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1 Einleitung

Die Afrikanische Union (AU) ist eine im Jahr 2002 ins Leben gerufene intergouvernementale Organisation, der alle 54 Staaten Afrikas plus die Westsahara angehören.Footnote 1 Die AU ist vor allem in der Friedens- und Sicherheitspolitik und darüber hinaus auf weiteren Feldern wie der Wirtschafts-, Handels-, Entwicklungs-, Gesundheits-, Klima- und Wissenschaftspolitik aktiv und tritt auf der internationalen Bühne als Repräsentantin des Kontinents in Erscheinung.

Die Organisation ist ein ambitioniertes Projekt, das in einigen, aber nicht allen Bereichen den selbstgestellten Zielen entsprechen kann. Denn anders als ihre Vorgängerin, die Organisation für Afrikanische Einheit (1963–2002), hat die AU zwar ein erweitertes Aufgabenspektrum, mehr Kompetenzen sowie eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung und kann damit beispielsweise beim Kampf gegen verfassungswidrige Regierungswechsel oder in der Konfliktmediation Erfolge erzielen. Gleichzeitig führt der intergouvernementale Charakter der Organisation und die damit verbundene Abhängigkeit von den Mitgliedstaaten dazu, dass die Handlungsfähigkeit der Union eingeschränkt ist. Etliche Mitgliedstaaten verteidigen ihre Souveränität wachsam und unterwandern damit die von ihnen selbst beschlossenen Ziele, mittels der AU im Kollektiv für Frieden und Sicherheit sowie für eine gute Regierungsführung auf dem Kontinent zu sorgen und mit einer zielgerichteten Wirtschafts- und Handelspolitik die ökonomische Entwicklung Afrikas nachhaltig zu fördern.

2 Panafrikanismus, OAU und Neuanfang: Die Entstehungsgeschichte der AU

Ideengeschichtlich kann man die Gründung der AU bis zur panafrikanischen Bewegung zurückführen, die im Sklavenaufstand im heutigen Haiti (1791) einen ihrer Ursprünge hat. Die panafrikanische Bewegung basiert auf der Idee der Solidarität zwischen Afrikanerinnen und Afrikanern, um so zunächst die Sklaverei und später den Kolonialismus gemeinsam zu überwinden. Die panafrikanische Bewegung, die zuerst vor allem in der Karibik, den USA, Frankreich und Großbritannien aktiv war, begann sich im frühen 20. Jahrhundert zu organisieren, was u. a. in einem ersten panafrikanischen Kongress 1900 in London seinen Ausdruck fand. Es folgten weitere panafrikanische Kongresse, u. a. in Paris, Brüssel und New York (Rabaka 2020).

Unter den Delegierten des letzten großen panafrikanischen Kongresses in Europa, der 1945 in Manchester stattfand, waren etliche künftige Staatschefs, unter ihnen auch Kwame Nkrumah, der spätere Präsident Ghanas, das 1957 als erstes Land in Subsaharaafrika die Unabhängigkeit erlangte. Nkrumah war eine der zentralen Figuren bei der Weiterentwicklung des Panafrikanismus, den er einerseits geografisch weitertrug, indem er dabei half, dass die Bewegung aus der Diaspora heraus nach Afrika selbst kam. Denn 1958 fand der erste panafrikanische Kongress auf dem Kontinent statt. Anderseits trug er den Panafrikanismus inhaltlich weiter. Er forderte nicht mehr nur die Solidarität zwischen Afrikanerinnen und Afrikanern, sondern schlug auch vor, dass die nun unabhängigen Staaten des Kontinents die Vereinigten Staaten von Afrika gründen sollten (Nkrumah 1963).

Nachdem die Dekolonisation in Subsaharaafrika mit dem „Afrikanischen Jahr“ 1960, während dessen 18 Kolonien unabhängig wurden, ihren Höhepunkt gefunden hatte, entbrannte zwischen den Staatschefs der jungen Staaten eine Diskussion zu Nkrumahs Vision der Vereinigten Staaten von Afrika. Dabei kristallisierten sich zwei größere Lager heraus (van Walraven 1999, S. 101–121). Auf der einen Seite stand die sogenannte Monrovia-Gruppe, die für eine Kooperation afrikanischer Staaten eintrat, aber auf den Erhalt der unlängst gewonnenen nationalen Souveränität bestand. Auf der anderen Seite stand die Casablanca-Gruppe, die sich für die Vereinigten Staaten von Afrika einsetzte. 1963 trafen sich die afrikanischen Staats- und Regierungschefs lagerübergreifend in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Das Ergebnis der dortigen Beratungen war die Gründung der Organisation für Afrikanische Einheit (Organisation of African Unity, OAU).

2.1 Krise, Zäsur und Reformdruck

Die OAU verfolgte zwei größere Ziele, die als „Zwillingsziele“ beschrieben werden. Erstens wollte die Organisation die vollständige Befreiung des Kontinents von den Kolonialmächten bzw. den weißen Minderheitsregimen erreichen und zweitens wollte sie die Souveränität ihrer Mitgliedstaaten schützen (OAU 1963; van Walraven 1999). Mit dem zweiten Ziel war das Nicht-Einmischungsprinzip verbunden, das im Kern besagte, dass OAU-Mitglieder sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Mitgliedstaaten einmischen sollten. Ein Jahr nach der Gründung der OAU erklärten die Staats- und Regierungschefs 1964 in der Kairo-Deklaration, dass die Grenzen so bestehen bleiben sollten, wie die Kolonialmächte sie gezogen hatten. Dieser Beschluss legt in der Zusammenschau mit dem Ziel der OAU, die Souveränität ihrer Mitglieder zu schützen und dem daraus abgeleiteten Prinzip der Nicht-Einmischung die Schlussfolgerung nahe, dass die OAU nicht zwangsläufig als eine Institutionalisierung des Panafrikanismus gesehen werden muss. Denn wenngleich die OAU ideengeschichtlich im Panafrikanismus verwurzelt ist, kann ihre Gründung auch als ein Rückschlag für die panafrikanische Vision, die Vereinigten Staaten von Afrika zu schaffen, gewertet werden.

Die OAU wurde bereits kurz nach ihrer Gründung weitgehend handlungsunfähig, was vor allem an der Etablierung der vielen autoritären Regime lag, deren Entstehung u. a. durch die schwach institutionalisierten und schlecht auf die Unabhängigkeit vorbereiteten Staaten sowie durch den Kalten Krieg und dem Buhlen der Supermächte um Einflusssphären in Afrika begünstigt wurde (Schmidt 2013). Die Handlungsunfähigkeit der Organisation resultierte aber auch aus ihrem streng hierarchischen Aufbau. Die Versammlung der Staats- und Regierungschefs war das zentrale Entscheidungsgremium, an dessen Sitzungen der OAU-Generalsekretär noch nicht einmal das Recht hatte, teilzunehmen (van Walraven 1999, S. 162). So blieben die Widerstände gegen das Apartheidregime in Südafrika und die weiße Minderheitsregierung in Südrhodesien (heute Simbabwe) sowie gegen Israel wegen der Palästinafrage die wenigen Punkte, bei denen weitgehend Einigkeit zwischen den Staats- und Regierungschef herrschte und damit die Themen, bei denen die OAU auf internationaler Bühne sprech- und handlungsfähig war (Legum 1987).

