Ein Bild der Supernova 30 Doradus B. Ohne die Grundsätze der Allgemeinen Relativitätstheorie wäre die moderne Astrophysik nicht vorstellbar. Dennoch bezweifeln viele Menschen außerhalb des Gebiets ihre Richtigkeit.
NASA

Es gibt eine stille Armee da draußen. Sie agiert im Untergrund und wagt sich nur ab und an hervor. Ihr Gebiet ist Einsteins Relativitätstheorie. Vorwiegend sind es Männer in fortgeschrittenem Alter, alle haben sie gemeinsam, dass sie von einer Sensation berichten: Jedem für sich ist es gelungen, die ganze Wahrheit über Einsteins Relativitätstheorie zu enthüllen.

Ihr Kommunikationsmedium sind E-Mails. Sie schicken sie an Forschende, aber auch andere Menschen, die sich mit Wissenschaft beschäftigen. Im Anhang findet sich für gewöhnlich eine Textdatei mit einer Zusammenfassung der Erkenntnisse. In einem Fachjournal wurden diese in der Regel nicht publiziert. Viele der Autoren haben eine solche Publikation versucht. In dem Moment, in dem die E-Mail im Postfach von Forschenden einlangt, gibt es also meist eine Vorgeschichte der Ablehnung.

Geduldiger Nobelpreisträger

Das Phänomen lässt sich seit vielen Jahrzehnten beobachten. Forschende haben völlig unterschiedliche Ansätze, wie sie mit solchen Einsendungen umgehen. Während manche lieber nicht antworten, gibt es andere, die aus Tradition die Absender sogar einladen, um ihre Theorien vorzutragen. Derartiges wurde vor Jahren an der Universität Graz praktiziert, ohne aber eine Revolution der Physik mit sich zu bringen.

Steht ein Wissenschafter in der Öffentlichkeit, vergrößert sich auch das Einzugsgebiet, aus dem die Zusendungen kommen. Man könnte meinen, dass ein Nobelpreisträger, der weiterhin in intensive Forschungen involviert ist, weniger Zeit dafür hat als andere. Doch der niederländische Physiker Gerardus "Gerard" 't Hooft, der 1999 für seine Beiträge zur Quantenfeldtheorie gemeinsam mit seinem Lehrer Martinus Veltman den Nobelpreis für Physik erhielt, hat die Herausforderung angenommen und ist mit den Absendern in einen Austausch getreten. Über seine Erlebnisse berichtet er auf seiner Webseite.

Der niederländische Physiknobelpreisträger Gerard 't Hooft bei einem Vortrag.
imago/CTK Photo

Abweichende Meinungen

Der Physiker hält den meisten der Einsendungen zugute, dass sie ein ehrliches Interesse an der Thematik belegen. Oft seien sie so interessant, dass es sich lohnt, darauf zu antworten, und interessante Diskussionen entstünden. Diese unterscheidet er aber von einer zweiten Gruppe von Einsendungen. Darin würden Menschen Fehler in den gängigen Physikbüchern und -publikationen behaupten. Sie selbst glaubten, bahnbrechende wissenschaftliche Entdeckungen gemacht zu haben, die einen großen Teil des etablierten Wissens über den Haufen werfen würden.

Daran ist grundsätzlich nichts verkehrt, meint 't Hooft – und gibt zu, dass es tatsächlich gute wissenschaftliche Tradition sei, dass eine kleine Gruppe von Abweichlern akzeptiertes Wissen infrage stellt. Als einige der gängigsten Behauptungen nennt er:

Allerdings seien die Ausführungen meist so falsch, dass mit ihnen wenig anzufangen sei. Der Nobelpreisträger trat mit den Verfechtern dieser Theorien in Austausch und wies auf offensichtliche Fehler hin. Die anfangs höfliche Konversation eskalierte, 't Hooft wurde letztlich wegen seiner "Dummheit" beschimpft.

Website statt E-Mails

Daraufhin ging er dazu über, die wichtigsten Argumente auf seiner Website zusammenzustellen. Er analysiert etwa die Behauptung, dass es keine Schwarzen Löcher geben könne. Ein vorgebrachtes Argument ist, dass in der gängigsten Lösung der Feldgleichungen für ein Schwarzes Loch, der Schwarzschild-Lösung, die Zeit für Objekte, die sich dem Schwarzen Loch nähern, immer langsamer vergeht, bevor sie exakt am Ereignishorizont zum Stillstand kommt. Für einen weit entfernten Beobachter sieht es also aus, als würde sich das Schwarze Loch erst gar nie formen, weil nämlich nie etwas hineinstürzt. Die Wahl eines geeigneteren Koordinatensystems löst dieses Problem aber.

Auf Kritik stoßen außerdem Gravitationswellen. Einer von 't Hoofts Konversationspartnern leugnet die Existenz solcher dynamischen Phänomene in der Allgemeinen Relativitätstheorie. Die sensationelle Entdeckung von Gravitationswellen 2016 überzeugte diese Kritiker nicht. Sie sprachen von einer Fälschung und blieben bei ihrer Meinung, als weitere Signale gemessen wurden.

Missverständnisse und Angriffe

Mehrere Dinge sind in den Beschreibungen 't Hoofts auffällig: Immer wieder findet er Missverständnisse der teils autodidaktisch geschulten Gesprächspartner. Einmal werden etablierte Näherungsverfahren abgelehnt, einmal wird eine Abkürzung für voll genommen, statt den Ausdruck zu verwenden, für den sie steht. Außerdem gibt es Schwierigkeiten im Verständnis des Äquivalenzprinzips, wonach jede Energie auch Masse besitzt und ein Gravitationsfeld selbst Masse haben kann. All das ist geeignet, die Ergebnisse unbrauchbar zu machen.

