Geste sorgte 1999 für innerkirchliche Diskussionen

Theologe: Johannes Paul II. wollte mit Koran-Kuss Respekt zeigen

Veröffentlicht am 14.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Bonn ‐ Als Geste des Respekts küsste Johannes Paul II. den Koran. Das Bild ging um die Welt. Im katholisch.de-Interview spricht der Islamwissenschaftler Felix Körner über das Zeichen des polnischen Kirchenoberhaupts und blickt auf die folgenden Pontifikate.

  • Teilen:

Das Bild vom 14. Mai 1999, auf dem Papst Johannes Paul II. den Koran küsst, ging um die Welt und löste innerkirchliche Diskussionen aus. Damals empfing der polnische Papst im Vatikan eine muslimische Delegation aus Schiiten und Sunniten sowie den Vorsitzenden des iranischen Religionsministeriums. Unter ihnen war auch das damalige Oberhaupt der chaldäischen Kirche, Raphael I. Bidawid. Das polnische Kirchenoberhaupt erhielt von den muslimischen Besuchern ein Exemplar des Korans als Geschenk. Als Zeichen des Respekts küsste Johannes Paul II. das für Muslime heilige Buch. Der Islamexperte und Jesuit Felix Körner spricht im Interview mit katholisch.de über die Geste vor 25 Jahren und wirft einen Blick auf die Pontifikate von Benedikt XVI. und Franziskus. 

Frage: Herr Körner, nun ist der Koran-Kuss Johannes Pauls II. schon 25 Jahre her. Wieso war dieses Ereignis so kontrovers? 

Körner: Dahinter stand die große theologische Frage: Was ist der Koran für uns? Denn in Christus liegen alle Schätze der Erkenntnis verborgen. So steht es im Kolosserbrief. Aber für den Koran ist Jesus nur einer unter vielen Propheten. Wenn nun der Papst den Koran küsst, heißt das, dass die katholische Kirche Jesus nicht mehr als den alles entscheidenden Erlöser sieht? Natürlich nicht! Der Streit um den Kuss entsteht nur, wenn man Johannes Paul II. missverstehen will. 

Frage: Was war die Bedeutung dieser Geste? Hat sie noch immer eine Wirkung auf den Dialog zwischen Christen und Muslimen? 

Körner: Was wollte der Papst 1999 damit sagen? Erstens: dass er sich über das Geschenk freut; und zweitens: dass er den Glauben der anderen respektiert. Eine Geste also, die ganz auf der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils lag. Und es ging noch weiter: Benedikt XVI. betete in der Blauen Moschee von Istanbul. Kein Pressesprecher hat hinterher gesagt, es sei eine stille Meditation gewesen. Benedikt betete in der Moschee und Franziskus hat den muslimischen Gästen gesagt: Betet für mich. In einer solchen Atmosphäre kann man heute auch klar sagen, wo wir unterschiedlicher Meinung sind, was wir voneinander erwarten – und wie wir zusammenarbeiten können. 

Frage: Gab es denn ähnliche Aktionen, sei es von Johannes Paul II. oder seinen Vorgängern? 

Körner: Ja, es gab sie durchaus. Schon Johannes XXIII. hat als Apostolischer Gesandter in der Türkei die Muslime spüren lassen, dass er sie mag. Dann Paul VI. – er hat überhaupt das Wort Dialog in das Vokabular der Kirche eingeführt, auch für die islamisch-christlichen Beziehungen. Johannes Paul II. hatte später echte Islamexperten in den Dialograt geholt. Netzwerke wurden geknüpft, Texte geschrieben – schon das Dokument von 1984 "Dialog und Mission" war hervorragend. Und Johannes Paul II. selbst hat dann in seiner Enzyklika "Redemptoris missio" geschrieben, dass der Heilige Geist auch Kulturen und Religionen berührt. Damit hat er Türen geöffnet. 

Bild: ©KNA/Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani

Der Jesuit Felix Körner ist Professor für Theologie am Nikolaus-Cusanus Lehrstuhl für Theologie der Religionen am Zentralinstitut für Katholische Theologie (IKT) der Humboldt-Universität zu Berlin.

Frage: Wie sah es mit Gegenwind diesbezüglich aus? 

Körner: Manchmal schien der Gegenwind die Türen des Dialogs wieder zuzuschlagen. Aber jetzt gibt es die Texte, die Beziehungen und vor allem die Institutionen – und immer neue mutige Zeichen. Im Heiligen Jahr 2000 sahen wir den Papst in der Umayyaden-Moschee von Damaskus beten. Damals meinte sein Pressesprecher noch, es hinterher dementieren zu müssen, es sei nur ein Moment der stillen Meditation gewesen. 

Frage: Fundamentalistische Christen haben Johannes Paul II. für seine Geste kritisiert. Einige sagten damals, er würde damit den islamischen Glauben bestätigen. Was kann man ihnen entgegnen? 