Die neunziger Jahre waren für die OAU und ihre Mitgliedstaaten eine Zäsur, durch die sich neue Aufgabenfelder und Perspektiven für die Organisation eröffneten. Der Kalte Krieg endete und damit kam das Streben der Supermächte, ihre Einflusssphären auszuweiten, zu einem Ende – ein Umstand, von dem vor allem autokratische Regierungen profitiert hatten (Schmidt 2013). Auch trat nun die durch den Kalten Krieg teilweise kaschierte Schwäche der staatlichen Strukturen in etlichen afrikanischen Ländern deutlicher zu Tage – Somalia und Zaire (Kongo-Kinshasa) sind nur die beiden prominentesten Beispiele. Es kam vermehrt zu innerstaatlichen Auseinandersetzungen, wie z. B. die Bürgerkriege in Liberia (1989–2003) und Sierra Leone (1991–2002) oder der Genozid in Ruanda (1994). Diese Ereignisse überdeckten zwei weitere Entwicklungen, die sich auf dem Kontinent abspielten. Erstens kam es zu einem Demokratisierungsschub, der bis zum Ende der neunziger Jahre etliche Staaten des Kontinents erfasst hatte (Bratton und van de Walle 1997), und zweitens endete die Apartheid in Südafrika (und Namibia), womit eines der Zwillingsziele der OAU, nämlich das Ende der Fremdherrschaft auf dem Kontinent, erreicht wurde. In dieser Phase wurden die Stimmen derer, die forderten, dass die Menschen auf dem Kontinent ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen sollen, immer lauter. Es gab vielerorts eine Aufbruchstimmung. Diese Gedanken wurden besonders prominent vom südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki vorgetragen (Olivier 2003). Dieser sprach von einer „afrikanischen Renaissance“ und erklärte, dass das 21. Jahrhundert das Jahrhundert Afrikas sein müsse. Die OAU hatte Anfang der neunziger Jahre noch versucht, mit der Schaffung des Mechanism for Conflict Prevention, Management and Resolution auf einige der neuen (sicherheitspolitischen) Herausforderungen, vor denen der Kontinent nun stand, eine Antwort zu geben. Doch letztlich gab es Ende der neunziger Jahre an der Notwendigkeit einer tief greifenden Reform der OAU kaum noch Zweifel (Touray 2016).

Die Gründe für die Notwendigkeit einer Reform der OAU liegen zwar in diesen Veränderungen, die auch der letzte OAU-Generalsekretär Salim Salim bereits 1990 ausführlich beschrieb und Veränderungen anmahnte (OAU 1990). Der letztliche Impuls auf diese Veränderungen umfangreich zu reagieren und die AU zu gründen waren jedoch die Pläne des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi, der Afrika nach Jahren der internationalen Isolation als neues außenpolitisches Handlungsfeld ausgemacht hatte (Huliaras 2001). Gaddafi lud 1999 die afrikanischen Staats- und Regierungschefs nach Libyen ein und schlug dort zur Überraschung nahezu aller Teilnehmenden in Anlehnung an Nkrumah vor, die Vereinigten Staaten von Afrika zu gründen (Khamis 2008, S. 69–77). Er selbst stand natürlich als deren Präsident zur Verfügung. Wenngleich Gaddafis Vision keine Wirklichkeit wurde, nutzten die Staats- und Regierungschefs die Grundstimmung, um eine tief greifende Reform der OAU einzuleiten, die in einer neuen, stärkeren Organisation mit erweiterten Aufgaben und Kompetenzen münden sollte. Damit war die Gründung der AU beschlossen. Nach einem dreijährigen Transformationsprozess nahm die AU mit der ersten Sitzung der Versammlung der Staats- und Regierungschefs am 9. Juli 2002 im südafrikanischen Durban ihre Arbeit auf.

2.2 Fortführung und Neuanfang

Die AU unterscheidet sich in zwei zentralen Punkten von ihrer Vorgängerin. Erstens ist die AU stärker institutionalisiert, d. h. sie hat ein breiteres Spektrum an Institutionen (siehe unten) und eine Kommission, deren Rechte und Möglichkeiten weiter gefasst sind als die des kleinen OAU-Sekretariats. In vielen Bereichen, allen voran bei der Friedens- und Sicherheitspolitik, sind die Kommission und die Entscheidungsträgerinnen und -träger innerhalb ihrer ein „quasi-think tank and [the] major site of drafting AU documents“ (Engel und Porto 2014, S. 137). Die verstärkte Institutionalisierung der AU lässt sich gut mit zwei Zahlenpaaren illustrieren: hatte die OAU 1990 noch ein Budget von 25 Mio. US-Dollar und rund 600 Mitarbeitende (van Walraven 1999, S. 171) betrug das Budget der AU im Jahr 2021 623 Mio. US-Dollar, während rund 1450 Menschen für die Organisation arbeiteten (AU 2021).

Der zweite wesentliche Unterschied zwischen der OAU und der AU ist das weitreichende Interventionsmandat, das in Artikel 4h des Gründungsvertrags der Union seinen Ausdruck findet. Dieser Artikel stellt eine Abkehr von der strikten Interpretation des Souveränitätsprinzips und der Nicht-Einmischungsdoktrin dar. Nach diesem Artikel ist es der AU bei schweren Menschenrechtsverletzungen, Genoziden und Kriegsverbrechen erlaubt, in ihren Mitgliedstaaten zu intervenieren. Damit kam der AU eine Vorreiterinnenrolle zu, denn sie war die erste Organisation weltweit, die sich ein solches Mandat gab. Im Jahr 2003 wurde der Artikel ergänzt, so dass die AU auch bei ernsthaften Bedrohungen der legitimen Ordnung ein Recht hat, einzugreifen, um Frieden und Stabilität in dem betreffenden Staat wiederherzustellen.

Artikel 4h des AU-Gründungsvertrags weicht den Schutz der staatlichen Souveränität zwar auf und begründet das Prinzip der Nicht-Gleichgültigkeit oder principle of non-indifference (Williams 2007; Engel 2009). Dennoch ist die Wahrung der Souveränität immer noch ein zentrales Anliegen der Union (AU 2000, Art. 3b und 4a). Dies zeigt sich besonders gut an der sogenannten Grand Debate, einer Debatte zur Zukunft des gesamtafrikanischen Integrationsprozesses. Gaddafi hielt nach der Gründung der AU noch längere Zeit an seinem Plan fest, die Vereinigten Staaten von Afrika zu etablieren und machte hierzu etliche Vorschläge. Zunächst regte er die Schaffung von gesamtafrikanischen Ministerien u. a. für Außenpolitik und Verteidigung an und schlug später eine Einheitsregierung für Afrika vor (Union Government for Africa). Bei einem AU-Gipfel 2007 bekundeten die Staats- und Regierungschefs und -chefinnen zwar ihren grundsätzlichen Willen, langfristig an der Schaffung der Vereinigten Staaten von Afrika mitwirken zu wollen und als Zwischenschritt eine Einheitsregierung zu etablieren. Gleichzeitig setzten sie aber eine Kommission ein, die untersuchen sollte, welche Auswirkungen diese Schritte auf die Souveränität der Mitgliedstaaten haben (AU 2007). Damit und spätestens mit dem Tod Gaddafis 2011 war dessen Vision faktisch vom Tisch.

Die Finanzierung der AU ist ein schwerwiegendes Problem für das Funktionieren der Union (Karbo und Murithi 2018). Ein Großteil ihres Budgets stammt von internationalen Gebern, insbesondere von westlichen Staaten und der Europäischen Union. So finanzierten im Jahr 2021 die Mitgliedstaaten zwar das AU-Geschäftsbudget (operational budget) in Höhe von 172 Mio. US-Dollar komplett selbst. Dabei waren Ägypten, Algerien, Angola, Marokko, Nigeria und Südafrika die größten Beitragszahler. Doch 75 % des Programmbudgets der Union (187 Mio. US-Dollar) und das vollständige Budget für AU-Friedensoperationen (264 Mio. US-Dollar) stammten von externen Partnern (AU 2021).

Angesichts dieser prekären finanziellen Lage versucht die Kommission seit geraumer Zeit, neue Finanzierungsquellen zu erschließen und hat hierzu einige Finanzierungsmechanismen vorgeschlagen, die auch ihre Abhängigkeit von den Mitgliedstaaten und internationalen Gebern verringern soll. Zur Diskussion stand letztlich eine Abgabe von 0,2 % auf alle nach Afrika importierten erstattungsfähigen Waren einzuführen. Die Mitgliedstaaten sollen die Abgabe einsammeln und dann an die AU überweisen. In einer „historischen Entscheidung“ (AU 2017) stimmten die Mitgliedstaaten im Juli 2017 diesem Vorschlag zu. Doch bis Mitte 2020 hatten nur 17 AU-Mitgliedstaaten begonnen, diesen Finanzierungsmechanismus umzusetzen (African Union 2020, S. 2).

