DIW Berlin: Rassismus erhöht das Armutsrisiko Direkt zum Inhalt

Rassismus erhöht das Armutsrisiko

Blog Marcel Fratzscher vom 13. Mai 2024

Muslimische, schwarze und asiatische Menschen in Deutschland sind häufiger von Armut bedroht als weiße Personen. Und das sogar als Akademiker*innen mit Vollzeitjobs.

Von Rassismus betroffene Menschen haben ein höheres Armutsrisiko – auch bei einem hohen Bildungsabschluss oder Vollzeitarbeit. Das stellt eine neue Studie des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) fest, wonach eine höhere Armutsgefährdung für sogenannte rassistisch markierte Menschen besteht. Rassistisch markiert bedeutet dabei, dass sich die Personen als schwarz, muslimisch oder asiatisch identifiziert haben.

Diese Kolumne erschien am 10. Mai 2024 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Generell ist die Zahl der von Armut betroffenen Menschen in Deutschland in den 2010er-Jahren trotz wirtschaftlichen Erfolgs gestiegen. Schon lange bekannt ist dabei, dass manche Gruppen – alleinerziehende Mütter, Menschen ohne Bildungsabschluss und ohne Arbeit, oder Menschen mit Migrationshintergrund – deutlich häufiger von Armut betroffen sind. Ein wichtiger blinder Fleck war bisher aber die Rolle von Rassismus, der nun durch die neue Studie aufgedeckt wurde. 

Wissen sollte man, dass Menschen als von Armut gefährdet gelten, wenn sie in Haushalten leben, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. So liegt das Armutsrisiko bei muslimischen Männern bei 41 Prozent und ist damit viel höher als im Vergleich mit allen in Deutschland lebenden Menschen, für die das Risiko mit 15 Prozent zu beziffern ist. Betrachtet man nur Personen, die als nicht rassistisch-markiert gelten, überspitzt formuliert könnte man auch von Personen sprechen, die eher als "biodeutsch" gelesen werde, so beträgt deren Armutsrisiko nur 9 Prozent. 

Armutsgefährdumg ist keine Frage der Bildung

Nun könnte man einwenden, dass zum Beispiel unter Muslim*innen viele Menschen sind, die noch nicht lange in Deutschland leben und die vielleicht in einem Asylverfahren sind und daher nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig sind. Rassistisch markierte Menschen sind entsprechend weniger häufig in Beschäftigung, haben einen geringeren Bildungsabschluss und andere soziodemografische Eigenschaften, die eher Armut bedingen. Man kann diese Faktoren methodisch für den wissenschaftlichen Vergleich korrigieren – und selbst nach Korrektur für diese Unterschiede beträgt das Armutsrisiko bei muslimischen Männern noch immer mindestens 33 Prozent, bei asiatischen Männern 27 Prozent und bei schwarzen Männern 20 Prozent. Diese Zahlen für die korrespondierenden Gruppen ist für Frauen nur geringfügig niedriger.

Die Vermutung liegt nahe, dass diese riesigen Unterschiede in der Armutsgefährdung vor allem daran liegen könnten, dass rassistisch markierte Menschen nicht nur selbst häufig eine geringere Bildung und Qualifizierung besitzen und weniger arbeiten, sondern dass dies auch auf ihre Familienmitglieder zutrifft. Daher ist es bemerkenswert, dass das Armutsrisiko selbst dann enorm hoch ist, wenn rassistisch markierte Menschen einen hohen Bildungsabschluss, also mindestens ein Studium mit einem Bachelor-Abschluss abgeschlossen oder eine Meisterprüfung erfolgreich absolviert haben und in Vollzeit beschäftigt sind. Bei in Vollzeit beschäftigten muslimischen Männern ist das Armutsrisiko mit 21 Prozent mehr als viermal höher als das von nicht rassistisch markierten Männern in Vollzeit. Auch bei schwarzen Männern ist die Armutsgefährdung noch dreimal höher. Bei muslimischen Männern mit einem akademischen Abschluss liegt die Armutsgefährdung bei 33 Prozent, bei schwarzen Männern noch immer bei 15 Prozent – also knapp sechsmal bzw. dreimal höher als für weiße Männer mit hohem Bildungsabschluss.