Körner: Fundamentalisten gibt es auf allen Seiten, denn sie wollen sich eine feste Identität aufbauen. Der christliche Glaube ist dabei viel aufregender. Da kann man immer wieder Neues entdecken! Wer mit dem Evangelium in die Welt schaut, sieht, wie das Reich Gottes schon wächst, wie der Geist Christi schon wirkt. Wenn ich sage, ich sehe das Gute in dir, deine Treue, deine Ernsthaftigkeit, dann sage ich nicht, dass ich deine Sicht übernehme. Manchmal sind wir uns einig, dass wir nicht einer Meinung sind. Aber es gibt Dinge, die wir im anderen vorbildlich finden, und am Ende lernen wir voneinander. 

Frage: Benedikt XVI. wurde für seine Regensburger Rede kritisiert, Franziskus für das Abu-Dhabi-Dokument zur Brüderlichkeit unter den Menschen, das er 2019 gemeinsam mit Groß-Imam Ahmad al-Tayeb von der Azar-Universität und damit einem der angesehensten Vertreter des sunnitischen Islam unterzeichnete. Wie ist die aktuelle Stimmung auf beiden Seiten? 

Körner: Mich interessieren die Argumente der Kritiker. Wer sich Sorgen macht, hat oft Recht, denn es gibt Grund zur Sorge. Aber die entscheidende Frage ist nicht, wie schlimm es ist, sondern was wir jetzt tun. Wir haben nach Regensburg eine neue, ernsthafte Reihe christlich-islamischer Begegnungen begonnen. Das ist theologisch seriös geworden. Inzwischen gibt es sogar islamische Theologie an deutschen Universitäten. Ich habe fast täglich respektvolle und neugierige Begegnungen mit Studierenden, mit Kolleginnen und Kollegen. Da kann man auch seinen eigenen Glauben bezeugen.

gemeinsame Erklärung von Papst Franziskus und Großimam Ahmad Mohammad Al-Tayyeb
Bild: ©picture alliance/AP Photo/Andrew Medichini

Papst Franziskus und Großimam Ahmad Mohammad Al-Tayyeb unterzeichnen am 4. Februar 2019 eine gemeinsame Erklärung zum Thema "Menschliche Brüderlichkeit".

Frage: Das sogenannte Abu-Dhabi-Dokument sorgte für einen neuen Impuls im Dialog der Kirche mit dem Islam. Wie kam es dazu? 

Körner: Das Dokument stützt sich auch auf das Zweite Vatikanische Konzil. Dort hieß es: Wir verurteilen jede Benachteiligung aufgrund von Hautfarbe oder Religion. 2019 hieß es nun: Unterschiede sind gottgewollt. Bei Religionsverschiedenheit heißt das: Wenn der andere anders glaubt, dann kann die Begegnung auch für mich zur Reinigung und Bereicherung werden – und das ist gottgewollt. 

Frage: Dabei wurde Franziskus für den gottgewollten Pluralismus scharf kritisiert. Warum? 

Körner: Na ja, fast alles, was ein Papst macht, bekommt einen Shitstorm, auch einen katholischen. Auch hier hilft gute Theologie. Die Frage hinter solchen Stimmen ist meistens, ob das Evangelium so noch wirklich zur Geltung kommt. Und das können wir dann damit verdeutlichen. Auf jeden Fall sind diese Gesten ein Zeugnis für das Evangelium.

„Wir haben nach Regensburg eine neue, ernsthafte Reihe christlich-islamischer Begegnungen begonnen. Das ist theologisch seriös geworden.“

—  Zitat: Jesuit und Islamkenner Felix Körner zum interreligiösen Dialog

Frage: Inwiefern dienen diese Gesten der Verdeutlichung? 

Körner: Papst Franziskus hat in dem programmatischen Schreiben "Evangelii gaudium" am Anfang seines Pontifikats treffend gesagt: Evangelisieren bedeutet, das Reich Gottes in der Welt gegenwärtig machen. Wenn Menschen Gott und einander näherkommen, dann geschieht das, was die Frohe Botschaft Jesu zusagt: Dann wächst Gottes Reich unter uns. Zeichen dafür kann auch ein mutiges Wort der Geschwisterlichkeit sein, oder eben ein respektvoller Kuss auf ein Buch, das Muslimen heilig ist und das sie einem Papst überreichen. 

Frage: Was müsste Ihrer Ansicht nach Franziskus noch tun, um den Dialog voranzubringen? 

Körner: Franziskus weiß, dass es im christlich-islamischen Dialog nicht um Übereinstimmung in Glaubensfragen geht. Er spricht vielmehr vom Mut, anders zu sein und als Menschen verschiedener Religionen miteinander umzugehen. Er wird nun verstärkt von der Freundschaft zu den Institutionen, vom Atmosphärischen zum Rechtlichen. Denn ein Leben im Dialog braucht auch politische Freiheit. 

Von Mario Trifunovic