Ein zweites Muster sind Angriffe gegen 't Hooft selbst. Ihm wird mangelndes Verständnis vorgeworfen. Ein Vertreter kühnerer Theorien, der neben der Relativitätstheorie auch die Teilchenphysik und Elektrodynamik als Ganzes in Zweifel zieht, geht weiter und fordert 't Hooft auf, zurückzutreten, sich für seine Fehler zu entschuldigen, seinen Posten als Chefherausgeber von Foundations of Physics zurückzulegen und seinen Nobelpreis zurückzugeben. Anzumerken ist, dass 't Hooft hier keine Meinungen verteidigt, sondern den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung, den er mit der Mehrheit der Fachleute teilt.

Ein Bild des Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße, ergänzt durch eine Darstellung des gemessenen Magnetfeldes. Viele Amateure bezweifeln aber, dass sich dort wirklich ein Schwarzes Loch befindet.
AFP/European Southern Observator

Wissenschaftlich publiziert

Nicht alle derartigen Theorien scheitern an der Veröffentlichung. Einer von 't Hoofts Gesprächspartnern publizierte seine Ideen in einem Fachjournal, ohne allerdings dafür Resonanz zu bekommen. Laut der Meinung 't Hoofts hätten sie den Begutachtungsprozess nicht überstehen dürfen.

Andere berufen sie sich auf echte wissenschaftliche Arbeiten berühmter Physiker, darunter Albert Einstein, Hermann Weyl und Karl Schwarzschild. Es handelt sich um frühe Publikationen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die Relativitätstheorien noch völlig neu waren. 't Hooft verweist darauf, dass zu dieser Zeit auch die großen Pioniere teils noch Verständnisprobleme hatten.

Verbreitetes Phänomen

Von ähnlichen Zuschriften berichtet auch der emeritierte Physikprofessor und Buchautor Christian Lang, der an der Universität Graz zur Starken Kernkraft forschte. Gegenüber dem STANDARD erzählt er von mehreren Fällen. So bekam er beispielsweise im Eigenverlag gedruckte Softcover-Bücher eines Ingenieurs zu Relativitätstheorie, aber auch zum technischen Problem der Querlagerschmierung. Wie 't Hooft berichtet auch Lang von fundamentalen fachlichen Missverständnissen. So sollte der Beweis erbracht werden, dass Einstein unrecht hatte.

Ein anderer Amateurgelehrter brachte Techniker der Technischen Universität Graz sogar dazu, ein vermeintliches Perpetuum mobile zu bauen. Es funktionierte, wie so viele dieser Geräte, "fast". Auch hier war eine Widerlegung Einsteins Teil des Gesamtpakets.

Zu den Personen dahinter sagt Lang: "Das sind ernsthaft überzeugte Leute. Sie können auch mit Argumenten nicht davon überzeugt werden, dass sie falsch liegen." Wie bei einer Sekte gebe es "Glaubensaxiome, deren Widerlegung nicht akzeptiert wird", meint Lang, der ergänzt, dass auch Menschen aus der Naturwissenschaft nicht davor gefeit seien.

Albert Einstein war selbst offen für die Ideen von Amateuren. Hier erhält er allerdings kein wissenschaftliches Manuskript, sondern die amerikanische Staatsbürgerschaft.
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Umgekehrt sei es per se kein Fehler, ein Amateur zu sein, sagt 't Hooft. Nur das Fehlen eines Titels oder eines akademischen Amts sei kein valider Grund für die Ablehnung einer Idee. Beispiele erfolgreicher Arbeiten von Amateuren oder zumindest Außenseitern gab es immer wieder. Vor allem Albert Einstein war offen für Einsendungen von Unbekannten und publizierte Arbeiten mit ihnen, so etwa mit Rudi Mandl, der ihn auf das Konzept der Gravitationslinsen hinwies und damals als Tellerwäscher arbeitete. Einstein selbst war zwar ausgebildeter Physiker, arbeitete aber, als er zwei seiner wichtigsten Arbeiten verfasste, als Patentamtsangestellter.

Wer wird Nobelpreisträger?

Um auch Amateuren eine faire Chance zu geben, ging 't Hooft vor einigen Jahren einen Schritt weiter. Er stellte sich die Frage, wie motivierte Hobbyforschende an Wissen über Physik gelangen könnten, wenn sie entweder zu jung wären, um auf eine Universität zu gehen, oder zu alt, um sich unter das Volk der Studierenden zu mischen. "Heutzutage sollte es möglich sein, alles Wissen, das man braucht, im Internet zu sammeln", stellt er fest.

Zu diesem Zweck hat 't Hooft eine weitere Webseite ins Leben gerufen, die einen kompletten Online-Crashkurs für theoretische Physik bietet. Das Ziel ist kein geringes: Es gehe darum, Menschen auszubilden, die theoretische Physiker werden wollen, "nicht nur gewöhnliche, sondern die allerbesten, diejenigen, die fest entschlossen sind, sich ihren eigenen Nobelpreis zu verdienen". Mit Quellen aus dem Internet sei das im Prinzip möglich. Nur eine Bitte äußert er: "Schicken Sie mir keine Ihrer alternativen Theorien, bevor Sie alles gelesen haben."

Der gewünschte Effekt blieb aus, 't Hooft wurde weiterhin von Amateuren ohne ausreichenden fachlichen Hintergrund angeschrieben. (Reinhard Kleindl, 12.5.2024)