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Hintergrund

Wie die Mafia italienische Politiker steuert

Giovanni Toti 2019 bei einer Demonstration in Turin.
Giovanni Toti 2019 bei einer Demonstration in Turin.AFP
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Der Mega-Korruptionsskandal in der norditalienischen Region Ligurien zeigt, wie sehr das Organisierte Verbrechen das politische System infiltriert hat. Und Ligurien ist keine Ausnahme.

Sie ist gebildet, ökonomisch und juristisch versiert, bestens vernetzt, anpassungsfähig. Und vor allem weitgehend unsichtbar. Italiens Mafia hat sich in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich ins politische und wirtschaftliche System eingeschlichen – und das nicht nur in ihrer süditalienischen Heimat. Omnipräsent ist die Mafia inzwischen im wohlhabenden Norden. Das zeigt auch der massive Korruptionsskandal, der derzeit die Region Ligurien erschüttert.

Im Visier der Ermittler stehen Regionalpräsident Giovanni Toti, mehrere seiner engen Mitarbeiter und Unternehmer. Ihnen wird Korruption, Vetternwirtschaft, Stimmenkauf und Begünstigung der Mafia vorgeworfen. Der Mitte-rechts-Politiker Toti, der sich gerne als hemdsärmliger Macher inszeniert, befindet sich seit einer Woche im Hausarrest, laut Medien steht sein Rücktritt unmittelbar bevor. Er soll als Gegenleistung für bestimmte Gefälligkeiten Geld erhalten haben, die dann auch in seine Wahlkampfkasse flossen.

Unter anderem vergab er befreundeten Geschäftsleuten öffentliche Aufträge für den Umbau des Hafens von Genua oder ermöglichte die „Privatisierung“ eines besonders malerischen, ursprünglich öffentlichen, Strandabschnittes der Riviera. Ermittelt wird auch wegen Betrugs bei der Beschaffung von Masken und Impfungen während der Covid-Zeit.

Die Testa-Zwillinge kaufen ein

Auch sollen Totis Mitarbeiter Wahlstimmen im Gegenzug von Arbeitsplätzen „gekauft“ haben. Den „Einkauf“ besorgten laut Ermittlern Antonio und Italo Testa. Die Brüder mit sizilianischen Wurzeln leben in der Lombardei und haben offenbar Kontakt zur sizilianischen Mafiaorganisation Cosa Nostra: „Ihr seid zwei Bulldozer, ihr müsst mir helfen“, bat Toti laut inzwischen öffentlich gewordenen Abhörprotokollen die Testa-Zwillinge vor den Regionalwahlen 2020 um Hilfe. Diese versprachen: „Wir können vierhundert, fünfhundert Stimmen organisieren, wir rufen jedes einzelne Mitglied der Riesi-Community zusammen, und zwar mit Namen.“ Die Brüder meinten Sizilianer aus Riesi, die in Ligurien. Für ihre „Stimme“ wurde diesen gut bezahlte, öffentliche Jobs angeboten. Die beiden Brüder waren, genauso wie Toti, Mitglieder der Regierungspartei Forza Italia.

Regionalpräsident Giovanni Toti
Regionalpräsident Giovanni Toti Getty Images / Stefano Guidi/getty Images

Der Ligurien-Skandal ist keine Ausnahme, sondern nur ein besonders eklatantes Beispiel für Mafia-Infiltration. Denn im Visier der Mafiosi steht derzeit vor allem die norditalienische Lokalpolitik. Dort finden sich lukrative öffentliche Aufträge samt goldene Chancen für Geldwäsche. Und das überschaubare Territorium der Lokalpolitik ermöglicht schnelle persönliche Kontakte und Kontrolle.

Vom Skiort zum Gardasee

Es läuft meist überall so ähnlich ab wie in Ligurien: Politiker (oder ihre Mitarbeiter) klopfen an die Türe von Mafiosi, die ihnen Stimmen besorgen. Im Gegenzug für Gefälligkeiten. Einige Beispiele: Die Polizei filmte einen Landesrat der Lombardei, wie er einem Mitglied der kalabrischen `Ndrangheta für seine „Unterstützung“ bei Wahlen bezahlte. Nahe Como waren Lokalpolitiker Stammgäste im Haus eines alten kalabrischen Bosses.

In der piemontesischen Ortschaft Leini wurde der Bürgermeister in dritter Instanz zu acht Jahren Haft wegen Mafia-Begünstigung verurteilt, vier Jahre bekam aus demselben Grund ein piemontesischer Regionalrat. Als notorischer Mafia-Ort gilt lange schon der piemontesische Skiort Bardonecchia, wo die `Ndrangheta das lukrative Immobilienbusiness dominierte. Stark ist die Mafia-Präsenz aber auch im touristischen Nordosten, etwa am Gardasee. Und im Trentino wurde gleich der gesamte Gemeinderat eines Ortes wegen Mafiaverdachtes aufgelöst.

Mafia mag Rechte und Linke

Bisher dominierte die `Ndrangheta Norditalien, vor allem die Lombardei mit ihrer Finanzmetropole Mailand. Doch auch die neapolitanische Camorra, die apulische Santa Corona Unita und die sizilianische Cosa Nostra machen sich im Norden breit. Und alle Mafiaorganisationen versuchen dort eher im Schatten zu agieren und, anders als im Süden, nicht durch brutale Gewalttaten ins Auge zu stechen.

Vor allem aber hat die Mafia keine politischen Vorlieben: „Die Mafiaorganisationen sind weder rechts noch links, noch aus dem politischen Zentrum. Sie wählen jene Kandidaten, die ihnen das beste Angebot machen“, sagt der bekannte Anti-Mafia-Ermittler und Staatsanwalt Nicola Gratteri.

Übrigens: Viele von Totis gekaufte Wähler haben die gekauften Jobs nie bekommen. Das kam bei den Testa-Zwillingen gar nicht gut an. Italo Testa wollte sich in Genua den Präsidenten vorknöpfen. Zornig sagte er in einem (abgehörten) Telefonat dem Bruder Arturo: „Dem will ich zeigen, wie man die Dinge zu Ende bringt. Wer glaubt der eigentlich, dass er ist?“

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