3 Institutionen der AU

Im Zentrum der AU steht die Versammlung der Staats- und Regierungschefs bzw. -chefinnen (AU Assembly). Sie ist das wichtigste Entscheidungsgremium und das oberste Organ der Organisation. Die Versammlung beschließt u. a. die gemeinsame Politik der Union, hat das Recht, neue AU-Organe zu schaffen, überwacht die Implementierung der beschlossenen Politiken, legt das Budget der Organisation fest und entscheidet über die Ernennen der Richterinnen und Richter des AU Gerichtshofs sowie über den Vorsitzenden bzw. die Vorsitzende der AU-Kommission (AU 2000, Art. 9). Die AU Assembly trifft sich im Februar zu einer regulären Sitzung im Jahr und führt des Weiteren seit 2019 im Juli ein Mid-Year Coordination Meeting mit den regionalen Wirtschaftsgemeinschaften (siehe unten) durch. Zusätzlich können außerordentliche Sitzungen einberufen werden. Es wird angestrebt, Entscheidungen im Konsens zu treffen. Gelingt dies nicht, ist eine Zweidrittelmehrheit der Mitgliedstaaten ausreichend; bei Verfahrensfragen reicht eine einfache Mehrheit. Aus ihrer Mitte wählen die Staats- und Regierungschefs bzw. -chefinnen einen Vorsitzenden bzw. eine Vorsitzende für eine Amtszeit von einem Jahr. Diese Person steht der Organisation vor.

Der Exekutivrat (AU Executive Council) ist der AU Assembly nachgeordert und gegenüber letzterer verantwortlich. Er ist autorisiert, Entscheidungen in Politikfeldern wie dem internationalen Handel, Landwirtschaft, Bildung und Wissenschaft zu treffen und bereitet überdies die Entscheidungen der AU Assembly vor (AU 2000, Art. 14). Der Rat tagt auf Ministerebene. In der Regel kommen die Außenministerinnen und -minister zusammen; es gibt aber auch in Abhängigkeit von den zu besprechenden Fragen die Möglichkeit, dass Fachministerinnen und -minister gemeinsam tagen.

Ferner gibt es das Komitee der ständigen Vertreterinnen und Vertreter (AU Permanent Representatives Committee). Dieses Komitee, das sich aus den Botschafterinnen und Botschaftern der Mitgliedstaaten am Sitz der AU zusammensetzt, ist ein Forum in dem sich die ständigen Vertreterinnen und Vertreter der AU-Mitgliedstaaten austauschen und das die Entscheidungen des Exekutivrats vorbereitet (AU 2000, Art. 21; Lisakafu 2016). Das Selbstverständnis des Komitees ist es, vor allem die Aufgabe zu haben, die AU-Kommission in ihrer täglichen Arbeit zu überwachen (Touray 2016, S. 196). Die Hierarchie zwischen der AU Assembly, dem Exekutivrat und dem Komitee der ständigen Vertreterinnen und Vertreter ist klar zu Lasten des Komitees festlegt.

Die Kommission der Afrikanischen Union (AU Commission) ist das Sekretariat der Union; sie hat ihren Sitz in Addis Abeba. Die Kommission nimmt eine zentrale Rolle im institutionellen Gefüge der AU ein, da sie das tägliche Handeln der Organisation koordiniert, Entscheidungsvorlagen ausarbeitet und die Union nach außen vertritt. Überdies initiiert sie Politiken, hilft den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung von Entscheidungen und implementiert letztere mitunter auch selbst. Die Kommission besteht aus einem bzw. einer Vorsitzenden und dessen Stellvertreter bzw. Stellvertreterin und sechs weiteren Kommissarinnen und Kommissaren. Die Portfolios der letztgenannten umfassen (1) politische Angelegenheiten, Frieden und Sicherheit, (2) Infrastruktur und Energie, (3) wirtschaftliche Entwicklung, Handel, Industrie und Bergbau, (4) Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, blue economy und nachhaltige Entwicklung, (5) Gesundheit, humanitäre Angelegenheiten und soziale Entwicklung sowie (6) Bildung, Wissenschaft, Technologie und Innovation. Die AU-Kommission hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie in der Lage ist, die ihr übertragenen Aufgaben zu erfüllen und überdies eigene Akzente zu setzen, wozu auch die Persönlichkeiten der Kommissionschefs bzw. -chefin beigetragen haben (Touray 2016; Welz 2019; Tieku 2021).

Artikel 17 des Gründungsvertrags der AU sieht die Bildung eines Panafrikanischen Parlaments vor, das die Teilnahme der Bevölkerung an der Entwicklung und wirtschaftlichen Integration des Kontinents sicherstellen soll. Das Parlament tagt seit 2004 zweimal jährlich im südafrikanischen Midrand, wo es seinen Sitz hat. Im Panafrikanischen Parlament sind alle Mitgliedstaaten unabhängig von ihrer Größe mit je fünf Parlamentarierinnen bzw. Parlamentariern vertreten. Diese werden jedoch nicht von der Bevölkerung gewählt, sondern von den Regierungen bzw. den nationalen Parlamenten entsandt. Versuche der Mitglieder des Panafrikanischen Parlaments, sich beispielsweise durch kritische Wahlbeobachtungsmissionen Einfluss auf die Politik der afrikanischen Staaten auszuüben, wurde seitens der afrikanischen Regierungen durch Budgetkürzungen für die Parlamentsarbeit entgegengesteuert. Das dadurch geschwächte Parlament kann ohnehin kaum als legislativer Arm der AU betrachtet werden, da es weder legislative Rechte hat noch eine Überwachungsfunktion erfüllt. Viel eher sollte es als ein beratendes Organ verstanden werden (Ogbonnaya und Ogujiuba 2015; Kagame 2017).

Der Gründungsvertrag der AU sah zunächst die Gründung eines AU Gerichtshofes (Court of Justice) vor. Dieser wurde jedoch nie etabliert, da sich die afrikanischen Regierungen 2008 darauf verständigten, eine gemeinsame Struktur für alle gesamtafrikanischen Gerichtshöfe zu schaffen. Der aus diesen Überlegungen resultierende African Court of Justice and Human and Peoples’ Rights mit Sitz im tansanischen Arusha ist zuständig für grundsätzliche Fragen, Menschenrechte und Rechte der Völker sowie für internationale Strafjustiz. Nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass nicht alle notwendigen Protokolle von einer ausreichenden Anzahl an Mitgliedstaaten ratifiziert wurden, steht die gesamtafrikanische Gerichtsbarkeit noch auf tönernen Füßen (Wiebusch 2021). Insgesamt ist zu beobachten, dass es größere Widerstände gegen den Gerichtshof gibt, sodass er nicht so wirken kann, wie er es selbst gerne tun würde (Daly und Wiebuch 2018). Anders verhält es sich mit der African Commission on Human and Peoples’ Rights mit Sitz im gambischen Banjul. Diese Kommission hat das Mandat, die Menschenrechte und Rechte der Völker zu schützen und zu fördern sowie die Einhaltung der 1981 beschlossenen Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker zu überwachen. Die Arbeit dieser Kommission wird von etlichen Mitliedstaaten unterstützt und viele der Untersuchungsergebnisse werden umgesetzt bzw. angenommen (Murray und Long 2015).

Der Gründungsvertrag der AU sieht weiterhin die sogenannten Specialized Technical Committees, einen Wirtschafts-, Sozial- und Kulturrat (Economic, Social and Cultural Council) und Finanzinstitutionen als Organe der Union vor. Die technischen Komitees tagen auf Ebene der Fachministerien, arbeiten dem Exekutivrat zu und sollen die Planung und Harmonierung von Projekten der AU unterstützen (AU 2021a, S. 66–72). Der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturrat dient als Konsultationsforum für die Zivilgesellschaft (AU 2021a, S. 126–128). Letztlich umfassen die Finanzinstitutionen die Afrikanische Zentralbank, den Afrikanischen Währungsfond und die afrikanische Investitionsbank, drei Institutionen, die aufgrund ihrer finanziellen Schwäche allerdings eher eine untergeordnete Rolle spielen.