Das Aufstiegsversprechen gilt für muslimische, schwarze oder asiatische Personen nicht

Diese Resultate unterstreichen, dass Armut nicht per se mit fehlender Beschäftigung, wenig Bildung und geringer Qualifizierung verbunden sind. Diese Zahlen bedeuten einen fundamentalen Bruch mit dem Gesellschaftsvertrag: das Versprechen, dass Leistung durch Arbeit und gute Bildung belohnt werden durch ein auskömmliches Einkommen, von dem es sich gut leben lässt. Das Versprechen, Aufstieg durch Bildung und Integration durch Arbeit sind somit für manche Menschen in unserem Land schlichtweg ein falscher Mythos.

Und auch das Geburtsland und die Staatsbürgerschaft spielen eine wichtige Rolle. Muslimische, schwarze oder asiatische Männer haben eine mehr als doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit von Armut betroffen zu sein, wenn sie nicht in Deutschland geboren wurden, ebenso wenn sie keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. 

Wie Menschen in der Bundesrepublik ankommen, hat also einen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg von Zugewanderten. Die Tatsache, dass Deutschland bei seiner Willkommenskultur große Defizite hat, ist zwar nicht neu, aber die Daten aus dieser Studie zeigen noch einmal auf, welche Bedeutung es hat, wenn eine Gesellschaft offen ist – oder eben nicht. 

Das Dilemma der Staatsbürgerschaft

Wichtig in diesem Zusammenhang sind auch die Zukunftsperspektiven. Menschen investieren weniger in ihre Bildung und in ihre Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft, wenn sie ein Land in den nächsten zwei Jahren wohl wieder verlassen müssen. Diese Menschen werden nur versuchen, Geld zu verdienen, aber dabei nicht auf Investitionen in die eigene Ausbildung und Qualifizierung achten. Deutschland sollte den mittlerweile 3,3 Millionen Schutzsuchenden eine klare Zukunftsperspektive eröffnen, wie und unter welchen Voraussetzungen sie in der Bundesrepublik bleiben können. Die Staatsbürgerschaft und dass man sie überhaupt erlangen kann, ist dabei wesentlich.

Es geht nicht darum, dass die deutsche Staatsbürgerschaft "verramscht" wird, wie von manchen behauptet, sondern Zugewanderten einen Anreiz zu geben, die Staatsbürgerschaft nach fünf Jahren erhalten zu können. Zurzeit befindet sich Deutschland in einem unauflöslichen Dilemma: Die Staatsbürgerschaft wird an ein auskömmliches finanzielles Einkommen gekoppelt. Gleichzeitig bedeutet eine fehlende Perspektive darauf ein höheres Armutsrisiko. Dieses Dilemma sollte endlich durchbrochen werden, indem die Perspektiven auf permanenten Aufenthaltsstatus und Staatsbürgerschaft deutlich verbessert und verlässlicher gemacht werden.

Auch der Sozialstaat profitiert von mehr Integration

Von einer klaren Zukunftsperspektive, einer besseren Willkommenskultur und dem Abbau von Hürden für die Integration in den Arbeitsmarkt profitieren nicht nur rassistisch markierte Menschen, sondern die ganze Gesellschaft. Deutschland hat ein riesiges Arbeitskräfteproblem. Es gibt 1,8 Millionen offene Stellen, über die nächsten zehn Jahren werden weitere fünf Millionen dazu kommen. Viele Unternehmen suchen händeringend nach Auszubildenden und bereits qualifizierten Menschen. Viele Firmen bilden Menschen mit Migrationsgeschichte aus, die keine klare Bleibeperspektive in Deutschland haben, die die Sprache nicht perfekt sprechen und auch (noch) keinen anerkannten Abschluss vorweisen können. Die Integrationsleistung vieler Unternehmen ist enorm wichtig. Denn viele Migrant*innen können dadurch wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen. Das entlastet den Sozialstaat. Und die Zugewanderten werden selbst zu Steuerzahlenden und somit zu Menschen, die sich für Deutschland engagieren. Die rasche Integration der 3,3 Millionen Schutzsuchenden in Deutschland ist daher ein riesiges wirtschaftliches Potenzial für unser Land.

Armut hat keine Hautfarbe, keine Religion, kein Geschlecht und keine Herkunft. Armut wird allzu oft vererbt oder ist das Resultat von Diskriminierung und auch von Rassismus. Die Politik muss mehr tun, um die Hürden für die Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft abzubauen und vor allem eine klare Zukunftsperspektive anzubieten. Vor allem aber muss sie auch Rassismus als Ursache für Armut viel stärker adressieren.

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