekommen sein, gibt es nach dem von dem Bundesverfassungsgericht im Jahr 2001 erstmals benannten und im Jahr 2011 präzisierten Maßstab keine Grundlage.

Ferner haben die Kriterien der Art, des Umfangs, der Dauer und der Intensität einer Blockade sowie ihres Zusammenhangs mit dem inhaltlichen Gegenstand der Aktion, auf die der Verwaltungsgerichtshof für die Verneinung des Versammlungscharakters der in Rede stehenden Personengruppe desweiteren abgestellt hat, mit dem bundesrechtlichen Begriff der Versammlung als solchem nichts zu tun. Das Bundesverfassungsgericht hat auf diese Kriterien vielmehr für die Beurteilung der Strafbarkeit von Teilnehmern an als Versammlungen zu beurteilenden Blockaden nach § 240 StGB – konkret für die Prüfung der Verwerflichkeit der jeweiligen Blockadeaktion nach § 240 Abs. 2 StGB – verwiesen.

Schließlich kann nach den von dem Bundesverfassungsgericht gebildeten Maßstäben allenfalls eine solche Veranstaltung von dem Versammlungsbegriff ausgenommen werden, die auf die vollständige Verhinderung einer anderen Versammlung abzielt; eine bloße Störung genügt hierfür in keinem Fall. Der Verwaltungsgerichtshof hat demgegenüber bereits in seiner Definition einer Verhinderungsblockade die bloße Störung einer anderen Versammlung deren vollständiger Verhinderung gleichgestellt. Er hat sich sodann, ausgehend von diesem dem revisiblen Recht widersprechenden Ansatz, nicht festgelegt, ob der Zweck der insbesondere in dem Kreisverkehr von Mitgliedern der Personengruppe unternommenen Aktionen in einer Verhinderung des AfD-Bundesparteitags oder nur darin bestand habe, diesen zu stören oder in seiner Durchführung zu erschweren.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. März 2024 – 6 C 1.22

  1. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.11.2021 – 1 S 803/19[]
  2. BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 <250> Beschluss vom 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u. a. -? BVerfGE 104, 92 <104> Kammerbeschlüsse vom 12.07.2001 – 1 BvQ 28/01 u. a. – NJW 2001, 2459 <2460> vom 26.10.2004 – 1 BvR 1726/01 -? NVwZ 2005, 80; vom 30.04.2007 – 1 BvR 1090/06, NVwZ 2007, 1180; und vom 07.03.2011 – 1 BvR 388/05 – NJW 2011, 3020 Rn. 32[]
  3. BVerwG, Urteile vom 16.05.2007 – 6 C 23.06 – ?BVerwGE 129, 42 Rn. 15; vom 22.08.2007 – 6 C 22.06, Buchholz 402.44 VersG Nr. 14 Rn. 14; vom 25.10.2017 – 6 C 46.16, BVerwGE 160, 169 Rn. 25; und vom 24.05.2022 – 6 C 9.20, BVerwGE 175, 346 Rn.19[]
  4. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12.07.2001 – 1 BvQ 28/01 u. a. – NJW 2001, 2459 <2460>[]
  5. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u. a., BVerfGE 104, 92 <109 ff.>, Kammerbeschluss vom 21.09.2020 – 1 BvR 2152/20, NVwZ 2020, 1505 Rn. 17[]
  6. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12.07.2001 – 1 BvQ 28/01 u. a. – NJW 2001, 2459 <2461> BVerwG, Urteil vom 24.05.2022 – 6 C 9.20, BVerwGE 175, 346 Rn. 23[]
  7. BVerfG, Beschluss vom 27.10.2016 ?- 1 BvR 458/10, BVerfGE 143, 161 Rn. 112 f., Kammerbeschluss vom 12.07.2001 – 1 BvQ 28/01 u. a. – NJW 2001, 2459 <2461> BVerwG, Urteile vom 16.05.2007 – 6 C 23.06, BVerwGE 129, 42 Rn. 16 ff.; vom 22.08.2007 ?- 6 C 22.06, Buchholz 402.44 VersG Nr. 14 Rn. 14, 22; und vom 24.05.2022 ?- 6 C 9.20, BVerwGE 175, 346 Rn. 21[]
  8. zu diesem Begriff: Rusteberg, NJW 2011, 2999 <3002>[]
  9. BVerfG, Beschluss vom 11.06.1991 – 1 BvR 772/90, BVerfGE 84, 203 <209 ff.>[]
  10. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30.04.2007 – 1 BvR 1090/06, NVwZ 2007, 1180[]
  11. in diesem Sinne bereits zuvor: BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 u. a., BVerfGE 73, 206 <248 ff.>, Beschluss vom 01.12.1992 ?- 1 BvR 88/91 u. a., BVerfGE 87, 399 <406>[]
  12. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u. a. -? BVerfGE 104, 92 <110 ff.>[]
  13. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 a. a. O. S. 105[]
  14. BVerfG, Kammerbeschluss vom 07.03.2011 – 1 BvR 388/05 – NJW 2011, 3020 Rn. 35[]

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