Der Friedens- und Sicherheitsrat (AU Peace and Security Council) wird neben der AU Assembly und der Kommission als das wichtigste Organ der AU betrachtet. Er ist das Zentrum der Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur (Döhring et al. 2021). Ähnlich wie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschäftigt sich der AU-Friedens- und Sicherheitsrat mit der Prävention, dem Management und der Lösung von Konflikten. Er ist u. a. bemächtigt, Friedensoperationen zu entsenden, bei verfassungswidrigen Regierungswechseln Sanktionen zu verhängen und humanitäre Hilfe in Krisen zu gewähren (AU 2002, Art. 7). Der Rat hat 15 Mitgliedstaaten; fünf dieser Mitgliedstaaten werden für je drei Jahre gewählt und die zehn anderen Mitglieder für je zwei Jahre. Unabhängig von ihrer Amtsdauer haben alle 15 Mitglieder das gleiche Stimmrecht – und es gibt kein Vetorecht. Der Friedens- und Sicherheitsrats ist von der Zuarbeit der AU-Kommission abhängig. Dies liegt daran, dass die personelle Ausstattung in den ständigen Vertretungen der AU-Mitgliedstaaten klein ist. Dies schwächt die Position des Friedens- und Sicherheitsrats und begünstigt die Kommission, die im institutionellen Gefüge dem Rat eigentlich nachgeordnet ist. Anders als erdacht, ist es die Kommission, die das Handeln des Rats im Wesentlichen lenkt, indem sie z. B. Entscheidungsentwürfe formuliert (Engel 2013; Hardt 2016; Wilén und Williams 2018).

Zur AU-Friedens- und Sicherheitsarchitektur gehören überdies der Rat der Weisen (Panel of the Wise), das kontinentale Frühwarnsystem (Continental Early Warning System), der Friedensfond (Peace Fund) und fünf regionale Einsatztruppen (African Standby Forces). Der Rat der Weisen soll den AU-Friedens- und Sicherheitsrat sowie die AU-Kommission bei der Förderung und Erhaltung von Frieden, Sicherheit und Stabilität in Afrika vor allem in den Bereichen präventive Diplomatie und Mediation unterstützen. Dabei ist er nicht weisungsgebunden. Der Rat der Weisen beschäftigt sich zudem mit übergeordneten Fragen der Friedenspolitik und spricht hierzu Empfehlungen aus (Porto und Ngandu 2015). Das kontinentale Frühwarnsystem soll dabei helfen, Konflikte zu antizipieren und zu verhindern, indem es zeitnah Informationen über heraufziehende Konflikte zur Verfügung stellt. Es besteht aus einem Situation Room am Sitz der AU-Kommission und regionalen Pendants an den Sitzen der regionalen Wirtschaftsgemeinschaften (AU 2021a, S. 83). Der Friedensfond soll dazu dienen, für Friedensoperationen und andere Aktivitäten ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Diesem Fond kommt aufgrund der geringen Einlagen allerdings nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Die afrikanischen Einsatztruppen sollen in der Lage sein, bei Konflikten militärisch zu intervenieren. Es ist geplant, fünf solcher regionalen Einsatztruppen für Nord-, Ost-, Süd-, West- und Zentralafrika ständig einsatzfähig zu haben. Die Aufstellung dieser Truppen hinkt in vielen Regionen den Plänen hinterher, weshalb als Übergangslösung die sogenannte African Capacity for Immediate Response to Crisis eingerichtet wurde, die für bereitwillige Staaten eine Plattform bietet, eine militärische Operation in einem AU Mitgliedstaat zu koordinieren. Es ist aufgrund der Schwierigkeiten bei der Etablierung der Standby Forces nicht auszuschließen, dass die Übergangslösung zu einem permanenten Mechanismus werden wird (Darkwa 2017). Weiterhin haben sich auch von der AU autorisierte ad hoc Koalitionen wie die G5-Sahel gebildet, deren Einsätze die Idee der Standby Forces unterwandern.

Unmittelbar mit der AU verbunden sind acht von der Union anerkannte regionale Wirtschaftsgemeinschaften, namentlich die Arab Maghreb Union (UMA), der Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA), die Community of Sahel-Saharan States (CEN-SAD), die East African Community (EAC), die Economic Community of Central African States (ECCAS), die Economic Community of West African States (ECOWAS), die Intergovernmental Authority on Development (IGAD) und die Southern African Development Community (SADC). Die Beziehungen der AU mit diesen regionalen Gemeinschaften basieren auf dem Prinzip der Subsidiarität, das den regionalen Verbünden den Vorrang einräumt. Entsprechend den Plänen, die im Vertrag von Abuja niedergelegt sind (siehe unten), sind diese Wirtschaftsgemeinschaften die Bausteine (building-blocks), auf denen die AU ruht. Die Grundüberlegung ist, dass zunächst auf subregionaler Ebene ein Integrationsprozess stattfinden soll, aus dem ein vertiefter gesamtafrikanischer Integrationsprozess erwachsen soll. Diese Überlegung wird allerdings durch die Etablierung der Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur auf den Kopf gestellt, denn die internationalen Verträge, auf denen sie basiert, machen die regionalen Wirtschaftsgemeinschaften zum Teil der AU, deren Chef bzw. Chefin die Zusammenarbeit zwischen der AU und den regionalen Gemeinschaften koordinieren soll. Somit steht die AU hierarchisch über den Wirtschaftsgemeinschaften, obwohl das Prinzip der Subsidiarität gilt und die Union aus den regionalen Gemeinschaften heraus gestärkt werden soll.

Das Ansinnen, aus den subregionalen Gemeinschaften die AU erstarken zu lassen, wird durch zwei Umstände untergraben. Erstens ist es Staaten unbenommen, in mehreren regionalen Wirtschaftsgemeinschaften vertreten zu sein. Die Folge dieser Mehrfachmitgliedschaften ist, dass sich die subregionalen Integrationsprozesse nicht allerorts weiter entwickeln können, weil sich die Regeln zwischen den Gemeinschaften teils widersprechen (Chacha 2014). Zweitens haben die subregionalen Gemeinschaften seit den neunziger Jahren eigene Sicherheitsarchitekturen entwickelt (Francis 2006). Folglich sind Parallelstrukturen und -institutionen entstanden, zwischen denen es immer wieder zu Streitigkeiten über Zuständigkeiten kommt. Auch Bemühungen der Gemeinschaften, wie die der ECA-COMESA-SADC Tripartite Alliance, die Harmonisierung der regionalen Wirtschaftsgemeinschaften voranzutreiben, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mitgliedstaaten nicht zwangsläufig daran interessiert sind, die regionalen Gemeinschaften zu Gunsten einer erstarkten AU langfristig aufzulösen, weil sie über die AU weniger Kontrolle ausüben können als über die kleineren Wirtschaftsgemeinschaften. Ferner zeigt sich, dass etliche regionale Gemeinschaften – die UMA ist hier nur das prominenteste Beispiel – aufgrund von Rivalitäten zwischen ihren Mitgliedern sich nicht so weiterentwickeln, wie es notwendig wäre, um als Bausteine für die AU dienen zu können.

4 Treiber und Hürden der gesamtafrikanischen Integration

In der Transformationsphase von der OAU hin zur AU gab es keine Diskussion zu der Frage, ob die OAU-Mitglieder automatisch AU-Mitglieder werden würden. Dieser Umstand ist deshalb bemerkenswert, weil etliche der Prinzipien und Aufgaben der AU als ein Angriff auf nicht-demokratisch gewählte Regierungen verstanden werden können, steht doch die Förderung von Menschenrechten, die Konsolidierung demokratischer Institutionen und gute Regierungsführung im Zentrum des Handelns der neuen Organisation. Es gibt im Wesentlichen zwei Modelle, die erklären, warum die afrikanischen Staaten trotz dessen allesamt AU-Mitglieder wurden und bis dato nicht über einen Austritt aus der Union nachdenken.

Das eine Erklärungsmodell geht davon aus, dass Regionalorganisationen durch Normen und Werte zusammengehalten werden (Nathan 2006; Acharya 2012). Dazu gehört im konkreten Fall einerseits die Annahme, der Panafrikanismus sei das bindende Element (Murithi 2005) und andererseits die Vorstellung, dass die gemeinsamen Herausforderungen im Bereich der Friedens- und Sicherheitspolitik die afrikanischen Staaten zu einer „Sicherheitsgemeinschaft“ zusammenschweißen würden (Franke 2009). Es wird angenommen, dass sich Normen und Werte durch Regionalorganisationen verbreiten und innerhalb der Mitgliedstaaten internalisiert werden. Aus dieser Perspektive kann man die Bereitschaft von Staaten, der AU beizutreten, also als eine Willensbekundung interpretieren, sich für die demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien zu öffnen, die der AU zu Grunde liegen. Gleichzeitig schreibt man der AU die Fähigkeit zu, diese Prinzipien langfristig fördern und implementieren zu können (Tieku 2018).

