„Hitler-Käfer“ darf seinen Namen behalten – DARAN liegt’s

Kontroverser Krabbler

„Hitler-Käfer“ darf seinen Namen behalten – DARAN liegt’s

Straßen werden umbenannt, Denkmäler entfernt und Bücher umformuliert. Nur Hitler-Käfer und Mussolini-Falter bleiben bestehen. Das wirft Fragen auf.

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Anophthalmus hitleri heißt der Hitler-Käfer offiziell. Hier ist er in der Zoologischen Staatssammlung in München ausgestellt.
Anophthalmus hitleri heißt der Hitler-Käfer offiziell. Hier ist er in der Zoologischen Staatssammlung in München ausgestellt.Matthias Schrader/dpa

Gerade mal fünf Millimeter ist er klein und lebt eher verborgen in Höhlen. Obwohl selbst viele Fachleute den Käfer noch nie zu Gesicht bekommen haben, erregt er die Gemüter. Der Grund ist sein wissenschaftlicher Name: Anophthalmus hitleri. Der braune, augenlose Käfer wurde nach Adolf Hitler benannt – und steht wegen seines Namens bei bestimmten Sammlern hoch im Kurs. In der Wissenschaft wird über solche und ähnliche Fälle diskutiert, ändern wird sich aber wohl vorerst nichts.

Bedenkliche Tiernamen stellen Wissenschaft vor Problem

Tiernamen werden einmal vergeben und bleiben dann so – das ergibt Sinn und beugt Verwirrung vor. Aber immer wieder passiert es, dass ein wissenschaftlicher Name eine bedeutende Person ehrt, die dann hinterher von der Geschichte (gelinde gesagt) stark verurteilt wird. Und das nicht so selten: Mehrere Hunderttausend wissenschaftliche Namen könnten nach Einschätzung der internationalen Kommission für zoologische Nomenklatur betroffen sein.

So geschehen etwa bei dem trefflicherweise braunen Käfer, der nach Adolf Hitler benannt ist. Aber auch im Naturkundemuseum in Berlin haben wir so einen Kandidaten: der Dinosaurier Dysalotosaurus lettowvorbecki, benannt nach Paul von Lettow-Vorbeck, der als Kommandeur der deutschen Kolonialarmee an Gräueltaten in Afrika beteiligt war. Wie soll man mit diesen Namen umgehen? Die Wissenschaft ist sich uneinig.

Wie werden Tiere wissenschaftlich benannt?

Jedes Jahr werden weltweit Tausende neue Tierarten beschrieben. Wie die Taxonominnen und Taxonomen dabei vorzugehen haben, ist in den internationalen Regeln für die zoologische Nomenklatur festgelegt. Inhaltliche Vorgaben mache die Nomenklatur dabei nicht, sagt der Zoologie-Professor Michael Ohl vom Museum für Naturkunde in Berlin. Die Forschenden können die Namen frei wählen, sofern diese technisch korrekt gebildet werden. „Diese gelten, sobald sie publiziert sind und können dann auch nicht mehr gestrichen werden.“

Eine lange Tradition habe dabei, neu entdeckte Tierarten nach Personen zu benennen – um einem großzügigen Geldgeber zu schmeicheln, Familie oder Freunde zu ehren oder mithilfe prominenter Namensgeber Aufmerksamkeit zu erregen, wie Ohl in seinem Buch „Die Kunst der Benennung“ schreibt. So trägt eine Tausendfüßler-Art den Namen von Popstar Taylor Swift, Käfer sind nach dem Schauspieler Leonardo DiCaprio und der Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg benannt, eine Mottenart erinnert an den früheren US-Präsidenten Donald Trump.

Kontroverse Käfer: Diese Tiernamen werden unter anderem kritisch gesehen

Am Beispiel des Hitler-Käfers und eines nach dem italienischen Diktator Benito Mussolini benannten Falters zeigt sich besonders deutlich, dass die Benennung nach Personen zum Problem werden kann. Was ist, wenn eine Politikerin in extremistische Kreise abdriftet oder ein Filmstar wegen sexueller Übergriffe vor Gericht steht? Artnamen können nach Ansicht von manchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch diskriminierend oder rassistisch sein.

