Der Wunsch war wohl ernst gemeint: „Genieße den Besuch in Dachau recht und grüße alle von mir“, schrieb SS-Chef Heinrich Himmler am 20. Juli 1941 an seine Frau Marga in Gmund am Tegernsee. Zwei Tage später fuhr sie mit der gemeinsamen Tochter Gudrun zum KZ nördlich von München, um das „Forschungsinstitut für Heilpflanzen- und Ernährungskunde“ zu besichtigen.
Ausführlich beschrieb die zwölfjährige Gudrun in ihrem Tagebuch den Besuch: „Heute fuhren wir ins SS-Konzentrationslager nach Dachau. Dort haben wir dann mit Hanns Johst und seiner Familie noch alles angesehen, die große Gärtnerei, Mühle, Bienen, wie alle Kräuter verwertet werden durch Fräulein Dr. Friedrich.“ Johst war Präsident der NS-Einrichtung „Reichsschrifttumskammer“ und ein enger Freund Himmlers; Traude Friedrich hat kaum weitere Spuren hinterlassen.
Besonders begeisterten die Tochter Himmlers die „Bücher vom 16. Jahrhundert an, die ganzen Bilder, die Sträflinge gemacht haben“. Gudrun war ganz ergriffen: „Herrlich!“ An das leibliche Wohl der Besucher war auch gedacht, keine 300 Meter weg vom Häftlingslager des KZs, in dem Hunger, Gewalt und Tod alltäglich waren: „Dann haben wir gegessen, viel, dann hat jeder etwas geschenkt bekommen. Schön ist’s gewesen. Ein sehr großer Betrieb.“
Der Dokumentarfilmer Walter Steffen, bekannt für seine Produktion „Endstation Seeshaupt“ (2011) über einen Todeszug, der im April 1945 mit etwa 4000 KZ-Häftlingen aus dem Dachauer Außenlager Mühldorf auf eine fünftägige Irrfahrt durch Bayern geschickt wurde, beschäftigt sich nun mit den Gärten des KZs Dachau, besser bekannt als „Plantage“ oder unter dem SS-eigenen Euphemismus „Kräutergarten“. Im Mai 2024 fanden Dreharbeiten am historischen Ort statt; der Film soll bei der Berlinale 2025 Premiere feiern und zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZs am 30. April 1945 in die Kinos kommen.
Nordöstlich des Häftlingslagers, auf der anderen Seite der Alten Römerstraße, die am gesamten KZ-Gelände vorbeiführt, sind Reste des „Kräutergartens“ erhalten: einige der einstöckigen Gebäude im typischen Dachauer KZ-Stil, in denen das Institut untergebracht war, dazu Reste von vier Gewächshäusern und zahlreiche Umfriedungen von glasüberdachten Beeten aus der Zeit 1938 bis 1942. Verantwortlich für den Betrieb war die 1939 gegründete „Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung GmbH“, eine Gründung der SS.
Unter den grauenhaften Bedingungen des KZs wurden hier nach biodynamischen Methoden Kräuter und Gewürze angebaut, zur „Gesundung des deutschen Volkskörpers“. Heinrich Himmler hing – neben anderen verrückten Ideen – auch der Vorstellung an, so das „deutsche Erbgut“ verbessern zu können. Außerdem sollten Heilmittel aus Dachau das Dritte Reich medizinisch autark machen, also unabhängig von ausländischen Grundstoffen für Medikamente.
Anwohner des KZs konnten in einem eigens eingerichteten Laden Produkte des „Kräutergartens“ kaufen. Manchen Häftlingen gelang es, hier heimlich Kontakt mit der Zivilbevölkerung aufzunehmen und mit deren Hilfe unter Lebensgefahr Waren und Nachrichten in das Lager und aus dem Lager zu schmuggeln.
Das „Arbeitskommando Plantage“, wie Häftlinge zur Arbeit im „Kräutergarten“ sagten, war gefürchtet – jedenfalls, was die Arbeit im Freien anging. Denn hier wirkten sich die Schikanen und die Brutalität der SS-Wachen besonders aus. Besser war es in den Gewächshäusern, wo unter anderem künstlerisch begabte Häftlinge damit beschäftigt waren, ein Herbarium anzulegen und abzumalen. Das meinte Gudrun Himmler mit dem Tagebucheintrag über „die ganzen Bilder, die Sträflinge gemacht haben“.
Steffens Film folgt dem Schicksal des Priesters Korbinian Aigner, der 1939 das misslungene Attentat von Georg Elser auf Hitler in nur wenig kaschierten Worten gelobt hatte und dafür denunziert worden war. Nach der Strafe, zu der er wegen „Heimtücke“ verurteilt wurde, kam er ins KZ Dachau und dort in den „Priesterblock“. Er züchtete mittels Saatgut aus der „Plantage“ vier Apfelsorten, die er KZ-1, KZ-2, KZ-3 und KZ-4 nannte. Heute gibt es noch die Sorte Korbiniansapfel, aber ob es sich wirklich um die Variante KZ-3 handelt, ist unklar.
Nach dem Krieg diente das KZ zunächst der US Army als Internierungslager und später bis 1965 als Befehlswohnanlage; die SS-Kaserne auf der anderen Seite des Häftlingsbereichs diente (und dient) der bayerischen Bereitschaftspolizei als Kaserne und Ausbildungsort. Die Anlagen des „Kräutergarten“ hingegen wurden teilweise verkauft, der Rest verfiel. Die verbliebenen Spuren, vor allem die Gewächshausruinen, sollen Teil der KZ-Gedenkstätte und zugänglich werden.