Das zweite Erklärungsmodell ist mit realpolitischen Argumenten verbunden und lenkt den Blick auf die Regierungen in den AU-Mitgliedstaaten und deren Interessen. Hiernach wird die AU (und die regionalen Wirtschaftsgemeinschaften) als ein Mittel zum Zweck betrachtet. Aus diesem Blickwinkel führt das Bekenntnis zu demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien u. a. dazu, finanzielle Hilfe von Geberstaaten zu erhalten. Folglich ist es für die Mitgliedstaaten attraktiv, sich der AU anzuschließen. Davon profitiert am Ende die politische Führung eines Landes selbst. Denn diese Regierungen sitzen nicht zwangsläufig fest im Sattel, vor allem dann nicht, wenn sie nicht demokratisch legitimiert wurden und wenn sie einem Staat vorstehen, dessen Institutionen so schwach sind, sodass es schwierig ist, von interner Souveränität zu sprechen, also der Fähigkeit eines Staates, sein Territorium und seine Bevölkerung zu regieren. Ein in der Forschung gut verankertes Argument besagt, dass die Mitgliedschaft in der AU (und in anderen internationalen Organisationen) dazu führt, dass Staaten hierdurch externe Souveränität erhalten. Die afrikanischen Staats- und Regierungschefs bzw. -chefinnen können zudem ihre gegenseitige Anerkennung zur Stärkung ihrer politischen Macht im Inland nutzen (Clapham 1996; Söderbaum 2004; Englebert 2009; Welz 2013a). Es entsteht ein Paradox. Denn nach landläufiger Meinung sollte eine politische Integration dazu führen, dass Staaten Souveränität abgeben. Bei der AU führt sie jedoch auch dazu, dass Staaten ihre nationale Souveränität stärken können.

Die Zurückhaltung bzw. Ablehnung, sich im Rahmen eines politischen und wirtschaftlichen Integrationsprozesses zu beteiligen und umfangreich Souveränität an die AU abzugeben, darf allerdings nicht gleichgesetzt werden mit einer Kooperationsverweigerung. Denn insbesondere die Zusammenarbeit in der Friedens- und Sicherheitspolitik sowie die schrittweise Umsetzung einer afrikanischen Freihandelszone sind Zeichen einer Kooperationsbereitschaft afrikanischer Staaten, wie im Folgenden deutlich wird.

5 Wirtschafts- und Entwicklungspolitik

Die ökonomische Integration voranzutreiben ist eines der Ziele der AU, um so die Wirtschaftskraft und in Folge auch die sozioökonomische Entwicklung zu steigern. Wenngleich es bereits in der Frühphase des 20. Jahrhunderts erste Zollunionen in Afrika gab, nahm der Wunsch nach mehr wirtschaftlicher Kooperation erst in den fünfziger Jahren mit der Schaffung der Economic Commission for Africa, einer Institution der Vereinten Nationen, eine umfassendere Gestalt an. Ab den siebziger Jahren wurde diese Kommission eine zentrale Fürsprecherin der Idee, wirtschaftliche Integration durch Kooperation zwischen afrikanischen Staaten zu fördern (Adedeji 1984). Deshalb entwickelte sie als eine der treibenden Kräfte auch den Aktionsplan von Lagos (Lagos Plan of Action) mit, der 1980 von den Staats- und Regierungschefs verabschiedet wurde. Dieser auf zwanzig Jahre angelegte Plan sah vor, dass die regionalen Wirtschaftsgemeinschaften in einem ersten Schritt gestärkt und in einem zweiten Schritt miteinander harmoniert werden sollten. So sollte mehr Unabhängigkeit von internationalen Gebern, von denen viele Staaten Afrikas abhängig waren, erlangt und die Wirtschaftskraft gestärkt werden (OAU 1980).

Mit dem Vertrag von Abuja präzisierte die OAU 1991 ihren Weg hin zu einer vertieften wirtschaftlichen Integration und legte die bis heute weitgehend gültigen Leitlinien fest. Hiernach soll über mehrere Zwischenschritte bis zum Jahr 2028 eine afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft samt einer Währungsunion entstehen. Da der Plan auf den grundsätzlichen Überlegungen des Aktionsplans von Lagos basiert, nämlich zunächst regionale Wirtschaftsgemeinschaften zu stärken und diese dann zu harmonisieren, die entstandenen Wirtschaftsgemeinschaften aber die ökonomische Integration nicht allerorts derart weit vorangetrieben haben, dass an eine Harmonisierung zu denken wäre, ist der Zeitplan für die Umsetzung des Vertrags von Abuja schon seit Jahren nicht mehr einzuhalten (Economic Commission for Africa 2017). Gleichwohl gibt es mit Blick auf die Reisefreiheit in der EAC oder der ECOWAS aber auch deutliche Fortschritte bei der Implementierung der Integrationsabsichten.

Parallel zu den im Vertrag von Abuja fixierten Plänen entwickelten im Kontext der oben skizzierten Veränderungen der neunziger Jahre einige afrikanische Staatschefs Vorschläge für die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents, die 2001 in der Gründung der Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (New Partnership for Africa’s Development, NEPAD) mündeten. Die Hauptziele der Initiative waren es, Armut zu beseitigen, nachhaltiges Wachstum und Entwicklung zu fördern, Afrika in die Weltwirtschaft zu integrieren und Frauenrechte zu stärken (de Waal 2002). Vor allem weil NEPAD als eine Parallelinstitution zur AU und als ein von Südafrika dominiertes Projekt gesehen wurde, waren viele Staatsoberhäupter gegenüber dieser Initiative skeptisch (Melber 2004). Dieser Widerstand führte 2010 dazu, dass die NEPAD in die AU-Strukturen integriert wurde. Auch der Umstand, dass die NEPAD ein umfassendes Entwicklungsprogramm war, das mittels seines African Peer Review Mechanism ebenso die Demokratie förderte und einforderte, trug zum Argwohn mancher Regierungen gegenüber der Initiative bei. Trotz dieser Bedenken ist dieser Mechanismus, der u. a. zur Überwachung demokratischer Standards dient, bis heute ein viel beachtetes Instrument der AU. Die Union hat 2011 ihre Bemühungen im Bereich Stärkung von Demokratie, gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit durch die Schaffung der sogenannten African Governance Architecture, einem Dialogforum, weiter gestärkt hat.

Mit der 2013 verabschiedeten Agenda 2063 hat die AU die Pläne der wirtschaftlichen Integration und Entwicklung des Kontinents, die, wie geschildert, teils noch aus OAU-Zeiten stammen, gebündelt und weiterentwickelt und so ein ambitioniertes Programm aufgestellt (AU 2013). Denn diese Agenda bringt den Aktionsplan von Lagos, den Vertrag von Abuja und die NEPAD-Initiative zusammen und möchte bis 2063 – also hundert Jahre nach Gründung der OAU – neben weiteren Vorzeigeprojekten vor allem eine Freihandelszone etablieren und einen afrikanischen Reisepass herausgeben, der die Visumspflicht für Reisen seiner Inhaberinnen und Inhaber innerhalb Afrikas beendet (AU 2013). Im Jahr 2018 folgte mit der Gründung der afrikanischen Freihandelszone, der African Continental Free Trade Area, ein gewichtiger Schritt bei der Umsetzung der Agenda 2063, mit der sich viele Hoffnungen für den wirtschaftlichen Aufstieg des Kontinents verbinden. Die konkrete Umsetzung der Freihandelszone begann im Januar 2021. Mitte 2021 hatten bereits 37 der AU-Mitgliedstaaten die notwendigen Verträge hierzu ratifiziert. Mit Ägypten, Algerien, Nigeria und Südafrika gehören auch die wirtschaftlichen Schwergewichte des Kontinents zu den teilnehmenden Staaten. Ob das von der Weltbank vorhergesagte Potenzial der Freihandelszone erreicht wird, nämlich dass durch sie bis zu 30 Mio. Afrikanerinnen und Afrikaner aus extremer Armut geholt werden und das Einkommen von weiteren 68 Mio. Menschen des Kontinents, die gegenwärtig von weniger als 5,50 US-Dollar pro Tag leben, verbessert wird (World Bank 2020), hängt vor allem davon ab, ob es den afrikanischen Regierungen gelingt, Bereiche wie den Dienstleistungssektor in die Freihandelszone einzuschließen, die Transportinfrastruktur zu verbessern und die Korruption zu bekämpfen (Draper et al. 2018; Steinwehr 2020; Akinkugbe 2021).