Die Paläobiologin Emma Dunne von der Universität Erlangen-Nürnberg hat zusammen mit anderen Fachleuten die Namen aller bekannten – etwa 1500 – Dinosaurier untersucht. Vor der Publikation möchte die Wissenschaftlerin nicht über die Ergebnisse der Studie sprechen. Laut einem Bericht der Fachzeitschrift Nature fand das Team unter anderem heraus, dass viele zwischen 1908 und 1920 in Tansania entdeckte Fossilien nach deutschen Forschern statt nach einheimischen Expeditionsteilnehmern benannt wurden, oder die Namen leiteten sich von kolonialen Ortsbezeichnungen ab. Die Mehrheit der Namen mit einer geschlechtsspezifischen Endung war demnach außerdem männlich.

Ein Skelett des Dysalotosaurus lettowvorbecki steht im Museum für Naturkunde in Berlin.
Ein Skelett des Dysalotosaurus lettowvorbecki steht im Museum für Naturkunde in Berlin.Sebastian Gollnow/dpa

Wie groß ist das Problem?

Etwa 20 Prozent der Tiernamen sind nach einer Schätzung der internationalen Kommission für zoologische Nomenklatur – dem Gremium, das die Regeln zur Benennung herausgibt – sogenannte Eponyme. Das sind Namen, die Personen ehren sollen. Diese seien damit die größte Gruppe von Namen, die Anstoß erregen könnten, schreibt die Kommission in einer Stellungnahme. Toponyme, also Ortsnamen, könnten ebenfalls als beleidigend empfunden werden. Sie machten etwa 10 Prozent der Namen aus. „Somit könnten mehrere Hunderttausend akzeptierte wissenschaftliche Namen infrage gestellt werden“, heißt es.

Bei den Dinosaurier-Namen bewerteten die Forschenden weniger als drei Prozent als problematisch. In Zahlen ausgedrückt sei das Problem wirklich unbedeutend, erklärt Mitautor Evangelos Vlachos vom Paläontologischen Museum im argentinischen Trelew in dem Nature-Bericht. Dennoch sei es von großer Relevanz: Man müsse die bisherige Praxis kritisch überprüfen und versuchen, Fehler zu korrigieren, fordert er.

Was sagt die internationale Kommission für zoologische Nomenklatur dazu?

Die Kommission lehnt eine Umbenennung von Tieren aus ethischen Gründen ab. „Wir verstehen natürlich, dass manche Namen Unbehagen oder Anstoß erregen können“, sagt der Taxonomist Daniel Whitmore vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart, der Mitglied der Kommission ist. Priorität habe aber eine universelle und stabile Nomenklatur, damit es keine Verwirrung gebe. „Es ist nicht unsere Aufgabe, darüber zu urteilen, ob Namen beleidigend oder ethisch nicht vertretbar sind, denn das ist eine sehr subjektive und persönliche Angelegenheit“, ergänzt er. „Es wäre also schwierig, eine Entscheidung zu treffen, mit der alle zufrieden sind.“

Dass es nach den Nomenklatur-Regeln aktuell nicht möglich ist, Tierarten umzubenennen, kann der Berliner Zoologe Ohl nachvollziehen. „Da will die Kommission auch ohne Weiteres nicht ran, weil sie nicht weiß, wie das im Detail umgesetzt werden muss, um Klarheit zu schaffen – und weil sie Angst hat, die Büchse der Pandora zu öffnen“, sagt er. Aber die Kommission müsse sich damit auseinandersetzen und Kriterien finden, wie mit ethisch fragwürdigen Namen am besten umgegangen werden sollte. „Der Druck aus der Gesellschaft und der Wissenschaftsgemeinschaft ist groß.“

Ist eine Umbenennung überhaupt machbar?

„In einem Fall wie bei dem Hitler Käfer würde eine Umbenennung gar nicht viel ändern“, meint Ohl. Denn der Name würde nicht komplett verschwinden. Oft haben Tiere mehrere wissenschaftliche Bezeichnungen, in einer Art Katalog werden diese deshalb alle unter dem aktuell gültigen Namen aufgelistet. Wer den Hitler-Käfer wegen des Namens sammeln wolle, werde dies auch weiter tun, meint Ohl.

Eine Möglichkeit, sich kritisch mit umstrittenen Tiernamen auseinanderzusetzen, wäre zum Beispiel, in Museen deren Geschichte zu thematisieren, um zum Nachdenken anzuregen. Beim Dysalotosaurus lettowvorbecki hat das Berliner Naturkundemuseum das bereits getan. „Die strengen Regeln der Taxonomie schließen leider eine spätere Änderung von einmal vergebenen Artnamen aus“, heißt es auf einer Schautafel. ■