6 Frieden- und Sicherheitspolitik

Das Erreichen von Frieden und Stabilität ist eine große, wenn nicht gar die größte Aufgabe in Afrika. Die Krise in der Sahelregion, der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt in Somalia, die Auseinandersetzungen im Südsudan und der gewaltsame Konflikt in der äthiopischen Region Tigray gehören zu den gegenwärtig größten sicherheitspolitischen Herausforderungen auf dem Kontinent. Weil es in der Vergangenheit schon immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam – man denke an die Genozide in Ruanda (1994) und Darfur (2003), „Afrikas Weltkrieg“ (Prunier 2009) in der Region der Großen Seen (1998–2003) und die jahrzehntelangen Spannungen in der Zentralafrikanischen Republik (seit 1996) – war von Anfang an klar, dass eine reformierte OAU sich solchen Herausforderungen explizit stellen muss. Dabei wurde Mitte der neunziger Jahre deutlich, dass die damals – angesichts der vielen Krisen auf der Welt stark geforderten – Vereinten Nationen nicht in der Lage waren, sich allen Krisen in Afrika anzunehmen. Deshalb und weil es die Grundstimmung gab, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, wurde das Ziel ausgegeben, afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme zu entwickeln. So hält Artikel 3f des AU-Gründungsvertrags fest, dass es eines der Ziele der AU sei, „Frieden, Sicherheit und Stabilität zu fördern“ und der bereits erwähnte Artikel 4h erlaubt das Einschreiten der Union in Fällen von Kriegsverbrechen, Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (AU 2000, Art. 3f und 4h). Mit diesen Vorgaben rückte die AU die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt ihres Handelns und geht damit weiter als die OAU, der es vor allem um den Schutz der Staaten ging. Letztere verliert die AU dabei aber nicht aus dem Blick. So hält sie weiterhin an der Kairo-Deklaration von 1964 fest und trägt damit dazu bei, dass es bis auf die Kriege zwischen Tansania und Uganda Ende der 1970er-Jahre und zwischen Äthiopien und Eritrea Ende der 1990er-Jahre bislang keine zwischenstaatlichen Kriege im postkolonialen Afrika gab. In Bezug auf die Prävention zwischenstaatlicher Kriege war die OAU und ist die AU also erfolgreich.

Bei der Bewältigung von innerstaatlichen Konflikten ist die AU ebenso aktiv und versucht, Konflikte zu verhindern, zu managen und zu lösen. Dafür nutzt die AU ihr weitreichendes Interventionsmandat. So hat sie oder die zuständige regionale Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 2018 in 31 Konflikten auf dem Kontinent interveniert. Dabei war Diplomatie das in allen Fällen eingesetzte Instrument. In 14 Fällen setzte sie zudem Mediation ein und in sechs Fällen gab es eine Friedensoperation (Institute for Peace and Security Studies 2020). Neben Diplomatie setzt die AU auch immer wieder auf Sanktionen, vor allem als Werkzeug, um verfassungswidrigen Regierungswechseln entgegenzuwirken.

6.1 Mediation und Diplomatie

Diplomatie ist zwar das am häufigsten genutzte Instrument in der Konfliktlösung, was z. B. durch die Entsendung eines Sondergesandten für Libyen, um die AU-Initiativen für Frieden und Sicherheit dort zu unterstützen, sichtbar wird. Jedoch ist Diplomatie in Bezug auf seine Effektivität nicht so erfolgsversprechend wie Mediation (Institute for Security Studies 2020). Unter Mediation versteht man das Lösen von Konflikten durch die Konfliktparteien selbst mithilfe von Mediatoren bzw. Mediatorinnen, die einen Dialog zwischen den Konfliktparteien initiieren und unterhalten. Dabei ist es u. a. wichtig, dass die Mediatorinnen und Mediatoren mit den lokalen Gegebenheiten vertraut sind, keinen Zeitdruck haben, es keine vorher festgelegten Ziele gibt und die Konfliktparteien willens sind, an der Mediation teilzunehmen (Brahimi und Ahmed 2007). Diese Voraussetzungen waren z. B. während der Mediation nach einem Staatsstreich in Madagaskar (2009) nicht alle gegeben. Denn anders als angedacht nahmen hier die Konfliktparteien nicht freiwillig an der Mediation teil. Überdies war von vorneherein festgelegt, wann Wahlen zum Beenden der Krise stattfinden sollten. Gibt es solche konkreten Zielvorgaben, werden Mediatoren und Mediatorinnen zu Verhandelnden, die mitunter auch auf (die Androhung von) Zwangsmaßnahmen zurückgreifen müssen, um die vorgegebenen Ziele zu erreichen. Unter diesen Umständen ist Mediation im eigentlichen Sinne kaum noch möglich (Witt 2017). Mediation fordert vielmehr Flexibilität, die Fähigkeit, sich den lokalen Umständen anzupassen und den Willen, offen Gespräche zu führen. Deshalb kann es auch keine einheitliche Strategie geben, sondern lediglich einen Leitfaden für die Mediation, wie ihn die AU hat erarbeiten lassen (AU 2009, 2014).

Zwei Beispiele verdeutlichen, dass Mediation ein effektives Instrument sein kann, Konflikte zu lösen. So gelang es z. B. dem ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, 2008 – nach umstrittenen Wahlen in Kenia – erfolgreich zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Ebenso schafften es 2019 von der AU in den Sudan entsandte Mediatoren, ein Abkommen zwischen Repräsentanten der Zivilgesellschaft und der Junta auszuhandeln, die nach dem Fall von Präsident al-Bashir die Macht übernommen hatte (BBC 2019). Aufgrund dieser Erfolge setzt die AU neben Diplomatie verstärkt auf Mediation, was auch durch die Schaffung einer AU Mediation Support Unit deutlich wird. Grundsätzlich zeigt sich, dass afrikanische Mediatorinnen und Mediatoren aufgrund der ihnen zugeschriebenen höheren Legitimität erfolgreicher bei ihren Mediationsbemühungen sind als andere Akteure (Duursma 2020).

6.2 Sanktionen

Staatsstreiche sind ein in Afrika regelmäßig wiederkehrendes Phänomen, wenngleich es bei Weitem nicht alle Staaten des Kontinents betrifft. So gab es zwischen 1950 und Mitte 2021 insgesamt 208 Staatsstreiche in Afrika. Sowohl die Anzahl der Staatsstreiche als auch die durchschnittliche Zeitspanne, die durch Staatsstreiche an die Macht gekommene Regime in der Regierung verbringen, sind rückläufig (Powell und Thyne 2011; Souaré 2014). Dies ist auf der einen Seite auf die Demokratisierungsbemühungen auf dem Kontinent zurückzuführen und hängt andererseits mit der strikten Sanktionierung von verfassungswidrigen Regierungswechseln durch die AU zusammen (Clark 2007; Powell et al. 2016).

Die AU spricht nicht von Staatsstreichen, sondern von verfassungswidrigen Regierungswechseln. Darunter versteht sie neben klassischen Staatsstreichen, bei denen sich das Militär an die Macht putscht, auch Interventionen von Söldnern, eine Absetzung der gewählten Regierung durch bewaffnete Rebellengruppen, die Verweigerung der Regierung, nach Wahlniederlagen das Amt zu verlassen und das Umschreiben von Verfassungen, das dem Streben entgegenwirkt, demokratischen Wandel zu ermöglichen (Souaré 2014, S. 77–78). Kommt es zu solch einem verfassungswidrigen Regierungswechsel, suspendiert die AU das Land solange aus der Organisation, bis die verfassungsgemäße Ordnung wiederhergestellt ist. Der Druck solcher Sanktionen kann eine enorme Wirkung entfalten (Grauvogel und Soest 2018). Denn vor allem die nicht aus dem Staat selbst heraus legitimierten Regierungen sind von der Anerkennung von außen abhängig (siehe unten). Verweigern die AU und ihre Mitgliedstaaten die Anerkennung eines Regimes, kann dieses dadurch geschwächt sein, weil ihm die externe Legitimation fehlt. Die Nicht-Anerkennung ist neben wirtschaftlichen Sanktionen und zielgerichteten Strafmaßnahmen gegen das Regime der Hebel, mit dem die AU versucht, Druck aufzubauen, um die verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen. Damit ist sie mitunter erfolgreich, wie der Fall Burkina Faso zeigt. Denn dort führte 2015 der Druck der AU – neben Massenprotesten – dazu, dass die Junta letztlich aufgab und Wahlen zuließ, die die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung markierten.

6.3 Friedensoperationen

Friedensoperationen sind ein zentrales Mittel des Konfliktmanagements. Sie umfassen militärische und/oder zivile Operationen, die das Ziel verfolgen, Frieden zu schaffen oder (langfristig) zu sichern.

Die Afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur war noch im Aufbau, als die AU 2003 beschloss, eine militärische Operation nach Burundi zu entsenden, um die volatile Lage dort zu stabilisieren. Die erste AU-Friedensoperation war damit im Feld. Es folgten weitere Operationen: 2004 in der sudanesischen Region Darfur (African Union Mission in Sudan), eine Operation, die 2008 in die United Nations-African Union Mission in Darfur überführt wurde, 2007 in Somalia (African Union Mission in Somalia), 2008 auf den Komoren, 2013 in Mali (African-led International Support Mission to Mali) sowie 2013 in der Zentralafrikanischen Republik (African-led International Support Mission to the Central African Republic). Zweifelsohne hat sich die AU zu einem wichtigen Akteur im Bereich der Friedensoperationen entwickelt. Mit ihrer Friedensoperation in Somalia unterstreicht sie, dass sie auch dort bereit ist einzugreifen, wo andere Akteure hinsichtlich der Entsendung von Truppen zurückhaltend sind (Williams 2009).

Die AU hat in den rund 20 Jahren seit ihrer Gründung weit mehr Friedensoperationen durchgeführt als ihre Vorgängerin, die OAU, die zwischen 1963 und 2002 nur eine Operation entsandt hatte, namentlich in den Tschad (1981–1982). Dies liegt einerseits daran, dass die AU das Mandat für solche Interventionen hat und ihr mit der Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur auch die notwendigen Instrumente zur Verfügung stehen. Andererseits spielt externe Unterstützung – die Sicherheitsarchitektur und die AU-Friedensoperationen werden maßgeblich durch Geber finanziert – eine gewichtige Rolle. Ein Faktor für die grundsätzliche Unterstützung der AU durch externe Geber ist, dass sie deutlich günstiger operiert als die Vereinten Nationen, die Europäische Union oder ad hoc-Koalitionen und dass ihre Einsatzregeln es erlauben, im Einsatzgebiet robust aufzutreten, was vor allem beim Schaffen und Erzwingen von Frieden vorteilhaft sein kann.

Bei ihren Bemühungen, mittels Friedensoperationen eine zentrale Rolle im Konfliktmanagement auf dem Kontinent einzunehmen, stößt die AU immer wieder an ihre Grenzen und ist mit etlichen Herausforderungen konfrontiert. Zu diesen gehören, erstens, die mangelnde technische und finanzielle Ausstattung, die für die Planung und Durchführung von Friedensoperationen wesentlich ist. So hängt die AU nicht nur bei der Finanzierung von militärischen Operationen von internationalen Gebern ab, sondern auch bei der technischen Infrastruktur, wenn sie z. B. auf die Hilfe der NATO und deren Mitgliedstaaten zurückgreifen muss, um ihre Truppen ins Einsatzgebiet zu transportieren. Zweitens muss sie mit Widerständen seitens ihrer Mitgliedstaaten kämpfen, die nicht immer willens sind, eine Operation der AU zu unterstützen. Dies zeigte sich besonders gut während der Krise in Mali (2012/13), während derer sich etliche afrikanische Staaten an die französische Regierung wandten, anstatt sich der afrikanischen Initiative anzuschließen und die African-led International Support Mission to Mali ins Feld zu bringen, eine Operation, die bereits vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen autorisiert worden war (Weiss und Welz 2014; Welz 2022). Drittens sieht sich die AU mitunter auch mit massiven Widerständen von außen konfrontiert, vor allem dann, wenn die Interessen gewichtiger Staaten betroffen sind, wie die Libyen-Krise suggeriert, während der die AU an den Rand gedrängt wurde. Unter solchen Umständen tritt die – ansonsten durch finanzielle Hilfe sichtbare – grundsätzliche Unterstützung der AU in den Hintergrund (Gelot und Welz 2019).

7 Außenpolitik

Die AU ist für etliche afrikanische Staaten eine Plattform, mittels derer sie sich auf der internationalen Ebene Gehör verschaffen können (Brown und Harman 2013), weshalb sie auch als „rallying vehicle for African interests“ betrachtet wird (Murithi 2014, S. 2). Obschon Außenpolitik vor allem von den AU-Mitgliedstaaten selbst betrieben wird, hat sich die AU zu einem veritablen internationalen Akteur entwickelt. Als solcher hält die Union regelmäßig Konsultationen mit der Europäischen Union, China, Indien sowie der Türkei und versucht, über diese Kanäle sowie über die Generalversammlung und den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen internationale Politik zu beeinflussen. Überdies bezieht sie zu Fragen der Entwicklungs-, Handels-, und Wirtschaftspolitik Position und engagiert sich für die Rechte afrikanischer Staaten, was sich u. a. durch ihre Unterstützung für die Versuche Mauritius’ ausdrückt, die Souveränität über die von Großbritannien völkerrechtswidrig kolonisierten Chagos-Inseln zu erlangen. Anhand von drei Fällen zeigt dieser Abschnitt unter welchen Umständen es afrikanischen Staaten gelingen kann, eine gemeinsame Position zu entwickeln: ihren Forderungen nach einer Reform des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, den Verhandlungen zum Klimaschutz und ihren Bemühungen, den Patentschutz für Corona-Impfstoffe aufzuheben.

7.1 Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

Afrikanische Staaten kritisieren seit vielen Jahren die Zusammensetzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, in dem sie unterrepräsentiert sind. Eine besonders intensive Diskussion zu einer möglichen Reform des Sicherheitsrats gab es im Jahr 2005, im Vorfeld des 60. Jahrestages der Vereinten Nationen. Neben Brasilien, Deutschland, Indian und Japan, den sogenannten G4, war es vor allem die AU, die diese Diskussion prägte.

Im Vorfeld der Sitzung der Generalversammlung im Herbst 2005 lagen verschiedene Reformvorschläge auf dem Tisch. So hatte eine von den Vereinten Nationen eingesetzte Gruppe von Expertinnen und Experten zwei Vorschläge erarbeitet, wovon einer anregte, sechs ständige und drei nicht-ständige Mitglieder dem Sicherheitsrat hinzuzufügen (United Nations 2004, Abs. 249–260). Bereits im März 2005 hatten sich die AU-Mitgliedstaaten im Konsens von Ezulwini darauf verständigt, weitere sechs ständige und fünf zusätzliche nicht-ständige Sitze für den Sicherheitsrat zu fordern. Zwei dieser geforderten ständigen Sitze sollten an afrikanische Staaten gehen und die neuen ständigen Mitglieder sollten ein Vetorecht erhalten (AU 2005). Die AU hob in ihrer Begründung die weitgehende Handlungsunfähigkeit Afrikas in den Jahren hervor, in denen der Sicherheitsrat seine derzeitige Gestalt erhielt. Hiernach war Afrika 1945 bei Gründung der Vereinten Nationen noch kolonisiert und 1963, als der Sicherheitsrat zum ersten und bislang letzten Mal reformiert wurde, war Afrika in „keiner besonders starken Position“ (AU 2005, S. 9), angesichts der erst kurz zuvor erlangten Unabhängigkeit der meisten Staaten des Kontinents. Aus dieser Feststellung leitete die AU den Anspruch ab, dass die Marginalisierung Afrikas nun behoben werden müsse (AU 2005). Für die G4 war ein gemeinsamer Vorschlag mit der AU hilfreich, da Afrika der größte regionale Stimmblock in der Generalversammlung der Vereinten Nationen ist, die einer Reform zustimmen muss. Das Ergebnis von Konsultationen der G4 und der AU war der Vorschlag, dem Sicherheitsrat sechs ständige Mitglieder hinzufügen, namentlich die G4 und zwei afrikanische Staaten. Auf die Forderungen nach einem Vetorecht wurde verzichtet.

Widerstand gegen diesen gemeinsamen Vorschlag kam von vielen Seiten. Die von Italien angeführte Gruppe Uniting for Consensus lehnte diesen Vorstoß ab und forderte stattdessen, dem Sicherheitsrat zehn nicht-ständige und kein ständiges Mitglied hinzuzufügen. Auch China, Russland und die USA sprachen sich gegen den G4-AU-Vorschlag aus, was faktisch der „Sargnagel dieser ambitionierten Initiative“ (Lättilä und Ylönen 2019, S. 168) war. Für dieses Kapitel am wichtigsten ist jedoch der Widerstand, der sich innerhalb Afrikas gegen diesen Vorschlag bildete. Denn die afrikanischen Staats- und Regierungschefs bzw. -chefinnen standen keinesfalls geschlossen hinter dieser scheinbar gemeinsamen Initiative. Es kam zu heftigen Diskussionen zwischen den AU-Mitgliedstaaten, insbesondere zwischen Nigeria und Südafrika, da der Konsens von Ezulwini nicht konkret festgelegt hatte, welche afrikanischen Staaten genau die dem Kontinent zufallenden Sitze erhalten sollten (Maseng und Lekaba 2014).

7.2 Klimaschutz und Kompensationszahlungen

Die Verhandlungen zum internationalen Klimaschutz und, damit verbunden, die Kompensationszahlungen für afrikanische Staaten werden weithin als eine „Erfolgsgeschichte“ des gemeinsamen Handelns der AU-Mitgliedstaaten gesehen (Vickers 2013, S. 687). Dieser Erfolg wurde besonders während der internationalen Verhandlungen 2009 in Kopenhagen deutlich, als afrikanische Staaten geeint auftraten, ein kaum widerlegbares Argument vorbrachten und so letztlich ihre Interessen durchsetzen konnten, namentlich die Zusicherung signifikanter Kompensationszahlungen der industrialisierten Länder, deren Handeln den Klimawandel verursacht hat, unter dem auch afrikanische Staaten durch Wetterextreme unverschuldet leiden.

Afrikanische Staaten traten in den internationalen Klimaverhandlungen, die seit 1995 im Kontext der UN Framework Conventions on Climate Change (UNFCCC) stattfinden, nicht immer geeint auf. Zunächst agierten sie gemeinsam mit China oder den G77, einer größeren Gruppe von Ländern des Globalen Südens, ehe sie erkannten, dass sich ihre Interessen teils von denen der G77 unterschieden und es strategisch gewinnbringender erschien, als afrikanischer Block zu verhandeln. Durch das erste UNFCCC-Treffen in einem AU-Mitgliedstaat, das 2006 im kenianischen Nairobi stattfand, rückten die Interessen afrikanischer Staaten verstärkt in den Mittelpunkt der internationalen Klima-Diskussionen. Gleichzeitig banden die afrikanischen Unterhändler und Unterhändlerinnen vermehrt außenstehende Expertise ein und die afrikanischen Regierungen selbst brachten sich deutlich mehr in die Debatten ein. Für den Verhandlungserfolg in Kopenhagen war dann vor allem wichtig, dass die AU-Mitgliedstaaten sich auf eine Position einigen konnten (Vickers 2013; Welz 2013b). Diese Einigkeit war möglich, weil die Regierungen wenig verlieren, aber viel gewinnen konnten, nämlich nicht nur Kompensationszahlungen, sondern auch die Festlegung eines maximal erlaubten Temperaturanstiegs und damit die Hoffnung, dass die Folgen des Klimawandels für ihre Länder langfristig abgemildert werden können. Deshalb war es attraktiv, sich hinter den afrikanischen Verhandlungsführern zu versammeln und diese die kollektive afrikanische soft power ausspielen zu lassen. Diese Kooperation zwischen afrikanischen Staaten wirkte auch bei den folgenden Klimaverhandlungen ähnlich gewinnbringend (Masters 2011; Roger und Belliethathan 2016).

7.3 Corona-Pandemie und Impfstoffpatente

Während der Corona-Pandemie nutzten afrikanische Staaten die AU, um ihre Kritik an der weltweiten Verteilung der Impfstoffe gegen das Corona-Virus zu äußern und darauf hinzuwirken, dass Afrika seinen „fairen Anteil“ an Impfdosen erhält (Dersso 2021). Bereits im Oktober 2020 setzte sich Südafrika gemeinsam mit Indien dafür ein, bestimmte Regeln im Zusammenhang mit dem Patentschutz für Impfstoffe auszusetzen, sodass schneller und vor allem günstiger Impfstoffe für Afrika (und den Globalen Süden) produziert werden können. Die AU stellte sich im Februar 2021 mit ihrem „kollektiven Gewicht“ (Dersso 2021) hinter diese Initiative und argumentierte, dass die besonderen Umstände besondere Maßnahmen erforderten (AU 2021b). Im Mai bekam die AU dann Unterstützung vom US-Präsidenten Joe Biden, der sich offen für die Initiative zeigte. Ähnliches galt für die Kommission der Europäischen Union, die einer Aufweichung des Patenschutzes im gegebenen Fall ebenfalls grundsätzlich zustimmte. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks der deutschen Regierung, die sich vehement gegen diese Initiative stemmte, trugen die Versuche der AU bis Mitte 2021 keine Früchte. Wenngleich es keine konkreten Resultate gab und überdies infrage steht, ob die Aufhebung des Patentschutzes die Impfstoffversorgung beschleunigen würde angesichts der Tatsache, dass die Produktionskapazitäten in Afrika erst geschaffen werden müssten, kann man festhalten, dass die AU-Initiative in gewissem Umfang erfolgreich war. Denn sie brachte nicht nur das Thema der globalen Ungleichheit hinsichtlich der Impfstoffversorgung auf die internationale Agenda, sondern erreichte auch, dass sich gewichtige Staaten wie die USA hinter ihren Vorschlag stellten.

Diese drei Beispiele illustrieren, dass die AU dann eine Chance hat, ihre Position international durchzusetzen, wenn sie geschlossen agiert, ihre soft power gezielt einsetzt und wenn die Interessen mächtiger Staaten nicht im Wege stehen. Viel hängt also davon ab, ob die afrikanischen Staaten es schaffen, eine gemeinsame Position zu finden, wenn sie auf der internationalen Bühne mehr Einfluss nehmen wollen (Welz 2013b).

8 Fazit

Wie schon in der Gründungsphase ihrer Vorgängerin, der OAU, ist die AU bis heute mit der Frage konfrontiert, in welchem Maße die Mitgliedstaaten Souveränität gegenüber der Union abzugeben bereit sind. Seit dem Ende der Gaddafi-Zeit, in der diese Fragestellung durch den libyschen Staatschef eher konfrontativ angegangen worden war, sehen wir, dass es der AU zunehmend gelingt, sich inkrementell weiter zu entwickeln, also Schritt für Schritt die Zusammenarbeit zu vertiefen. Insbesondere die Errungenschaften in den Bereichen Friedens- und Sicherheitspolitik, der Ächtung von verfassungswidrigen Regierungswechseln und der beginnende Handel innerhalb der gesamtafrikanischen Freihandelszone können als ein Ausdruck dessen interpretiert werden, dass die AU und ihre Mitgliedstaaten in zunehmendem Maße gewillt sind, ihre zweifelsohne gut formulierten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kooperationsabsichten auch umzusetzen. Dennoch bleiben etliche Stolpersteine auf dem weiteren Weg, wobei die Bereitschaft, rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien einzuhalten, die Bereitschaft, sich an die im Kollektiv beschlossenen Entscheidungen auch zu halten, und letztlich der Wille, Souveränität abzugeben, die schwerwiegendsten sind.